Dämonenerbe 2

 

Prophezeiung

 

Mara Laue

 

 

Kapitel 2

 

Detroit, 26. Oktober 2012

 

Parker O’Malley beendete das Gespräch, das er auf dem Handy erhalten hatte. Er fühlte sich, als hätte man ihm einen Schlag in den Magen versetzt und gleichzeitig in Eiswasser getaucht. Klare Anzeichen dafür, dass er Angst hatte. Er blickte seine fünf Besucher ernst an, während er nach einer Möglichkeit suchte, ihnen die Hiobsbotschaft möglichst schonend beizubringen, aber keine fand.

„Nun red schon“, forderte Camilla Stevens, als er nach über einer Minute immer noch kein Wort gesagt hatte. „Du bist ja kreidebleich.“

Er atmete tief ein und schüttelte den Kopf. „Wie es aussieht, muss ein Wunder geschehen, wenn die Katastrophe noch aufgehalten werden soll.“

Nicht nur Camilla blickte ihn ungläubig an, ehe sie den anderen einen unsicheren Blick zuwarf. „Was soll das denn heißen?“ In ihrer Stimme lag ein Unterton von Furcht. „Gestern hat das Hauptquartier die freudige Botschaft verkündet, dass sie die Ke’tarr’ha-Königin in Gewahrsam haben. Heute Morgen hieß es noch, es wäre alles in Ordnung, weil sie dem Py’ashk’hu-König noch nicht begegnet ist. Und kaum zwölf Stunden später stehen wir vor der Katastrophe? Was ist passiert?“

Parker schloss für einen Moment die Augen. „Offenbar hat sie gelogen, was ihre Beziehung zu dem Dämonenkönig betrifft. Clive teilte mir gerade mit, dass der sie heute Mittag aus der Zuflucht befreit hat. Und nach allem, was wir wissen, hätte er sie dort gar nicht finden können, wenn sie nicht schon miteinander verbunden wären.“

„Oh Gott!“ Camilla wurde blass.

„Wie konnte das passieren?“ Jack Cunningham schüttelte den Kopf. „Haven ist unser bestgesichertes Versteck. Wie konnte er da rein und mit ihr wieder rauskommen?“

Parker zuckte mit den Schultern. „Er ist ein halber Dämon und unter Dämonen aufgewachsen. Seine magischen Kräfte sind entsprechend ausgeprägt.“ Er seufzte. „Die Wachen haben zwar auf die beiden geschossen und mindestens einen von ihnen auch getroffen. Aber wir wissen ja, wie Dämonen sind. Wenn noch ein Funken Leben in ihnen ist, können sie selbst von Wunden genesen, die jeden Menschen in Sekunden töten würden. Wir müssen also davon ausgehen, dass beide noch leben. Clive ist davon jedenfalls überzeugt.“

„Scheiße.“ Jack fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

„Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts“, war Camilla überzeugt. „Was tun wir jetzt?“

Parker blickte in die Runde, ehe er ans Fenster trat, in die nur spärlich von der Straßenbeleuchtung erhellten Dunkelheit blickte und zu erkennen versuchte, ob draußen schon eine Gefahr lauerte. „Wir fliehen. So schnell und so weit wir können.“

„Also Moment mal“, wandte Ana Martinez ein. „Ich habe Familie und einen Job. Ich kann nicht einfach abhauen. Schon gar nicht ohne meine Familie. Wieso sollten wir überhaupt fliehen?“

„Dumme Frage.“ Parker schüttelte den Kopf und setzte sich zu den anderen an den Tisch. „Egal ob die beiden Halbdämonen noch leben oder nicht, sie und ihre dämonischen Untertanen werden Jagd auf uns machen und jeden Hüter töten, den sie finden können; weil wir es gewagt haben, ihre Königin zu entführen und einen von beiden zu verletzen. Als Erstes werden sie Haven angreifen und vernichten. Danach alle anderen Zufluchten, die sie aufspüren können. Glaub mir, Ana, die Rache der Dämonen wird furchtbar sein.“

Jack stand auf. „Hat Clive gesagt, wohin wir gehen sollen?“

Parker nickte. „Nach Merman’s Island. Das liegt Detroit am nächsten. Wir gehen jeder für sich. Falls einer von uns von den Dämonen abgefangen wird, erwischen sie nur einen und nicht gleich die ganze Detroiter Zelle.“

„Wir wissen aber nicht, wo Merman’s Island liegt“, wandte Ana ein. Sie war noch nicht lange Mitglied der Hüter der Waage und kannte sich mit dem Notfallprotokoll noch nicht aus.

„Aus gutem Grund, denn was wir nicht wissen, können wir auch den Dämonen nicht verraten.“ Parker winkte ab. „Wir werden eingewiesen. Als erstes fahren wir nach Columbus. Sobald wir dort angekommen sind, rufen wir die Notfallnummer des Hauptquartiers an. Von dort erhalten wir weitere Anweisungen. Nehmt nur das Allernötigste mit. Merman’s Island ist eine autarke Siedlung. Dort bekommen wir alles, was wir brauchen und ...“

Er unterbrach sich, als das Flutlicht, das vom Parkplatz des Shaw Parks in seine Wohnung fiel, schlagartig erlosch.

„Die haben wohl einen Stromausfall“, vermutete Camilla. Ihre Stimme zitterte.

Parker trat wieder ans Fenster und blickte auf die Wamer Avenue, die sein Grundstück vom Park trennte. Nicht nur auf dem Parkplatz war das Licht erloschen, sondern die ganze Straße entlang. Er ging zum anderen Fenster, das auf die Jarvis Avenue hinaus ging. Auch dort war alles dunkel – auf der Straße. In den Häusern brannte noch Licht. Also konnte es sich nicht um einen Stromausfall handeln, der den gesamten Straßenzug betroffen hätte.

Im nächsten Moment erlosch das Licht in Parkers Haus. Mit einem lauten Knall fielen die Jalousien vor allen Fenstern herunter, und die Temperatur im Wohnzimmer wurde um einige Grad kälter.

„Mein Gott, sie sind hier!“

Parkers Warnung kam zu spät. Er hörte die anderen schreien. Bevor er reagieren konnte, wurde er von einer kalten Hand an der Kehle gepackt, die ihm die Luft abschnürte.

Das Licht ging wieder an. Die sechs Hüter der Waage hingen buchstäblich in den Händen von ebenso vielen Dämonen. Obwohl sie menschliche Gestalt besaßen, waren sie nicht nur an dem kalten Gesichtsausdruck, den schwarzen Augen und der darin lesbaren Grausamkeit erkennbar, sondern auch an der Kraft, mit der sie die Menschen vom Boden gehoben hatten und sie mühelos in der Luft hielten. Und an der Tatsache, dass sie nicht von einer Sekunde zur anderen in Parkers Wohnzimmer hätten auftauchen können, wenn sie Menschen wären. Ihre Anführerin, eine überirdisch schöne Frau mit schwarzen Haaren und blutroten Augen, die ihm langsam die Kehle zudrückte, lächelte bösartig.

