Jonathan Swift

 

Gullivers Reisen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

 

ISBN/EAN: 9783958703865

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

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Der Reisen erster Teil

Eine Reise nach Lilliput

Kapitel I

 

Der Verfasser erstattet Bericht über sich, seine Familie und die ersten Anlässe, die ihn zu reisen trieben. Er erleidet Schiffbruch, schwimmt um sein Leben und kommt wohlbehalten im Lande Lilliput ans Land, wo er gefangen genommen und landeinwärts gebracht wird.

 

Mein Vater hatte einen kleinen Besitz in Nottinghamshire; ich war der dritte von fünf Söhnen. Er schickte mich in meinem vierzehnten Jahr aufs Emanuel College in Cambridge, wo ich drei Jahre blieb und fleißig meinen Studien oblag; da aber die Kosten meines Unterhalts (obwohl ich einen sehr kärglichen Wechsel erhielt) für ein schmales Vermögen zu hoch wurden, gab man mich zu Herrn Jakob Bates, einem hervorragenden Chirurgen in London, in die Lehre; bei ihm blieb ich vier Jahre, und da mein Vater mir von Zeit zu Zeit kleine Summen Geldes schickte, so verwandte ich sie darauf, etwas von der Seefahrt und anderen Gebieten der Mathematik zu lernen, wie sie solchen, die reisen wollen, von Nutzen sind; denn ich war stets davon überzeugt, dass Reisen einmal mein Schicksal sein würden. Als ich Herrn Bates verließ, kehrte ich zu meinem Vater zurück. Dort brachte ich mit seiner Hilfe und der meines Onkels Johann, sowie einiger anderer Verwandter vierzig Pfund zusammen, und man versprach mir ferner dreißig Pfund jährlich für einen Aufenthalt in Leyden, wo ich zwei Jahre und sieben Monate lang die Arzneikunde studierte, denn ich wusste, die würde mir auf langen Reisen nützen.

 

Bald nach meiner Rückkehr aus Leyden wurde ich von meinem guten Meister, Herrn Bates, für die Stellung als Schiffsarzt auf der Schwalbe empfohlen, die vom Kapitän Abraham Pannell befehligt wurde; ich machte während der dreieinhalb Jahre, die ich bei ihm blieb, eine oder zwei Reisen in die Levante und ein paar andere Gegenden. Als ich heimkam, beschloss ich, mich in London niederzulassen, wozu mich Herr Bates, mein Lehrmeister, ermutigte; er empfahl mich auch einigen Leidenden. Ich mietete mir einen Teil eines kleinen Hauses in der Old Jury, und da man mir riet, meinen ledigen Stand zu wechseln, so heiratete ich Fräulein Mary Burton, die zweite Tochter des Herrn Edmund Burton, des Kleiderhändlers in der Newgate Street, die mir vierhundert Pfund in die Ehe brachte.

 

Da aber zwei Jahre darauf mein guter Lehrmeister Bates starb, und ich nur wenig Freunde hatte, so begann mein Verdienst zu ebben, denn mein Gewissen erlaubte mir nicht, die schlimmen Bräuche nur zu vieler unter meinen Brüdern nachzuahmen. Nachdem ich mich also mit meinem Weibe und einigen Leuten aus meiner Bekanntschaft beraten hatte, beschloss ich, wieder zur See zu gehen. Ich war nacheinander auf zwei Schiffen Arzt und machte in sechs Jahren verschiedene Reisen nach Ost- und Westindien, durch die ich mein Vermögen ein wenig vermehrte. Meine Mußestunden verbrachte ich damit, dass ich die besten alten und modernen Autoren las, denn ich war stets mit einer reichlichen Anzahl Bücher versehen; und wenn ich an Land war, so beobachtete ich das Wesen und den Charakter des Volks und lernte seine Sprache, was mir vermöge der Stärke meines Gedächtnisses sehr leicht wurde.

