Dämonenerbe 3

Erben der Macht

 

Mara Laue

 

 

Kapitel 2

 

Las Vegas

 

Bronwyn schlug die Augen auf und schnupperte. Es roch eindeutig nach Kaffee. Das Zimmer kam ihr fremd vor, weil es fremd roch. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Sie war zu Hause; vielmehr in ihrem Haus, 3333 Bryant Avenue, das ihrem leiblichen Vater gehört hatte. Als sie es vor gut zwei Wochen übernommen hatte, war es ein unansehnliches Höllenloch gewesen mit schwarzen Wänden, schwarzen Möbeln, blutroten Fußbodenbelägen und grauenhaften Gemälden an den Wänden, bei denen man den Eindruck hatte, dass das Blut förmlich aus den abstrakten Darstellungen geschundener Leiber real herausquoll. Kein Wunder: Mokaryon – alias Morgan Karyon – war ein Dämon gewesen, der sich von negativen Emotionen ernährt hatte.

Bronwyn hatte als Erstes die gesamte Einrichtung verändert. Seitdem sah das Haus nach menschlichen Standards bewohnbar und sogar richtig gemütlich aus. Das Schlafzimmer hatte sie in eine exakte Kopie des Schlafzimmers in ihrem Haus in Denver verwandelt. Trotzdem fühlte es sich fremd an und sie konnte nicht nur dieses Zimmer, sondern das ganze Haus nicht als ihr Zuhause betrachten. Ebenfalls kein Wunder, denn sie hatte erst eine Woche hier verbracht. Und es war unwahrscheinlich, dass sie Zeit genug haben würde, dieses Haus zu einem Heim zu machen, denn sie und Devlin würden die Wintersonnenwende wahrscheinlich nicht überleben.

Aber es wäre wundervoll, wenn sie die letzten sechsunddreißig Tage ihres Lebens in einer Umgebung verbringen könnte, die sie als Heim betrachtete. Ein Traum, der sich so oder so nicht erfüllen würde, denn sie fühlte sich gegenwärtig überall fremd; sogar in ihrer eigenen Haut. Seit sie erfahren hatte, dass sie eine Halbdämonin und die Königin und Erbin der dämonischen Ke’tarr’ha-Dynastie war und die Menschen, die sie bis dahin für ihre Eltern gehalten hatte, sie nur adoptiert hatten, war ihr sogar das Haus fremd, in dem sie aufgewachsen war und wo sie eine glückliche Kindheit und Jugend verbracht hatte.

Ihr Haus in Denver, in dem sie seit zehn Jahren wohnte, war ihr sowieso nie wie ein Zuhause erschienen, da sie als freie Journalistin die meiste Zeit des Jahres auf Reisen war. Außerdem konnte sie dorthin nicht mehr zurück, denn zu viele Leute wussten, dass sie dort wohnte und warteten nur darauf, dass sie sich wieder blicken ließ, um sie umzubringen.

Sie zuckte zusammen, als ein Arm sich über sie legte und ein anderer unter ihren Kopf geschoben wurde. Im nächsten Moment küsste Devlin ihre Wange.

„So traurig schon am frühen Morgen?“, murmelte er und fuhr mit der Zunge über ihre Halsbeuge. „Das muss ich schleunigst ändern.“ Er küsste ihre nackte Schulter.

Sie drehte sich zu ihm um und genoss den Kuss, den er ihr diesmal auf den Mund gab, wehrte aber seine Hand ab, mit der er ihre Brust streicheln wollte. Devlin war eins ihrer Probleme. Sie liebte ihn, wie sie noch nie jemanden geliebt hatte, aber sie war sich nicht sicher, ob diese Liebe aus ihr selbst kam oder ob sie eine Nebenwirkung des Seelenbandes war, mit dem sie und Devlin seit ihrer Geburt unauflöslich verknüpft waren. Obendrein befand sich ihre junge Beziehung in einer Krise.

Devlin, König und Erbe der Py’ashk’hu-Dämonendynastie, war unter Dämonen aufgewachsen und sich seines Standes als ihr alleiniger Herrscher nur allzu bewusst. Das hatte zu einer gewissen arroganten Grundhaltung geführt, die er leider auch gegenüber Bronwyn zeigte. Dass sie aufgrund der Bestimmung, für die sie beide geboren worden waren, aneinander gebunden waren bis ans Ende ihrer Tage, machte die Sache nicht besser. Devlin machte das wenig, genau genommen gar nichts aus. Bronwyn fühlte sich missbraucht, wenn auch nicht von ihm, sondern von ihren Erzeugern.

Vor 3330 Jahren war es den Oberhäuptern der beiden Dynastien – Mokaryon und Reyashai, Devlins Mutter – gelungen, von der anderen Seite aus das einzige Tor zu öffnen, durch das alle Dämonen der Unterwelt in die Welt der Menschen gelangen konnten. Wie Devlin ihr erklärt hatte, bestand die Unterwelt aus unzähligen verschiedenen „Biotopen“, die in sich abgeschlossen existierten und in denen eine Atmosphäre herrschte, die sich mit der in dieser Welt nicht immer vertrug. Die Magie des Einen Tores bewirkte, dass jeder Dämon, der es von der anderen Seite aus durchschritt, körperlich an die Gegebenheiten in dieser Welt angepasst wurde, sodass er problemlos hier leben konnte. Wie Reya Bronwyn erklärt hatte, bot die hiesige Welt reichlich Nahrung für Dämonen ihrer Art, vor allem in Form der Emotionen Angst und Schmerz, die unter Dämonen recht selten vorkam.

Dass die Dämonen nicht schon damals hordenweise hierher gekommen waren, verdankte die Menschheit einigen beherzten menschlichen Zauberern, denen es gelungen war, das Tor zu schließen, sodass nur ungefähr hundertfünfzig Dämonen beider Dynastien den Übertritt in diese Welt geschafft hatten. Zwar hatten die Menschen mangels entsprechender Fähigkeiten und Kräfte das Tor nicht auf ewig versiegeln können, aber sie hatten es magisch so gesichert, dass kein Dämon es je wieder öffnen konnte. Allerdings hatten die Dämonen im Laufe der darauf folgenden Jahrhunderte einen Weg gefunden, den Zauber aufzuheben.

Zu diesem Zweck mussten zwei Wesen – jeweils zur Hälfte Dämonen und Menschen –, die in Körper, Herz und Seele eins geworden waren, in einem besonderen Ritual ihr Blut vergießen. Jedoch musste das zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden: eine Wintersonnenwende in dieser Welt, wenn auf der anderen Seite gleichzeitig das „T’k’Sharr’nuh-Opfer“ erbracht wurde; was immer das war. Damit nicht genug, mussten die beiden Auserwählten exakt um Mitternacht des Tages geboren worden sein, welcher der 121.628. seit der letzten Geburt eines solchen Paares war.