„Ja, wir sind hier, Mensch.“ Ihre Stimme klirrte wie zu Sprache gewordenes Eis. „Und bevor wir euch töten, werdet ihr uns sagen, wo wir den Rest eures lächerlichen Geheimbundes finden. Vor allem diejenigen, die sich erdreistet haben, die Königin zu entführen.“

Parker sah, wie seine Kameraden im Griff der Dämonen zappelten und sich vergeblich zu befreien versuchten. Die Höllenkreaturen genossen die Angst und den Todeskampf ihrer Opfer und verlängerten absichtlich ihre Qualen. Er wusste, dass sie alle sterben würden.

„Niemals“, quetschte er mühsam heraus.

Die Dämonin lachte. „Ihr Menschen seid so dumm. Glaubst du ernsthaft, dass du mir widerstehen könntest?“ Sie brachte ihr Gesicht dicht vor seins. „Ein netter kleiner Zauber entreißt deinem Gehirn jede Erinnerung, die du darin versteckt hast. Ich erfahre alles, was du weißt, in einer einzigen Sekunde, wenn ich will. Aber es macht viel mehr Spaß, das aus dir herauszufoltern.“

Eine Welle von Schmerz raste durch seinen Körper, als würde er in Flammen stehen. Er wollte schreien, aber der Klammergriff der Dämonin um seinen Hals verhinderte, dass ein Laut herauskam außer dem Pfeifen und Keuchen, mit dem seine Luftröhre versuchte, genug Luft in die Lunge zu pumpen. Er würde nicht mehr lange leben und konnte nur hoffen, dass die mit jeder Sekunde schlimmer werdende Tortur bald vorbei war.

 

*

 

Reya ließ Parker O’Malleys Leiche achtlos zu Boden fallen. Der Mensch war leider nicht so widerstandsfähig gewesen, wie sie gehofft hatte und viel zu schnell gestorben. Immerhin hatte seine Agonie sie gestärkt und ihren dämonischen Geschmackssinnen herrlich süß geschmeckt. Und nebenbei hatte sie erfahren, was sie wissen wollte, auch wenn sie das nicht befriedigte.

„Es gibt keinen Ort, der Merman’s Island heißt“, stellte Corshonn fest, der gegenwärtig ihre Gunst genoss und deshalb zu ihrem Stellvertreter avanciert war.

„Natürlich nicht.“ Reya machte eine Geste, als verscheuche sie ein Insekt, und die Leichen verschwanden. Ebenso alle Spuren des Blutrausches, den sie und ihre Leute ausgelebt hatten. „Ihre magisch gesicherten Enklaven haben, wie wir gerade feststellten, ausnahmslos Tarnnamen. Merman’s Island, Haven, Star View, Silver Forest, Rainbow’s End ...“ Sie verzog angewidert das Gesicht, ehe sie lachte. „Aber wir werden sie alle finden.“ Sie blickte Corshonn an. „Du weißt, was du zu tun hast.“

Er grinste und wob einen Zauber. Sein Körper nahm die Gestalt und das Gesicht von Parker O’Malley an. Ein Bringzauber beförderte dessen Handy in seine Hand. „Ich werde nach Columbus fahren“, sagte er mit Parkers Stimme, „und mich von dort aus nach Merman’s Island führen lassen.“ Er schwenkte das Handy.

Reya lächelte zufrieden. Je nachdem wie weit diese Enklave der Hüter der Waage von Detroit entfernt war, würde es höchstens einen Tag dauern, bis sie sie gefunden und vernichtet hatten. Mit etwas Glück würden sie von deren Bewohnern erfahren, wie sie die nächste finden konnten und so weiter. Mit ein bisschen mehr Glück würde es ihnen endlich gelingen, alle Mitglieder dieses lästigen Geheimbundes ein für allemal auszulöschen.

Sie machte sich in diesem Punkt jedoch keine Illusionen, denn sie und ihre Untertanen versuchten das ebenso wie die von Fürst Mokaryon schon seit dreitausend Jahren. So oft die Py’ashk’hu und Ke’tarr’ha diesem Ziel schon nahe gewesen waren, immer wieder hatten einige Hüter der Waage im Verborgenen überlebt und über die Jahre und Jahrhunderte hinweg ihre Verluste ersetzt. Obwohl sie Menschen waren, verfügten einige von ihnen über starke magische Kräfte, die es ihnen ermöglichten, ihre Enklaven für die Suchzauber der Dämonen unauffindbar zu verbergen. Und aus Sicherheitsgründen wusste kein Hüter alles über die Organisation.

Diesmal jedoch stand zu viel auf dem Spiel. Königin Marlandra war die letzte Überlebende der Ke’tarr’ha-Dynastie. Wenn sie starb, bevor sie am Tag der kommenden Wintersonnenwende das magische Hochzeitsritual mit Reyas Sohn Maruyandru vollzogen hatte, würde das Eine Tor bis in alle Ewigkeit versiegelt bleiben. Genau das wollten nicht nur die Hüter der Waage erreichen, sondern auch die Mönche vom Orden der Heiligen Flamme Gottes. Letzteren war es im Verlauf der vergangenen hundert Jahre gelungen, nicht nur die Dämonen der Ke’tarr’ha auszulöschen, sondern auch jeden Ke’tarr’hani auf der Welt – Menschen, die einen Tropfen Dämonenblut in sich trugen, weil irgendeiner ihrer Vorfahren von Mokaryon oder einem Mitglied seiner Dynastie gezeugt worden war. Die Mönche hatten sogar Mokaryon selbst töten können.

Zum Glück hatte er zu dem Zeitpunkt bereits Marlandra gezeugt. Da sie die Letzte ihres Geschlechts war, musste sie unter allen Umständen geschützt und jeder beseitigt werden, der ihre Sicherheit bedrohte. Deshalb unterstützte Reya den Entschluss der beiden, sich eine Weile ins Ausland abzusetzen und sich außerhalb der Reichweite der Hüter und der Mönche zu amüsieren. Je enger die weltliche Bindung der beiden zueinander wurde, desto besser war es für das Ritual.

Außerdem dachte die Königin noch zu menschlich und hätte heftig protestiert, wenn sie dahinter gekommen wäre, dass Reya einen Vernichtungsfeldzug gegen die Hüter der Waage startete. Leider war das Menschenblut bei den beiden Auserwählten essenziell. Auch Maru zeigte oft zu viel Menschlichkeit und Skrupel als Folge der menschlichen Hälfte seines Blutes. Schon deshalb begrüßte Reya, dass sie aus dem Weg waren und ihr bei ihrer Rache an den Hütern der Waage nicht in die Quere kamen.

„Mach dich an die Arbeit, Corshonn. Und wir anderen stöbern noch ein paar Hüter auf, ehe die Nacht vorbei ist.“

Sie schnippte mit den Fingern und verschwand von einer Sekunde zur anderen. Die anderen bis auf Corshonn folgten ihr.

 

*

 

Las Vegas, 28. Oktober

 

Bronwyn betrat das Foyer des zwanzigstöckigen Gebäudes 3978 Howard Hughes Parkway, dessen Tür Gressyl ihr und Devlin diensteifrig aufhielt. Überrascht blieb sie stehen. Devlin schob sie vorwärts.

„Nun tu mal nicht so, als wärst du von dieser Pracht erschlagen.“ Sie hörte, dass er grinste.