 

Da sich die letzten dieser Reisen als nicht sehr glücklich erwiesen, so wurde ich der Seefahrt müde und beschloss, mit meinem Weibe und den Meinen zu Hause zu bleiben. Ich zog aus der Old Jury in die Fetter-Lane, und von dort nach Wapping, da ich hoffte, unter den Seeleuten Arbeit zu finden; aber es wollte sich nicht lohnen. Nachdem ich drei Jahre darauf gewartet hatte, dass die Dinge sich bessern würden, nahm ich ein vorteilhaftes Angebot des Kapitäns William Prichard an; er führte die Antilope, die eine Reise in die Südsee machen sollte. Wir gingen am 4. Mai 1699 von Bristol aus unter Segel, und unsere Reise war zunächst sehr glücklich.

 

Es wäre aus bestimmten Gründen nicht ratsam, den Leser mit den Einzelheiten unserer Abenteuer in jenen Meeren zu belästigen; es genüge, wenn ich ihm sage, dass wir während unserer Überfahrt von dort nach Ostindien durch einen heftigen Sturm nach dem Nordwesten von Van-Diemensland verschlagen wurden. Nach einer Aufnahme befanden wir uns auf dreißig Grad zwei Minuten südlicher Breite. Zwölf Leute unserer Mannschaft waren infolge übermäßiger Anstrengung gestorben, der Rest in einem Zustand großer Schwäche. Am fünften November, dem Sommeranfang in diesen Gegenden, erspähten die Seeleute bei sehr nebligem Wetter einen Felsen erst, als er vom Schiff nur noch um eine halbe Taulänge entfernt war; der Wind war so stark, dass wir grade darauf zugetrieben wurden und auf der Stelle zerschellten. Sechs Leuten von der Mannschaft, unter denen auch ich war, gelang es, da sie das Boot aufs Wasser gelassen hatten, vom Schiff und vom Felsen klar zu kommen. Wir ruderten nach meiner Rechnung etwa drei Meilen weit; dann waren wir nicht mehr imstande, noch länger zu arbeiten, denn schon auf dem Schiff waren wir von der Anstrengung erschöpft gewesen. Wir überließen uns also dem Willen der Wellen, und nach etwa einer halben Stunde kenterte das Boot in einer plötzlichen Bö aus Norden. Was aus meinen Gefährten im Boot, sowie aus denen, die sich auf den Felsen gerettet hatten oder im Schiff geblieben waren, wurde, kann ich nicht sagen, doch ich vermute, dass sie alle umkamen. Ich meinesteils schwamm, wie mich der Zufall führte, und Wind und Flut trugen mich vorwärts. Ich ließ oft meine Beine nach unten sinken, doch ohne Grund zu finden; als ich aber fast erschöpft war und kaum noch weiter zu ringen vermochte, fühlte ich plötzlich Boden unter mir, und mittlerweile hatte sich auch der Sturm sehr gelegt. Die Neigung des Bodens war so gering, dass ich fast eine Meile zu gehen hatte, ehe ich die Küste erreichte; es war nach meiner Schätzung etwa acht Uhr abends. Ich ging dann noch etwa eine halbe Meile landeinwärts, doch konnte ich keine Spur von Häusern oder Einwohnern finden; wenigstens war ich so geschwächt, dass ich sie nicht bemerkte. Ich war außerordentlich müde; und infolge dieser Ermüdung sowie des warmen Wetters hatte ich, zumal ich beim Verlassen des Schiffes auch noch etwa einen Viertelliter Branntwein getrunken hatte, großes Verlangen nach Schlaf. Ich legte mich auf dem kurzen und weichen Grase nieder und schlief dort besser, als ich mich je in meinem Leben geschlafen zu haben erinnere; mein Schlummer muss nach meiner Rechnung etwa neun Stunden gedauert haben; denn als ich erwachte, war es gerade hell geworden. Ich versuchte aufzustehen, aber ich war außerstande, mich zu rühren; denn da ich auf dem Rücken lag, so entdeckte ich, dass meine Arme und Beine auf beiden Seiten kräftig an den Boden gefesselt waren, und auch mein langes und dichtes Haar war ebenso gebunden. Ich fühlte auch, dass von meinen Achselhöhlen an bis zu den Schenkeln hinunter mehrere dünne Fesseln quer über meinen Körper liefen. Ich konnte nur nach oben sehen, die Sonne begann zu brennen, und das Licht tat meinen Augen weh. Ich hörte rings um mich ein wirres Geräusch, aber in meiner