Dämonenerbe 1

 

Erweckung

 

 

 

Mara Laue

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Prolog

 

Fairview Hospital, Cleveland, Ohio – 1979

 

„Warum ausgerechnet sie?“

Obwohl Schwester Hilary flüsterte, verstand Valerie Sawyer jedes Wort.

„Können wir uns wirklich sicher sein, dass es ihr Kind ist, das …“

Eine neue Wehe ließ Valerie aufschreien. „Was ist mit meinem Kind?“, keuchte sie, nachdem der Schmerz nachgelassen hatte.

„Alles in Ordnung, Miss Sawyer“, versicherte Dr. Moses. Der schwarze Arzt tätschelte ihr beruhigend die Schulter. „Sie haben es gleich geschafft. Nur noch ein paar Minuten, und Sie halten das Wunder Ihres Lebens in den Armen.“

Auch wenn er ihr das nur für wenige Augenblicke gestatten konnte, denn ihr Kind wurde von vielen Leuten auf der ganzen Welt sehnlichst erwartet – jedoch nicht unbedingt freudig. Was der werdenden Mutter nicht bewusst war, wie Ambalo Moses festgestellt hatte. Genau genommen wusste sie überhaupt nichts von den Zusammenhängen. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, dass sie einer uralten Blutlinie entstammte und nur deswegen auserwählt worden war, dieses besondere Kind zu gebären. Der Prophezeiung gemäß würde es exakt um Mitternacht zur Welt kommen.

Dieses Wissen war nur wenigen Eingeweihten aus dem Inneren Zirkel bekannt. Im Gegensatz zu Dr. Moses gehörte Schwester Hilary zum Ersten Äußeren Zirkel und bekleidete wie ihre Kollegin Schwester Grace, die ebenfalls bei der Geburt assistierte, das Amt einer Gehilfin. Deshalb hegte sie gewisse Zweifel hinsichtlich der Identität der Mutter und ihres Kindes.

Dr. Moses warf einen Blick auf die Wanduhr. Sieben Minuten vor Mitternacht. Gleich war es so weit. Eine Bewegung neben der Tür ließ ihn den Kopf wenden. Er hatte den wartenden Boten beinahe vergessen, der stumm und mit untergeschlagenen Armen in der breitbeinigen Haltung eines kampfbereiten Wächters das Geschehen verfolgte.

„Ja, Schwester Hilary, es ist dieses Kind“, bestätigte er seiner Assistentin flüsternd, als Valerie Sawyer von der nächsten Wehe gepackt wurde. „Sonst wäre er nicht hier.“ Er nickte zu dem Mann an der Tür hinüber.

Valerie brüllte, als die nächste Wehe kam.

„Pressen!“, befahl Dr. Moses. „Es kommt! Ich kann schon das Köpfchen sehen.“

Er bemerkte, dass der Mann an der Tür einen Schritt näher trat und den Hals reckte, um einen Blick auf die Gebärende werfen zu können. Sie klammerte sich an die Haltegriffe des Kreißbettes, presste und schrie, während ihr der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief. Moses sah auf die Uhr. Sechs Sekunden bis Mitternacht. Unwillkürlich hielt er den Atem an.

Drei Sekunden. Zwei. Eine.

Valerie brüllte ein letztes Mal, als das Kind aus ihr hinausglitt und von Schwester Hilary aufgefangen wurde, die es ihr sofort auf den Bauch legte. Irgendwo außerhalb des Gebäudes verklang der letzte Glockenschlag einer Kirchturmuhr, die den Beginn der Mitternachtsstunde verkündete. Schwester Grace, die schweigend ihre Handreichungen erledigte, begann mit sanften Bewegungen, den kleinen Babykörper zu massieren, während sie ihn gleichzeitig mit einem angewärmten feuchten Tuch säuberte. Das Kind wimmerte und stieß gleich darauf einen kräftigen Schrei aus. Dr. Moses atmete ebenso auf wie Valerie, die beiden Krankenschwestern und der Mann an der Tür.

„Sie haben eine Tochter, Miss Sawyer“, teilte der Arzt Valerie mit, nachdem er die Nabelschnur abgeklemmt und durchschnitten hatte. „Jetzt müssen wir Ihren kleinen Schatz leider kurz entführen, um sie zu untersuchen und zu vermessen und das ganze Brimborium. Wir beeilen uns.“

Er nahm ihr das Baby sanft aus den Armen, das Valerie nur widerstrebend losließ. Schwester Grace wischte ihr den Schweiß von der Stirn, während Schwester Hilary sie an einen Tropf anschloss und das Kreißbett wieder in eine horizontale Lage brachte.

„Geht es ihr gut? Ist alles in Ordnung?“ Valeries leise Stimme klang besorgt.

„Ruhen Sie sich ein bisschen aus, Miss Sawyer“, riet Schwester Hilary der jungen Mutter, die mit einem sehnsüchtigen und gleichzeitig glücklichen Ausdruck im Gesicht ihr Kind nicht aus den Augen ließ. „Doktor Moses ist gleich fertig mit der Untersuchung.“

„Versprochen“, bestätigte der Arzt freundlich. „Sie haben Ihre Kleine gleich wieder.“ Zufrieden sah er, dass Valerie die Augen zufielen und ihr Körper erschlaffte.

„Sie schläft, Doktor.“ Schwester Hilary stellte den Tropf neu ein, durch den das Schlafmittel in Valeries Körper gepumpt wurde. „Was ist mit dem Kind?“

Ambalo Moses antwortete nicht sofort. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme ehrfürchtig und ergriffen. „Sie ist es. Kein Zweifel.“

Schwester Hilary trat zu ihm und blickte ihm über die Schulter. Dr. Moses hatte das Baby vollständig gesäubert. Dadurch war auf der Brust des Kindes ein Muttermal sichtbar geworden, nicht größer als ein Vierteldollar, rund und schwarz mit dem erkennbaren Muster einer fremdartigen Glyphe unter einem roten Auge, das äußerst lebendig wirkte.

„Schnell, Schwester“, drängte der Arzt. „Die Transporttasche!“

Schwester Hilary riss sich von dem Anblick los und holte die Tasche aus ihrem Versteck im Instrumentenschrank, während Dr. Moses das Baby, das sich ungewöhnlich still verhielt, in warme Tücher wickelte. Er legte einen Finger auf das Muttermal, fuhr mit gegen den Uhrzeigersinn kreisenden Bewegungen darüber, als wollte er es abwischen und murmelte einen Singsang in einer Sprache, die archaisch klang. Das Muttermal begann zu verblassen.

Als es vollständig verschwunden war, schlug das Kind die Augen auf – unnatürlich grüne Augen – und sah den Arzt an. In diesem Blick offenbarte sich eine Seele, die so alt war wie die Menschheit und ein Wissen, das jenseits aller menschlichen Erfahrung lag. Dr. Moses fühlte den Blick des Kindes bis auf den Grund seiner Seele dringen.

Gleichzeitig empfand er eine Mischung aus Ehrfurcht und Unbehagen und war froh, als er das kleine Mädchen in die Transporttasche legen und dem Mann übergeben konnte, der ungeduldig an den Tisch getreten war, auf dem das Kind lag. So groß das Wunder dieser Geburt auch war – für Dr. Moses wie auch für die ganze Welt –, so unheimlich war ihm dieses Kind, das nicht vollständig menschlich war.