Mit anderen Worten: Bronwyn und auch Devlin waren ausschließlich zu dem Zweck gezeugt und geboren worden, um der Schlüssel zu sein, mit dem die Dämonen den Rest ihrer Sippe in die Welt holen wollten. Sie waren nichts anderes als ein Werkzeug, das man benutzte. Zur Belohnung bekämen sie dadurch zwar die absolute Macht über die Dämonen und wären nicht nur uneingeschränkte Herrscher über alle, die in diese Welt kämen, sondern über die Menschheit gleich dazu. Auch wenn sich diese Herrschaft nicht wie bei den Dämonen in Form eines Königtums etablierte, sondern in einem gigantischen Wirtschaftsimperium. Das änderte nichts an der Tatsache, dass die Dämonen sie nur benutzten. Und auch jeder Mensch, der ihnen „diente“, tat das ausschließlich aus eigennützigen Beweggründen, weil er sich – zu recht – wahlweise Reichtum oder Macht oder gleich beides erhoffte, wenn er den Dämonen die Stiefel leckte und dafür seine eigene Rasse verkaufte.

Als Bronwyn ihr weltliches Erbe angetreten hatte, hatte sie festgestellt, dass sie die reichste Frau der Welt war. Ihr Vermögen belief sich auf eine siebzehnstellige Summe – vor dem Komma – und wuchs täglich um einen siebenstelligen Betrag. Devlin besaß ebenso viel. Die Anwaltskanzlei, die seit zweihundert Jahren Mokaryons und jetzt Bronwyns Vermögen verwaltete und vermehrte, ging buchstäblich über Leichen, um Mokaryons Auftrag zu erfüllen, möglichst viel Geld zu scheffeln. Aber nicht seinetwegen. Da die vier Anwälte Turnbull, Coulter, Stavros und Blaylock prozentual am Gewinn beteiligt waren, hatten sie selbst Millionen kassiert. Ihre einzige Sorge, als Bronwyn den Laden übernommen hatte, war, dass sie den Kontrakt auf-kündigen könnte, den ihr Vater mit ihnen geschlossen hatte. In dem Fall würden sie alles verlieren.

Wie skrupellos diese Leute waren, hatte Bronwyn in den vergangenen fünf Tagen erlebt. Cole Turnbull hatte sie dringend gebeten, mit ihm und seinen Kumpanen einige Dinge durchzugehen, für die er ihre persönliche Entscheidung oder Unterschrift brauchte, nachdem nun sie und nicht mehr er die Oberhoheit über alles hatte. Bronwyn hatte die Gelegenheit genutzt, um ein paar wohltätige Stiftungen zu initiieren. Angeblich als Tarnung, um damit das Image der Kanzlei zu verbessern – das einzige Argument, das ihre Anwälte verstanden. In Wahrheit wollte sie wenigstens ein bisschen Gutes zurücklassen, falls sie die Wintersonnenwende nicht überlebte, was ziemlich wahrscheinlich war. Sie fühlte sich zutiefst davon abgestoßen, dass jeder, wirklich jeder nur seinen eigenen Vorteil im Kopf hatte, soweit es Bronwyn und Devlin betraf. Deshalb war sie froh, dass sie ab heute nicht mehr täglich ihre Zeit in der Kanzlei verbringen musste.

Allerdings hatte sie zu oft das Gefühl, dass auch Devlin sie nur benutzen wollte. Obwohl er sie liebte. Er war, bevor er ihr begegnet war, noch nie ernsthaft verliebt gewesen und hatte keine Übung darin, eine Beziehung zu führen. Deshalb behandelte er sie manchmal wie eine von seinen Untertanen. Allerdings gab er sich Mühe, ein Mann zu sein, den sie in jeder Beziehung lieben konnte, seit sie ihm angekündigt hatte, dass sie ihn verlassen würde, sobald die Wintersonnenwende vorüber wäre; immer vorausgesetzt, dass sie beide dann noch lebten.

„Hey.“ Er küsste sie sanft und streichelte ihre Wange. „Noch sind wir nicht tot. Und wenn unser Plan klappt und vor allen Dingen, wenn wir Gressyl wirklich trauen können, haben wir gute Chancen, den Tag der Tage zu überstehen.“

Er hatte mal wieder ihre Gedanken gelesen. Das brachte das Seelenband mit sich. Außerdem hatten sie inzwischen ihre magischen Kräfte vereinigt und im Zuge dessen auch den für das Ritual erforderlichen Blutbund geschlossen. Sie waren bereits eins in Seele, Geist und Körper. Einerseits war das etwas im wahrsten Sinn des Wortes Wunderbares. Andererseits machte Bronwyn das Angst. Sie hatte schon immer ihre Unabhängigkeit geliebt und auch ihr ganzes Leben insofern weitgehend allein verbracht, dass sie – eher unfreiwillig – kaum Freunde und seit dem Tod ihrer Adoptiveltern auch keine Familie mehr hatte. Sie war Bindungen nicht gewohnt. Und nun hatte sie mit Devlin eine so intensive, ausschließliche und allumfassende Verbindung, wie kein normaler Mensch sie je erleben könnte. Trotz der damit einhergehenden Unausweichlichkeit hatte die aber auch ihre guten Seiten.

Sie legte die Arme um Devlin und schmiegte sich an ihn. Spürte sein hartes Glied, das einladend über ihre Schenkel strich. Ein Kribbeln breitete sich in ihrem ganzen Körper aus, das sich in ihrem Schoß konzentrierte, als Devlin ihre Halsbeuge küsste, mit der Zunge darüber leckte und seinen Atem auf die feuchte Stelle hauchte. Sie seufzte wohlig und strich mit einem Finger sein Rückgrat entlang. Sie wusste, dass ihn das antörnte. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, ihn noch stärker zu erregen, aber sie beide liebten das Spiel, einander bis zum Äußersten zu reizen, was die anschließende Vereinigung umso intensiver machte.

Devlin sog scharf die Luft ein und revanchierte sich, indem er ihre Brüste küsste und abwechselnd an den Nippeln saugte. Bronwyn streichelte seine Schultern und seine Arme und fuhr ihm durch das Haar, während er tiefer rutschte und mit der Zunge über ihren Bauch bis zum Nabel fuhr. Als ob das nicht schon ausgereicht hätte, ihren Schoß feucht werden zu lassen, küsste er gleich darauf ihr Geschlecht und lachte, als sie einen leisen Schrei ausstieß. Er gab ihr einen tiefen Kuss, in dem sie ihre eigene Lust schmeckte. Bronwyn legte ein Bein über seine Hüfte als Einladung, in ihren Körper einzutauchen, aber er wich ihr aus und rollte sich mit ihr herum. Wich wieder aus und spielte mit ihr, während sie einander streichelten, küssten und leckten, und passte den perfekten Moment ab, um endlich mit einem sanften Stoß in sie zu gleiten. Bronwyn genoss ein paar Augenblicke reglos, ihn in sich zu spüren, ehe sie seinen erst langsamen, dann schneller werdenden Stößen entgegenkam. Mit einem letzten Stoß in Verbindung mit einem innigen Kuss löste sich schließlich die aufgestaute Spannung in ekstatischen Wellen, die sie mit sich rissen und schließlich entspannt und zufrieden zurückließen.

Devlin zog sich langsam aus ihr zurück, bettete sie in seine Arme und hielt sie in einer Weise, die Bronwyn mehr als alle Worte sagte, wie sehr er sich wünschte, sie vor allem Übel dieser Welt beschützen zu können. Die ihr auch vermittelte, wie viel sie ihm bedeutete. Sie legte den Kopf auf seine Schulter, einen Arm über seine Brust, schloss die Augen und genoss das Gefühl ihrer gegenseitigen Liebe, die durch das Seelenband resonierte. Sie wünschte sich, dieser Moment würde nie enden.