Ihr wurde bewusst, dass ihr der Mund offen stand. Sie klappte ihn zu. „Ich fühle mich aber erschlagen. Ich meine, hier sieht es aus wie ... wie in einem Luxushotel der Superklasse, das ich mir gar nicht leisten kann, nicht wie im Foyer eine Anwaltskanzlei. Sieh dich doch mal um. Palmen, Steingarten, ein Riesenaquarium, eine Skulptur und Kunst an den Wänden. Ich wage mir kaum auszumalen, wie die Büros aussehen.“

Devlin lachte leise. „Wenn es ein Superklasse-Luxushotel wäre, könntest du es dir nicht nur leisten, sondern sogar kaufen, sobald wir hier fertig sind.“

Beides war für sie unvorstellbar. Sie fühlte sich deplaziert. Obwohl sie ihren besten Hosenanzug angezogen hatte, eine teure Maßanfertigung aus dunkelblauer Rohseide, erschien ihr die Kleidung der Empfangsdamen – Bronwyn zählte vierzehn – erheblich stilvoller und eleganter. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Damen den Einheitslook von Turnbull, Coulter, Stavros & Blaylock trugen mit lindgrünen Blusen zu silbergrauen Kostümen.

Auch Devlin hatte einen Anzug mit Krawatte angezogen. Ein ungewohnter Anblick, nachdem sie ihn bisher ausschließlich in Jeans und T-Shirt oder Hemd gesehen hatte. Sie musste zugeben, dass er in dem farblich auf ihren abgestimmten dunkelblauen Business-Suit, den er mit einer Lässigkeit trug, als wäre es eine zweite Haut, ungeheuer sexy aussah.

Das traf auch auf Gressyl zu. Er war in die typische Kleidung eines Leibwächters in Form eines schwarzen Anzugs gekleidet, dessen Farbe in scharfem Kontrast zu seinem hellblonden, fast weißen Haar stand. Dass auch sein Hemd schwarz war, wirkte in Verbindung mit seinem kalten Gesichtsausdruck und den pechschwarzen Augen dämonisch. Kein Wunder, denn er war ein Dämon.

Devlin legte den Arm um ihre Schultern und führte sie zu der Statue aus schwarzem Stein. Gressyl folgte ihnen wie ein Schatten. Die Skulptur stellte einen männlichen Akt dar und war nicht nur wegen ihrer Lebensgröße beeindruckend. Jedes Detail war perfekt herausgearbeitet, sodass sie sehr lebendig wirkte. Die makellose Schwärze des Steins verlieh ihr etwas Düsteres. Daran änderten auch die Efeuranken nichts, die aus dem ebenfalls schwarzen Substrat wuchsen, das zu Füßen der Statue gestreut war. Man hatte sie so drapiert, dass sie den Hintern und diskret das Geschlechtsteil umrankten und es nahezu vollständig verdeckten. An der Vorderseite des Sockels waren fremdartige Glyphen eingemeißelt, die zu keiner Sprache der Welt gehörten. Bronwyn fiel es dennoch nicht schwer, sie zu entziffern: Mokaryon, Fürst der Ke’tarr’ha.

Sie sog scharf die Luft ein. Devlin drückte sie an sich und schmiegte seine Wange an ihre.

„Ja, meine Liebste. Das ist ein naturgetreues Abbild deines Vaters. Abgesehen von der schwarzen Farbe. In der Kanzlei der Py’ashk’hu-Anwälte steht eine Statue von meiner Mutter. Allerdings – ihrer Eitelkeit angemessen – dreimal so groß wie die hier.“

Bronwyn starrte die Skulptur an. Seit sie vor einem Monat erfahren hatte, dass sie adoptiert worden war, hatte sie sich gefragt, wie ihre leiblichen Eltern wohl ausgesehen haben mochten. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass der jung aussehende, muskulöse Mann mit der stolzen und gebieterischen Haltung tatsächlich ihr Vater gewesen sein sollte. Andererseits passte der kalte Ausdruck seiner steinernen Augen durchaus zu einem gefühl- und seelenlosen Dämon. Nicht nur deshalb vermochte sie keine töchterlichen Gefühle bei seinem Anblick zu entwickeln. Selbst wenn sie ihn sich als lebendiges Wesen vorstellte, empfand sie nur Abneigung. Bedauerlicherweise gab es zwischen ihr und ihm eine unleugbare Ähnlichkeit.

„Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber diese Statue stellt Mr. Morgan Karyon dar, den Gründer unserer Kanzlei“, riss die Stimme einer Angestellten sie aus ihren Gedanken. „Sie ist über zweihundert Jahre alt und stand schon in der ersten Kanzlei unserer Sozietät in New York.“ Die Frau lächelte. „Was können wir für Sie tun, Ma’am, Gentlemen?“

„Sagen Sie Ihren Bossen, dass die Königin gekommen ist, um ihr Erbe anzutreten“, kam Devlin Bronwyns Antwort zuvor.

Die Augen der Frau wurden groß. Sie sog scharf die Luft ein und starrte Bronwyn an, ehe sie hastig auf eine Ledercouch im Wartebereich deutete. „S-sofort, Hoheit. Bitte, nehmen Sie Platz. Dürfen wir Ihnen etwas anbieten? Möchten Sie etwas trinken, etwas ...“

„Sagen Sie einfach Ihren Bossen Bescheid, dass ich da bin. Bronwyn Kelley. Ohne Hoheit.“

Die Angestellte verbeugte sich und hastete zum nächstgelegenen Schreibtisch, von wo aus sie hektisch telefonierte.

„Musste das sein, Devlin?“ Bronwyn setzte sich auf die angebotene Couch.

Er nahm neben ihr Platz. „Natürlich. Die Leute sollen von Anfang an wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wie du siehst, macht sie das umso freundlicher und diensteifriger.“

„Und mich verlegen.“

Er grinste. „Du gewöhnst dich dran.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Das ist nun mal unser Geburtsrecht.“

Bronwyn wandte sich an Gressyl, der in verteidigungsbereiter Haltung neben ihr stand. „Du erinnerst dich an das, was ich dir aufgetragen habe?“ Sie blickte den Dämon auffordernd an. Gressyl war ihr absolut ergeben, aber nicht mit allzu großen Geistesgaben gesegnet.

„Ja, meine Königin. Bronwyn. Wenn Menschen dir die Hand schütteln, ist das weder ein Angriff, noch Respektlosigkeit. Deshalb werde ich ihnen das nicht verwehren.“

Dem ersten Mann, der ihr die Hand schütteln wollte, nachdem Gressyl seinen Leibwächterposten angetreten hatte, hätte er beinahe die Hand gebrochen. „Und es werden mir gleich eine Menge Leute die Hand schütteln.“ Sie seufzte. „Da kommen sie schon.“

Drei Männer und eine Frau eilten auf sie zu, nachdem die Angestellte diskret in Bronwyns Richtung gedeutet hatte. Bronwyn wollte aufstehen, aber Devlin hielt sie fest.

„Als Königin darfst du Huldigungen sitzend entgegen nehmen.“

Trotz seines spöttischen Untertons fand sie das nicht lustig. Sie befreite sich aus seinem Griff und stand auf.

Es war schlimm genug, eine Halbdämonin mit magischen Kräften zu sein. Dass sie als Tochter von Mokaryon die Königin seiner Dämonendynastie war, belastete und verunsicherte sie immer noch. Ebenso die Tatsache, dass nicht nur die dämonischen Untertanen von Devlins Py’ashk’hu-Dynastie, zu denen auch Gressyl gehörte, sie als ihre Königin behandelten, sondern auch jeder Mensch, der einer der beiden Dynastien diente.