„Beeilen Sie sich“, drängte er den Mann unnötigerweise und sah erneut auf die Uhr. Fünf Minuten nach Mitternacht. „Sie werden jeden Moment hier sein.“

Der Mann ergriff die Tasche, nickte dem Arzt und den Schwestern zu und verließ eilends den Kreißsaal. Das Kind, das hätte weinen, schreien, nach Mutterwärme und Nahrung verlangen müssen, gab keinen Laut von sich, als wüsste es, dass eben davon sein Leben abhing. Dr. Moses hätte sich nicht gewundert, wenn ihm das tatsächlich bewusst war.

„Wir werden jetzt die Nachgeburt aus der Gebärmutter entfernen“, ordnete er an. „Sobald Miss Sawyer wieder aufwacht, werden wir ihr die traurige Nachricht mitteilen, dass ihr Kind nicht lebensfähig war.“

„Arme Frau.“

Dr. Moses empfand ebenso wie Schwester Hilary tiefes Mitgefühl für Valerie Sawyer, obwohl er wusste, dass es so am besten war. Noch besser wäre es gewesen, wenn sie sich gar nicht daran erinnert hätte, überhaupt ein Kind zur Welt gebracht zu haben.

„Doktor, kennen Sie nicht irgendeinen Juju, oder wie das bei Ihren Leuten heißt, mit dem Sie die Frau ihre Schwangerschaft vergessen lassen können?“, fragte Schwester Hilary, der offensichtlich derselbe Gedanke gekommen war.

„Das heißt bei ‚meinen Leuten’ wanga“, erklärte der Afroamerikaner mit den haitianischen Wurzeln. „Allerdings besitzt die Kraft der wanga nicht die Macht, eine Mutter die Geburt ihres Kindes vergessen zu lassen. Zumindest wir Menschen haben diese Macht nicht. Bedauerlicherweise.“

Die Tür zum Kreißsaal flog krachend auf. Vier Männer drängten herein, schoben Schwester Grace, die die Instrumente reinigte, rüde zur Seite und drängten sich zum Bett vor. Mit ihren altertümlich anmutenden schwarzen Gewändern und den ebenfalls schwarzen Kapuzenumhängen wirkten sie so bedrohlich wie Nazgûl, die Ringgeister aus Tolkiens Herr der Ringe.

„Raus!“, forderte Dr. Moses dennoch furchtlos. „Das hier ist ein Kreißsaal, und Sie sind nicht steril.“

Einer der Männer – Mönche – packte ihn an der Kehle, während seine Brüder sämtliche Schränke aufrissen und durchwühlten. „Wo ist es?“

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, stieß der Arzt heiser hervor. „Ich muss mich um meine Patientin kümmern, die …“

„Wo ist das Kind?“

„Es war eine Fehlgeburt“, kam Schwester Hilary Dr. Moses kaltblütig zu Hilfe. „Wir müssen die Nachgeburt entfernen, sonst …“

Ein anderer Mönch stieß sie brutal gegen die Wand, dass ihr Kopf dagegen krachte. Schwester Hilary stöhnte auf und presste die Hand auf die schmerzende Stelle. Der Mönch beugte sich über die bewusstlose Valerie. „Von der erfahren wir nichts“, stellte er enttäuscht fest und blickte Schwester Hilary drohend an. „Wo ist das Kind?“

„Wir haben keine Ahnung, und das ist die Wahrheit.“

Denn was sie nicht wussten, konnten sie auch unter Folter nicht verraten. Aus genau diesem Grund kannte niemand den Namen des Boten, der sich nur mit einem Codewort legitimiert hatte, und erst recht nicht sein Ziel.

„Das stimmt“, krächzte Dr. Moses und versuchte vergeblich, den Klammergriff des Mönchs um seinen Hals zu lockern. Doch so sehr er auch an dessen Fingern zerrte, der Mann ließ ihn nicht los. „Wir wissen nichts.“

„Es ist nicht mehr hier“, meldete einer der anderen Brüder, nachdem er den letzten Schrank durchsucht hatte.

Der Vierte checkte das am Kreißbett befestigte Krankenblatt. „Totgeburt, missgebildet, Geschlecht nicht erkennbar“, las er Dr. Moses’ Eintragung vor und gab einen verächtlichen Laut von sich. „Raffiniert eingefädelt. Aber darauf fallen wir nicht rein.“

Der andere Mönch ließ von Dr. Moses ab und sah sich um. An der Wand entdeckte er ein Telefon und ging hinüber, um zu prüfen, ob es eine Leitung nach draußen hatte. Als er das bestätigt fand, rief er das Kloster an. „Wir sind zu spät gekommen. Sie haben es schon weggebracht“, teilte er dem Abt mit vor unterdrückter Wut und Enttäuschung zitternder Stimme mit, in die sich ein Hauch beginnender Verzweiflung mischte. „Aber sie können noch nicht weit sein. Wir werden die Eingänge bewachen und das Haus durchsuchen. Es muss noch hier sein.“

Er hängte den Hörer wieder ein und warf dem Arzt und den beiden Schwestern einen vernichtenden Blick zu. „Ich bin beinahe versucht zu sagen, dass Sie nicht wissen, was Sie getan haben. Doch Sie wissen nur allzu genau, was der Welt blüht, wenn dieses Kind am Leben bleibt. Trotzdem verstecken Sie es und spielen den Anderen dadurch in die Hände. Glauben Sie ernsthaft, dass Sie die Höllenbrut vor ihnen verbergen können?“

„Da sind wir zuversichtlich“, antwortete Dr. Moses. „Und Ihr Killerkommando wird es auch nicht finden. Jetzt verschwinden Sie endlich. Es sei denn, Sie wollen, dass die Mutter stirbt – Sie, die rechtschaffenen Männer Gottes.“ Er schürzte verächtlich die Lippen.

„Besser wäre es für sie“, stellte der Mönch mitleidlos fest. „In früheren Zeiten hätte man sie als Teufelshure auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“

„Raus!“, fauchte der Arzt und riss sich die Latexhandschuhe von den Händen, mit denen er den Mönch berührt hatte. „Schwester Grace, ich brauche neue sterile Handschuhe.“

Die Mönche warfen ihm und den Schwestern Blicke tiefster Verachtung zu.

„Sie sind verdammt“, war der Wortführer überzeugt. „Sie alle. Und wenn wir das Kind nicht finden und töten, ist das dank Ihnen auch die Menschheit. Ich hoffe, Sie werden mit dem Wissen leben können.“

Die vier Mönche verließen endlich den Raum, und der Arzt wandte sich seiner bewusstlosen Patientin zu.