Leider drängten sich die ungelösten Probleme zu bald wieder in ihr Bewusstsein. Sie gab Devlin einen Kuss auf die Nasenspitze. „Riechst du auch, was ich rieche?“

Er schnupperte. „Kaffee.“

„Hast du den gezaubert?“

„Nein. Das muss wohl Gressyl gewesen sein.“ Gressyl war ihr dämonischer Leibwächter, weshalb Bronwyn ihm erlaubt hatte, in einem der Gästezimmer des Hauses zu wohnen.

„Kaffee ist genau das, was ich jetzt brauche.“ Bronwyn gab Devlin einen letzten Kuss, schwang sich aus dem Bett und ging ins Bad.

Als sie zwanzig Minuten später herauskam, hatte Devlin sich inzwischen im Gästebad frisch gemacht und zog sich an. Er lächelte ihr zu. Bronwyn erwiderte sein Lächeln und fand, dass er wie immer eine wandelnde Versuchung darstellte. Die beiden Strähnen seines schwarzen Haares, die ihm, noch feucht vom Duschen, links und rechts ins Gesicht hingen, gaben ihm ein verwegenes Aussehen. Die Lippen luden ein, sie zu küssen, und die straffen Brust- und Bauchmuskeln, über denen er in diesem Moment sein schwarzes Denimhemd mit lasziven Bewegungen zuknöpfte, verlockten Bronwyn, sie erneut zu streicheln. Und der schelmische Blick seiner grünen Augen signalisierte ihr, dass sie nur mit den Fingern zu schnippen bräuchte, damit er sich sofort wieder auszog.

Lachend schüttelte sie den Kopf und musste noch mehr lachen, als er enttäuscht seufzte. Sie holte eine frische Jeans aus dem Kleiderschrank und suchte unter ihren T-Shirts eins, das zu ihrer Stimmung passte. Sie stieß auf ein schwarzes, das mit einer Schlange aus Goldpailletten bestickt war, die sich vom unteren Rücken über die Schulter bis zum Bauch schlängelte, wo ihr Leib einen Halbkreis beschrieb und sich wieder nach oben wand, bis ihr Kopf direkt auf der linken Brust lag.

Bronwyn hatte das Shirt vor Jahren aus einer Laune heraus gekauft, es aber selten getragen. Dass sie es unbewusst geholt hatte, als sie ihre Lieblingssachen mit einem Bringzauber aus ihrem Haus in Denver in den hiesigen Schrank transportiert hatte, ließ tief blicken. Immerhin stammte sie  väterlicherseits von indischen  Schlangengöttern, den Nagas, ab und war dadurch, wie sie letzte Woche erfahren hatte, ebenso wie Devlin ein Abkömmling von Kadru und Kashyapa, den göttlichen Stammeltern der Nagas und Naginis. Allerdings lagen zwischen ihnen und den göttlichen Vorfahren Hunderte von Generationen. Sie waren Kashyapa in Indien persönlich begegnet. Er hatte ihnen wichtige Hinweise gegeben, die ihnen für ihren Plan, das Eine Tor zu versiegeln, nützlich sein würden.

Devlin legte von hinten die Arme um sie und küsste ihre Wange, als sie sich angezogen hatte. „Steht dir gut, das T-Shirt.“

„Danke.“

Er wiegte sie leicht hin und her, machte aber keinen Versuch, sie noch einmal zu verführen. Stattdessen schob er sie zur Tür. „Gehen wir den Kühlschrank plündern, bevor Gressyl uns alles wegfuttert.“

Was kein Problem wäre, da ein Bringzauber alles holen würde, was sie brauchten. Außerdem waren sie hier in Vegas. Ein Anruf in ihrer Anwaltskanzlei hätte genügt, und keine halbe Stunde später wäre von irgendeinem hauseigenen Caterer ein ganzes Frühstücksbuffet angeliefert worden. Bronwyn lehnte sich an Devlin, genoss seine Nähe und seine Wärme und ging mit ihm zur Küche.

Da sie bisher kaum Gelegenheit gehabt hatte, das Haus genauer in Augenschein zu nehmen, vielmehr seine Architektur auf sich wirken zu lassen, wurde ihr erst jetzt bewusst, dass es fast keine Ecken gab. Wo welche hätten sein müssen, waren die Wände gerundet, wodurch die Zimmer fließend ineinander übergingen. Sogar die Türen bestanden im oberen Fünftel aus einem Kreissegment. Seltsamerweise vermittelten ihr diese Rundungen ein anheimelndes Gefühl.

Als sie die Küche betraten, blieb Bronwyn überrascht stehen. Gressyl hatte nicht nur Kaffee gekocht, sondern auch den Tisch gedeckt – auf magische Weise, keine Frage –, und zwar für drei Personen. Der Dämon  hatte sogar die aktuelle  Ausgabe des Las Vegas Review Journal besorgt, die neben einem Korb mit dicken Brotscheiben lag.

„Guten Morgen, Gressyl“, sagte Bronwyn und deutete auf den gedeckten Tisch. „Für uns?“

„Nein. Ich habe Hunger und Appetit auf Kaffee. Und da mein Hunger für drei reicht, ist das alles für mich.“

Sie starrte ihn verblüfft an. Gressyl – lächelte. Bronwyn hatte ihn noch nie lächeln gesehen. Es ließ sein markantes Gesicht, das sonst nur wachsam, kalt und dadurch in Verbindung mit der tiefen Schwärze seiner Augen und seinem fast eisweißen Haar bedrohlich wirkte, freundlich aussehen – menschlich. Und durchaus anziehend.

„Gressyl, hast du gerade einen Scherz gemacht?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe es versucht. Ist es mir ge-lungen?“

Bronwyn lachte. „Ja, das ist es.“

„Und wie kommst du auf den Gedanken, für uns den Tisch zu dekken?“, wollte Devlin wissen.

„Ich habe nur imitiert, was ich in Filmen gesehen habe. Nachdem Kashyapa meine geistige Beschränkung geheilt hat“, er klopfte sich mit dem Fingerknöchel gegen die Stirn, „kann ich endlich viele Dinge verstehen, die mir bisher ein Rätsel waren. Ach, übrigens ...“ Er hielt Bronwyn die Hand hin.

Sie ergriff sie zögernd, denn Gressyl war nicht gerade mit Feingefühl ausgestattet und hatte bisher seine übermenschliche Körperkraft Menschen gegenüber nicht immer richtig dosieren können. Das war schon besser geworden, nachdem sie ihm aufgetragen hatte, Zärtlichkeit zu erlernen. Denn wenn es ihr und Devlin tatsächlich gelang, das Eine Tor zu versiegeln, würde Gressyl für den Rest seines wahrscheinlich noch ein paar weitere Jahrtausende währenden Lebens unter Menschen verbringen müssen. Da wäre es von Vorteil, wenn nicht jede seiner Begegnungen mit ihnen mit Gewalt oder sogar Toten endete. Schließlich hatte er Bronwyns Mutter vor dreiunddreißig Jahren mehr oder weniger versehentlich getötet, nur weil er seine Kräfte nicht kontrollieren konnte.