„Miss Kelley?“ Der Älteste der drei Männer streckte ihr die Hand entgegen und deutete einen Handkuss an. „Cole Turnbull, zu Ihren Diensten. Meine Partner Jennifer Blaylock, Brian Coulter und Ari Stavros. Es ist uns eine große Ehre und Freude, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Wir haben dreiunddreißig Jahre auf Sie gewartet.“

Zumindest auf Turnbull traf das wohl wörtlich zu, denn er musste an die siebzig sein. Die drei anderen schätzte Bronwyn auf zwischen vierzig und Mitte fünfzig.

Bronwyn schüttelte seinen Partnern ebenfalls die Hand. „Mein – Gefährte Devlin Blake und mein Bodyguard Gressyl.“

Turnbull blickte Devlin forschend an, als er ihm die Hand gab. Gressyl verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte die vier Menschen kalt an, sodass sie gar nicht erst auf den Gedanken kamen, ihm auch die Hand zu reichen.

Turnbull warf einen kurzen Blick auf die Statue von Mokaryon, ehe er Bronwyn erneut ansah und ihre Züge offensichtlich mit seinen verglich. Ein Ausdruck von Ehrfurcht malte sich auf seinem Gesicht, als ihm ebenfalls die Ähnlichkeit zwischen beiden auffiel. Er verbeugte sich. „Bitte folgen Sie uns, Miss Kelley. Sobald Sie sich legitimiert haben, können Sie unverzüglich über Ihr Erbe verfügen und die Ressourcen unserer Kanzlei stehen Ihnen unbegrenzt zur Verfügung. Sie werden doch den alten Kontrakt mit uns aufrecht erhalten?“ Er deutete auf einen Lift und ging voran.

„Welchen Kontrakt?“

„Den Ihr Vater mit uns geschlossen hat, als er vor zweihundert Jahren die ersten Anwälte unserer Kanzlei engagierte, seine weltlichen Interessen zu vertreten und sein Vermögen zu verwalten. Sie werden feststellen, dass wir ihn buchstabengetreu erfüllt haben.“

Bronwyn fühlte sich wieder einmal überfordert, wie nahezu ständig während der vergangenen vier Wochen. Sie wollte nur schnellstmöglich eine Lösung für das Problem finden, von der so unendlich viel abhing. Alles andere hatte ihrer Meinung nach Zeit bis nach der Wintersonnenwende. Doch Devlin hatte darauf bestanden, dass sie zuvor ihr Erbe antrat, damit sie wieder eine eigene Unterkunft hatte, denn in ihr Haus in Denver konnte sie nicht mehr zurückkehren und auch nicht ihre Kreditkarten oder ihr altes Handy benutzen, ohne ihre Feinde auf ihre Spur zu bringen. Und inzwischen wohl auch noch die Polizei.

Turnbull steckte einen Schlüsseln in das Schloss des Etagenwahlfelds des Lifts. Eine Kameralinse klappte auf. Er hielt ein Auge davor und ließ es scannen.

„Geben Sie Ihren Sicherheitscode ein und bestätigen Sie ihn mit Ihrem Handabdruck“, verlangte eine Computerstimme.

Turnbull tippte ein paar Ziffern in die neben der Linse angebrachte Tastatur und legte seine Hand auf das Scannerfeld, das aus der Wand fuhr.

„Legitimation abgeschlossen“, meldete der Computer. „Turnbull, Cole. Zugang gewährt.“

Turnbull drückte auf den untersten Knopf, und der Lift setzte sich abwärts in Bewegung. Der Anwalt lächelte Bronwyn zu. „Wie Sie sehen, nehmen wir die Sicherheit sehr ernst. Zu dem Bereich, der mit Ihnen zu tun hat, haben nur wir vier Zutritt. Nach Abschluss des Legitimationsprozesses werden wir Ihre biometrischen Daten erfassen und Sie für alle Bereiche freischalten.“

„Danke.“ Bronwyn war beeindruckt, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen.

Sie fragte sich, was sie erwartete. Die Hüter der Waage hatte sie unmittelbar nach der Geburt ihrer Mutter weggenommen, mit falschen Papieren ausgestattet und bei einem fremden Ehepaar untergebracht, um ihre wahre Identität zu verschleiern. Die Mitglieder dieses Geheimbundes gehörten jedoch nicht zu den Menschen, die wie Turnbull und seine Partner einer der beiden Dämonendynastien dienten. Sie hatten Bronwyn im Gegenteil vor ihnen versteckt und ihre magischen Kräfte blockiert, sodass die Dämonen und ihre Anhänger sie nicht aufspüren konnten. Ihr Plan war gewesen, Bronwyn an ihrem dreiunddreißigsten Geburtstag, an dem die Blockierung sich aufzulösen begonnen hatte und hätte erneuert werden müssen, zu nicht nur diesem Zweck in ihr Hauptquartier zu bringen. Doch es war alles anders gekommen.

Deshalb gab es niemanden, der hätte bezeugen können – oder wollen – dass Bronwyn tatsächlich Mokaryons Tochter und rechtmäßige Erbin war. Theoretisch hätte jede Frau im passenden Alter zu Turnbull, Coulter, Stavros & Blaylock kommen und das behaupten können. Ihre Ähnlichkeit mit der Statue im Foyer war kein Beweis und hätte Zufall oder durch chirurgische Kunst erzeugt sein können. Devlin hatte ihr zwar gesagt, dass die erforderliche Legitimation auf magische Weise erfolgte, aber er wusste nichts Genaues.

Der Lift hielt auf einer Kelleretage, die das Etagendisplay nicht anzeigte. Die Tür glitt auf und gab den Blick auf einen Gang frei, der aus schwarzem Stein bestand. Licht flammte auf. Bronwyns Haut kribbelte, ein deutliches Zeichen, dass dieser Bereich mit Magie erschaffen worden war.

Ja.

Sie zuckte zusammen, als sie Devlins Gedanken hörte. Ihre mit jedem Tag besser funktionierende geistige Verbindung mit ihm war neben ihren magischen Kräften eines der Dinge, an die sie sich noch lange nicht gewöhnt hatte.

Ja – was?

Ja, auch du wirst eines gar nicht fernen Tages die Macht besitzen, Erde so zu formen, dass du Räume wie diese erschaffen kannst. Das hattest du gerade überlegt.

Das war ihr gar nicht bewusst geworden. Hör bitte auf, meine Gedanken zu belauschen.

Er grinste. Ich kann nichts dafür, wenn du so laut denkst, dass ich dich bis Chicago hören könnte.

„Hier entlang bitte.“ Turnbull deutete nach links und ging voran.

Der Gang führte an einer Tresortür vorbei und endete nach wenigen Schritten vor einer anderen Tür, die keinen erkennbaren Öffnungsmechanismus besaß. Nur ein blutrotes Auge war darauf aufgemalt.