Lage konnte ich nichts als den Himmel sehen; bald darauf spürte ich, wie sich auf meinem linken Bein etwas Lebendiges bewegte, was vorsichtig über meine Brust weiter stieg und fast bis an mein Kinn herantrat; als ich nun, so sehr ich konnte, meine Augen nach unten drehte, erkannte ich in ihm ein menschliches Wesen von noch nicht sechs Zoll Höhe, das Pfeile und Bogen in den Händen und auf dem Rücken einen Köcher trug. Zugleich bemerkte ich, dass dem ersten mindestens vierzig weitere derselben Art (so vermutete ich) folgten. Ich war aufs höchste erstaunt und brüllte laut auf, so dass sie alle voll Entsetzen zurückliefen; und einige von ihnen, so erzählte man mir später, erlitten, als sie von meiner Seite zu Boden sprangen, im Sturz allerlei Verletzungen. Bald aber kehrten sie zurück, und einer von ihnen, der sich weit genug vorwagte, um mein Gesicht voll überschauen zu können, rief, indem er voll Bewunderung Hände und Blicke emporhob, mit schriller aber deutlicher Stimme: »Hekinah degul!« Die anderen wiederholten mehrmals dieselben Worte, doch damals wusste ich noch nicht, was sie bedeuteten. Ich lag derweilen, wie der Leser leicht glauben wird, in großer Unruhe da: schließlich aber war ich in meinem Ringen, frei zu kommen, glücklich genug, die Fesseln zu sprengen und die Pflöcke, die meinen linken Arm am Boden festhielten, herauszureißen; denn, indem ich ihn zu meinem Gesicht emporhob, entdeckte ich die Methode, die sie angewandt hatten, um mich zu binden; und zugleich lockerte ich mit einem gewaltsamen Ruck, der mir große Schmerzen machte, die Stricke ein wenig, die mein Haar auf der linken Seite festhielten, so dass ich gerade imstande war, meinen Kopf um zwei Zoll zu wenden. Aber die Geschöpfe liefen zum zweiten Mal davon, bevor ich sie ergreifen konnte; worauf in sehr schrillem Ton ein lauter Schrei erscholl, und als er verhallte, hörte ich einen von ihnen laut rufen: »Tolgo phonac!« Und im selben Augenblick fühlte ich, wie mehr als hundert Pfeile auf meine linke Hand abgeschossen wurden, wo sie mich wie ebenso viele Nadeln stachen; und alsbald schossen sie noch eine zweite Salve in die Luft, wie wir in Europa Bomben schießen, und viele Pfeile fielen (so vermute ich, denn ich fühlte sie nicht) auf meinen Körper, einige aber auch auf mein Gesicht, das ich sofort mit der linken Hand bedeckte. Als dieser Pfeilregen vorüber war, begann ich vor Schmerz zu stöhnen; und als ich mich von neuem bemühte, los zu kommen, entsandten sie die dritte Salve, die Größer war als die ersten, und einige von ihnen versuchten mich mit Speeren in die Seite zu stechen; doch zum Glück hatte ich ein Lederwams an, das sie nicht durchstechen konnten. Ich hielt es für das klügste, still zu liegen, und es war meine Absicht, bis zum Einbruch der Nacht so liegen zu bleiben; da meine linke Hand bereits frei war, konnte ich mich dann leicht lösen. Was aber die Einwohner anging, so hatte ich Grund, zu glauben, dass ich den größten Heeren gewachsen wäre, die sie gegen mich ins Feld führen konnten, falls sie nämlich alle von gleicher Statur waren wie der, den ich gesehen hatte. Aber das Schicksal wollte es anders. Als die Leute sahen, dass ich ruhig blieb, schossen sie nicht mehr mit Pfeilen; doch an dem Lärm, den ich hörte, erkannte ich, dass ihre Zahl zunahm; und etwa vier Ellen von mir entfernt hörte ich länger als eine Stunde hindurch meinem rechten Ohr gegenüber ein Pochen, wie wenn Leute an der Arbeit wären; als ich dann meinen Kopf, soweit es die Pflöcke und Stricke erlaubten, dorthin drehte, sah ich etwa anderthalb Fuß über dem Boden eine Tribüne errichtet, die vier der Eingeborenen fassen mochte und auf die drei oder vier Leitern hinaufführten. Von dort aus nun hielt mir einer von ihnen, der ein Mann von Stande zu sein schien, eine lange Rede, von der ich nicht eine Silbe verstand. Doch ich hätte erwähnen sollen, dass diese vornehme Persönlichkeit, ehe sie ihren Vortrag begann, dreimal ausrief: »Langro dehul san!