 

*

 

Der Bote hatte es nicht geschafft, das Krankenhaus mit dem Kind zu verlassen, bevor die Mönche hereingestürmt kamen und die Ausgänge besetzten, während vier ihrer Brüder zum Kreißsaal liefen. Den Gesprächsfetzen nach warteten draußen noch mehr von ihnen und hielten die Ausfahrt des Parkplatzes wie auch die der Tiefgarage besetzt. Der Mann betrat ohne jede Hast die Wartezone der Notfallambulanz, auf deren Höhe er sich gerade befand, und gesellte sich kaltblütig zu einem jungen Geschwisterpaar, das am dortigen Empfang Formalitäten für seine Mutter regelte, die sich schon im OP befand. Er lehnte sich dicht genug an sie heran, um für einen unbefangenen Beobachter den Eindruck zu erwecken, er gehörte zu ihnen, aber nicht dicht genug, dass sie seine Nähe als aufdringlich empfanden und ihm deshalb irgendwelche Aufmerksamkeit schenkten.

Er fühlte, wie sich auf seiner Stirn Schweiß bildete, und musste sich beherrschen, diesen nicht abzuwischen. Das hätte womöglich Aufmerksamkeit erregt, denn hier war es nicht besonders warm. Sein Instinkt drängte ihn zur sofortigen Flucht, und es kostete ihn Mühe, diesen Impuls zu beherrschen. Seine Anspannung ließ ihn innerlich zittern, und er betete stumm zu den alten Göttern, die er und seinesgleichen verehrten, dass sich das Kind in der Tasche weiterhin so still verhielt wie bisher. Gäbe es nur einen einzigen Laut von sich, wäre alles aus.

Als die jungen Leute schließlich in einer Ecke Platz nahmen, um das Ergebnis der Notoperation ihrer Mutter abzuwarten, setzte er sich zu ihnen und stellte die Tasche, in der das Baby lag, neben seinem Stuhl ab. Die Zeit brannte ihm immer mehr unter den Nägeln. Ein Blick zum Ausgang zeigte ihm jedoch, dass er nicht an den dort wartenden drei Mönchen vorbeikäme, ohne von ihnen kontrolliert zu werden. Zwar hatte er eine Waffe bei sich, aber die durfte er hier im Krankenhaus nur im äußersten Notfall benutzen. Die Klinik war videoüberwacht, und er hätte im Fall einer Schießerei augenblicklich die Cops auf den Fersen. Vorausgesetzt, es wäre ihm gelungen, an der Übermacht der Mönche vorbei das Hospital zu verlassen.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass sein kostbarer Schützling sich weiterhin so mustergültig ruhig verhielt. Er nahm eine Zeitschrift zur Hand und gab vor, sie zu lesen, blätterte aber nur mechanisch nach einer gewissen Zeit immer wieder die Seiten um, ohne auf den Text zu achten. Seine Sinne konzentrierten sich auf die Mönche, die vom Personal und dem Sicherheitsdienst nicht weiter beachtet wurden. Offenbar hielt man sie für Mitglieder irgendeiner christlichen Organisation, die nächstenliebend den Patienten Trost spendete. Schließlich verhielten sie sich entsprechend und gaben durch nichts zu erkennen, dass sie in Wahrheit ganz andere Pläne verfolgten. Oder sie hatten sich in einer Weise legitimiert, dass man ihnen uneingeschränkten Zugang gestattete.

Der Bote blickte wie die anderen Wartenden kurz auf, als einer der Mönche die Wartezone betrat und sich suchend umsah, ehe er sein Gesicht scheinbar desinteressiert wieder hinter der Zeitschrift verbarg. Sicherheitshalber legte er jedoch die Hand auf die Pistole in seiner Jackentasche. Er hatte nicht die geringsten Skrupel, sie zu benutzen, wenn es sein musste. Als Ex-Söldner war ihm der Tod vertraut, und die Sicherheit des Kindes rechtfertigte es, über die Leichen dieser Mönche zu gehen.

Der Mönch, der die Wartezone betreten hatte, konnte sich offenbar nicht vorstellen, dass der Bote so abgebrüht sein könnte und in der Notfallambulanz Zeitschrift las, statt alles zu versuchen, mit seiner kostbaren Fracht aus dem Gebäude zu kommen. Deshalb kam ihm gar nicht der Gedanke, dass der Mann mit der unscheinbaren Tasche neben sich derjenige sein könnte, den sie suchten. Er trat an den Tresen.

„Haben Sie eine Frau oder einen Mann mit einem Baby gesehen?“, fragte er die dort sitzende Schwester, die gerade ein Telefonat beendet hatte.

„Nein, Sir. Die gynäkologische Abteilung ist im zweiten Stock.“

Der Mönch drehte sich wortlos um und kehrte zu seinen Brüdern zurück, die immer noch vor dem Eingang standen.

„Nichts“, hörte der Bote ihn sagen. „Wie es aussieht, sind wir zu spät gekommen.“

Ein paar Minuten später kehrten auch die anderen Mönche von ihrer Suche zurück. Sie waren sichtbar frustriert über den Fehlschlag. Wie der Bote den Worten entnehmen konnte, die er aufschnappte, hatten sie das gesamte Haus durchsucht und waren sogar bis zu den Operationssälen vorgedrungen.

„Verdammt, sie waren schneller als wir“, knurrte einer. „Hätte Bruder Michael nicht ein bisschen früher herausfinden können, dass diese Klinik der Geburtsort ist? Wozu ist er mit seiner Gabe gesegnet?“

„Nicht so laut, Bruder Nathaniel“, mahnte ein anderer und sah sich vorsichtig um, ob ihr Gespräch unerwünschte Aufmerksamkeit erregte. „Bruder Michael ist noch jung, und seine Gabe hat sich noch nicht voll entfaltet.“

Dem Boten und den Leuten, für die er arbeitete, war bewusst, dass auch die Mönche genug von Astronomie verstanden, um anhand der Sternenkonstellation des heutigen Tages schon vor Monaten berechnet zu haben, dass eins der beiden Kinder in Cleveland zur Welt kommen würde. An dem vorausberechneten Tag – heute – brauchte nur noch einer ihrer Seher mit seiner Gabe den genauen Ort herauszufinden.

Bedauerlicherweise begann die dem Kind innewohnende Macht etwa drei Stunden vor der Geburt, mit der Welt außerhalb des Mutterleibs Kontakt aufzunehmen. Diese Kraft sandte Schwingungen im metaphysischen Bereich aus, die ein Mensch mit der entsprechenden seherischen Begabung wahrnehmen und lokalisieren konnte. Zum Glück war diese Kraft an das Mal des Kindes gebunden und ihre Ausstrahlung erloschen, als Dr. Moses es mit seiner wanga verborgen hatte. Gepriesen seien die Götter für diesen kompetenten Voodoo-Priester! Andernfalls wäre der Bote wohl längst ebenso tot wie das Kind in der Tasche. Womit die Mönche endgültig gesiegt hätten.

Letzteres war zwar auch im Sinn der Hüter der Waage, für die er das Kind in Sicherheit brachte. Doch sie waren keine Mörder und würden kein unschuldiges Neugeborenes töten; erst recht nicht, wenn es noch andere, unblutige Möglichkeiten gab, zu verhindern, dass die Prophezeiung erfüllt wurde.

„Ich versuche, an die Überwachungsbänder heranzukommen“, sagte der Mönch, der Bruder Nathaniel gerügt hatte. „Auf irgendeinem muss jemand zu sehen sein, der ein Kind trägt oder eine auffallend große Tasche und es eilig hat.“

Der Bote schloss für einen Moment die Augen und war versucht, aufzustehen und irgendwie zu versuchen, aus dem Gebäude zu kommen. Sobald die Mönche die Überwachungsbänder sichteten, würden sie ihn entdecken, seinen Weg in diese Wartezone verfolgen und ihn finden.