Er strich mit den Fingerspitzen über ihren Handrücken. „Ist das zärtlich genug?“

Das war es in der Tat. Sogar mehr, als sie ihm zugetraut hatte. „Ja, das ist es. Sehr gut, Gressyl.“

„Verstand bekommt dir offenbar“, stellte Devlin fest und räusperte sich mit einem scharfen Blick auf Bronwyns Hand, die Gressyl immer noch hielt.

Sie spürte seine Eifersucht und unterdrückte ein Lachen. Falls es stimmte, was er ihr darüber gesagt hatte, dann beinhaltete ihr Bund in Körper, Geist und Seele, dass sie einander niemals untreu werden konnten, weil sie nie wieder ein Verlangen nach einem anderen Partner haben würden. Selbst wenn Gressyl Bronwyn hätte verführen wollen, es hätte bei ihr nicht funktioniert, weil sie an Devlin gebunden war.

Gressyl ließ sie los und setzte sich an den Tisch. Devlin rückte ihr den Stuhl zurecht, als sie Platz nahm und hielt ihr eine dunkelrote Rose hin, die er mit einem Bringzauber geholt hatte. Er hatte ihr, seit sie ihn kannte, schon einige davon geschenkt. Woher sie auch kommen mochten, Bronwyn hatte noch nie so intensiv und betörend duftende Rosen bekommen. Sie nahm sie, schnupperte daran und steckte sie in eine Vase, die sie ebenfalls mit einem Bringzauber holte.

„Warum sind Menschenfrauen so begeistert über blühendes Kraut?“, wollte Gressyl wissen.

„Erstens empfinden wir Blumen als optisch schön. Zweitens lieben wir ihren angenehmen Duft; wenn sie denn angenehm duften. Es gibt auch Blumen, die stinken. Drittens sind  sie ein Symbol. Rote Rosen signalisieren zum Beispiel Liebe. Viertens empfinden wir es als romantisch, wenn sie uns von einem Mann geschenkt werden. Und Frauen mögen Romantik. Die meisten jedenfalls. Fünftens drückt ein Mann seine Wertschätzung aus, wenn er einer Frau Blumen schenkt.“ Sie lächelte Devlin zu.

Er erwiderte ihr Lächeln, griff zur Kanne, schenkte ihr Kaffee ein und legte ihr ein Croissant auf den Teller. Er wusste schließlich, was sie gerne aß.

Gressyl beobachtete aufmerksam. Der Dämon war ein Phänomen in mehr als einer Hinsicht. Er gehörte zu Devlins Py’ashk’hu-Untertanen und war der Laufbursche von Devlins Mutter Reya gewesen. Devlin hatte Gressyl zu Bronwyns Beschützer ernannt, was er zum Glück sehr ernst nahm; andernfalls hätten sie und Devlin ihr indisches Abenteuer nicht überlebt, von dem sie letzte Woche zurückgekehrt waren.

Obwohl es ihre Bestimmung war, das Eine Tor nach dem Willen der Dämonen zu öffnen, wollten sie beide es unter allen Umständen versiegeln. Und zwar ein für allemal. Allerdings hatten sie nicht gewusst, ob das möglich war und wenn ja, wie sie das bewerkstelligen konnten. Den einzigen Hinweis darauf hatte eine alte Prophezeiung geliefert. Die Hüter der Waage hatten sie schon vor langer Zeit irgendwo gefunden. Da sie nur unvollständig erhalten war und ausgerechnet der letzte Teil gefehlt hatte, der ihnen die Lösung offenbarte, hatten sie in Indien nach dem Original gesucht und es auch gefunden.

Jedoch waren sie dort zwischen alle Fronten geraten. Da sie beide Nachfahren von Nagas und Naginis in der dreiunddreißigsten Generation waren, wären sie aufgrund dessen und ihrer halbdämonischen Natur die einzigen, die das in einem magischen Reich eingesperrte Volk der Schlangenwesen hätten befreien können. Eine Fraktion der Nagas hatte sie eben dazu zwingen wollen, die andere wollte das um jeden Preis verhindern und hatte sie zu töten versucht. Obendrein war Devlin durch den Einfluss seines finsteren Naga-Vorfahren seinem dämonischem Wesen so stark verfallen, dass er sich auf dessen Seite geschlagen und Bronwyn zu zwingen versucht hatte, das Schlangenvolk auf die Menschheit loszulassen.

Im beinahe letzten Moment war Gressyl aufgetaucht, hatte den Naga getötet und Bronwyn geholfen, Devlin von dessen Finsternis zu heilen. Die Frage war immer noch, wie er sie überhaupt hatte aufspüren können. Da sie befürchtet hatten, dass Gressyl alles, was sie taten und vor allem planten, vielleicht nicht unbedingt absichtlich, aber aufgrund seiner beschränkten Geistesgaben versehentlich Reya mitteilen könnte, hatten sie ihn bei ihrer Abreise nach Indien in den Staaten zurückgelassen. Weil aber Devlin ihm befohlen hatte, Bronwyn zu beschützen, hatte er sie aus eigener Initiative gesucht und gefunden durch ein Band, das zwischen ihr und ihm existierte. Bronwyn hatte noch keine Gelegenheit gehabt herauszufinden, welcher Art dieses Band war oder wie es entstanden sein mochte. Oder sich Gedanken darüber zu machen, ob daraus eine zusätzliche Gefahr entstehen könnte.

Nachdem sie die Prophezeiung gefunden und erfahren hatten, dass sie, um das Eine Tor zu versiegeln, nicht zwangsläufig sterben mussten, waren sie umso entschlossener, dem Spuk, den Mokaryon und Reya vor 3330 Jahren entfesselt hatten, endlich ein Ende zu bereiten. Denn von ihrem Erfolg hing noch sehr viel mehr ab, wie Kashyapa ihnen gesagt hatte, der ebenfalls geplant hatte, sie zu töten, falls sie sich entschieden hätten, es zu öffnen.

Als das Tor geöffnet worden war, hatten menschliche Zauberer es gewaltsam geschlossen. Durch das dadurch erzeugte Aufeinanderprallen der gewaltigen gegenpoligen magischen Kräfte war ein Riss in der Struktur des Tores entstanden, durch den magische Energien von der anderen Seite in diese Welt drangen wie Tropfen durch den Riss in einem defekten Tonkrug. Diese Energien kontaminierten schleichend die ganze Welt und äußerten sich darin, dass das Böse immer mehr an Macht gewann. Da Bronwyn und Devlin nicht nur ein beliebiges, zu diesem Zweck gezeugtes Halbdämonenpaar waren, sondern die Reinkarnation ihrer ersten Existenz als Halbdämonen, waren sie deshalb die Einzigen, die diesen Riss verschließen konnten. Wenn sie versagten, würde die Welt auf lange Sicht in Chaos versinken und zerstört werden.