« (Diese und die früheren Worte wurden mir später wiederholt und erklärt.) Worauf sofort etwa fünfzig der Eingeborenen herbeikamen und die Stricke durchschnitten, die die linke Seite meines Kopfes fesselten; so dass ich nun die Möglichkeit hatte, ihn nach rechts zu wenden und das Wesen und die Gesten dessen, der reden wollte, zu beobachten. Er schien in den mittleren Jahren zu stehen und Größer zu sein, als irgend einer der drei anderen, die bei ihm waren; einer von diesen war ein Page, der ihm die Schleppe trug; der schien mir etwas länger als mein Mittelfinger; die beiden anderen standen je auf einer seiner Seiten, um ihn zu stützen. Er spielte die Rolle eines Redners, und ich konnte viele Perioden der Drohungen, Perioden der Versprechungen, des Mitleids und der Güte unterscheiden. Ich antwortete ihm in ein paar Worten, doch in der unterwürfigsten Weise, indem ich meine linke Hand und meine beiden Augen zur Sonne hob, als riefe ich sie zum Zeugen an. Und da ich fast verhungert war (denn schon mehrere Stunden, bevor ich das Schiff verließ, hatte ich keinen Bissen mehr gegessen), so machte die Natur ihre Ansprüche so kräftig geltend, dass ich mich nicht enthalten konnte, meine Ungeduld zu zeigen (vielleicht den strengen Regeln des Anstands zuwider), indem ich oft den Finger auf den Mund legte, um anzudeuten, wie sehr es mich nach Nahrung verlangte. Der »Hurgo« (denn so nennen sie, wie ich später erfuhr, einen großen Herrn) verstand mich sehr wohl. Er stieg von der Tribüne herab und befahl, dass mir mehrere Leitern an die Seiten gelegt würden, auf denen über hundert der Eingeborenen heraufstiegen und, beladen mit Körben voller Speisen, die auf des Königs Befehl besorgt und herbeigeschafft worden waren, sowie er von mir Nachricht erhalten hatte, auf meinen Mund zuschritten. Ich merkte wohl, dass das Fleisch mehrerer Tiere darunter war, aber ich konnte sie durch den Geschmack nicht unterscheiden. Es waren Schultern, Beine und Keulen, geformt wie die der Hammel, und sehr gut zubereitet, aber kleiner als die Flügel einer Lerche. Ich aß immer zwei oder drei auf einen Bissen und nahm drei Brote, deren jedes etwa so groß war wie eine Musketenkugel, zugleich. Sie gaben mir so schnell wie möglich zu essen und verrieten durch tausend Zeichen ihre Verwunderung und ihr Staunen über meinen Umfang und meinen Appetit. Dann gab ich ihnen einen zweiten Wink, dass ich zu trinken wünschte. Sie hatten schon an der Art, wie ich aß, erkannt, dass mir keine kleine Menge genügen würde; und da sie höchst scharfsinnige Leute waren, so wanden sie mit großer Geschicklichkeit eines ihrer größten Oxhofte empor, rollten es bis an meine Hand und schlugen den Deckel ab. Ich trank es auf einen einzigen Zug leer, und das war nicht schwer, denn es enthielt noch keinen Viertelliter; das Getränk schmeckte wie ein Burgunder Landwein, doch viel köstlicher. Sie brachten mir noch ein zweites Oxhoft, das ich auf dieselbe Art und Weise austrank; doch als ich winkte, um ein drittes zu verlangen, hatten sie mir keins mehr zu geben. Sie erhoben ein Freudengeschrei, als ich diese Wunder vollbracht hatte, tanzten mir auf der Brust herum und wiederholten mehrmals wie im Anfang: »Hekinah degul!« Sie winkten mir, die beiden Fässer hinabzuwerfen, doch warnten sie zunächst die Untenstehenden, aus dem Wege zu gehen, indem sie laut »Borach Mivola!« riefen; und als sie die Gefäße durch die Luft fliegen sahen, erhoben sie ein allgemeines Geschrei: »Hekinah degul!