Turnbull deutete darauf. „Nach unseren Informationen tragen Sie irgendwo am Körper ein für die Ke’tarr’ha-Königin typisches Muttermal. In den von Ihrem Vater hinterlegten Anweisungen heißt es, dass Sie das dem Auge präsentieren müssen.“

Falls er sich über diese Anweisung wunderte, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen benahm er sich so souverän, als hätte er jeden Tag mit Halbdämonen und ihren magischen Muttermalen zu tun.

Bronwyn stellte sich vor das Auge auf der Tür, knöpfte zögernd ihre Bluse auf und zog sie weit genug auseinander, dass das Sigill sichtbar wurde, das sie eine Handbreit unterhalb des Halses auf der Brust trug. In einem Kreis von der Größe eines Silver Eagles saß dort ein blutrotes Auge in derselben Form wie das auf der Tür. Darunter formten verschlungene Linien innerhalb des Kreises eine Glyphe, die das Namenssymbol Ke’tarr’ha darstellte.

Ihre Haut erwärmte sich dort, wo das Sigill saß, ein Zeichen, dass dessen Magie aktiv wurde. Sekunden später zuckte ein winziger Blitz daraus hervor und traf das Auge auf der Tür. Das glühte kurz auf, und die Tür verschwand. Bronwyn wich erschrocken einen Schritt zurück. Der Raum dahinter war stockfinster. Selbst das Licht, das vom Gang durch die Tür ins Innere hätte fallen müssen, überwand die Schwelle nicht – absolut unheimlich. Das Gefühl wurde noch verstärkt, als Bronwyn aus der Finsternis eine Ausstrahlung wahrnahm, die sich wie eisige Tentakel anfühlte. Sie hatte den Eindruck, dass die nach ihr griffen und erschauerte.

Devlin legte ihr die Hand auf die Schulter und streichelte sie beruhigend.

„Die Anweisungen besagen, dass Sie allein diesen Raum betreten müssen. Wenn Sie sind, wer Sie vorgeben zu sein, werden Sie in ein paar Minuten wieder herauskommen.“

„Und wenn ich die Falsche wäre?“

„Dann würde die Magie des Raums dich töten“, vermutete Devlin. Er drückte ermutigend ihre Hand. „Da du aber die Ke’tarr’ha-Königin bist, kann dir nichts passieren.“

Den Raum zu betreten, war das Letzte, was sie wollte. Aber es führte kein Weg daran vorbei. Sie tat einen tiefen Atemzug und trat entschlossen ein. Die Tür schloss sich augenblicklich hinter ihr. Undurchdringliche Finsternis hüllte sie ein. Bronwyn hatte erwartet, dass ein Licht aufflammen würde. Doch die Dunkelheit blieb, und die Kälte drang in sie ein wie tastende Finger. Ein absolut widerliches Gefühl, das sich noch verstärkte, als sie spürte, wie das, was in ihr herumtastete, ihren Geist berührte.

Panik erfasste sie. Was, wenn dieses ... dieses Etwas ihre Bereitschaft prüfte, die Pläne der Dämonen zu erfüllen und zusammen mit Devlin das Eine Tor zu öffnen, durch das die Dämonen in die Welt gelangen konnten? Wenn es feststellte, dass sie stattdessen vorhatten, diese Pläne zu vereiteln? Wenn ...

Sie musste hier raus. Sofort. Doch ihr Körper war gelähmt. Was immer sie mit eisigen Tentakeln festhielt, ließ nicht zu, dass sie sich bewegte. So sehr Bronwyn sich gegen den mentalen Klammergriff stemmte, kein einziger Muskel gehorchte ihr außer Herz und Lunge. Sie konnte nicht einmal mehr schreien. Dafür brüllte ihr Geist umso lauter.

DEVLIN!

Entsetzt stellte sie fest, dass ihre Verbindung mit ihm erloschen war. Ihr Ruf prallte gegen eine Wand aus mentalem Eis, wurde zurückgeworfen, vervielfältigte sich wie ein Echo und brachte ihren Schädel schmerzhaft zum Vibrieren. Das Echo zersplitterte den Ruf, zerlegte ihn in seine Bestandteile, bis nur noch der sich endlos wiederholende Laut auf dem N übrig blieb, der an- und abschwellend in ihrem Kopf kreiste. So qualvoll, dass Bronwyn Tränen in die Augen schossen.

Als wäre das noch nicht schlimm genug, fühlte sie, wie diese Kraft etwas in ihr veränderte, Barrieren in ihrem Geist niederriss, von deren Existenz sie bis zu diesem Moment nichts geahnt hatte. Sie verspürte den Impuls, sich irgendwo zu verkriechen, ihr Bewusstsein so tief in sich zurückzuziehen, dass nichts und niemand sie je wieder erreichen konnte.

Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als die Kälte sie mit einer solchen Wucht attackierte, dass ihr nur noch eine Möglichkeit blieb: dagegen anzukämpfen mit aller Macht, wollte sie nicht vernichtet werden. Sie sammelte ihre magische Kraft ebenso wie ihre seelische und warf sie dem entgegen, was von ihr Besitz ergriffen hatte, drängte es zurück, vernichtete es. Und mit ihm weitere Barrieren, die noch um ihren Geist gelegen hatten, bis die Kälte und der Druck schlagartig verschwunden waren.

Für den Bruchteil einer Sekunde spürte sie einen scharfen Kälteschock. Licht blendete sie. Sie stand im Gang vor der Tür und direkt vor Devlin. Er nahm sie in die Arme und strich ihr über das Haar.

„Alles okay, Bronwyn. Du hast es geschafft.“

Keuchend sog sie die Luft in ihre Lunge und merkte erst jetzt, dass sie die angehalten hatte. Sie zitterte am ganzen Körper und war in Schweiß gebadet, obwohl sie entsetzlich fror. Ihr Gesicht war nass von Tränen. Sie wollte weg von hier. So weit es nur ging. Sie stemmte sich gegen Devlins Umarmung, doch er hielt sie fest.

„Ruhig, Bronwyn, ganz ruhig“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.“

Sie lehnte sich gegen ihn. „Ich konnte dich nicht mehr spüren, ich hab dich nicht mehr gehört, die Verbindung war weg, da war was in mir, es war so kalt, ich ...“

Devlins Kuss unterbrach ihr Gestammel. Die Wärme seines Mundes und seines Körpers brachte sie wieder zur Besinnung und gab ihr Halt.

„Es ist alles in Ordnung, meine Liebste“, versicherte er ihr noch einmal und strich ihr über die Wange. Wieder brachte er seinen Mund dicht an ihr Ohr. „Ich erkläre dir alles später. Und jetzt: Contenance. Das erwartet man von dir. Du bist schließlich die Königin.“

Sie brachte ihre aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle, indem sie ein paar Mal tief einatmete. Schließlich war sie tatsächlich in Sicherheit. Nachdem sie sich nun als Mokaryons Tochter legitimiert hatte und lebend aus dieser „Kammer des Schreckens“ entkommen war, würde niemand hier ihr etwas antun wollen. Außerdem hatte sie schon etliche lebensgefährliche Situationen überstanden und erst gestern dank Devlin einen weiteren Mordanschlag überlebt. Trotzdem empfand sie das, was sie gerade durchgemacht hatte, als schlimmer. Was immer in dem finsteren Raum mit ihr geschehen war, es hatte sie verändert.

