Klaus F. Messerschmidt

DAS
MYSTERIUM
DES
MEHLSCHWÄNZCHENS

BEDENKLICHE ERINNERUNGEN

mitteldeutscher verlag

2015

© mdv Mitteldeutscher Verlag Gmsucht nach Kleinbuchstaben direkt an Großbuchstabe, Halle (Saale)

www.mitteldeutscherverlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Klaus F. Messerschmidt

Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

ISBN 978-3-95462-650-2

1. digitale Auflage: Zeilenwert Gmsucht nach Kleinbuchstaben direkt an Großbuchstabe 2016

Zeichnung Rolf Kiy 1978

Immer mehr in letzter Zeit überdenke ich mein Leben, suche den entscheidenden, alles verschuldenden Fehler, den ich vielleicht begangen habe, und kann ihn nicht finden. Und ich muß ihn doch begangen haben, denn hätte ich ihn nicht begangen und hätte trotzdem durch die redliche Arbeit eines langen Lebens das, was ich wollte, nicht erreicht, so wäre bewiesen, daß das, was ich wollte, unmöglich war und völlige Hoffnungslosigkeit würde daraus folgen.

Franz Kafka: Forschungen eines Hundes

Traumtransformator

Es war der Wunsch zu fliegen, nur besser als Ikarus, länger und mit sanfter Landung auf weicher Wiese. Wer träumt davon nicht? Höchstens die Vögel träumen davon nicht, die träumen nicht, und nicht mal vom Flug zu den Sternen!

Unsereiner schon. Fliegen! Onkel Paul war zur Marinefliegerei geeilt, allerdings ohne dort je zu fliegen, weil er körpermäßig zu schwer war. Onkel Karl, der berühmte sächsische Voyeur, wäre auch gerne geflogen, als Flieger wäre sein neugieriges Leben einfacher gewesen; als Flieger hätte er selbst Schlafzimmerfenster in größten Höhen in Augenschein nehmen können, als Fliegendes Auge. Ohne Flügel ist er tatsächlich zweimal aus Bäumen abgestürzt, zum Glück ohne bleibende Schäden. Er blieb ein träumerischer Voyeur und lebenslang ein hoch geachteter Verwandter. Wie Onkel Hölz und Onkel Valentin als sogenannte Nennonkel; der eine ein albträumender Sprengmeister, der andere ein traumwandlerischer Spaßmacher. Männer, denen eine Vorbildwirkung ganz und gar nicht abzusprechen war.

Die Familie. Meine Ur-Großeltern väterlicherseits waren energische, lebensspendende Südharzer, die dem Kaiser nacheiferten und ihn tatsächlich in der Zahl seiner männlichen Nachkommen übertrafen, aber nie in den Genuss einer in Aussicht gestellten Kaiserpatenschaft gelangten. Das war ärgerlich, bedeutend ärgerlicher aber das Liebesleben meiner Ur-Ur-Großmutter, die mit fünfzehn Jahren geschwängert wurde und nie, nie den Namen des Unholds preisgab und mit dieser Weigerung die Familie Messerschmidt um einen weit zurückreichenden sogenannten Ariernachweis brachte.

Das war bei meiner Familie mütterlicherseits anders, denn hier steht am Anfang, laut Stammbuch, der deutsche Hirte Haltenhoff, ein Thüringer mit echtem Schrot und Korn, der im Gegensatz zum anderen, zum ungreifbaren Ur-Ur-Großvater tatsächlich etwas hermachte.

Aus Hirt und Gastwirt erwuchsen tüchtige Handwerker, unter anderem ein Stellmacher und ein Sargtischler. Diese Meistermenschen zeugten mit ihren Meisterinnen zu unterschiedlichen Zeiten und an geheimnisvollen Orten erst meinen Vater und vier Jahre später meine Mutter, und das waren abgesehen davon, dass sie sowieso Mann und Frau waren und noch mehr vor dem Gesetz zu Mann und Frau wurden, zwei recht unterschiedliche Menschen.

Mein Vater Willy war ein Träumer, einer der Schiffskoch werden wollte, oder wenigstens Schiffsjunge. Er konnte heilfroh sein, dass er keins von beiden geworden war!

Meine Mutter Charlotte war eine praktisch veranlagte Frohnatur, hatte nur leider, wie Willy sagte, zu nahe am Wasser gebaut und heulte oft genug, aber vor allem zum Weihnachtsfest, Rotz und Wasser.

Krankheiten, genetisch bedingte, allerdings auch durch andauernde Übung erworbene, gehörten zum Alltag und wurden im täglichen Überlebenskampf als wirksame Waffen eingesetzt.

Die Familien haben, ohne den Ort zu wechseln, mehrere Kriege und auch Regierungsformen durchlebt, ohne dass es zu allergrößten, schauerlichsten Katastrophen gekommen wäre.

Es war im Großen und Ganzen ein mittelmäßiges Leben in der kleinen Stadt am Rande des Südharzes.

DAS SPRECHENDE AUGE – LEBENSLAUF DEUTSCH berichtet nicht ohne Anteilnahme darüber.

Von einem Lebenslauf, keinem Lebensflug.

Nein, Lebensläufe, hölzern, zugeschnitten auf das kleine Leben, gebogen und geknickt – Bauer, Gastwirt, Schneider, Stellmacher, Sargtischler; Soldaten von Zeit zu Zeit. Eiserne und hölzerne Kreuze – kleine Leben, kleine Tode.

Und ich selbst? Als Träumender ein Albträumender, als Fliegender ein Abstürzender; als Querkopf ewig gegen den Wind? Dummerweise bis ihn ein Weib erlöst? Mehr war nicht mit Fliegerei, wohl aber mit Weib. Und der Traum vom Fliegen, vom Griff nach den Sternen, blieb.

DIE ANGST DER SPASSMACHER – FORTLAUFENDE ERINNERUNGEN, das ist der Bericht über einen schlechten Esser, grinsenden Schüler und verzweifelten Liebhaber und wie es ging, mit den Liebsten, mit der ersten, mit der zweiten, und sogar bis nach Hongkong. Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong, Traum von Kisten und Kästen und Säcken im Hafen, weit, weit weg.

Es war ein weiter Weg!

Von der Geburt eines Optimisten hin zu einem geschmeidigen Querkopf.

Der Lebenslauf mit Bocksbeinen, Schwanenfüßen und Reptilienaugen. Nein, K. und seine Freunde waren keine Fabelwesen, keine Engel, keine Teufel, nur Halbschwache, Halbstarke, Neugierige, Spielfreudige und Spielverderber.

Optimisten durchlebten ungünstige Zeiten als ein Friseurstuhl dumpfe Vergleiche zum elektrischen Stuhl heraufbeschwor; wenn Kartoffelkäfer abgeworfen wurden, Agenten und Verräter Butter nicht planmäßig verteilten und sogar ein Schwan missbraucht wurde.

Als urplötzlich Oma Marthas schneeweißes Bein zur Schau gestellt wurde, weil Blutegel dort ein Heilungswerk verrichteten; als die Lunatische traurig singend durch die Küche zog, ein Ziegenbock aufgefressen wurde und die Italienwelle aus dem Radio schwappte.