« Ich gestehe, ich war oft in Versuchung, während sie auf meinem Leibe hin- und herliefen, vierzig oder fünfzig von den ersten zu ergreifen, die in meinen Bereich kamen und sie auf dem Boden zu zerschmettern. Aber die Erinnerung an das, was ich hatte spüren müssen und was wahrscheinlich noch nicht das schlimmste war, was sie mir antun konnten, und an das Ehrenversprechen, das ich ihnen gegeben hatte (denn so legte ich mein unterwürfiges Benehmen aus), vertrieb diese Gedanken gar bald. Außerdem sah ich mich jetzt als durch die Gesetze der Gastfreundschaft an dieses Volk gebunden an, das mich unter solchen Kosten und mit so viel Großartigkeit bewirtete. In meinen Gedanken aber konnte ich mich nicht genug über die Unerschrockenheit dieser winzigen Sterblichen wundern, die es wagten, mir auf den Leib zu klettern und dort umherzugehen, obwohl eine meiner Hände frei war, und zwar, ohne beim bloßen Anblick eines so fabelhaften Geschöpfes, wie ich ihnen vorkommen musste, zu zittern. Als sie nach einiger Zeit bemerkten, dass ich nichts mehr zu essen verlangte, erschien im Auftrage Seiner Kaiserlichen Majestät eine hochgestellte Persönlichkeit vor mir. Seine Exzellenz stieg mir unten aufs Schienbein und schritt mit einem Gefolge von etwa einem Dutzend Leuten bis zu meinem Gesicht empor. Und nachdem er seine mit dem Königlichen Siegel versehenen Beglaubigungsschreiben hervorgezogen und sie mir dicht unter die Augen gehalten hatte, sprach er ohne jedes Zeichen des Zorns, aber im Ton fester Entschlossenheit etwa zehn Minuten lang, indem er oft vor sich hin deutete; wie ich später herausfand, lag dort in einer Entfernung von etwa einer halben Meile die Hauptstadt, wohin ich, wie Seine Majestät im Kronrat beschlossen hatte, überführt werden sollte. Ich antwortete in wenigen Worten, die freilich zwecklos waren, und gab ihm ein Zeichen mit meiner freien Hand, indem ich sie an die andere legte (ich hob sie hoch über Seiner Exzellenz Haupt hinweg, weil ich fürchtete, ihn oder einen aus seinem Gefolge zu verletzen) und dann auf meinen Kopf und meinen Körper deutete; ich wollte ihm damit sagen, dass mich nach meiner Freiheit verlangte. Offenbar verstand er mich ganz genau, denn er schüttelte zum Zeichen des Widerspruchs den Kopf und streckte seine Hand in einer Geste vor, die zeigen sollte, dass ich als Gefangener geführt werden müsste. Er gab mir jedoch noch weitere Winke, um mir zu verstehen zu geben, dass ich Speise und Trank in genügender Menge erhalten und sehr gut behandelt werden würde. Mir kam noch einmal der Gedanke, einen Versuch zu machen, ob ich meine Fesseln sprengen könnte; aber als ich den Schmerz ihrer Pfeile auf Gesicht und Händen spürte, die ganz voll Blasen waren, in denen noch viele der Waffen staken, und als ich zugleich erkannte, dass die Zahl meiner Feinde immer anschwoll, gab ich ihnen ein Zeichen, dass sie mit mir tun sollten, was ihnen beliebte. Daraufhin zogen sich der Hurgo und sein Gefolge in großer Höflichkeit und mit freudigem Gesicht zurück. Bald darauf hörte ich ein allgemeines Schreien, in dem die Worte: »Peplom selan,« häufig wiederholt wurden; und ich fühlte, wie große Scharen von Leuten auf meiner linken Seite die Stricke soweit lockerten, dass ich mich auf meine rechte Seite wälzen und mir Erleichterung verschaffen konnte, indem ich Wasser ließ; zum großen Staunen der Leute tat ich das in großer Fülle; sie hatten an meinen Bewegungen erraten, was ich beginnen wollte und flohen auf dieser Seite sofort nach rechts und links, um den Gießbach zu vermeiden, der mir mit so viel Lärm und Gewalt entströmte. Aber schon zuvor hatten sie mir das Gesicht und beide Hände mit einer Art Salbe bestrichen, die sehr angenehm roch und den Schmerz der Pfeilwunden in wenigen Minuten behob. Das und die Erfrischung, die mir ihre Speisen und ihr Getränk gegeben hatten, denn sie waren sehr nahrhaft, machte mich schläfrig. Ich schlief, wie man mir später versicherte, etwa acht Stunden lang; und das war auch kein Wunder, denn auf Befehl des Kaisers hatten die Ärzte in die beiden Oxhofte Weins einen Schlaftrunk gemischt.