Wie Kashyapa ebenfalls erklärt hatte, waren die magischen Gesetzmäßigkeiten, durch die manche Dinge möglich, andere zwingend erforderlich, wieder andere völlig unmöglich waren, derart komplex und kompliziert, dass sie nicht immer menschlicher Logik folgten. Deshalb tat sich Bronwyn schwer, diese Dinge zu begreifen. Vor allem war ihr Gressyls Rolle bei dem Ganzen nicht ganz klar. Kashyapa hatte behauptet, dass er mehr mit all dem zu tun hätte, als ihm selbst bewusst war. Dann hatte er Gressyls geistige Beschränkung magisch geheilt und war mit dem kryptischen Hinweis verschwunden, dass sie erfahren müssten, was genau in der Vergangenheit geschehen war, um zu tun, was getan werden musste. Der Schlüssel dazu befand sich angeblich in der Residenz der Ke’tarr’ha. Dort würden sie ihre Antworten finden. Auch Gressyl, wie er betont hatte. Verdammt, welche Rolle spielte der?

„Gressyl, du hast vor ein paar Tagen gesagt, etwas würde dich dazu drängen, alles für mich zu tun und dazu, dass Devlin und ich das Tor versiegeln können“, sagte sie aus diesem Gedanken heraus. „Dass dir das ein Bedürfnis wäre. Weißt du inzwischen warum? Hat Kashyapas Heilung deines Geistes auch deine Erinnerungen aktiviert oder so was?“

Gressyl hielt darin inne, sich ein Croissant mit Rahm zu bestreichen, wie Bronwyn es tat, statt sich wie gewohnt fertige Speisen herzuzaubern, die er nur noch zu essen brauchte. „In manchen Bereichen ja. Aber viele Dinge sind immer noch – weg.“ Er blickte sie nachdenklich an. „Kashyapa hat auch gesagt, dass ich in deiner Residenz finden werde, ‚was mir entrissen wurde’.“ Er nickte. „Genau den Eindruck habe ich: dass ich immer noch unvollständig bin. Irgendetwas muss in der Vergangenheit mit mir passiert sein, das mich wichtige Dinge vergessen ließ.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber ich habe keine Ahnung, was deine Residenz damit zu tun haben könnte. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal dort gewesen zu sein. Aber das will nichts heißen, da ich mich an vieles nun mal nicht erinnern kann.“

Bronwyn seufzte. Sie hatte die Residenz – „ihre“ Residenz noch nicht betreten. Sie lag nicht weit von Las Vegas’ Stadtgrenze entfernt, wie sie mit ihren magischen Sinnen fühlte. Eine eigene Welt für sich, die durch Magie ebenso wie die Residenz der Py’ashk’hu bei Chicago vor den Augen der Menschen verborgen war, die sie auch nicht betreten konnten. Es sei denn, Bronwyn würde sie hineinbringen und sie auf diese Weise für ein ungehindertes Kommen und Gehen „konditionieren“, wie Devlin das mit ihr für seine Residenz getan hatte. Was sie nicht tun würde; mal ganz abgesehen davon, dass es sowieso keine „Ke’tarr’hani“ mehr gab, wie die Menschen genannt wurden, deren Vorfahren irgendwann von einem der Ke’tarr’ha-Dämonen gezeugt worden waren und die ihnen deshalb loyal dienten. Gedient hatten. Was Bronwyn wieder einmal zu Bewusstsein brachte, dass sie völlig allein war, ohne einen einzigen Verwandten auf der Welt. Sie verscheuchte diesen Gedanken.

„Du hast auch gesagt“, wandte sich Devlin an Gressyl, „dass du angeblich schon lange gewusst hättest, dass ich niemals das Eine Tor öffnen würde.“ Er schüttelte den Kopf. „Wie bist du darauf gekommen? Nicht mal meine Mutter hat was davon gemerkt.“

Gressyl zuckte mit den Schultern. „Auch das kann ich nicht beantworten. Aber glaube mir, Devlin, ich habe es immer gewusst.“

„Vielleicht finden wir auch die Antwort auf dieses Phänomen in der Residenz“, sagte Bronwyn, bevor Devlin etwas sagen konnte. „Schließlich muss irgendwas Außergewöhnliches in der Vergangenheit passiert sein, das wir noch nicht wissen, andernfalls Kashyapa uns wohl kaum diesen Hinweis gegeben hätte.“ Sie seufzte. „Bestimmt müssen wir wieder unzählige Schriftrollen und Bücher sichten, um das herauszufinden.“ Sie lachte. „Oh, ich vergaß: Wir können uns ja die, die wir brauchen, mit einem Suchzauber zeigen lassen und holen.“

Devlin streichelte ihre Hand. „Du siehst, wie nützlich Magie ist.“

„Ja, das habe ich inzwischen begriffen.“ Obwohl sie immer noch zu „unmagisch“ dachte, verglichen mit Devlin, der mit dem Gebrauch seiner magischen Fähigkeiten aufgewachsen war.

Um zu verhindern, dass sie und Devlin einander jemals begegneten und das Eine Tor öffneten, aber auch , um zu verhindern, dass die Mönche vom Orden der Heiligen Flamme Gottes sie ermordeten, hatten die Hüter der Waage Bronwyn nicht nur Minuten nach ihrer Geburt ihrer leiblichen Mutter weggenommen, sie hatten auch ihre magischen Fähigkeiten blockiert. Dadurch hatten sie verhindert, dass die Seher der Mönche oder die Dämonen sie durch deren unverwechselbare Ausstrahlung aufspüren konnten. Die Dämonen hatten natürlich alles darangesetzt, sie zu finden und in Sicherheit zu bringen.

Bronwyn war mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass es vielleicht nicht das Schlechteste gewesen wäre, wenn sie wie Devlin unter den Dämonen aufgewachsen wäre. Zumindest was den Umgang mit ihren magischen Fähigkeiten betraf. Erst mit ihrem dreiunddreißigsten Geburtstag hatten sie begonnen zu erwachen, weil die Blockierung nicht mehr erneuert worden war. Da sie sich erst seit zwei Monaten in ihrem Gebrauch übte, waren sie ihr immer noch fremd, obwohl sie sie dank Devlins Unterweisung inzwischen weitgehend beherrschte.

Doch seitdem stand ihre Welt Kopf. Nein, seitdem war ihr bisheriges Leben vorbei. Für immer. Selbst wenn sie die Wintersonnenwende überleben sollten. Zu erfahren, dass die beiden Menschen, bei denen sie aufgewachsen war, nicht ihre Eltern gewesen waren und – noch schlimmer – zu den Hütern der Waage gehörten, hatte sie völlig aus der Bahn geworfen. Die einer Frau das Kind weggenommen hatten, die nicht einmal gewusst hatte, dass der Vater dieses Kindes ein Dämon war, von dem sie selbst in der unzähligsten Generation ebenfalls abstammte. Nur wenige Tage später hatte Gressyl Bronwyn im Auftrag von Devlins Mutter Reya zu entführen versucht.

Die Mönche hatten Bronwyns Nachbarn und Freund Josh Harker entführt, gefoltert und ihn gezwungen, Bronwyn in eine tödliche Falle zu locken, bevor sie ihn ermordet hatten. Die Hüter hatten Bronwyn entführt, gefangen gehalten und sie ebenfalls zu töten versucht, als sie feststellten, dass sie und Devlin bereits ein Paar waren. Bronwyns aufrichtige Versicherung, dass sie nicht vorhatten, das Eine Tor zu öffnen, glaubten sie natürlich nicht. Deswegen hatten sie sich inzwischen mit den Mönchen zusammengetan, um gemeinsam Jagd auf sie zu machen. Und obendrein interessierte sich auch eine Sondereinheit des FBI für sie. Gäbe es dieses Haus nicht, das ihrem dämonischen Vater gehört hatte, sie hätte kein Zuhause mehr gehabt. Und ob dieses Haus jemals ihr Heim werden konnte, stand in den Sternen.