Viel Ungemach, aber nichts gegen den Untergang des Handwerks, vor allem der von vielen Seiten ungeliebten Stellmacherei! Wir konnten den Abgesang anstimmen, einen Schlusschoral für das Ende des Handwerks, weil endlich die Industrie alle Bedürfnisse der ewig maulenden Bevölkerung recht und schlecht erfüllen würde.

Schließlich ging es um unsere ureigenen Bedürfnisse, endlich um den gerechten Kampf für das Vereinigungserlebnis, um aufschnappende rosa Strumpf halter, peinliche Wunder und den Duft am Ursprung der Welt!

Wie aus Omas Sauerkrautfässchen, Pistorius’ mannshohen Fässern, wie gerbsaures Eichenholz und Erinnerung an Hohrkams Töchterlein: salzigsüßsauer.

Immer wieder wurde der Optimist seines Grinsens wegen verdächtigt – ein unvernünftiger Verdacht, aber manches Lachen war schwer zu erklären. Und viel zu oft war das Lachen vergangen, und die Spaßmacher bekamen es mit der Angst zu tun.

Wie ängstlich, wie bequem wir in festen Schubladen träumten vom Fliegen, von Wanderjahren durch Welten; von der ganzen Welt. Kuhwarme, dumpfe Kästen, herausgezogen blendete das Licht herein und schreckte uns auf: Wer waren wir? Wer hätten wir sein können? Gab es nur die Möglichkeit rauszufliegen?

Man muss sein Leben in der Gegenwart ändern, nicht in der Vergangenheit.

Wer sind wir? Wer würden wir sein?

Sollten wir Engel werden oder Teufel? Das war die große Frage gewesen. Beide können fliegen, so viel ist bekannt. Was könnte unsereiner denn anfangen, wenn er tragkräftige Flügel hätte? Flügel, um auf grüner Wiese weich zu landen? Im Garten der Lüste?

Im Garten ist ein Kolibri!

Aber nein, nein, es stellte sich allzu schnell heraus, dass es nur ein Schwärmer, ein Abendschwärmer war, ein kurzweiliger Gast. Trotz aller Schmetterlinge im Garten, der Schwalbenschwänze, Pfauenaugen, Admirale und Kohlweißlinge, erschien dieser Südländer als etwas Besonderes, und das war er ja auch. Er war da, weil es wärmer wurde im Land, warm genug sogar zum Überwintern. Auch wir waren eingeflogen, allerdings zum Überwintern in kühler Zeit, zum Überdauern, eingeflogen als Exoten, als Mehlschwänzchen, oder, wie manche es nennen: als Taubenschwänzchen, Friedenstaubenschwänzchen.

Mit dem Glauben an die Kunst, ans Außergewöhnliche, an den Entdeckerblick. Mit dem Glauben an das unendliche Leben: vom Ei zur Raupe, von der Raupe zur Puppe, von der Puppe zum Schmetterling – dem Imago, sagt der Kenner –, zum Bild, dem Traumbild, der Wiedergeburt.

Dem Bild vom Auferstehen, vom Weitermachen. Nach 1968, nach 1986; immer weiter. Bis zum kurzen, endlichen Leben des Mehlschwänzchens, auch genannt Macroglossum stellatarum. Soll man es wirklich Glänzende Großzunge nennen, wie Justus meint, nur weil der das kleine Latinum hat? Großmaul? Geschwätziges Großmaul? Mysterium, weil wir gern an Mysterien glauben wollen, und es auch so gut klingt: Das Mysterium des Mehlschwänzchens.

Das nehmen wir uns vor und schreiben:

DAS MYSTERIUM DES MEHLSCHWÄNZCHENS – BEDENKLICHE ERINNERUNGEN

Im Schneeberger Revier

Sonntag, dem 1. September 1963, bin ich im Westerzgebirge angekommen.

Sie hatten mir mitgeteilt, dass ich mit dem Bus von Aue fahren sollte, Richtung Schneeberg und auf dem Brünlaßberg aussteigen, am Kulturhaus Aktivist vorbei hinunter zur Waldstraße gehen, zum Internat. Richtig erfuhren wir die Haltestelle, ich verließ den Ikarus-Bus und stand vor einem Wald. Am Waldrand rechts von mir ein roter Stern über einer grauen Industrieanlage und graue Lkw fuhren hinein und heraus. Ein Kulturhaus war hier nur schwer vorstellbar.

Es musste aber eins geben. Als ich einen steilen Waldweg hinabgewankt war, gewankt wegen meines schweren Vulkanfiberkoffers, stand da tatsächlich ein Kulturhaus. Ein umfangreicher Bau aus Stein samt beachtlichem Eingang mit gelbem Ornamentglas! Für die nächsten drei Jahre wird es ein Ort voller Vergnügen und widerwärtiger Niederlagen.

Im weiteren Umfeld eine Wohnsiedlung, graue Häuser aus Stein, am unteren Ende der Straße große Baracken, solche aus grauem Holz, und da steht auch die graue Internatsbaracke. Hautnah eine graue Halde. Auf der anderen Talseite noch eine graue und riesige Halde.

Oberschlema! Eine graue Welt. Mittendrin die ehemaligen Wismut-Baracken!

Sie stehen dort, wo wegen der starken Radonquellen einst das stärkste Radiumbad der Welt betrieben wurde. Radium war zwischen den großen Kriegen Mode geworden und hatte immer mehr Kurgäste ins Erzgebirge gelockt. Die konnten sich sogar mit radiumhaltiger Zahnpasta die Beißerchen pflegen. Und das berühmte Trinkwasser genießen. Jeder wollte gesund sein oder es werden mit Hilfe des Radiums.

Im Jahr 1943 zum Beispiel – Radium war immer noch Mode – trotz El Alamein und Stalingrad, tranken sich über siebzehntausend Kurgäste in Oberschlemaer Trinkhallen gesund.

Dann war der Krieg ganz verloren, der Endsieg vergeigt, das Vergnügen vergangen, die Gesundheit sowieso, und die Sieger waren gekommen, erst die Amerikaner, dann die Sowjets. Aber nach dem Krieg ist immer vor dem Krieg.

Die Russen hatten nach dem Endsieg ungläubig fasziniert nach Hiroshima geguckt: Für den Fall der Fälle mussten sie so was auch machen können! Sie hatten Kriegsglück und kamen als Besatzungsmacht ins alte Land Sachsen. Das Radiumbad interessierte sie nur wegen der Radonquellen. Die Siegermacht, die fast alles wusste, hatte sofort Spezialisten für das Uran mitgebracht. Aus dem Berg gehackt haben es allerdings Deutsche, mit Schuld oder ohne. Von Überlebenden hatten wir haarsträubende Geschichten gehört, es sei heftiger zugegangen als bei sonst welcher legendären Goldgräberei, es sei Wild-West gewesen. Als wir dort eintrafen, waren die wilden Jahre vorbei, der Berg ausgeschabt und das Uran weg. Das Uran samt einer Menge Abraum, wie das genannt wird, war raus aus dem Gebirge. Die Wismut hat neben dem Abraum fast achtzigtausend Tonnen Uran dort weggeholt. Deswegen ist die Gegend um acht Meter abgesackt und wurde Senkungsgebiet genannt. Das Ausschaben war Knochenarbeit gewesen, hart und ungesund, deswegen gab es Stalinpakete und Trinkbranntwein mit zweiunddreißig Prozent, der wurde Kumpeltod genannt. Stalinpakete enthielten nahrhafte Güter: Butter, Speck und so; die Pakete kamen von den Russen, vom Arbeitgeber. Deswegen sind viele zur Wismut. Wurden auch gut bezahlt. Nach und nach wuchs ein Stolz: Ich bin Bergmann, wer ist mehr. Und gleichzeitig erblühten Silikose und Strahlenkrankheit. Ganz früher nannten sie es die Schneeberger Krankheit.