Einer der Mönche kam erneut heran und musterte die Wartenden. Das Geschwisterpaar blickte zu ihm hin, und das tat auch der Bote. Der Mönch warf einen Blick auf die Tasche an seiner Seite und trat einen Schritt näher. Der Bote entsicherte die Pistole in seiner Jacke, während er äußerlich vollkommen gelassen blieb. Der Mönch blickte den Boten an, wieder die Tasche und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu.

Die Tür zum Notfall-OP wurde geöffnet, und ein junger Arzt kam heraus. Die Geschwister sprangen von ihren Stühlen auf und eilten ihm entgegen. Der Bote tat es ihnen nach, warf die Zeitschrift auf den Tisch und ließ die Tasche mit dem Baby unbeachtet stehen. Er konnte nur hoffen, dass das den Ordensbruder überzeugte, dass sich in der Tasche nur Kleidung befand. Wenn der Mönch trotzdem die Gelegenheit nutzte und hineinsah …

Scheinbar gespannt hörte er sich an, was der Arzt den Geschwistern über die Verletzung ihrer Mutter berichtete, während er aus den Augenwinkeln den Mönch beobachtete, dessen Blicke ihn wie Dolchstiche durchbohrten. Er packte die Pistole fester, bereit, sie augenblicklich zu gebrauchen, sollte der Mönch sich der Tasche noch weiter nähern.

Doch den hatte seine Show offenbar überzeugt, dass er zu den jungen Leuten gehörte; war er doch Latino wie sie. Nach einer gefühlten Ewigkeit drehte sich der Mönch um und ging zu seinen Brüdern zurück. Der Bote stieß kaum hörbar die Luft aus und schloss für einen Moment erleichtert die Augen, ehe er sich eine Weile später wieder auf seinen Platz setzte. Er bemerkte, dass der Mönch, der sich die Überwachungsaufnahmen hatte ansehen wollen, zurückkehrte.

„Nichts!“, teilte er den anderen frustriert mit. „Ausgerechnet die Kameras im fraglichen Teil des Gebäudes sind defekt.“

Oh, Doktor Moses, Sie sind ein wahrhaft genialer Voodoozauberer!, lobte der Bote den Arzt in Gedanken. Er zweifelte nicht daran, dass er diesen überaus vorteilhaften Ausfall sämtlicher relevanten Kameras dem schwarzen Arzt zu verdanken hatte.

„Wer immer das Kind geholt hat, ist höchstwahrscheinlich längst weg“, war der Mönch überzeugt und fügte wütend hinzu: „Wir sind zu spät gekommen. Wahrscheinlich nur um Sekunden, aber zu spät.“ Er schüttelte den Kopf in einer Art, die verzweifelt wirkte. Kein Wunder, wenn man bedachte, was für sie und genau genommen auch für die Menschheit auf dem Spiel stand. „Ich habe allerdings die Kennzeichen von ein paar Wagen, die den Parkplatz und das Parkhaus in der fraglichen Zeit verlassen haben. Mit etwas Glück können unsere Spezialisten damit was anfangen.“

Die Mönche verließen endlich die Klinik, und der Bote atmete auf. Trotzdem wartete er noch eine halbe Stunde, bis er sicher war, dass draußen keiner der Schwarzen Brüder mehr lauerte. Danach nahm er die Tasche auf und ging in die Tiefgarage, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Das Baby hatte bis jetzt keinen Mucks von sich gegeben. Seine nichtmenschliche Hälfte spürte wohl die Gefahr.

„Du hast es bald überstanden, Kleines“, flüsterte er dem Mädchen zu, als er die Tasche auf den Rücksitz stellte und den Sicherheitsgurt darum legte. „In zwei Stunden bist du in Sicherheit.“

Zumindest hoffte er das; denn die Mönche würden niemals aufhören, nach der Kleinen zu suchen. Andere, noch viel schlimmere Leute, ebenfalls nicht.

 

*

 

Blut. Krankheit. Angst. Schmerz. Tod.

Gressyl sog diese betörenden Düfte in sich ein, während er unsichtbar durch die Korridore des Fairview Hospitals ging. Für einen Dämon rochen sie so anregend wie Parfüm für Menschen. Sein Genuss wurde jedoch durch das Bewusstsein getrübt, dass er zu spät gekommen und das Kind nicht mehr hier war. Wenige Minuten nur zu spät, aber die hatten genügt, um das Muttermal des Babys mit einem Zauber zu verdecken. Dadurch wurde der magische Geruch des Kindes für seine Sinne ausgelöscht. Er würde ihn mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften nicht wiederfinden, bis sich das Mal zur vorbestimmten Zeit erneut zeigte. Und natürlich hatten sie das Kind sofort danach weggeschafft. Dass die Person, die es mitgenommen hatte, ebenfalls keine magische Duftspur absonderte, wunderte ihn nicht.

Das galt jedoch nicht für den Geruch des Arztes, der Mutter und der beiden Schwestern, die der Geburt beigewohnt hatten. Von einem von ihnen würde Gressyl erfahren, wohin das Kind gebracht wurde. Er bewegte sich wie ein Todesschatten durch das Krankenhaus und wich den schwarzgekleideten Mönchen aus, die ebenfalls nach dem Kind suchten und zunehmend verzweifelter wurden, weil sie erkennen mussten, dass es nicht mehr hier war. Bevor sie auf den Gedanken kamen, den Aufenthaltsort des Kindes aus denjenigen herauszufoltern, die ihn kennen mussten, würde Gressyl sich diese Information geholt haben.

Er fand alle vier Gesuchten noch im Kreißsaal. Nur der Arzt merkte, dass ein unsichtbarer Dämon den Raum betreten hatte, und auch er spürte es viel zu spät. Ehe einem von ihnen bewusst wurde, was mit ihnen geschah, riss Gressyl die Erinnerungen aus ihrem Bewusstsein heraus. Dass er mit seiner Magie ihre Gehirne schädigte und sie tötete, interessierte ihn nicht. Da im Krankenblatt der Mutter bereits eingetragen war, dass deren Kind tot zur Welt kam, verlor sich mit dem Tod aller Zeugen seiner Geburt bequemerweise jede profane Spur, die zu dem Baby hätte führen können. Gressyl musste jedoch enttäuscht feststellen, dass keiner der vier Menschen auch nur die geringste Ahnung vom Verbleib des Kindes hatte. Sie kannten nicht einmal den Namen des Boten oder wussten, woher er gekommen war, geschweige denn, wohin er den Säugling bringen würde. Wenigstens hatten sie das Kind dem Zugriff der Mönche entziehen können und es war demnach am Leben. Etwas anderes zählte im Moment nicht. Er verschwand aus dem Krankenhaus so ungesehen, wie er gekommen war, vorbei an der Notaufnahme, in deren Wartezone drei Latinos mit einer großen Tasche neben sich saßen und vorbei an frustrierten Mönchen, die immer noch verzweifelt nach dem Baby suchten.