Aber darüber konnte sie sich immer noch Gedanken machen, falls sie die Sonnenwende überlebte. Bis dahin musste sie nicht nur erfahren, was sich in der Vergangenheit ereignet hatte, sie musste vor allem ihr inneres Gleichgewicht zurückgewinnen. Wobei „zurückgewinnen“ der falsche Begriff war. Sie musste es überhaupt erst einmal finden. Solange sie denken konnte, hatte sie das Gefühl gehabt, dass etwas mit ihr nicht stimmte, dass ihr etwas Wichtiges fehlte. Auch als sie sich nach ihrem Anglistikstudium in Denver niedergelassen und begonnen hatte, als Journalistin zu arbeiten, war sie immer rastlos gewesen. Länger als ein paar Wochen hatte sie es nie zu Hause ausgehalten, selbst wenn sie nicht im Auftrag irgendeiner Zeitschrift für eine Reportage ins Ausland reisen musste. Zuletzt hatte sie mehrere Monate mit einer Expedition in Kolumbien verbracht auf der Suche nach Überresten der Zenú-Kultur. Dort hatte Devlin sie gefunden. Und kaum war sie wieder in Denver gewesen, musste sie fliehen.

Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, ihre Mitte zu finden. Ihr ganzes Leben lang nicht. Aber ihr inneres Gleichgewicht war die Voraussetzung dafür, dass sie das Ritual zum Versiegeln des Tores überhaupt mit Devlin durchführen konnte, denn sie hatte begriffen, dass dieses Ritual eine Menge mit Gleichgewicht in mehr als einer Hinsicht zu tun hatte. Wenn einer der beiden Beteiligten so durch den Wind wäre, wie sie sich gegenwärtig fühlte, würde es schiefgehen. Und dann wäre die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. Aber wie, um alles in der Welt, sollte sie in den noch verbleibenden sechsunddreißig Tagen ihre innere Mitte finden, was ihr in dreiunddreißig Jahren nicht gelungen war?

Sie zuckte zusammen, als Devlin ihr die Hand auf den Arm legte. „Hey“, sagte er sanft. „Wir schaffen das.“

Bronwyn lächelte gezwungen und nickte. „Werden wir wohl müssen. Und da wir nicht wissen, wie lange wir brauchen, um die besagten Antworten zu finden, die Kashyapa uns versprochen hat, sollten wir gleich nach dem Frühstück endlich meine Residenz heimsuchen. Ich bin gespannt, was wir dort finden werden.“

 

*

 

In die Residenz zu gelangen, war einfacher, als Bronwyn befürchtet hatte. Nachdem ihre magischen Fähigkeiten ihre volle Kraft erreicht hatten und sie keine Mühe mehr hatte, per Teleportation jede Distanz zu überwinden, fiel es ihr auch nicht schwer, Devlin und Gressyl auf diese Weise „mitzunehmen“. Was erheblich schneller ging, als die magische Barriere um die Residenz profan zu durchschreiten, da sie zu dem Zweck erst mehrere Meilen bis zum Fuß der Calico Hills hätten fahren müssen.

Bisher war Bronwyn erst ein einziges Mal aus eigener Kraft teleportiert. Deshalb kam es ihr immer noch wie ein Wunder vor, dass sie instinktiv genau dort landete, wo sie landen wollte, selbst wenn sie den Zielort noch nie zuvor gesehen hatte. Sie fühlte lediglich einen kurzen Kälteschock. Danach befand sie sich nicht mehr in ihrem Haus, sondern in einem riesigen Raum, der sie an die Eingangshalle in der Kanzlei Turnbull, Coulter, Stavros & Blaylock erinnerte; mit dem Unterschied, dass es hier keine Pflanzen, kein Aquarium und auch keine Tische gab, an denen Empfangsdamen arbeiteten. Auch fehlten Fenster, und das einzige Licht stammte von der unter der etwa fünfzehn Fuß hohen Decke schwebenden Leuchtkugeln, die eine eindeutig magische Ausstrahlung besaßen.

Der gesamte Raum bestand aus schwarzem, glattpoliertem Stein. Dreizehn in unregelmäßigen Abständen darin verteilte Säulen zeigten Reliefs von Geschöpfen, die aus Horrorfilmen zu stammen schienen. Muskulöse menschenähnliche Körper mit felllosen Wolfsköpfen und gefletschten Raubtierzähnen, die sich an die Säulen klammerten. Dazwischen wanden sich dreizehn riesige  Schlagen um die Säulen. Bronwyns magische Sinne sagte ihr, dass das keineswegs aus dem Stein gemeißelte Reliefs waren, sondern ...

Sie hatte keine Zeit, sie sich näher anzusehen, denn der Raum wurde lebendig. Aus dem Nichts tauchten schemenhafte, wabernde Formen auf, die sie frappierend an die Gespenster aus ihren Kinderbüchern erinnerten, die wie fliegende Bettlaken aussahen, nur dass die hier nicht weiß sondern nebelgrau waren. Sekunden später nahmen sie die Gestalten von Menschen an, Männern und Frauen. Sie alle sanken vor ihr, Devlin und Gressyl auf die Knie. Damit nicht genug, kam auch in die Figuren an den Säulen Leben. Sie lösten sich von ihren Ruheplätzen, reihten sich in die Phalanx der seltsamen Geisterwesen ein und nahmen ebenfalls Demutshaltung ein. Das Szenario hätte ausgereicht, um Bronwyn in die Flucht zu treiben, wenn sie sich nicht sicher gewesen wäre, dass kein einziges dieser Wesen ihr etwas zuleide tun würde. Sie war die Königin der Ke’tarr’ha und damit ihre rechtmäßige Herrin. Wahrscheinlich würde jedes der hier versammelten Wesen sich für sie umbringen lassen.

Wer sind die?, fragte sie Devlin telepathisch.

Dienergeister. Ihre einzige Aufgabe ist es, dem zu dienen, dem sie sich verpflichtet haben. Die mit den Wolfsköpfen sind Wächterdämonen.

Und die Schlangen sind wohl Nagas. Die hatten sich ebenfalls von den Säulen gelöst, waren herangeschlängelt und starrten Bronwyn aus goldfarbenen Augen an.

„Königin Marlandra“, sagte einer der Dienergeister. „Wir haben ...“

„Dreiunddreißig Jahre auf mein Kommen gewartet“, unterbrach sie ihn, weil das nahezu jeder als Erstes sagte, der sich in irgendeiner Weise als ihr Untertan sah. „Jetzt bin ich da. Das“, sie deutete auf Devlin, „ist mein Gefährte, Py’ashk’hu-König Maruyandru Devlin Blake, und das“, sie deutete auf Gressyl, „ist unser Bodyguard Gressyl.“

Der Dienergeist verneigte sich. Alle anderen taten es ihm nach. „Willkommen. Wie können wir dir dienen?“

Einer der Wächterdämonen trat vor. „Ich bin dein oberster Wächter.“

Bronwyn nickte ihm zu und blickte die Schlangen an, die sich im Hintergrund hielten, aber kein Auge von ihr ließen. „Wer seid ihr?“

„Wir sind deine Berater“, antwortete einer von ihnen.