Das Erzgebirge ist seit Jahrhunderten durchwühlt worden, und was zutage kam, hat Sachsen reich gemacht, manchmal auch stark, zu erwähnen ist Großherzog August, der spätere König von Sachsen und Polen.

Wenn man auf der berühmten Salzstraße von Halle nach Prag ins Gebirge fährt, kommt man hinter Zwickau durch den Ort Silberstraße. Es wurde zu Anfang Silber gefördert. Und wenn ich jetzt sage, dass im Schneeberger Revier eine Erzstufe freigelegt worden war, ein Silbertisch von zwei Meter Länge, derselben Breite und einem Meter Höhe, dann habe ich nicht übertrieben. So reich war das Gebirge. Der Reichtum ist da und dorthin geflossen, nur nicht auf die Sparkasse für miese Zeiten. Und wie es immer geht, kamen diese Zeiten mit schweren Schritten, weil der Silbertische nicht so viele waren, dass einer in jedem Haushalt hätte stehen können. Der Berg war ausgeschabt und nun galt es, am Hungertuch zu nagen. Oder man wurde vom Bergmann zum Holzmann. So erfanden die nimmermüden Kumpel den Räuchermann, den Nussknacker, die Weihnachtspyramide und andere hölzerne Artikel des gemütlichen Beisammenseins, besonders vor Weihnachten.

Um jene Erzeugnisse der angewandten Holzkunst sollte es auch für mich in unserer Bildungseinrichtung gehen.

Ein bisschen stolz war ich, dass ich es geschafft hatte, an einer Fachschule anzukommen, und das Internat war ein Abenteuer, das gehörte dazu, wenn einer in die Welt ging. Früher war’s mir ein Graus, mit anderen Kerlen ein Zimmer zu teilen, jetzt musste es sein.

Immerhin sollte es richtig losgehen mit der Bildung. Mit Weltwissen. Wissen ohne Ende. Wir würden jetzt alles lernen. Das und noch viel mehr. Wir waren bereit zu jedem Sturm auf die Welt und würden als Erstes die Höhen der Kultur stürmen. Ich selbst gehörte noch zur stürmenden Facharbeiterklasse, wäre aber bald schaffende Intelligenz. Ich war dabei, ein Sesselfurzer zu werden, so hatten sich die Ortsgebundenen, die Kollegen, die Verwandten, gesorgt: Wirste auch so ein Sesselfurzer! Wirste uns gar nicht mehr kennen. Bei mir Zuhause gab es Vorbehalte gegen die Studierten. Unter den Lehrlingen sowieso. Ein bisschen Proletkult, Stolz der Arbeiterklasse. Abneigung, Hass, vor allem gegen Funktionäre, gegen die da oben. Ja, das waren die Vorbehalte derer, die zurückblieben.

Der Staat wurde bei mir Zuhause abgelehnt, es ging kleinbürgerlich zu. DDR-Fernsehen gab’s überhaupt nicht, es gab nur den Westsender. Meinem Stellmachervater war es schwer gemacht worden. Er bekam mich auch nicht als Lehrling, weil er nicht PGH machen wollte. Da war ich ganz froh gewesen. PGH war Produktionsgenossenschaft der Handwerker. Meine Mutter war noch froher als ich, denn sie war der Meinung, das hätte Mord und Totschlag in der Werkstatt gegeben. Weil sie uns beide kannte. Und Stellmacher war schon damals ein aussterbender Beruf. Übrigens wie auch Bildhauer.

Zu Ende der Lehrzeit hatte es bei mir mal kurz gekriselt. Es war jegliche Lust verloren gegangen, mich weiterzubilden. Ich wollte in die Produktion, Geld machen, eine Dreifünfer JAWA kaufen und weitere Konsumgüter. Charlotte und der Betrieb hatten mich dann doch zu höherer Bildung überredet. Es gab damals diese Delegierungen, der Staat brauchte ausgebildete Leute. Selbstverständlich hatten wir uns vorher freiwillig zur NVA ansagen müssen, ohne Ehrendienst wäre kein Studium möglich. Die freiwilligen Verpflichtungen wurden dringend erwartet, weil der Zustrom echter Freiwilliger zur Nationalen Volksarmee nur spärlich dahinplätscherte.

Also, ich wäre erst mal lieber in der Produktion geblieben. Das hätte bedeutet, als Facharbeiter an der Taktstraße in der Möbelfabrik stehen, Türen anschrauben und Geld machen. Für die Dreifünfer JAWA, das war ein tschechisches Motorrad, das schärfste damals: Dreihundertfünfzig-Kubikzentimeter-Motor mit dreiundzwanzig Pferdestärken.

Mütter sind immer überzeugt, dass es ihren Kindern, vor allem ihren Söhnen, künftig einmal besser gehen soll als ihnen selbst. Sie hat geredet und geredet, dass Sohnemann an eine gehobene Schule gehört. Bei seinen Fähigkeiten und so.

Eine andere Frau, die sagenhafte Odahild, hatte auch in der Möbelfabrik gelernt und mich schließlich auf die Schule hinter den sieben Bergen aufmerksam gemacht. Der Betrieb hatte erst sie und nun mich delegiert. Die Aufnahmeprüfung konnten wir beide bestehen. Man musste schnitzen, zeichnen und ein bisschen kneten, und mit Abgucken (vor allem zur geforderten Knetfigur des Fernseh-Sandmännchens war ich auf ein Vorbild angewiesen) bei meiner Nebenfrau hatte ich das gekonnt.

Als ich an die Fachschule kam, brummte das Unternehmen ganz schön. Aus einer sogenannten Fachgrundschule hatten sie eine richtige Fachschule gemacht und einige Schüler mehr aufgenommen. Mich zum Beispiel. Das konnte ich doch wirklich als Erfolg auf meiner Lebensbahn werten!

Es war hauptsächlich eine Schule für Frauen! Für schöne Frauen, blonde, braune, schwarze Schöne. Die schöne, liebe Augustin, die blonde Schneeberger BB, die schwarze Schneeberger CC.

Bei den Lehrkräften gab es einige schöne bis sehr schöne Männer.

Die wichtigsten waren für uns die Fachrichtungsleiter. Unserer hieß Memleb. Der erinnerte an einen, der sonntags auf die Rennbahn geht und Geld verwettet. Ein Mann mit pomadisierten Haaren, scharf nach hinten gekämmt und mit Oberlippenbärtchen. Trug immer hellblaugraue Anzüge und liebte ausgefeilte Theatralik. Als Erstes führte er uns eine Maschine vor. Schweigend.