Gressyl hätte eine andere Fortbewegung wählen und einfach verschwinden können. Aber er wollte die Düfte nach Tod noch so lange wie möglich genießen. Wenig später erstattete er seinem Auftraggeber ganz profan aus einer Telefonzelle Bericht.

„Das Kind ist weg. Sie haben es magisch geschützt, ebenso den Boten, der es abgeholt hat. Aber es lebt noch.“

„Das ist das Wichtigste“, antwortete sein Gesprächpartner zu Gressyls Erleichterung. Denn hätte er ihm die Schuld gegeben, dass er nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen war, um das Kind an sich zu nehmen, er hätte die Nacht auf grausame Weise nicht überlebt. „Wenn wir es nicht finden können, gelingt das auch den Mönchen nicht. Wir können uns also in aller Ruhe auf die Zeit vorbereiten, wenn die Kräfte der Kleinen erwachen. Danach gehört sie uns.“

 

*

 

Anderswo – fünf Minuten vor Mitternacht

 

Reya lachte, als eine neue Wehe sie packte, und warf ihr schwarzes Haar mit einer lasziven Kopfbewegung zurück, dass es für einen Moment wie das Flattern eines Feldermausflügels wirkte. Tief sog sie die Schwaden des berauschenden Weihrauchs, der den fensterlosen Raum mit Nebel erfüllte, in ihre Lunge. Während ihre linke Hand ihren hochschwangeren Leib streichelte, fuhren die Finger der rechten durch das Haar des Menschen, der nackt neben dem Bett auf dem Boden kniete und die Geburt seines Kindes erwartete.

Er war der Auserwählte, der dieses besondere Kind gezeugt hatte. Als Belohnung dafür hatte er ein Jahr lang das Leben eines Königs führen können, dem die ganze Welt zu Füßen lag. Nun war er das Opfer, das dem rechtmäßigen Herrscher zum Eintritt in die Welt und später zu seiner Macht verhalf.

Die nächste Wehe kam, doch Reya empfand keine Schmerzen. Sie gab Laute höchster sexueller Ekstase von sich, denn die bevorstehende Geburt ließ sie eben die intensiv empfinden. Geburten gingen für Dämonen so leicht vonstatten wie Händewaschen. Der Mann zu ihren Füßen lächelte und legte eine Hand auf ihren Bauch, der von den flackernden Flammen in den um das Bett verteilten Feuerschalen in ein rötliches Licht getaucht wurde.

Ihre Anhänger, die der Geburt beiwohnten, standen im Kreis um das Bett herum und stimmten einen altertümlichen Gesang an. Als die nächste Wehe kam, wurde dessen Rhythmus schneller. Obwohl es hier unten keine Uhr gab, spürte jeder, dass die Zeit näher rückte. In wenigen Sekunden war es Mitternacht. Reya nickte einer Dienerin zu, die hinter den Kindsvater trat und ihm die Hand auf den Kopf legte. In der anderen hielt sie ein Messer.

Der Gesang steigerte sich ekstatisch in Rhythmus und Lautstärke und wurde zu einem schrillen Kreischen, als die letzte Wehe kam und das Kind aus dem Mutterleib presste. Das Kreischen brach abrupt ab, als das Baby – ein Junge – die Welt mit einem kräftigen Schrei begrüßte. Die Nabelschnur löste sich von selbst vollständig auf. Reya hob ihn hoch und hielt ihn dem Vater hin, der jetzt den Kopf zurückbog, ohne die Augen von seinem Sohn zu lassen. Die Dienerin durchtrennte mit einem schnellen Schnitt seine Halsschlagader und fing das heraussprudelnde Blut in einem Kelch auf, den sie Reya reichte. Sie tauchte einen Finger in das Blut und malte damit ein Zeichen auf den Körper des Babys, ehe sie ihn ein zweites Mal in den Kelch tunkte und ein paar Tropfen Blut auf die Lippen des Kindes fallen ließ. Dessen winzige Zunge zuckte hervor und leckte das Blut auf, ehe sein Mund sich um den bluttriefenden Finger seiner Mutter schloss und behaglich daran saugte, während sein Vater tot zu Boden fiel.

Reya hob das blutgezeichnete Baby hoch über ihren Kopf und hielt es so, dass es in ihrer Hand wie auf einem Thron saß, während die andere Hand seinen Kopf stützte. Sie drehte das Kind mit dem Rücken zu den Anwesenden, sodass sie alle das Mal erkennen konnten, das zwischen seinen Schulterblättern saß und dessen oberer Teil wie ein lebendiges gelbes Auge die Menge anzusehen schien.

„Euer König!“

Die Anwesenden sanken auf die Knie und verneigten sich bis zum Boden, bevor sie einen neuen Gesang anstimmten.

„Er, der gekommen ist zu herrschen: Wir ehren ihn!

Er, der gekommen ist zu herrschen: Wir dienen ihm!

Er, der gekommen ist zu herrschen: Wir folgen ihm!

Er, der gekommen ist zu herrschen: Wir gehorchen ihm!

Er, der gekommen ist zu herrschen: Wir töten für ihn!

Er, der gekommen ist zu herrschen: Wir sterben für ihn!

Maruyandru! Maruyandru! Maruyandru!“

Sie sprangen auf und tanzten im Kreis um das Bett. Als das Kind seine unnatürlich grünen Augen öffnete und die Menge anblickte, steigerte sich der Tanz zu einer rasenden Ekstase, die sich in einer Orgie wilder Kopulationen entlud, deren Erregung Schwingungen aussandte, die Reya ebenso wie der Junge in sich aufsog und sich daran labte, bis der letzte Nachhall verklungen war.

 

 

Als sie Stunden später mit ihrem Sohn auf dem Arm die Stätte seiner Geburt verließ, blieb ein Raum voller Leichen zurück. Für wenige Minuten, bis ein Reinigungszauber jede Spur dessen tilgte, was hier stattgefunden hatte.

 

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erweckung

Dämonenerbe 1

Mara Laue

 

© 2018 vss-verlag, 60389 Frankfurt

Covergestaltung: Sabrina Gleichmann

Korrektorat: Hermann Schladt

 

 

Kapitel 1

 

Owenton, Kentucky – 21. September 2012

 

Devlin Blake hielt in dem Pinselstrich inne, mit dem er die rote Farbe auf die Leinwand auftragen wollte. Etwas berührte seinen Geist, zart und federleicht wie die Fühler eines Schmetterlings. Nur für einen Moment spürbar, dann wieder fort. Dennoch jagte ihm der flüchtige Kontakt einen Schauder über den Körper, obwohl er ihn erwartet hatte. Die Uhr zeigte eine Minute nach Mitternacht des 21. Septembers – die Stunde von Devlins Geburt und ihrer, deren Erwachen er gerade gespürt hatte. Die Zeit war gekommen.

Eine machtvolle Präsenz tauchte unvermittelt hinter ihm auf, die zweifelsfrei seiner Mutter Reya gehörte.