„Mokaryon hat Berater gebraucht?“ Sie konnte es kaum glauben. Nach allem, was sie bisher von ihrem biologischen Vater erfahren hatte, war er ein typischer Dämon gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich von irgendwem Rat holte, geschweige denn den befolgte.

Der Naga nahm Menschengestalt an. „Unsere Aufgabe war, für ihn die Menschen zu studieren und ihm zu berichten und zu raten, welches Verhalten ihnen gegenüber angemessen ist, damit sie ihn und die anderen Ke’tarr’ha nicht als Feinde betrachten.“

Sie hätte sich denken können, dass auch hinter einem Beraterstab nichts anderes steckte als Mokaryons ausschließlich egoistische Interessen. „Hat er euch etwas Bestimmtes in Bezug auf mich aufgetragen? Euch allen?“

„Dir loyal zu dienen mit unserem ganzen Sein“, antwortete der Schlangenmann. „Das werden wir tun, bis du uns aus deinen Diensten entlässt.

„So ist es“, bestätigten alle im Chor.

Ist das was Gutes?, fragte sie Devlin.

Absolut. Dienergeister und Wächterdämonen bewerten nicht. Sie tun, was derjenige von ihnen will, mit dem sie ihren Kontrakt geschlossen haben. So etwas wie Moral kennen sie nicht. Nur die absolute Loyalität zu ihrem Auftraggeber. Da du Mokaryons Kontrakt mit ihnen geerbt hast, werden sie alles tun, was du willst, auch wenn das in krassem Gegensatz zu dem steht, was Mokaryon von ihnen wollte. Sie sind neutral. Du kannst ihnen deshalb vertrauen.

Das war in der Tat eine gute Nachricht.

„Wie können wir dir dienen?“, wiederholte der Dienergeist.

Es klang drängend. Bronwyn spürte eine Welle von Hunger, die nicht nur von ihm ausging, sondern von allen Dienergeistern und Dämonen.

Sie ernähren sich vom Dienen beziehungsweise vom Wachen, erklärte Devlin. Je anstrengender der Dienst oder je gefährlicher das Bewachen ist, desto mehr Lebensenergie gewinnen sie. Wenn sie nur untätig herumhängen oder nichts weiter zu tun haben, als dafür zu sorgen, dass deine Residenz keinen Staub ansetzt, werden sie nicht satt.

Noch ein Geheimnis des Dämonenlebens, das sich ihr enthüllte. Sie hatte sich, als sie in der Py’ashk’hu-Residenz gewesen war, gefragt, wie die paar menschlichen Py’ashk’huni-Diener, die es dort gab, eine so große Residenz in Ordnung hielten und war davon ausgegangen, dass die Dämonen mit Magie nachhalfen. Obwohl sie dort keine Dienergeister wahrgenommen hatte, erklärte ihre Existenz, wie das möglich war. Je tiefer sie in die Welt der Dämonen eintauchte, die, ob sie wollte oder nicht auch ihre Welt war, desto mehr faszinierte sie sie.

„Zunächst mal sag mir deinen Namen“, bat sie den Dienergeist.

„Winter. Wie wir alle.“

„Dann hat euch der Dienst für Mokaryon offensichtlich gut geschmeckt“, vermutete Devlin.

Bronwyn sah ihn verständnislos an.

„Dienergeister haben keine individuellen Namen“, erklärte er. „Es sei denn, du gibst ihnen einen. Sie bezeichnen das Stadium ihres Kontraktes mit einem Auftraggeber mit einer Jahreszeit, an der man erkennen kann, wie oft sie schon für denselben Auftraggeber tätig waren. Beim ersten Mal nennen sie sich Frühling in der jeweiligen Sprache ihres Auftraggebers, beim zweiten Mal oder wenn der Kontrakt verlängert wird, Sommer, beim dritten Mal Herbst, das vierte Mal Winter. Wenn sie danach noch einmal für denselben arbeiten, dann ist dieser fünfte Kontrakt buchstäblich auf die Ewigkeit angelegt und ein solcher Dienergeist heißt ab da ‚Eternal’. Ein Eternal-Kontrakt kann nie wieder aufgelöst werden, weshalb nur sehr wenige Dienergeister ihn überhaupt eingehen. Die große Mehrheit von ihnen arbeitet nur ein einziges Mal für einen Auftraggeber. Wenn die hier alle zur Winter-Kategorie gehören, muss Mokaryon sie gut gefüttert haben.“

„Das hat er“, bestätigte Winter. Er blickte Bronwyn an. „Dürfen wir hoffen, dass du dasselbe tust?“

„Ich werde mir Mühe geben.“ Sie wandte sich an die Wächterdämonen. „Wie ist es mit euch? Habt ihr Namen?“

„Wächter“, antwortete deren Anführer. „Für den Fall, dass es erforderlich wäre, einen von uns persönlich anzusprechen, hat Mokaryon uns Nummern gegeben. Ich bin Wächter Eins.“

Bronwyn schüttelte den Kopf. Es widerstrebte ihr, lebende Wesen zu Nummern zu degradieren. „Ich werde dich Warren nennen“, sagte sie zu dem Wächterdämonen „Wenn dir das gefällt.“

Er verneigte sich. „Danke.“

„Es wäre mir lieb, wenn ihr euch eine menschliche Gestalt geben würdet.“ Augenblicklich verwandelten sich alle ihre Diener, Wächter und Berater in Menschen. „Und du?“, wandte sie sich an den Sprecher der Schlangenwesen.

„Wir haben individuelle Namen“, sagte er. „Ich bin Nalin.“

Auch die anderen zwölf Schlangenwesen nannten ihre Namen. Bronwyn sah sich außerstande, sie zu behalten und sie dem richtigen Gesicht zuzuordnen.

„Ich werde euch allen Namen geben“, versprach sie dem Heer der Namenlosen. „Aber zunächst einmal möchte ich meine Residenz besichtigen.“ Sie wandte sich an den Anführer der Dienergeister. „Hast du was dagegen, wenn ich dich Simon nenne?“

Er verneigte sich. „Danke. Was von der Residenz möchtest du sehen?“

„Alles.“

„Folge mir.“

Bronwyn folgte ihm. Drei Wächterdämonen mit Warren an der Spitze folgten wiederum ihr.

Schon nachdem sie die ersten beiden Räume durchquert hatte, wusste sie, womit sie die Dienergeisterschar als Erstes beauftragen würde. Hatte Reya in ihrer Residenz in den meisten Bereichen das natürliche Tageslicht zugelassen, um die Effektivität der menschlichen Diener  zu gewährleisten,  die das Sonnenlicht brauchten, so  hatte Mokaryon dazu keine Veranlassung gesehen, da er offenbar ausschließlich Geister und Dämonen beschäftigt hatte, die ohne Tageslicht auskamen. Fast alle Räume waren fensterlos, was unter anderem daran lag, dass die Residenz in den Felsen der Calico Hills hineingebaut worden war. Alle Räume zeigte zudem ausschließlich düstere Farben. Schwarz, Braun, dunkles Blau, dunkles Violett. Rot, das sich wie Blutspuren an den Wänden, Decken und auf dem Fußboden verteilte, war die einzige relativ helle Farbe. Und sie wirkte genau so, wie Mokaryon das höchstwahrscheinlich beabsichtigt hatte: wie vergossenes Blut.