Hantierte an der Stern-Dreieckschaltung. Langsam fing die Welle einer Maschine an zu rotieren. Wir lauschten, wann die Maschine ihre Arbeitsgeschwindigkeit erreicht haben würde. Es dauerte lange. Welch großartige Maschine! Es war eine Hobelmaschine.

Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass diese Präzisionsmaschine, wie wir glaubten, gar keine war, vielmehr der Motor einfach schwach, und wenn man zu schnell schaltete, flogen die Sicherungen raus. Aber Memleb hat damit eine Vorstellung gegeben. Es war wie überall. Der Oberkünstler war auch gar kein richtiger Künstler.

Aber jeder Lehrer ist für das erste Studienjahr ein König – na gut, ein ganz kleiner. Und natürlich haben wir von ihm gelernt! Weniger fachlich, mehr allgemein menschlich, weil er damals einiges mehr wusste als unsereiner.

Der Direktor und sein Stellvertreter waren auch sehr wichtig. Beim Direktor gab’s Ästhetik.

Er war Zigarrenraucher und die Schadstoffe müssen in seinem Rachen Schäden hinterlassen haben. Ständiger Begleiter seiner Reden war ein schleimig knackendes, beunruhigendes Geräusch im hintersten Nasenhöhlenbereich. Am heftigsten knackte er, wenn der Ärger so weit hinten saß, dass er immer wieder, um überhaupt noch atmen zu können, seinen Rachenraum entschleimen musste. Beunruhigend waren auch die Augen, wasserblassbläulich und durchsichtig. Am schlimmsten war es mit dem Krächzen, wenn es um pessimistische Dekadenzkunst und Sumpf blüten des verrottenden Imperialismus ging! Hxxkkhchchchk. Mit seinen maßlosen Augen schaute er seine Schüler an und machte Hxxk. Er konnte einzigartig knacken und räuspern, aber die begleitenden Blicke waren wässrig und schlaff. Einmal, da hat er beinahe geweint. Da hatten sich diese blassen Augen zusätzlich gefüllt mit Tränen der Freude, da war er von uns angetan. Als wir, seine, seine Fachschüler während der 1.-Mai-Demo, brüllten: Wenn auch Krupp und Stinnes toben, die Leistungskurve steigt nach oben, immer im Wechsel mit: Wenn sie ruft, sind wir dabei – die Sozialistische Einheitspartei. Wir wähnten, uns lustig zu machen, dabei waren wir nur Lautsprecher der fade gereimten Agitation.

Nach dem Direktor kam sein Stellvertreter, der Lehrer für Gesellschaftswissenschaften. Von dem kann ich merkwürdig Gutes berichten. Er hat mir mal geholfen, weil die Fachschulspitzen sich nicht leiden konnten. Vielleicht hatte der Gewi-Lehrer auch Mitleid mit mir. Zu meinen Mitschülern hatte er mal geäußert, dass sie mich in Philosophie weiterbringen müssten. Also, das war das, was im realen Sozialismus Philosophie genannt wurde. Weiterbringen! Aber vielleicht war’s ja auch eine Warnung.

Er verriet die Pläne, die zwischen dem meisterlichen Parteiarbeiter und den Sicherheitskräften ausgearbeitet wurden. Ein relativ guter Mann, obwohl er voller Stolz von den Jugendstreichen der FDJ berichtete, also, wie sie in Leipzig von den Dächern den Ochsenkopf gerissen und damit den bayrischen Klassenfeind aus DDR-Fernsehern verbannt hatten. Wenngleich wir sein Engagement in der Sache nicht teilen konnten, verstanden wir die Lust zur Randale, weil wir ja selbst jung waren.

Beeindruckend war, wie er als Lehrer der Gesellschaftswissenschaften plötzlich vom Mais- und Rinderzüchter sprach, nämlich vom abgesetzten Chruschtschow, dem er noch eine Woche zuvor den Maisstaub von den Rindslederschuhen geleckt hätte. Ja, so waren sie, die Lehrkräfte. Hin und wieder ein bisschen zwiespältig, ein bisschen verlogen.

Die Direktoren unserer Kleinwelt samt ihrer Stellvertreter waren meistens bef ähigt, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen, und gern auch für sich selbst. Nach dem Tonking-Zwischenfall meldeten sich beide sofort als Freiwillige nach Vietnam. Es blieb ihnen selbstverständlich erspart, mit den GIs Bekanntschaft zu machen, und sie wollten ja auch nur Vorbild für uns ein. Wir haben uns gedrückt, weil wir uns noch nicht reif fühlten und im Gegensatz zu den beiden auch keine Kampferfahrungen besaßen. Alle gemeinsam trieben wir das Studium voran, in der Gewissheit, dass an allen Fronten Leute gebraucht werden.

Die Schule lag oben am Schneeberg, früher königlich-sächsische Klöppelschule, jetzt hieß sie Fachschule für angewandte Kunst.

Von unserer Baracke bis zur Schule war es ein ganzes Stück, wir mussten auf jeden Fall immer über die Abraumhalde, da war ein Weg in der Mitte plattgeschoben – links und rechts ragten die grauen, möglicherweise immer noch strahlenden Steinberge.

Melancholie im September

Da war ich nun Fachschüler. Drei Jahre galt es als ein solcher zu bewältigen. Es fällt mir heute schwer zu sagen, was ich in dieser Zeit gelernt habe, aber auf jeden Fall, dass man ein Land lieben kann – ich hatte meine Liebe zu Mecklenburg entdeckt. Weil sie uns schon nach einer Woche zum Ernteeinsatz verschickten, damit wir alle zu Anfang Erfahrungen machen konnten, ein ländlich-bäuerliches Wissen erwerben, das nichts mit der erwählten Berufsrichtung zu tun hat, absichtlich nicht.

Wir, die wir vom Fett der herrschenden Klasse zehrten, auf Kosten der werktätigen Massen studieren durften, hatten zu lernen, wie die Bündnispartner der herrschenden Arbeiterklasse, unsere werktätigen Bauern, für unser aller Wohl arbeiteten. Wie großartig Arbeit ist. Am großartigsten Landarbeit, der Ursprung allen Fortschritts und Reichtums, denn ohne Brot geht gar nichts.

Weil es in der DDR kein Neuland unterm Pflug gab, kein Sibirien, welches zu erschließen war, blieb nur der nördliche Landstrich Mecklenburg, und genau da schickten sie uns hin, als junge Sendboten des Sozialismus. Als Sturmvögel des Fortschritts. Und wie Sturmvögel, wie Zugvögel fielen wir ein in das Land der 1 000 Seen, Teiche und Fließgewässer. Immer Anfang September kamen wir dort an als Vorboten des Herbstes. Alle höheren Bildungseinrichtungen hatten die ersten Studienjahre aufs Land zu schicken.

Gesagt werden muss: Nachdem wir grundlegende Erfahrungen gesammelt hatten, fuhren wir gern da hoch. Es waren jedes Mal vier, fünf Wochen voll ungewöhnlicher Freiheiten in einer beeindruckenden Landschaft. In kleinen Dörfern, zwischen endlosen Äckern, Eichen- und Buchenwäldern und den berühmten Seen, erlebten wir die Zeit der großen Sehnsucht. Die Melancholie im September, heute würde man sagen: den Herbst-Blues in Mecklenburg. Es war eine außerordentliche Zeit!