„Kannst du sie fühlen, Maru?“

Er ließ die Hand mit dem Pinsel sinken und drehte sich um. „Wie oft habe ich dich gebeten, nicht unangemeldet in meinem Haus aufzutauchen? Und mich erst recht nicht beim Malen zu stören? Und da wir schon mal dabei sind: Wann wirst du endlich lernen, mich Devlin zu nennen, wie ich es will?“

Sie nahm unaufgefordert in einem Sessel Platz, schlug die Beine übereinander und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Stell dich nicht so an, Maruyandru. Du bist einer von uns und deshalb nicht den Beschränkungen des menschlichen Geistes unterworfen, dass ein kreativer Prozess nur in Ruhe und Abgeschiedenheit gedeihen kann. Also mach dir nicht diese Schwächen zu eigen.“

Das klang ausgesprochen abfällig. Devlin atmete tief durch, um sich nicht zu einer scharfen Antwort hinreißen zu lassen. Reyas endlose Vorhaltungen dieser Art waren der Grund, weshalb er nicht mehr in ihrem Haus lebte, seit er nach den menschlichen Gesetzen erwachsen war. Solange er denken konnte, hatte sie ihm vorgeworfen, dass er zu menschlich dachte, zu menschlich fühlte, zu menschlich handelte, sich zu viel in der Gesellschaft von Menschen herumtrieb und seiner dämonischen Hälfte zu wenig Raum gab. Dabei war gerade seine Menschlichkeit von essenzieller Bedeutung für das Ereignis, das in einundneunzig Tagen bevorstand und auf das die Dynastien der Py’ashk’hu und Ke’tarr’ha seit über dreitausend Jahren warteten.

„Das ist keine Schwäche, sondern eine der menschlichen Stärken, die den Dämonen fehlt. Und ich darf dich daran erinnern, wie wichtig es ist, dass ich die Menschen verstehe und mich verhalte wie sie.“

Schließlich hatte Reya ihn aus diesem Grund als Kind ganz normal auf eine Schule geschickt, war er zum Militär gegangen, hatte Philosophie und Kunst studiert und verdiente höchst erfolgreich sein Geld als Maler. Obwohl er es nicht nötig hatte zu arbeiten, denn die finanziellen Ressourcen der Py’ashk’hu, über die er als ihr Oberhaupt frei verfügen konnte, hätten ausgereicht, die ganze Welt zu kaufen. Die halbe zumindest; schließlich besaß die Ke’tarr’ha-Königin ebenso viel. Doch das Malen machte ihm Spaß, und seine Bilder verkauften sich ausgezeichnet.

„Für das Ziel, das wir anstreben, ist es wichtig, dass ich von den Menschen als einer der Ihren akzeptiert werde, Mutter.“ Die Anrede „Mutter“ brachte das Gespräch auf eine vertrauliche Ebene. Nur wenn er ihr gegenüber seine Autorität als Oberhaupt der Dynastie herausstrich, nannte er sie Reya. Was weitaus häufiger der Fall war.

Sie gab einen verächtlichen Laut von sich. „Sie brauchen dich nicht zu akzeptieren. Es genügt vollkommen, wenn sie dich und deine Gefährtin fürchten. Also, Maru, kannst du sie schon fühlen?“

„Ich habe einen ersten Kontakt gespürt.“

Sie schlug mit der Faust so hart auf die Sessellehne, dass sie zersplitterte. Mit einem ärgerlichen Laut und einem geknurrten Wort der Macht fügte sie die Splitter wieder zusammen. „Was stehst du dann noch hier und malst, statt sie in Sicherheit zu bringen? Sie ist die letzte Ke’tarr’ha. Wenn die Mönche oder die Hüter sie erwischen, haben wir verloren – für alle Zeiten!“

Ihre Stimme war mit jedem Wort lauter geworden. Die letzten brüllte sie. Sie machte eine wütende Handbewegung. Der Pinsel flog aus seiner Hand, zersplitterte an der Wand und hinterließ einen roten Fleck, der über die weiße Fläche floss, als würde die Wand bluten.

Devlin streckte die Hand aus und sprach dasselbe Wort der Macht, das seine Mutter gebraucht hatte. Eine Sekunde später lag der Pinsel unversehrt wieder in seiner Hand. Ein anderes Wort tilgte den Fleck von der Wand.

Reya sprang auf und starrte Devlin eisig an.

Er hielt ihrem Blick gelassen stand. Als Junge hatte er sich davon einschüchtern lassen. Schließlich war Reya eine jahrtausendealte Volldämonin, deren magische Macht größer war als seine, die durch seine menschliche Hälfte beschnitten wurde. Oft genug hatte sie ihre Macht benutzt, um ihn zu zwingen, sich ihrem Willen zu fügen. Bis zu dem Tag, an dem er begriffen hatte, dass sie dazu nicht das mindeste Recht besaß. Sie war zwar die Fürstin der Py’ashk’hu, die Königsmutter, die ihn zur Welt gebracht hatte und seine Statthalterin, solange er noch nicht alt genug gewesen war, die Herrschaft über seine Dynastie zu übernehmen. Doch nach den Gesetzen dämonischer Hierarchie war er der König und stand rangmäßig über ihr. Sie hatte zu tun, was er anordnete, nicht umgekehrt.

„Dies ist mein Haus, Reya, und der Einzige, der hier randalieren darf, bin ich. Muss ich dich mal wieder daran erinnern, wo dein Platz ist?“

Sie starrte ihn ein paar Sekunden strafend an, ehe sie den Blick senkte und sich wieder setzte. „Du weißt, was auf dem Spiel steht, Devlin. Wenn eure Hochzeit nicht zur Wintersonnenwende vollzogen werden kann, müssen wir im besten Fall weitere 333 Jahre warten. Falls deine Gefährtin ohne Nachkommen sterben sollte, ist es für alle Zeiten aus und vorbei. Dann kann das Tor nie wieder geöffnet werden. In Ewigkeit nicht.“

Was ganz in seinem Sinn war. Denn das Tor, das nur er und die ihm bestimmte Gefährtin gemeinsam zu öffnen vermochten, verschaffte allen Dämonen der Unterwelt ungehinderten Zutritt zur Welt der Menschen. Falls die alte Prophezeiung stimmte, würden sie beide durch die Magie des Hochzeitsrituals nicht nur ihre Dynastien vereinigen und beherrschen, sondern auch die souveräne Herrschaft über die Menschen erhalten. Letzteres vielleicht nicht mal im Sinn einer Monarchie. So wie die Menschenwelt sich in den vergangenen hundert Jahren entwickelt hatte, besaßen Wirtschaftsmagnaten eine sehr viel größere Macht als Könige.

Mithilfe der magischen Kräfte, über die sie verfügten, konnten die Py’ashk’hu und Ke’tarr’ha die Wirtschaftsmacht der ganzen Welt als Monopol an sich reißen. Devlin brauchte keine große Fantasie, um sich die Folgen auszumalen. Dämonen waren Geschöpfe des Chaos und ihre Natur, dieses Chaos zu verbreiten durch das Stiften von Unfrieden – im Großen wie im Kleinen –, die Verbreitung von Angst und Schrecken und im schlimmsten Fall durch Tod und Zerstörung. Und sei es die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage eines Individuums, einer Familie oder eines Landes. Denn abgesehen von der Todesangst war die Existenzangst bei den Menschen am stärksten ausgeprägt. Die Bedrohung der Existenz erzeugte Gewalt, von der wiederum die Dämonen profitieren würden.