Die Residenz war riesig. Sie zu Fuß zu besichtigen dauerte geschlagene zwei Stunden, in denen Bronwyn sich darauf beschränkte, jedes Zimmer nur zu durchqueren, statt stehenzubleiben und sie sich näher anzusehen. Bis auf die Bibliothek, die sie fünf Minuten lang bestaunte. Hatte sie die Bibliothek in Reyas Residenz schon für üppig gehalten, die von Mokaryon – jetzt ihre – stellte die in den Schatten. Sie war mindestens doppelt so groß. Ob in den Schriften der Schlüssel versteckt war, der laut Kashyapa in der Vergangenheit lag? Aber darum würde sie sich später kümmern.

Wie im Haus in der Stadt gab es hier nirgends Ecken in den Räumen. Alles war abgerundet und ging fließend ineinander über. Offensichtlich hatte Mokaryon damit seinem Naga-Erbteil Rechnung getragen.

Sie fragte sich, was er mit so vielen Räumen gemacht hatte. Wahrscheinlich war die Residenz nur deshalb so groß, damit er sich in dem dadurch optisch vermittelten Machtgefühl sonnen konnte. Und da er teleportieren konnte, hatte er die reale Größe vielleicht gar nicht wahrgenommen. Davon abgesehen erinnerte die Ausstattung mancher Zimmer an Folterkammern. Der Gedanke, dass das Wesen, das darin tatsächlich Menschen oder andere Wesen gefoltert haben könnte, ihr biologischer Vater war, verursachte Bronwyn Übelkeit.

Möglicherweise hat er Dienergeister gequält, vermutete Devlin, der ihre Gedanken mitbekommen hatte. Dienergeister empfinden keinen Schmerz, können das aber so perfekt vortäuschen wie jede andere menschliche oder dämonische Gefühlsregung. Und auf herkömmliche Weise kann man sie auch nicht töten. Solche Folterungen wären genau der Kick, den ein Dienergeist als höchsten kulinarischen Genuss empfindet.

Bronwyn schüttelte den Kopf. Mir wird schlecht bei dem Gedanken, was für ein ... ein Wesen Mokaryon gewesen sein muss, dass er Spaß daran gehabt hat, lebende Wesen zum Vergnügen zu foltern.

Ein Dämon, durch und durch. Mit anderen Worten: Das war Teil seiner metaphysischen Ernährung.

Was die Sache zwar erklärte, aber für sie nicht erträglicher machte.

Sie hatten die unterste Ebene des Kellers erreicht. Ein Gang führte zu einem Raum, der die perfekte Imitation einer kleinen Arena nach römischem Vorbild war. Bronwyn standen die Haare zu Berge, als sie ihn betrat. Er strahlte etwas aus, das sie zwei Schritte zurücktreten ließ. Und der Geruch ... Auch gute dreiunddreißig Jahre nach seiner letzten Benutzung stank er nach altem Schweiß, Urin und Exkrementen, und der metallische Geruch von Blut schien am Boden und an den Wänden zu haften.

„Mein Gott“, entfuhr es Bronwyn. „Was ... Wozu wurde dieser Raum benutzt?“ Sie ahnte die Antwort, noch ehe Simon Winter sie ihr gab.

„Mokaryon hat menschliche Krieger gegeneinander kämpfen lassen, die er mit seiner Magie zu diesem Zweck entführt hat, und sich von den dabei freiwerdenden Energien ernährt.“

„Gladiatorenkämpfe“, interpretierte Devlin. „Offenbar haben ihm die Kriegsschauplätze in dieser Welt nicht gereicht.“

Bronwyn schüttelte den Kopf. Ihr Vater wurde ihr mit jeder Information unsympathischer, die sie über ihn bekam.

„Die Berater haben ihm davon abgeraten, Kriege nach alter Tradition anzuzetteln“, fuhr Simon fort. „Sie waren überzeugt, dass das nur unerwünschte Aufmerksamkeit unter den Menschen erregen würde. Ebenso wenn er seine menschlichen Feinde auf einen Schlag vernichtet hätte. Ganz abgesehen davon, dass die Menschen schon immer in sehr großer Überzahl existierten. Selbst wenn er alle Feinde ausgelöscht hätte, wären wieder neue entstanden. Die Ke’tarr’ha waren von Anfang an nicht sehr zahlreich in dieser Welt. Im Verborgenen zu wirken – weitgehend jedenfalls – erschien daher als die bessere Strategie.“

Aber auch die hatte nicht verhindert, dass sie alle sowie ihre mit Menschen gezeugten Nachkommen bis zum letzten Spross ermordet worden waren. Bronwyn verließ diesen Ort des Grauens.

„Ich will, dass diese Arena verschwindet“, ordnete sie an. „Dass jede noch so winzige Spur von ihr aus der Residenz getilgt wird.“

„Ja, Herrin“, bestätigte Simon.

„Bronwyn bitte, nicht Herrin.“

Bronwyn fühlte Magie von Simon ausgehen. Sekunden später spürte sie andere Dienergeister, die in die Arena schwärmten und weitere, diesmal erheblich stärkere magische Emissionen, mit denen sie die Arena beseitigten. Keine Minute später gähnte an ihrer Stelle eine leere Felshalle. Bronwyn ging um die nächste Gangbiegung und stand vor einer Tür, die Simon ihnen nicht öffnete, sondern fünf Yards davor stehenblieb, als verliefe dort eine unsichtbare Grenze.

„Was ist in diesem Raum?“

Simon schüttelte den Kopf. „Das weiß niemand von uns. Mokaryon hat uns verboten, ihn zu betreten oder ihm auch nur nahe zu kommen. Das war sein ganz persönlicher magischer Arbeitsraum.“

Bronwyn hatte keine Lust, sich die Perversitäten anzusehen, die wahrscheinlich dort auf sie warteten. Zumindest nicht jetzt. Die Tour durch die Residenz hatte sie erschöpft.

„Simon, ich wünsche, dass die gesamte Residenz auf die Räume verkleinert wird, die zur Front hinausgehen und Fenster haben. Ich möchte zwei Wohnzimmer ...“

Warum so bescheiden?, nahm sie Devlins Gedanken wahr, in denen ein amüsierter Unterton mitschwang. Im Ernst, Liebste. Vielleicht möchtest du eines Tages hier anderen Leuten Zuflucht gewähren. Oder wilde Partys feiern. Letzteres klang wieder amüsiert. Neckend.

Wir werden wohl kaum lange genug leben. Und du weißt, dass ich Partys nicht mag.

Er legte den Arm um ihre Schultern. Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Unser Überleben, nicht die Partys. Er küsste ihre Wange. Bronwyn, meine Liebste, richte dein Leben so ein, als hätten wir noch alle Zeit der Welt. Außerdem brauchen die Dienergeister ordentlich was zu tun.

Sie gab nach. Schließlich hatte er recht. Sie sollte daran glauben oder zumindest so tun, als stünde fest, dass sie die Wintersonnenwende überlebten. Wenn Gressyl Wort hielt und sie beschützte, hatten sie tatsächlich eine Chance.