Dieser Landstrich hat es in sich. Das Land der eiszeitlichen Prägungen. Jahrelang dick von Eis bedeckt, der Weltenlauf eisig verzögert. Wenn die Welt untergeht, geht sie in Mecklenburg fünfzig Jahre später unter, meinte Fürst Bismarck, der allerdings von Weltuntergängen nur eine unreife Meinung hatte.

Wir fuhren in dieses Land mit der Zeitverzögerung, frühstückten dort im Kinderspeisesaal, in der Gemeindebaracke, im Kulturraum oder ähnlichen Einrichtungen der werktätigen Landbevölkerung. Anschließend stand draußen der Lkw der LPG, wir saßen auf, fuhren zum Feld und sammelten Kartoffeln, eine ähnlich wichtige Arbeit für die Volksernährung wie früher Rübenverziehen oder das Einglasen von Kartoffelkäfern. Wochenlang sammelten wir Kartoffeln, Furche auf und Furche ab, und beim unauf hörlichen Bücken bekam ich das erste Mal Sodbrennen, ein Ereignis, das ich aus Willys Klagen kannte.

Nach Feierabend waren wir frei und konnten uns betrinken oder im günstigen Fall uns verlieben.

Es gab die Einsätze der langen Wege, der anstrengenden Wege. Schafften wir da weniger Hektar Kartoffelfläche?

Drohte die Versorgung der Bevölkerung mit den nahrhaften Feldfrüchten zu stocken, weil wir ausgezehrt und abgekämpft Kilometer um Kilometer zur Kneipe und obendrein zur Minne eilten?

Getrennte Unterkünfte für Damen und Herren, sagen wir in Rottmannshagen und Zettemin. Abstand grob geschätzt vier, fünf Kilometer.

Es hielt uns nicht mal den ersten Abend in der Unterkunft, einer ehemaligen Kutscherwohnung. Durstig und lüstern machten wir uns auf den Weg ins Nachbardorf, hin zu den Frauen. Der Weg zog sich durch Wald und Sumpf in welliger Landschaft. Wir kamen spät an, wir hatten uns verlaufen. Noch vor der Behausung unserer Frauen entdeckten wir die Kneipe, wo der Wirt gerade dabei war, die Fensterläden zu schließen. Auf unsere erregte Bitten nach ein paar Bier brachte er schmunzelnd ein großes Tablett mit hell schäumendem Bier und reichte es den dankbaren Kerlen durch das Fenster raus. Ein guter Mensch.

Manchen Abend zogen wir nun ins Nachbardorf; doch, wir machten uns die Mühe, kamen auch gut an. Handelten uns schnell Rügen vom LPG-Chef ein, und als die erste ahnungsvolle Ehefrau den weiten Weg zu ihrem Ehemann nicht gescheut und beim Chef ihr Leid geklagt hatte, gab es die große Rüge.

Zum schönen Feierabend wurden wir in die Chef baracke eingeladen.

Mannings, sagte der, dat geiht so nich! Und er schob gleich nach: Von nix kümmt nix!

Diese Rede erforderte unsere Aufmerksamkeit, hier ging es nicht so sehr um Weiberkram, hier ging es um Planerfüllung und überhaupt um sozialistisches Leben. Wenn der ländliche Chef aufgebracht war, pflegte er in das heimische Platt zu fallen, und das war schon die zweite Fremdsprache, die ich nach der erzgebirgischen von Eingeborenen zu hören bekam.

Dat heff ’k all mien daach noch nich seihn! Erhobene Stimme. Ji muust utwärts? Unverständlich. Ihr geht katern. Mannings! Wat maakt ji bloß för Schosen!

Zu unseren wehleidigen Erklärungen meinte er nur: So gaut häv ick mich lang nich amüsiert.

Er musste natürlich auch das Ding mit dem Scheiß anbringen. Einmal hatte jemand auf die Kuhstallschwelle geschissen. Eine einf ältige Provokation, die der Schisser den Studenten in die Schuhe schieben wollte. Sie glaubten uns nicht, dass wir bäuerliche Arbeiten gern machten.

Mannings, sagte er, dat geiht so nich! Die männliche, verständnisvolle Tour.

Schiet nich bloß dor mol hin! – dat schall ook stinken?, er sah hoch zum blauen Mecklenburger Himmel, als suche er dort oben den Gestank des Kackhaufens und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

Bi ons hie in Meckelbörg is dat nich sehr verbreitet!

Aber der Kackhaufen war ihm gar nicht so wichtig, es ging mehr ums Grundsätzliche, rein Männliche, Hochdeutsche.

Vögelt, meinswegen, aber nicht öffentlich. Macht man hier nicht. Pause. Dann, nachdenklicher Himmelsblick: Kolle Foit und norden Wint, givt een kruusen Büddel un nen lüdden Pint! Das Winterheu in der Feldscheune habt ihr platt gewalzt! Sieht doch jeder, wie ihr das gemacht habt. Die Frauen haben ja auch geschrien dabei. Muss doch nicht sein! Macht hier keiner. Und am anderen Tag seid ihr schlapp und schafft viel zu wenig!

Es waren nicht die erotischen Abenteuer, die uns ein bisschen schlaff sein ließen, es war natürlich die Meckelbörger Luft, die harte Arbeit, sicherlich der weite Weg in der Nacht, denn immerhin mussten wir auch wieder zurück in die Unterkunft, in die Kutscherwohnung. Deshalb mussten wir auch viel essen.

Einmal gelüstete es uns nach einer umfassenden Festlichkeit. Mit Hühnern, Schnaps, Bier und Frauen. Alkohol musste gekauft werden. Hühner waren aus der Geflügelfarm zu stehlen. Die benötigten Frauen sollte ich aus dem Nachbardorf holen. Bring die mit, oder die, und wenn die nicht will, eine andere. Im Hellen machte ich mich auf den Weg, traf die Damen auch richtig an, richtete dies und jenes aus, wischte Zickereien beiseite, machte Druck: dann eben eine andere. Sie knickten im Mittelteil ein und kamen mit.

Vier Kilometer, und es war schon dunkel. Am Sumpf im dunklen Wald drängten sich plötzlich die Frauen, alle, so dicht um mich, dass ich nun alles für möglich hielt. Aber: Es hatte in der Nähe gegrunzt. Mehrmals. Nun roch ich es, und hier im Sumpf konnten es nur wildeste Schweine sein. Noch nie hatte ich einen solchen Andrang von Frauen erlebt! Ich schmiss vorsichtig einen Knüppel in Richtung des Grunzens und ziemlich erleichtert hörten wir die Rotte durchs Gehölz davonbrechen.

Wir haben kräftig Abschied gefeiert, aber leise, um den Vorsitzenden nicht weiterhin zu beunruhigen.

Natürlich mussten die Damen zurück zum Nachbardorf und wir anschließend zur Umsiedlerbaracke. Meine persönliche Laufleistung betrug circa zwanzig Kilometer!

Wir sind viel herumgelaufen.