 

Es scheint, dass der Kaiser, sowie man mich nach meiner Landung am Boden schlafend gefunden hatte, durch einen Eilboten Bericht erhielt und im Rat beschloss, dass ich auf die geschilderte Art und Weise gebunden würde (es geschah in der Nacht, während ich schlief); er ordnete an, dass man mir reichliche Mengen an Speise und Trank schicken und eine Maschine herrichten sollte, um mich in die Hauptstadt zu schaffen.

 

Dieser Entschluss mag vielleicht als verwegen und gefährlich erscheinen und ich bin überzeugt, dass kein europäischer Fürst ihn bei der gleichen Gelegenheit nachahmen würde; meiner Meinung nach aber war er ebenso klug wie großmütig: denn angenommen, diese Leute hätten versucht, mich, während ich schlief, mit ihren Speeren und Pfeilen zu töten, so wäre ich sicherlich bei der ersten Schmerzempfindung erwacht, die vielleicht zugleich meine Wut und meine Kraft in einem Grade geweckt hätte, dass ich imstande gewesen wäre, die Stricke, mit denen ich gefesselt war, zu sprengen; und da sie mir dann keinen Widerstand zu leisten vermochten, hätten sie auch keine Gnade erwarten können.

 

Diese Leute sind vortreffliche Mathematiker, und in der Technik haben sie es durch die Ermutigung und Förderung des Kaisers, der ein berühmter Gönner der Gelehrsamkeit ist, zu großer Vollkommenheit gebracht. Dieser Fürst besitzt mehrere auf Rädern errichtete Maschinen zum Transport von Bäumen und anderen großen Lasten. Er erbaut oft seine größten Kriegsschiffe, von denen einige neun Fuß lang sind, mitten in den Wäldern, in denen das Holz wächst, und er lässt sie auf diesen Maschinen drei- oder fünfhundert Ellen weit zum Meer hinunterschaffen. Fünfhundert Zimmerleute und Ingenieure machten sich sofort an die Arbeit, um die größte Maschine herzurichten, die sie besaßen. Sie bestand aus einem hölzernen Rahmen, der sich drei Zoll über den Boden erhob; er war etwa sieben Fuß lang und vier Fuß breit und lief auf zweiundzwanzig Rädern. Der Schrei, den ich hörte, begrüßte das Eintreffen dieser Maschine, die, wie es scheint, vier Stunden nach meiner Landung aufbrach. Sie wurde parallel neben mich gefahren, als ich dalag. Aber die Hauptschwierigkeit bestand darin, mich emporzuheben und auf dies Gefährt zu bringen. Zu diesem Zweck wurden achtzig Pfähle von je einem Fuß Länge errichtet; dann befestigte man mit Hilfe von Haken sehr starke Stricke von der Dicke einer Packschnur an den Binden, die die Arbeiter mir um Nacken, Hände, Leib und Beine gebunden hatten. Neunhundert der stärksten Leute wurden angestellt, um diese Stricke mit Flaschenzügen hochzuwinden, die man an den Pfählen befestigt hatte; und so hob man mich in weniger als drei Stunden empor, schlang mich auf das Gefährt und band mich darauf fest. All das erzählte man mir, denn während die ganze Arbeit vor sich ging, lag ich in tiefem Schlaf, so stark wirkte das Betäubungsmittel, das man in mein Getränk gemischt hatte. Fünfzehnhundert der größten Pferde des Kaisers, deren jedes etwa viereinhalb Zoll hoch war, zogen mich zur Metropole, die, wie ich schon sagte, eine halbe Meile entfernt war.