Sowohl die Py’ashk’hu wie auch die Ke’tarr’ha gehörten zu jener Art von Dämonen, die Gewalt aller Art säten und sich an dem Sturm labten, den sie entfesselten; die sich daran aufgeilten, um das moderne Wort zu gebrauchen, und sich metaphysisch davon ernährten. Devlin hatte mehrfach mitbekommen, dass seine Mutter und ihre – seine – dämonischen Untertanen Menschen eben dadurch in den Tod getrieben hatten.

Auch ihm verschafften Brutalität und Gewalt einen emotionalen Kick, der seiner dämonischen Hälfte herrlich süß schmeckte, unabhängig davon, ob er sie auslebte oder nur ihr Zeuge wurde. Das begann bei der Gewalt, dass ein Kind dem anderen einen Apfel wegnahm oder dass ein der Spielsucht Verfallener im Casino seine Existenz ruinierte. Und es hörte längst nicht bei gewöhnlicher körperlicher Gewalt auf.

Er konnte die Schlägereien schon lange nicht mehr zählen, in die er verwickelt gewesen war und in die er sich immer noch gern verwickeln ließ. Als Kind hatte er jedes Mal zuerst zugeschlagen, aber sehr schnell begriffen, dass das unter Menschen verpönt war. Seitdem hatte er die Taktik zur Perfektion entwickelt, seine potenziellen Opfer zu einem Angriff zu provozieren. Auf diese Weise konnte er sich auf Notwehr berufen und bekam trotzdem das Vergnügen; und den herrlichen Geschmack der steigenden Wut seines Opfers obendrein. Allerdings geriet er manchmal in einen Gewaltrausch, der es ihm erschwerte, rechtzeitig die Grenze zu erkennen, an der er aufhören musste, wollte er seinen Gegner nicht zum Krüppel prügeln oder gar totschlagen. Inzwischen kannte er die Alarmsignale, die einem solchen Rausch vorausgingen, und hatte gelernt ihm vorzubeugen.

Dämonen wie seine Mutter waren nicht so rücksichtsvoll, da sie weder eine Seele besaßen noch zu menschlichen Gefühlen fähig waren. Aus dem Grund konnte Devlin ihnen auch nicht befehlen, die Menschen in Ruhe zu lassen, denn die Dämonen folgten lediglich ihrer Natur. Sein gewalttätiger Trieb war nur durch seine menschliche Hälfte in Schach zu halten – meistens. Das Einzige, was er tun konnte und getan hatte, war, seinen Untertanen zu befehlen, bei ihren dämonischen Aktivitäten subtil vorzugehen und sich nicht erwischen zu lassen. Schließlich gab es auch heute noch Menschen, die das Werk von Dämonen erkannten und wussten, wie man sie vernichten konnte.

Allen voran die Mönche vom Orden der Heiligen Flamme Gottes. Ihnen war es im Laufe von nur tausend Jahren gelungen, die Py’ashk’hu um knapp zwei Drittel zu dezimieren und die Ke’tarr’ha fast vollständig auszulöschen – einschließlich ihres Fürsten Mokaryon. Devlin hasste die Mönche aus tiefstem Herzen; schließlich waren sie auch hinter ihm her und sein Tod sowie der der Ke’tarr’ha-Königin ihr oberstes Ziel.

Er fühlte sich trotz seines dämonischen Erbguts als Mensch. Was nicht nur daran lag, dass er als Kind und Jugendlicher über die Hälfte seiner Zeit mit Menschen verbracht hatte und als Erwachsener noch mehr, wenn er sich nicht in sein Haus zurückzog, das einsam mitten im Wald lag. Das Blut seines menschlichen Vaters, das er unmittelbar nach seiner Geburt getrunken hatte – der erste Sinneseindruck, den er bewusst wahrgenommen hatte –, war mit dafür verantwortlich, dass er weitgehend als Mensch geprägt worden war.

Blut war ein ganz besonderer Saft, und durch das Trinken des Blutes seines Vaters waren auch dessen Erinnerungen und Wertvorstellungen größtenteils auf ihn übergegangen. Zwar war Devlin Blake senior ein Py’ashk’huni gewesen, ein Mensch, in dessen Adern ein Tropfen Dämonenblut floss. Außerdem war er in diese Gemeinschaft hineingeboren worden, die zusammen mit den Ke’tarr’hani vor über dreitausend Jahren das Tor geöffnet hatte, durch das Reya, Mokaryon und etwa hundert ihrer engsten Gefolgsleute in diese Welt gekommen waren. Doch Devlin senior hatte seine Zugehörigkeit zu den Dämonenanbetern aufgekündigt und ein Leben als engagierter Sozialarbeiter geführt. Bis Reya ihn mit Magie gezwungen hatte, als Erzeuger ihres Sohnes zu dienen, weil sein Erbgut das passendste war. Dass die Dämonen seinen Vater geopfert hatten, bestärkte Devlin darin, dass ihr Weg nicht der war, dem er folgen wollte.

Wenn es ihm möglich gewesen wäre, er hätte den Dämon in sich längst vernichtet und wäre ganz Mensch geworden. Bedauerlicherweise gab es keine Magie, die das bewirken konnte. Oder falls es sie gab, so hatte er sie noch nicht entdeckt. Jedenfalls würde er niemals zulassen, dass das Tor geöffnet wurde, um eine Horde von Dämonen auf die Welt loszulassen, die nur das Chaos kannten und nicht wie sein Zweig der Py’ashk’hu sowie die Ke’tarr’ha-Königin an das Leben unter Menschen angepasst waren.

Reya hatte recht. Wenn die letzte Ke’tarr’ha starb, konnte das Tor bis ans Ende der Zeit nicht mehr geöffnet werden, weil dafür während des Hochzeitsrituals das Blut von Py’ashk’hu und Ke’tarr’ha vergossen werden musste. Somit war der Tod der ihm unbekannten Frau die einfachste und endgültige Lösung des Problems. Seine Mutter würde toben und der Rest ihrer Dämonen ebenfalls, wenn er ihre Pläne derart durchkreuzte. Dass Reya ihn danach höchstpersönlich umbringen würde, war ihm vollkommen klar.

Allerdings hatte er nicht vor, die Ke’tarr’ha-Königin auf eine Weise zu töten, die Reya verriet, dass er der Mörder war. Das zu vermeiden würde nicht schwierig sein. Schließlich glaubte sie, dass er vollkommen auf ihrer Seite stand und es ebenfalls kaum erwarten konnte, in einundneunzig Tagen auf immer und ewig mit einer fremden Frau verheiratet zu werden. Das Gegenteil war der Fall. Selbst wenn er mit dem Ziel der Dämonen einverstanden wäre, erfüllte ihn der Gedanke, eine Unbekannte zu heiraten und bis ans Ende seiner Tage mit Körper, Herz und Seele an sie gefesselt zu sein, mit Widerwillen. Denn die Verbindung, die sie in einem besonderen magischen Ritual eingehen mussten, machte eine anschließende Scheidung unmöglich. Außerdem hatte er ohnehin nicht vor, jemals zu heiraten. Aber auch das behielt er wohlweislich für sich.

„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“, riss Reyas Stimme ihn aus seinen Gedanken.