Doch Devlin hatte recht. Hier war nicht der geeignete Ort, sich damit auseinanderzusetzen. Ein Bringzauber beförderte ein Tuch in seine Hand, das er ihr reichte. Im ersten Augenblick erschrak sie, dass er vor fremden Menschen offen Magie anwandte. Dann begriff sie, dass er damit absichtlich Macht demonstrierte. Sie wischte sich das Gesicht ab und ließ das Tuch anschließend magisch verschwinden. Verblüfft stellte sie fest, dass ihr das so leichtfiel wie noch nie.

Devlin lächelte anerkennend. Übrigens herzlichen Glückwunsch zu deiner ersten gelungenen Teleportation, Marlandra.

Marlandra. Ihr Geburtsname, an den sie sich noch lange nicht gewöhnt hatte. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich überhaupt daran gewöhnen wollte, da es ein Dämonenname war, wie sie inzwischen wusste. Und ja, sie hatte es zum ersten Mal geschafft, ihre allen Dämonen angeborene Fähigkeit zur Teleportation zu benutzen. Noch vorgestern war sie dabei kläglich gescheitert. Diesmal hatte es funktioniert, als hätte sie sie wie Devlin ihr Leben lang benutzt.

Sie atmete tief durch und brachte ihren immer noch rasenden Herzschlag unter Kontrolle. Erst jetzt merkte sie, dass Turnbull, Stavros, Coulter und Jennifer Blaylock vor ihr auf die Knie gesunken waren und sie ehrfurchtsvoll ansahen. Offenbar hatte die Machtdemonstration nachhaltig gewirkt.

Turnbull fasste sich als Erster. „Sie sind die Königin. Ganz ohne jeden Zweifel. Seien Sie aufs Herzlichste willkommen, Hoheit.“

Bronwyn hatte die Schnauze voll, von Leuten, die sich als ihre Untertanen betrachteten, mit Königin oder Hoheit angeredet zu werden. Erst recht davon, dass man vor ihr kniete. Sie bedeutete den vier Menschen aufzustehen.

„Ich habe ein paar Wünsche, Mr. Turnbull.“

„Was immer Sie wollen, wir werden es umgehend erfüllen.“ Erwartungsvoll sah er sie an.

„Erstens wünsche ich nicht, dass man vor mir kniet. Zweitens wünsche ich nicht, mit Hoheit oder Königin angeredet zu werden. Drittens: Sind wir hier fertig?“

„Ja, Miss Kelley. Wenn es Ihnen recht ist, erfassen wir als Nächstes Ihre biometrischen Daten. Danach mache ich Sie mit den Ressourcen vertraut, über die Sie nun verfügen können. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“

Sie wollte hier raus und allein sein, am liebsten sogar ohne Devlin; zumindest für einige Zeit. Da sie aber nicht vorhatte, jemals wieder in die Kanzlei zu kommen, wenn sie es vermeiden konnte, musste sie den Rest der Legitimationsprozedur auch noch über sich ergehen lassen. Deshalb folgte sie Turnbull und ärgerte sich über Devlins amüsierten Blick.

Für ihn war es seit seiner Geburt alltäglich, von jedermann hofiert zu werden und dass die Leute sprangen, sobald er mit dem Finger schnippte. Dafür, dass er sich seiner Stellung als König der Py’ashk’hu sehr bewusst war, fehlte ihm erstaunlicherweise die Arroganz, die mit einem solchen Status oft einher ging. Weitgehend zumindest. Bronwyn war dagegen unter Menschen aufgewachsen und hatte bis vor knapp zwei Wochen nicht gewusst, dass sie die Königin der Dämonen war.

Turnbull blieb vor der Tresortür stehen, die sie vorhin passiert hatten, und öffnete sie. Sie war mit demselben Sicherheitsmechanismus versehen wie der Lift. Als die Tür aufglitt und Licht dahinter erstrahlte, ließ Turnbull ihr wieder den Vortritt. Bronwyn fand sich in einer Art Computerzentrale wieder. Während Coulter die Geräte an einem Schaltpult aktivierte, führte Turnbull sie zu einer Vorrichtung, die jener an der Tür und dem Lift ähnelte. Mit dieser wurden ihre Augen und die Handflächen gescannt, ein Foto von ihr gemacht und die Daten gespeichert.

Turnbull holte eine Schatulle aus einem Safe und hielt sie Bronwyn hin. Darin lag ein Schlüssel an einer goldenen Kette.

„Das ist der Generalschlüssel zu allen unseren Gebäuden, Miss Kelley. Weltweit. Mit ihm können Sie in Verbindung mit Ihren biometrischen Daten und Ihrem persönlichen Code, den Sie gleich erhalten, zu jeder Tages- oder Nachtzeit jedes Gebäude unserer Kanzlei betreten und jeden einzelnen Raum darin. Ihre Daten werden in diesem Moment zusammen mit Ihrem Foto an alle Zweigstellen übertragen, damit jeder unserer Angestellten weiß, wer Sie sind.“ Er gab ihr einen versiegelten Briefumschlag. „Hierin finden Sie Ihren persönlichen Generalcode, der zudem eine Override-Funktion besitzt. Mit seiner Hilfe können Sie von jedem Punkt der Welt aus alle Transaktionen kontrollieren, die wir in Ihrem Namen tätigen und, falls Sie nicht mit ihnen einverstanden sind, sie unterbinden oder rückgängig machen. Sie müssen nur noch ein individuelles Passwort einrichten.“

Turnbull deutete auf ein Gerät neben dem, das die biometrischen Daten erfasst hatte, und erläuterte ihr dessen Bedienung. Danach wandten er und seine Partner ihr diskret den Rücken zu und warteten, bis sie ein Passwort festgelegt hatte.

Jennifer Blaylock reichte ihr anschließend eine auf die Kanzlei ausgestellte Kreditkarte und ein Smartphone. „Mit der Karte haben Sie Zugriff auf alle Konten der Kanzlei und selbstverständlich über uns auf die aller Ihrer Casinos.“

„Meiner – Casinos?“ Bronwyn glaubte, sich verhört zu haben.

Turnbull schnippte mit den Fingern in Richtung von Ari Stavros, der mit einer Mappe in der Hand nur auf dieses Zeichen gewartet hatte. Er trat zu Bronwyn, nahm eine mehrseitige Liste aus der Mappe und las sie ihr vor. „Ihnen gehört das Haus 3333 Bryant Avenue; das war die persönliche Residenz Ihres Vaters. Sie sind Eigentümerin der Kette der Devilish Luck Casinos – sechsundsechzig über die gesamte Welt verteilt –, drei Privatjets, zwei Helikopter, einer Jachtflotte mit sechs Schiffen unterschiedlicher Größe, 2578 Immobilien, davon 1344 Geschäftsgebäude mit mindestens zwölf Etagen und mindestens je dreißig Mieteinheiten, fünfzehn Autos verschiedener Klassen, weltweit stationierte ...“

„Danke“, unterbrach Bronwyn die der Liste in Stavros’ Hand nach zu urteilen beinahe endlose Aufzählung ihrer Besitztümer. „Ich werde mich zu gegebener Zeit mit diesen Dingen vertraut machen. Ich habe den Eindruck, dass das einige Zeit in Anspruch nehmen wird.“

Turnbull nickte. „In der Tat. Miss Kelley, inoffiziell sind Sie die reichste Frau der Welt. Sehen Sie selbst.“ Er bat sie mit einer Handbewegung, vor einem Monitor Platz zu nehmen und rief eine Datei auf.