Ja, und einmal hatte ich beim sonntäglich freien Wandern im Wald eine Schlange, eine Ringelnatter gefunden und sie in der Hosentasche mitgenommen, zu irgendeinem Gebrauch, höchstwahrscheinlich, um mit dem Reptil anzugeben. Die Schlange hatte sich in der dunklen Wärme wohlgefühlt und keinen Ausreisversuch gemacht. Aber als ich sie in einem der Mägdleinzimmer stolz aus der Hosentasche holte, war die Schlange blitzschnell und geschmeidig – nein, schlüpfrig ist eine Schlage nicht – entwischt und unter die Betten geflohen. Beim Abtauchen des Ungeheuers war die sehr gut aussehende Heike mit blankem Entsetzen in den schönen Augen kreischend auf den Bettgiebel des oberen Bettes gesprungen. Auch die anderen Frauen schrien und schluchzten, es war das Chaos – weibliche Seelen in Todesangst – man sollte das nicht meinen, nach der Grunderfahrung von Frau und Schlange.

Der ungeschickte Schlangenbändiger hatte Mühe, wieder Ordnung in das Geschehen und die Schlange zurück in die Hosentasche zu bringen. Ich verteilte endlich meine gestohlenen Äpfel an die Weiblichkeit, und eine lachte wunderbar, und die bekam zwei. Diese wurde unter unrühmlichen Umständen meine Frau, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Vorher war noch eine Menge zu lernen, vorerst in Meckelbörg Fremdsprachiges, und unter anderem war eine Französischstunde zu absolvieren. In einem Bett im Kinderferienlager. Sie war eine gut aussehende, sehr schlanke Studentin, ein bisschen wie – ah, nein.

Eine Kommilitonin. Wir hausten im ersten Ernteeinsatz in einem Ferienlager am Plauer See; die Schulferien waren schon vorbei. Als Alleinschläferin hatte sie mich mit auf Bude genommen und nach einer knappen, waagerechten Küsserei verlangt: Ich solle es ihr machen: französisch! Französisch? Im Zusammenhang mit Frauenkörper war mir das ein unbekannter Begriff. Mir fiel dazu nichts ein, und wegen fehlender Ideen setzte ich die Bemühungen um ihren Körper fort, griff vertraulich daran herum – sie seufzte und sagte in feinem Hochdeutsch immer wieder, dass ich es ihr machen solle, aber eben französisch.

Mir sagte dieser Wunsch überhaupt nichts, und ich hielt das für ein Missverständnis. Französisch! Wollte sie sich lustig machen? Mich prüfen? Um Zeit zu gewinnen erkundigte ich mich – irritiert über ihr bereitwilliges Mitgehen und die Fremdsprachenforderung –, wieso ich denn jetzt bei ihr wäre? Weil sie gesehen hätte, wie wir Kerle eine Wette abgeschlossen hätten, und warum solle denn nicht ich der Gewinner sein und sie, den Gewinn, aufs Zimmer führen.

Ein blonder Fünfzig-Kilo-Hauptgewinn! Aber wir hatten nicht gewettet, wie kam sie darauf? Gewettet! Gewogen hatten wir sie mal und festgestellt, dass sie genau einen Zentner wog. Mit Hilfe der Dezimalwaage, auf der die Kartoffelsäcke gefüllt wurden. Genauso wurde auch mal die zarte Blonde mit der feinen hochdeutschen Aussprache in solchen Sack gesteckt und gewogen. Einen Zentner, fünfzig Komma null Kilo, so leicht wog die Frau, in Kleidern! – Französisch! Eine Aufgabe, auf die ich damals nicht vorbereitet war! Mir sagte dieser Wunsch nichts, und ich hielt das für ein Missverständnis. Sie hat mich schließlich unwillig von sich geschoben und gesagt, dass ich lieb, aber ein Trottel wäre. Dabei war ich nur unwissend. – Die Versucherin ist später nach dem Westen abgehauen.

Nach den diversen Nordlichtern ging es endlich richtig los mit angewandter Kunst.

Das Spezielle unserer Fachschule bestand in ihrer Beziehung zur Kunst, hergestellt über ein Adjektiv: angewandte, angewendete Kunst.

Was tut man an einer Fachschule für angewandte Kunst und mit welchem Ziel durchläuft man diese innerhalb von drei Jahren? Wir dachten, sicherheitshalber im Konjunktiv so: Nach dem ersten Jahr wären wir sicher, dass die Welt nach unserem gestalterischen Willen gierte.

Nach dem zweiten würden wir bereit sein, der Welt unseren gestalterischen Willen aufzuzwingen.

Nach dem dritten würden wir als Gestalter für Holz, Textil oder Spitze (Klöppel- oder Maschinenspitze) in die Welt eilen, um sie willentlich zu verschönern.

So dachten wir, und so war es gedacht. Circa zwanzig Leute drängen zu verschieden Betrieben, wo händeringend auf sie gewartet wird.

Irgendjemand hatte sich das wohl genauso wie wir vorgestellt. Wie immer klafften erhebliche Lücken zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, weil es prinzipiell in unseren Gegenden immer noch darum ging, die Welt zu verbessern und nicht unbedingt, sie zu verschönern.

Wir Holzleute waren in allen drei Studienjahren als ein Dutzend Lernende auf dem Holzweg – bloß, zu welchem Ziel? Das Ziel war nur ungenau – siehe oben – vorgegeben.

Eine der unzähligen erzgebirgischen Kleinklitschen auf Weltniveau zu stemmen? In Kulturhäusern den Ton angeben, sich zur ungeheuren Schar der Sesselpupser gesellen; in eines der vielen Büros mit den vielen Insassen, von denen immer mal wieder einer unangenehm auffiel, ausfiel, verschwand und so ein Platz frei wurde für den Nachrücker?

Oder sollte man gar, den Vorfahren Gustav, Friedrich und Willy gleich, das Heil in völlig unzeitgemäßer Selbstständigkeit suchen? Den Grundstein zu eigener kleiner Klitsche legen? Selbstausbeutung bis aufs Blut betreiben? Ewig währenden Streit mit Behörden suchen? Mit der Abteilung Finanzen beim Rat des Kreises?

Oder das Einfachste machen: in der Schule bleiben, eine unauf haltsame Karriere anstreben, schließlich Direktor sein. Wie man Direktor einer Fachschule werden konnte, wussten wir natürlich nicht, aber warum nicht auch das erlernen. Warum denn nicht Direktor? Direktor und zusätzlich Ästhetiklehrer!

Traktat über den Holzweg

Es war schwer zu entscheiden. Als Entscheidungshilfe hatten sie mir zwischendurch ein Buch in die Hand gedrückt, in dem schwarz auf weiß nachzulesen war, worauf es bei angewandter Kunst ankam.

Tatsächlich war mir das Buch nach dem ersten Studienjahr als Belobigung übereignet worden, ich wurde darin auf einem Zettel ausdrücklich für gute Studienleistungen belobigt, und es war klar, dass mir das Werk weiterhelfen sollte auf dem Weg zur sozialistisch-hölzernen Gerätekunst.

Der Autor, Herr Herrmann Exner, hatte seinerseits den Weg durch die Geschichte der Gerätekunst nicht gescheut und vom festen Klassenstandpunkt aus alle Vergehen und Mängel der Jahrtausende schonungslos aufgedeckt! Zu unserem Erschrecken hatte der Unfug mit falschem, ausbeuterisch genutztem – oder heimtückisch unbenutzbar gemachtem Gerät schon im Jahre 2800 v. u. Z. angefangen, nämlich mit einem ägyptischen Steinmesser samt Elfenbeingriff, und der Kenner hatte erkannt:

Schon an diesem frühgeschichtlichen Beispiel einer bewußtseinsbildenden, klassenbestimmten Gerätekunst übersteigen die Kosten für die Repräsentation weit die für den Gebrauchszweck.