„Selbstverständlich. Und ja, ich weiß sehr genau, was auf dem Spiel steht. Doch wie du dich erinnern wirst, dauert es nach dem Erwachen ein paar Stunden, bis sich die magischen Kräfte der Frau weit genug stabilisiert haben, dass ich sie dauerhaft fühlen kann. Was ich vorhin spürte, war nur eine flüchtige Berührung, die mir zeigte, dass der Zauber, mit dem damals ihre Magie blockiert wurde, nachzulassen beginnt. Der Moment war zu kurz, um sie zu lokalisieren.“ Er sah seiner Mutter in die Augen. „Ich werde mich um die Frau kümmern, sobald ich fühlen kann, wo sie ist.“

„Ihr Name ist Marlandra, wie du weißt.“

Devlin zuckte mit den Schultern. Da er sie töten würde, sobald er sie gefunden hatte, wollte er sich nicht unnötig mit ihrem Namen belasten. Sie als namenloses Neutrum zu betrachten, erleichterte die Sache. Er blickte seine Mutter auffordernd an, als sie keine Anstalten machte zu gehen.

„Ist sonst noch was, Mutter? Falls nicht, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du verschwinden würdest, damit ich endlich weitermalen kann.“

„Du scheinst mir nicht sehr begeistert zu sein, Maru. Devlin“, korrigierte sie sich, als er ihr einen eisigen Blick zuwarf. „Bedeutet es dir denn gar nichts, dass unser Ziel zum Greifen nahe ist? Nachdem wir über dreitausend Jahre darauf gewartet haben.“

Er schnitt eine Grimasse. „Hurra, Mutter. Sobald ich sie in Sicherheit gebracht habe, erlaube ich mir eine Prise Optimismus. Sobald das Ritual beginnt, ohne dass irgendjemand uns noch aufhalten kann, erlaube ich mir, deine Begeisterung zu teilen. Ich muss dir ja wohl nicht vor Augen führen, was bis dahin noch alles passieren kann. Die Hüter der Waage wissen, wo sie sich aufhält und werden versuchen, sie uns vor der Nase wegzuschnappen. Wenn es ihnen gelingt, sie in ihren magisch geschützten Unterschlupf zu bringen, kann nicht mal ich sie noch finden, falls bis dahin nicht schon die erste Stufe unserer Vereinigung vollzogen sein sollte. Und die Seher der Mönche werden ab heute verstärkt mit ihrer Gabe nach ihr suchen. Womit sie Erfolg haben könnten. Du selbst hast mir schließlich erzählt, dass es ihnen die letzten beiden Male trotz aller deiner Vorsichtsmaßnahmen und der der Ke’tarr’ha gelungen ist, jeweils einen Auserwählten zu töten. Es besteht also durchaus die Gefahr, dass ihnen das auch diesmal gelingt. Versuchen werden sie es jedenfalls.“

„Deshalb ist es so wichtig, dass wir Marlandra schnellstmöglich in unsere Obhut nehmen, damit sie vorbereitet werden kann.“

„Ich allein werde sie in meine Obhut nehmen, Reya. Du hältst dich da raus.“

„Was hast du vor, Ma… Devlin?“

Er fühlte ihr Misstrauen fast körperlich. Falls er vorgehabt hätte, die Frau tatsächlich für die Dämonen in Sicherheit zu bringen, wäre es vorteilhaft gewesen, sie unverzüglich in der Py’ashk’hu-Residenz unterzubringen. Die war eine magisch gesicherte Festung, in die kein Feind eindringen konnte; unter anderem, weil die Feinde bis heute nicht herausgefunden hatten, wo sie sich befand. Außerdem wurde sie von Dämonen bewacht, die jeden töteten, der unbefugt eine gewisse Grenze überschritt. Es gab keinen sichereren Ort in dieser Welt. Dämonin, die sie war, konnte sich Reya keinen vernünftigen Grund vorstellen, warum er die Frau nicht unverzüglich dorthin bringen wollte.

„Ich werde ihr schonend die Wahrheit beibringen. Das kann ich besser tun, wenn ich erst mal der Einzige mit magischen Kräften bin, den sie kennenlernt, bis sie akzeptiert hat, wer sie ist.“

Reya knurrte verächtlich. „Blödsinn! Sie ist die Ke’tarr’ha-Königin und Erbin eines unermesslichen Vermögens. Das dürfte für sie wie ein Super-Jackpot im Lotto sein.“

Typisch Dämonin. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass für einen Menschen selbst der größte Reichtum zweitrangig wurde, wenn er unvermittelt erfuhr, dass Magie und Dämonen real waren und er selbst ein magisch begabter Halbdämon war.

„Da sie unter Menschen aufgewachsen ist und höchstwahrscheinlich nicht die geringste Ahnung hat, wer sie wirklich ist, wird sie das eher in Panik versetzen. Deshalb wäre es nicht klug, sie gleich mit dir und einer Horde seelenloser Dämonen zu konfrontieren, für die die Anwendung von Magie so natürlich ist wie Atmen. Und deshalb, Reya, werde ich mich erst mal allein um sie kümmern.“

Sie lächelte auf die typische Art, mit der sie ihn immer bedachte, wenn sie glaubte, ihn durchschaut zu haben. „Um sie ungehindert zu verführen, in dich verliebt zu machen und sie auf dich zu fixieren.“

Devlin gab sich ertappt. „Nun ja, das natürlich auch. Und eben deshalb will ich eine Weile mit ihr allein sein, damit nichts sie von mir ablenkt. Auch kein unverhofft geerbter Reichtum. Schließlich soll sie sich in mich verlieben und nicht in einen meiner gutaussehenden und in Verführung erfahrenen dämonischen Untertanen.“ Ein perfektes Argument, das Reya nur allzu gut nachvollziehen konnte.

Sie lächelte wohlwollend und würde nun nicht mehr auf den Gedanken kommen, dass er andere Gründe hatte, sich allein um die Ke’tarr’ha-Königin zu kümmern. Sie deutete eine Verbeugung an und verschwand so unvermittelt, wie sie gekommen war.

Er seufzte erleichtert. Seine Mutter besaß eine derart übermächtige Präsenz, dass es ihm jedes Mal schwerfiel, sich durchzusetzen, auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Denn selbstverständlich hatte sie seit seiner Geburt alles unternommen, um ihn so zu manipulieren, dass er sich auch als Erwachsener von ihr leiten ließ, damit sie auf diese Weise die Graue Eminenz im Hintergrund und somit die wahre Herrscherin sein konnte. Nur hatte das nicht ganz funktioniert. Devlin war schließlich nicht nur seines menschlichen Vaters Sohn, sondern auch ihrer und sein Wille sich durchzusetzen, stand ihrem in nichts nach.

Er verscheuchte die Gedanken an Reya, aktivierte seine Sinne und konzentrierte sich auf die Frau. Wieder fühlte er für einen Augenblick ihre Präsenz, aber wieder zu kurz und zu nebulös, um sie lokalisieren zu können. Geduld! In ein paar Stunden würde er sie aufspüren und der Gefahr für die Menschen ein Ende bereiten.

Er tauchte den Pinsel erneut in die blutrote Farbe und widmete sich wieder seinem Bild.

Kapitel 2

 

Kolumbien, irgendwo am Fuß der Anden