 

Etwa vier Stunden, nachdem wir unsere Fahrt begonnen hatten, erwachte ich durch einen sehr lächerlichen Zufall; denn da der Wagen eine Weile Halt gemacht hatte, um etwas in Ordnung zu bringen, so wurden zwei oder drei der jungen Eingeborenen neugierig, wie ich wohl im Schlaf aussähe; sie kletterten in den Wagen hinauf, und als sie sehr vorsichtig bis zu meinem Gesicht vorgedrungen waren, steckte mir einer von ihnen, ein junger Gardeoffizier, das scharfe Ende seiner Pike in mein linkes Nasenloch; sie kitzelte mich wie ein Strohhalm, so dass ich heftig niesen musste. Sie stahlen sich unbemerkt davon, und erst drei Wochen später erfuhr ich die Ursache meines plötzlichen Erwachens. Wir machten während des übrigen Tages einen weiten Weg, und nachts rasteten wir mit je fünfhundert Wachen zu meinen beiden Seiten, von denen die Hälfte mit Fackeln, die andere Hälfte aber mit Bogen und Pfeilen bewaffnet waren, bereit, mich zu erschießen, wenn ich Miene machen sollte, mich zu rühren. Am nächsten Morgen setzten wir mit Sonnenaufgang unsere Fahrt fort, und um Mittag waren wir nur noch etwa zweihundert Ellen von den Stadttoren entfernt. Der Kaiser und sein ganzer Hof kamen uns entgegen; aber seine Großwürdenträger wollten auf keinen Fall dulden, dass Seine Majestät sich in Gefahr begab, indem er meinen Körper bestieg.

 

An der Stelle, wo der Wagen hielt, stand ein alter Tempel, der als der größte im ganzen Königreich galt; und da er vor einigen Jahren durch einen unnatürlichen Mord entweiht worden war, sah ihn das Volk in seinem großen Religionseifer als profan an; man benutzte ihn zu unheiligen Zwecken und hatte alles Gerät und allen Schmuck daraus entfernt. In diesem Gebäude, so wurde es beschlossen, sollte ich hausen. Das große nach Norden gerichtete Tor war etwa vier Fuß hoch und zwei Fuß breit, so dass ich leicht hindurchkriechen konnte. Zu beiden Seiten des Tors lag nicht mehr als sechs Zoll überm Boden je ein kleines Fenster; und durch das auf der linken Seite hatten des Königs Schmiede einundneunzig Ketten geführt, die etwa jenen glichen, wie sie in Europa an der Taschenuhr einer Dame hängen, und die auch etwa ebenso stark waren; die befestigte man mir mit sechsunddreißig Schlössern an meinem linken Bein. Diesem Tempel gegenüber stand auf der anderen Seite der großen Straße in einer Entfernung von etwa zwanzig Fuß ein Turm von mindestens fünf Fuß Höhe. Den bestieg der Kaiser mit vielen großen Herren seines Hofs, um, wie man mir später sagte, mich bequem überblicken zu können, denn sehen konnte ich sie nicht. Es wurde berechnet, dass etwa hunderttausend Einwohner zum gleichen Zweck aus der Stadt kamen; und trotz meiner Wachen, glaube ich, konnten es mehrmals nicht weniger als zehntausend Menschen sein, die mir mit Hilfe von Leitern auf den Körper stiegen. Bald darauf aber wurde ein Erlass verkündigt, der das bei Todesstrafe verbot. Als die Arbeiter sahen, dass ich mich nicht mehr befreien konnte, kappten sie all die Stricke, die mich banden, und ich stand in der melancholischsten Stimmung, die ich in meinem ganzen Leben gekannt hatte, auf. Aber der Aufruhr und das Staunen des Volks, als es mich aufstehen und umhergehen sah, lassen sich nicht schildern. Die Ketten, die mein linkes Bein fesselten, waren etwa zwei Ellen lang und erlaubten mir nicht nur, in einem Halbkreis hin und her zu gehen, sondern, da sie nur vier Zoll weit vom Tor entfernt befestigt waren, so konnte ich auch hineinkriechen und mich im Tempel in voller Länge ausstrecken.