Ein paar Jahrtausende weiter erfuhren wir:

Die Missachtung des rationellen Denkens bleibt typisch für die gesamte Feudalzeit. Die herrschende Klasse, die von direktem Raub im Krieg, später auch von Wegelagerei (Raubritter) sowie von der unentgeltlichen Aneignung des Mehrprodukts, vom Zehnten und von der Grundrente, lebt, hat keinen Sinn für die wirtschaftliche Gestaltung des Geräts. Dem Tischler der Gotik ist nicht die Aufgabe gestellt, Stühle herzustellen, die ein gutes Aussehen, das Erholen nach einer Anstrengung gewährleisten. Sein Erzeugnis gibt dem Sitzenden wohl eine steife und herrische, jedoch sehr unbequeme Haltung.

Hier wurde speziell ich als Möbelfacharbeiter direkt angesprochen. Wir Tischler, die wir unser kleines Land mit einer Unzahl schönster, benutzerfreundlichster und dabei auch noch billigster Stühle überschwemmt hatten, konnten stolz sein! Welch Glück, dass wir nicht in der Gotik gelebt hatten und für Raubritter unbequeme Stühle produzieren mussten, auf denen sie sich nach getanem Raubzug nicht mal ordentlich ausruhen konnten, die Armen. Sowieso hätten die RR sich nicht nur unsere unbequemen Stühle unentgeltlich, sondern auch das Mehrprodukt ganzer Tischlerinnungen angeeignet. Grauenvoll.

Gut, dass wir im real existierenden Sozialismus arbeiten und gedeihen konnten, denn:

Erst recht wird im Sozialismus das Imponieren mit prunkvollen Möbeln, das kleinbürgerliche Vortäuschen nicht vorhandenen Reichtums oder Ranges durch billige Surrogate, also durch Kitsch, zu einem lächerlichen Anachronismus. … Erst unter den Bedingungen einer sozialistischen Ökonomik und Industrieproduktion ist die Forderung nach wohlgestaltetem Gerät, nach einer Freude bringenden, schönen, gesunden, Wohn- und Arbeitsumwelt für alle Menschen erfüllbar. Diese neue Schönheit ist unter den Bedingungen der industriellen Produktion und in der sozialistisch-kommunistischen Ordnung eine gesellschaftlich richtige Schönheit. Der jahrtausendealte Zwiespalt zwischen der künstlerischen Form des Geräts und der von ihm verlangten technisch-ökonomischen Leistung ist aufgehoben.

Gesellschaftlich richtige Schönheit. Oha. Ja, doch, da konnten wir wirklich froh sein, dass wir erst am Ende dieses wahnwitzigen Zwiespalts zur Gerätekunst stießen!

Im Oktober 1963 galt es, als erste Studienarbeit eine schlichte Dose aus Nussbaumholz mit Kerbschnitzornamenten zu versehen, sie also ein bisschen prunkvoll zu machen!

Bei Memleb war das Schmücken anscheinend Ausgeburt eines untilgbaren Widerstandsgeistes; er war eine Art Widerständler, ein ornamentfreudiger Widerborst, der sich hin und wieder gegen das gedruckte Wort auflehnte.

Aber auch unser Direktor, der Lehrer sozialistischer Ästhetik, brachte uns alles über das Ornament bei. Über das Schmücken, über das Prunken. Beide Lehrkräfte setzten sich über Ideologiegrenzen hinweg! Aus dem zwanzigsten zurück ins neunzehnten Jahrhundert und geradewegs in den Sozialismus. Mit Hilfe des Ornaments. Im Fach Ornamentik übten wir, kleine zweidimensionale Menschenbilder in Dreiecke, Quadrate, Kreise und weiß der Kuckuck wohinein noch zu quetschen.

Es war der Kampf ums Ornament – hier das Buch des Herrn Exner mit seiner Abneigung gegen Prunk und Ornament, da der Hang des Fachrichtungsleiters und auch des Direktors zu genau solcher Verschönerung. Nichts mit neuer Schönheit in der sozialistisch-kommunistischen Ordnung, nichts mit gesellschaftlich richtiger Schönheit!

Nun gut, es ging um Grundlagen, und außerdem würde das Fachschulprogramm sich vom Kerbschnitzornament über gedrechselte Schalen, geschnitzte Schalen, geschnitzte Schrifttafeln, geschnitzte Hasen, Modelle diverser Hausbars hin zur originalgroßen sozialistischen Bar in der Truhe erstrecken, aber das wussten wir anfangs noch nicht.

Zu Höhepunkten im Studienbetrieb kam es, wenn unser Falei, also der Fachrichtungsleiter, uns bekanntmachte mit seinem größten Traum: einer hölzernen Wandgestaltung, seinen Traum vom Holz, dem Traum von der Ultimativen Holzgestaltung. Nun war das gewiss mit Fachschülern so ohne Weiteres nicht zu machen; wir mussten erst allmählich an den großen Gedanken der UHG herangeführt werden, ganz vorsichtig. Um einen Anfang zu machen, gingen wir innerhalb der Schulzeit ins vornehmste Haus am Platz, in die Einheit, platzierten uns dort im Restaurant und betrachteten eine Formation Kraniche, die als Sgraffito, der Technologie der fünfziger Jahre, über die Wand zogen. Memleb machte uns mit dem innewohnenden Rhythmus vertraut: Also, so in der Art! Nur eben in Holz. Er kam ins Schwärmen, sprach in Anlehnung an August den Starken: Und dann ein Astloch vergolden! (Böttchers Suche nach Gold).

Aber entweder konnte er uns nicht recht anleiten oder wir waren einfach zu dumm für eine große hölzerne Wandgestaltung.

Wir gelangten zu keinem Ergebnis. Wir waren ja auch ungeübt. Kerbschnitzornamente, Schalen, Dosen und so, das hatten wir gemacht, das ja. Es hatte das Karnickelprogramm gegeben, die hölzernen Abbilder der possierlichen Nager – o, diese Mühe. Wir hatten vier Eichen- und ein Palisanderkaninchen geschaffen, nach Vorbildern aus des Hausmeisters Ställchen. Nur mit der UHG wurde es nichts. Nicht an dieser Schule. Aber einige sind dran geblieben, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Mal sehen.

Nach zwei Jahren, wie der Zufall oder sonst welche Planung spielte, gerieten wir in die Hände eines guten Mannes. Eines Mannes, der ringsum Erfolg haben sollte. Er begegnete uns das erste Mal mit den Fragen: Ist das Gips? Macht das Spaß?

Wir hörten mit unseren gespitzten Öhrchen diese wenigen Worte, und wir hörten schon in dieser frühen Phase das Weeegck!!! Wir hatten nach kleinen Gipsmodellen Schachfiguren zu schnitzen, das war’s. Natürlich war das langweilig. Es waren ja auch nicht unsere eigenen Figuren. Gips! Dafür hatte er wohl nichts übrig. Es ging ihm und natürlich auch uns ums Holz.