Bronwyn verstand zwar nicht allzu viel von Buchhaltung, aber sie erkannte, dass es sich um eine Zwischenbilanz des letzten Quartals handelte. In einer Spalte waren alle Gewinne als Übersicht aufgelistet, eine weitere Spalte nannte das Gesamtvermögen. Die genannte Casino-Kette stellte den größten Posten – eine zehnstellige Summe, die sich nur auf das laufende Jahr bezog. Auch die Gewinne aus den übrigen Posten – diverser Firmen und Aktienhandel, Einnahmen aus Verpachtungen, Vermietungen und eine Menge mehr – waren mindestens siebenstellig, meistens höher. Die Gesamtsumme ließ ihr schwindelig werden. Sie musste dreimal nachzählen, ehe sie glauben konnte, dass die tatsächlich siebzehn Stellen besaß – vor dem Komma.

„Haben Sie ein Glas Wasser für mich?“

Brian Coulter sprang augenblicklich zu einem Tisch, auf dem ein kleiner Kühlschrank stand, nahm eine Flasche Mineralwasser heraus und ein Glas von einem Tablett. Er schenkte ihr ein und stellte das Glas vor sie hin. Bronwyn trank einen Schluck. Die Kälte des Wassers zeigte ihr, dass sie nicht träumte.

Nein, das ist die Realität, neckte Devlin sie. Aber bilde dir bloß nichts ein. Mein Besitz ist ungefähr genauso groß.

„Natürlich haben wir den größten Teil Ihres Vermögens über Strohfirmen angelegt, deren Verbindung zu uns und somit zu Ihnen nicht zurückverfolgt werden kann“, erklärte Turnbull. „Außerdem ...“

Bronwyn hörte nicht mehr zu. Sie starrte auf die Zahlen und konnte es nicht fassen. Zwar hatte Devlin ihr schon mehrfach gesagt, dass jeder von ihnen über ein Vermögen verfügte, das ausreichte, um die halbe Welt zu kaufen, aber sie hatte das für eine Übertreibung gehalten und sich nicht im Traum vorstellen können, dass das die Wahrheit sein könnte.

Spontan kam ihr in den Sinn, was man alles mit diesem Riesenvermögen Gutes tun konnte. Sie hatte die Mittel in der Hand, den Hunger in der Welt zu stoppen und eine Menge mehr zu tun.

Aber das würde auffallen und nicht nur unsere Tarnung auffliegen lassen, teilte Devlin ihr in Gedanken mit. Es würde uns auch zur Zielscheibe von Verbrechern und Terroristen machen. Ganz zu schweigen davon, dass etliche Behörden akribisch prüfen würden, woher das Vermögen dafür stammt. Solche Wohltaten können wir nur im Kleinen leisten. Aber darüber kannst du dir Gedanken machen, falls wir nach der Wintersonnenwende noch leben.

Bronwyn fühlte sich immer mehr überfordert und bekam langsam den Eindruck, dass dieser Zustand ewig anhalten würde. Sie hatte ihr Leben als freie Journalistin schon aufregend gefunden, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was sie seit einem Monat erlebte. Sie seufzte und nahm das Smartphone in die Hand, um sich von dem ungeheuerlichen Reichtum abzulenken, den sie geerbt hatte. Da sie aus Sicherheitsgründen ihr Handy nicht mehr benutzen konnte und sich bis jetzt noch kein neues gekauft hatte, nachdem die Hüter der Waage ihr das Prepaid-Handy abgenommen hatten, benutzte sie Devlins, wenn sie eins brauchte. Somit war das ein nützliches Accessoire.

„In diesem Phone sind alle Nummern unserer Anwälte gespeichert“, erklärte Jennifer Blaylock. „Sie sind jederzeit rund um die Uhr für Sie erreichbar in jedem Land der Welt. Sollten Sie jemals Schwierigkeiten welcher Art auch immer bekommen oder spontan einen juristischen Rat benötigen, wir stehen für Sie bereit.“

„Und nicht nur Anwälte“, ergänzte Turnbull. „Miss Kelley, Sie haben Freunde und Unterstützter auf der ganzen Welt, von denen nahezu jeder für Sie sterben würde.“ Turnbull strahlte vor Stolz. Offensichtlich zählte er sich dazu.

Bronwyn fühlte Abscheu in sich aufsteigen und hatte Mühe, ihn nicht durch eine Geste oder Miene zu verraten. Ihr Freund Josh war vor zehn Tagen von Mitgliedern eines militanten Mönchsordens ermordet worden, die Bronwyn durch ihn in eine Falle gelockt hatten, um sie zu töten. Er war ein wirklicher Freund gewesen, hatte sie sogar geliebt. Die Menschen, von denen Turnbull sprach, waren keine Freunde, sondern Egoisten, die sie nur unterstützen würden, weil sie sich davon eine Belohnung welcher Art auch immer erhofften. Die, obwohl sie durch und durch Menschen waren, freiwillig Dämonen dienten, wohl wissend, dass die nichts Gutes im Sinn hatten.

„Ich nehme an, die würden auch für mich töten.“

„Jederzeit, Hoheit. Eh, Miss Kelley.“ Turnbull war Bronwyns Ironie entgangen.

Ihre Übelkeit verstärkte sich. Sie trank einen Schluck Wasser, ehe sie dem Anwalt ein gezwungenes Lächeln schenkte. „Keine Sorge. Das wird nicht nötig sein.“ Zumindest hoffte sie das. „Sie erwähnten vorhin einen Kontrakt. Den würde ich mir gern ansehen.“

Turnbull entnahm dem Safe, aus dem er den Schlüssel geholt hatte, eine Schriftrolle. Noch bevor er sie vor Bronwyn auf den Tisch gelegt hatte, spürte sie die Magie, die von der Rolle ausging. Sie fragte sich, ob das Ding wohl mit Blut unterzeichnet war.

„Das ist das Original, Miss Kelley. Wir haben natürlich auch eine Übersetzung, die ...“

„Nicht nötig.“ Bronwyn entrollte den auf vergilbtem Pergament geschriebenen Kontrakt. Er war in der Schrift und Sprache der Dämonen verfasst. Seit Devlin sie mit dem „Zauber der Zungen“ belegt hatte, konnte sie jede Sprache, mit der sie konfrontiert wurde, lesen und sprechen. Deshalb bereitete ihr die, in der der Kontrakt verfasst war, nicht das geringste Problem.

Der Text war für einen Vertrag relativ kurz. Als Erstes ließ er keinen Zweifel darüber, dass die Kanzlei nicht nur für Bronwyn arbeitete, sie gehörte ihr vollständig. Genau genommen war jeder Mitarbeiter ihr Angestellter, einschließlich der vier Seniorpartner. Er verpflichtete außerdem die Unterzeichnenden – Turnbull, Coulter, Stavros und Blaylock, die Vorfahren der heutigen Namensgeber der Kanzlei – und alle ihre Nachfolger, Mokaryon und der künftigen Königin Marlandra, die in 175 Jahren am 21. September geboren werden würde, loyal zu dienen und das weltliche Vermögen nicht nur zu verwalten, sondern auch bestmöglich zu investieren und zu vermehren. Dafür erhielten sie jedes Jahr ein Prozent vom erwirtschafteten Gewinn. In Anbetracht der Vermögenssumme, die Bronwyn gerade erfahren hatte, mussten alle vier Multimillionäre sein. Kein Wunder, dass sie bestrebt waren, alles zu tun, um den Vertrag buchstabengetreu zu erfüllen.