Wenig später musste der unglückliche Falei drei seiner Leute an den Gipsfeind abgeben und denen auch noch einen Raum in seiner Fachrichtung überlassen! Es war eine Niederlage, und nicht die erste.

Memleb hatten sie nämlich damals nicht nach Kuba gelassen, an seiner statt ist unser Gewinner über den großen Ozean geflogen. Weil, den Insulanern musste ebenso wie uns geholfen werden, die Höhen der Kultur zu erstürmen. Spätestens im nächsten Frühjahr nach einer Revolution wird jedes Mal bemerkt, dass man auch etwas für Kultur tun muss, um vor der Welt nicht als Barbar dazustehen. Was wäre da besser geeignet als sie, als unsere angewandte Kunst?! Aber obwohl unser Fachschul-Fachrichtungsleiter alle Möbel verkauft und dafür Spanischliteratur ins ausgeräumte Heim geholt hatte, durfte er nicht in die Welt. Das war bitter, aber so geht es manchmal im Leben.

Wir waren nicht umsonst gefragt worden, ob es Spaß macht, kleine hölzerne Schachfiguren nach einem Gipsmodell zu schnitzen. Es gab nämlich einen Plan.

Ob wir nicht Lust zu einem wesentlich verkürzten Hochschulstudium hätten. Oh ja, – doch. Wesentlich verkürzt, das konnte man machen, damit hatten sie uns gewonnen!

Drei Leute mit ausreichend Vorwissen sollten auf dem berühmten Giebichenstein in Halle an der Saale eine Fachrichtung Holzgestaltung aufbauen. Es gäbe dort allerlei Fachgebiete, aber leider keins, welches das warme und freundliche Material Holz verarbeitet. Da mussten wir helfen, da wollten wir ganz schnell aufbauen, weil uns der Beruf des Künstlers näher und näher gekommen war, und auch, weil mit Holz zu arbeiten tatsächlich angenehm sein kann.

Also wurden wir im letzten Fachschuljahr auf Großes vorbereitet. Drei Leute, die besten, die sie gerade hatten, stolperten eine Stufe nach oben. Unser neuer Meister war ein guter Mann; es würde nicht lange dauern, und wir würden gemeinsam mit ihm Weeegck!!! schreien, und es wird unser definitiver Abfall vom erzgebirgischen Kunsthandwerk sein.

Zwecks Motivation hatte unser neuer guter Lehrer eine Geschichte erzählt von einem seiner Lehrer, von Mart Stam, einem Feind des erzgebirgischen Kunsthandwerks.

Also der Herr Stam, ein holländischer Architekt, der ein kommunemäßig schlagendes Herz hatte voller sozialethischer Prinzipien, voll der Ideale eines menschlichen Funktionalismus, war über den unbequemen Umweg Sowjetunion in der Hochschule Dresden gelandet und auch, wie so viele, in die Lage geraten, ein paar Takte zum erzgebirgische Kunsthandwerk zu spielen. Ja, was soll man sagen? So groß war sein niederländisches Sozialherz nun auch wieder nicht: Der Teufel mit holländischem Akzent hat Weeegck!!! geschrien und den Schrapel vom Tisch gefetzt!

Wir lauschten erregt: einer der sich rigoros gegen Kunstgewerbe wandte, ein Aus-, ein Holländer, in Dresden. Einer, der sich gegen das erzgebirgische Kunsthandwerk auflehnte mit derselben Gnadenlosigkeit, mit der damals der Abfall der Niederlande stattgefunden hatte: Weeegck!!!

Warum dem Teufel eine Entscheidung über die lieblichen Erzeugnisse einer ganzen Landschaft zugestanden wurde, habe ich vergessen. Aber es war ja so, und auch wir würden das noch erleben, dass Künstler immer mal wieder in die Lage gebracht wurden, über die sogenannte Volkskunst ein mehr oder weniger geschätztes Urteil abgeben zu müssen. Jedem ist das mal passiert. Plötzlich hatte man dem ehemaligen Meister ein Gütesiegel für die begehrte Steuernummer zu erteilen! Eine missliche Situation! Weil der Meister sich auch entwickelt hatte, die Lehrausbildung mit der privaten Drechslerei vertauscht und munter aus Pflaumenholz: Davon hebe ich die winzigsten Stücke auf! – man konnte es sehen –, kleine hässliche Ungebrauchsgegenstände gedrechselt hatte. Das war in jenen Jahren, als in jedem Neubaublock mindestens eine Kleinstdrechselbank surrte und im Buchhandel Anleitungen für diese uralte Handwerkstechnik zu kaufen waren. Ein dünnes Heft, aber es hatte gereicht, ein kleines Staatsvolk zu Kunstgewerblern zu machen! Man kam ausgeruht vom Büro oder stracks von der volkseigenen Werkbank, man zog sich einen frisch gebrühten Im-Nu-Kaffee rein, und dann ging es ab in die Bastelstube! Hei, da flogen aber die Späne! Verkaufen ließ sich das allemal, weil der Bedarf so riesengroß war: Jab doch nischt!

Natürlich war besonders das Erzgebirge schon seit langer Zeit ein Hort der Konsumgüterproduktion. Der Fleiß und der Erfindungsreichtum der Gebirgler hatten aus dem Erzgebirge nicht nur das Mutterland der fröhlichen Weihnacht gemacht, sondern auch den deutschen demokratischen Sozialisten zu einigen der raren und deshalb hoch begehrten Devisen verholfen. Und weil auch die findigsten Sozialisten bestimmte Produkte nur einmal verkaufen konnten, bekam der gemeine DDR-Bürger die Erzeugnisse der Kunstgewerblerei kaum bis gar nicht, weil der ganze Kram ins NSW, ins Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet, bis nach Amerika ging. Um die Imperialisten von ihrem verderblichen Tun abzuhalten, denn Weihnachtszeit ist Friedenszeit. So hängt alles zusammen.

Aber das Volk, der große Lümmel, wollte hin und wieder auch mal ein wunderbares Geschenk für die Oma, und weil Oma die Vitrine voll hatte mit den Kellererzeugnissen von Sohn oder Enkel, wurde immer mal wieder wegen der Versorgungsengpässe herumgeschrien und herumgebastelt. Bis kluge Köpfe glaubten, einen Ausweg aus dem Geschrei gefunden zu haben.

Zu unserer Zeit war es im Gebirge zu großen Teilen noch urgemütlich, die Heimarbeit brummte, man aß Buttermilchgetzen und fand sich zu Hutznohmdn zusammen. Es war noch weit bis zum Jahr fünfundsiebzig, als die Verschwörung der Geilen in der Korbmacherei (einem der letzten privaten Unternehmen!) im Namen des Volkes geahndet wurde, angeprangert als Unzucht und Gruppensex.

Auch schon vor diesem harten Eingriff ins Wirtschaftsgefüge, der Expropriation der letzten Expropriateure, der endgültigen Abschaffung letzter Reste der altertümlichen Ausbeutergesellschaft und der Bildung von sogenannten Kombinaten, gab es Kräfte, die der Fertigung traulicher Kunstgewerbeartikel zumindest feindlich gegenüberstanden.