Außerdem musste immer mindestens ein Abkömmling oder naher Verwandter der ersten vier Anwälte in die Fußstapfen seines Vorgängers oder seiner Vorgängerin in der Kanzlei treten und dessen Arbeit fortsetzen. Ferner verpflichteten sie sich, ausschließlich Gehilfen einzustellen, die bereit waren, Dämonen zu dienen und die außerdem absolutes Stillschweigen bewahren konnten. Die Kanzlei musste dafür sorgen, dass Mokaryons jeweiliger weltlicher Wohnsitz ständig bewohnbar gehalten wurde und zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Transportmittel für ihn bereitstand. Der wichtigste Punkt war, dass jeder Mitarbeiter der Kanzlei Mokaryons wahre Identität und später die der Königin Marlandra – Bronwyn – geheimzuhalten und um jeden Preis zu schützen hatte.

Die Strafe, die nicht nur den vier Partnern, sondern auch jedem Angestellten drohte, sollte auch nur ein Punkt des Vertrages nicht eingehalten werden, war entsprechend drastisch. Jeder Schuldige würde nicht nur alles verlieren, was er durch Mokaryon erhalten hatte, sondern mitsamt seiner Familie und sämtlichen näheren und fernen Angehörigen eines grausamen Todes sterben. Ein weiterer Grund für die Anwälte, größte Sorgfalt walten zu lassen, damit der Vertrag nicht gebrochen wurde.

Und er war mit Blut unterzeichnet.

Bronwyn blickte die vier Anwälte an, die mit gespannten und besorgten Gesichtern auf ihre Entscheidung warteten. Sollte sie sich entscheiden, den Vertrag aufzukündigen, verloren sie alles, da ein magisch besiegeltes Post Scriptum eben das vorsah, falls Mokaryon oder Bronwyn ihre Dienste nicht mehr wollten. Ein weiterer Grund, weshalb ihr biologischer Vater ihr von Herzen unsympathisch war. Ebenso wie die vier Anwälte, die nur auf ihren eigenen Vorteil aus waren.

Da sie aber in dem Bewusstsein für Mokaryon gearbeitet hatten, dass sie einem leibhaftigen Dämon und dessen Zielen dienten, hielt Bronwyn es nicht für klug, ihnen zu offenbaren, dass diese Ziele sich ganz und gar nicht mit ihren eigenen deckten. Sie warf erneut einen Blick auf den Kontrakt. Dort stand nichts darüber festgeschrieben, was passierte, wenn die andere Seite – in diesem Fall Bronwyn – ihn brach. Wie sie Mokaryon einschätzte, hatte er sich selbstverständlich das einseitige Recht eingeräumt, den Vertrag ohne Folgen für sich selbst und Bronwyn aufzukündigen. Aber sie wollte nicht die Probe aufs Exempel machen. Noch nicht.

Außerdem, so ungern sie das auch zugab, die Ressourcen, über die sie jetzt verfügen konnte, waren nicht nur nützlich, sondern lösten auch einen Teil ihrer gegenwärtigen Probleme. Zumindest die weltlichen. Und wie Devlin schon gesagt – vielmehr an ihre Adresse gedacht – hatte, konnte sie sich überlegen, wie sie ihr Erbe einsetzte, falls sie nach der Wintersonnenwende in fünfundfünfzig Tagen noch lebte.

Sie reichte Turnbull die Schriftrolle. „Da Sie den Kontrakt offenbar buchstabengetreu erfüllt haben, sehe ich keinen Grund, ihn aufzulösen.“

Erleichterung malte sich auf den Gesichtern der vier Anwälte.

„Vielen Dank, Miss Kelley.“ Turnbull verbeugte sich. „Wir wissen Ihr Vertrauen sehr zu schätzen. Da wir von unserer Seite aus hier fertig sind, würde ich Sie gern den übrigen Mitarbeitern vorstellen. Es sei denn, Sie haben andere Pläne.“

„Nein. Und danach will ich das – mein Haus beziehen.“

„Sie werden es in bestem Zustand vorfinden.“

Bronwyn erhob sich, hängte sich den Schlüssel um den Hals und steckte das Smartphone ein. „Steht einer der – meiner Jets zur Verfügung?“

„Selbstverständlich. Sie können ihn benutzen, sobald er eine Startfreigabe bekommt. Da Ihre Jets auf der ganzen Welt bevorzugt abgefertigt werden, könnten Sie theoretisch gleich zum Flughafen fahren und sofort starten.“

„Ganz so eilig habe ich es nicht. Er soll sich morgen für einen Flug nach Indien bereithalten.“

„Wir wollen das Diwali-Fest besuchen“, ergänzte Devlin und legte den Arm um Bronwyns Schultern. „Das beginnt in ein paar Tagen und ist ein kurzweiliger Zeitvertreib.“

Er sagte das in einem Ton, als würde er jeden Tag mal eben für ein kurzes Vergnügen nach Indien jetten. Bronwyn fragte sich, wie oft er das tatsächlich schon getan hatte. Sie wünschte sich, die Reise würde wirklich nur ihrem Zeitvertreib dienen. Leider hing von ihr, vielmehr ihrem Erfolg, wahrscheinlich ihr beider Leben ab und stand noch sehr viel mehr auf dem Spiel.

Sie folgte den Anwälten ins Erdgeschoss, wo sie in einen großen Konferenzraum geleitet wurde, der die Ausmaße des Vortragssaals einer Universität besaß und nach Bronwyns Schätzung über hundert Leuten Platz bot. Von der dortigen Kommunikationsstation tätigte Turnbull einen in jeden Raum im Gebäude übertragenen Signalton, während Jennifer Blaylock Bronwyn einen Sessel am etwas erhöhten Fronttisch zurechtrückte und ihr ein neues Glas Wasser einschenkte. Devlin setzte sich neben sie, und Gressyl nahm seine übliche Position schräg hinter ihr ein.

Nur wenige Sekunden nach dem Signalton betraten die ersten Angestellten den Raum. Sie warfen Bronwyn neugierige und ehrfürchtige Blicke zu, während sie sich versammelten. Offensichtlich hatte es sich schon herumgesprochen, dass „die Königin“ gekommen war. Keine drei Minuten später war das gesamte Personal versammelt. Die Leute mussten das, womit sie beschäftigt gewesen waren, als das Signal ertönte, buchstäblich stehen- und liegengelassen haben. Demnach hockte jetzt so mancher Klient unter irgendeinem Vorwand schnöde verlassen in einem verwaisten Büro. Auch das zeigte Bronwyn, welchen Stellenwert sie für jeden Einzelnen der hier Angestellten besaß.

Turnbull stellte sie knapp als Königin Marlandra alias Bronwyn Kelley vor, „auf die wir so lange gewartet haben“, und betonte, dass sie alle nur dazu da seien, ihr zu dienen. „Wenn Sie ein paar Worte sagen möchten, Miss Kelley?“