 

Kapitel II

 

Der Kaiser von Lilliput kommt, begleitet von mehreren Adligen, um den Verfasser in seiner Haft zu sehen. Schilderung der Erscheinung und Kleidung des Kaisers. Gelehrte werden beauftragt, den Verfasser ihre Sprache zu lehren. Er erwirkt sich durch seine milde Charakteranlage Beliebtheit. Man durchsucht seine Taschen und nimmt ihm sein Schwert und seine Pistolen.

 

Als ich auf meinen Füßen stand, sah ich mich um; und ich muss gestehen, dass ich nie ein unterhaltenderes Schauspiel gesehen habe. Das Land rings glich einem einzigen zusammenhängenden Garten, und die von ihnen umschlossenen Felder, die im Allgemeinen vierzig Fuß im Geviert hatten, sahen aus wie Blumenbeete. Die Felder wechselten ab mit Wäldern von einer halben Stange im Geviert, und die höchsten Bäume waren, soweit ich es beurteilen konnte, sieben Fuß, hoch. Ich sah mir auch die Stadt zu meiner Linken an, und sie glich der gemalten Stadtszenerie in einem Theater.

 

Schon seit einigen Stunden hatten mich die Bedürfnisse der Natur schwer bedrängt, und das war auch kein Wunder, denn es war fast zwei Tage her, seit ich mich zum letzten Mal entleert hatte. Ich schwankte in großer Verlegenheit zwischen der Not und meiner Scham. Der beste Ausweg, der mir einfiel, war der, in mein Haus zu kriechen; ich tat es, schloss das Tor hinter mir und ging so weit hinein, wie die Kette es mir gestattete, um mich dort der unbehaglichen Last zu entledigen. Aber dies war das einzige Mal, dass ich mich einer so unsauberen Handlungsweise schuldig machte; ich hoffe hierin auch auf des freundlichen Lesers Nachsicht, wenn er sich meine Lage und die Not, in der ich mich befand, reiflich und unparteiisch überlegt. Hinfort machte ich es mir zur Regel, diese Geschäfte, sowie ich aufstand, in der freien Luft abzumachen und zwar von meinem Tor so weit entfernt, wie die Kette es zuließ; und jeden Morgen wurde, ehe Leute kamen, dafür gesorgt, dass die anstößigen Maßen auf Schubkarren beseitigt wurden; denn es wurden eigens zu diesem Zweck zwei Diener angestellt. Ich hätte nicht solange auf einem Umstand verweilt, der auf den ersten Blick vielleicht nicht gar so wichtig zu sein scheint, wenn ich es nicht für nötig gehalten hätte, mich vor der Welt von dem Vorwurf der Unsauberkeit zu reinigen, denn ich habe gehört, dass einige meiner böswilligen Verleumder meine Sauberkeit bei dieser wie bei anderen Gelegenheiten in Zweifel gezogen haben.

 

Als dieses Abenteuer bestanden war, kam ich wieder aus meinem Hause hervor, denn ich hatte das Bedürfnis nach frischer Luft. Der Kaiser war bereits von dem Turm herabgestiegen und ritt zu Pferde auf mich zu; das hätte ihn teuer zu stehen kommen können, denn obwohl das Tier sehr gut gezogen war, war es doch an einen solchen Anblick nicht gewöhnt, und da es aussah, als bewegte sich vor ihm ein Berg, so bäumte es sich auf den Hinterbeinen empor. Doch der Fürst, der ein vortrefflicher Reiter ist, hielt sich im Sattel, bis seine Begleiter herbeieilten und den Zügel ergriffen, worauf Seine Majestät Zeit hatte, abzusitzen. Als er auf dem Boden stand, sah er mich mit großer Bewunderung von allen Seiten an, doch hielt er sich außerhalb des Bereichs meiner Kette. Er befahl seinen Köchen und Kellermeistern, die schon bereit standen, mir Speise und Trank zu geben, und sie schoben mir beides in einer Art Räderwagen soweit heran, dass ich es fassen konnte. Ich ergriff die Wagen und leerte sie alle in Kürze; zwanzig Wagen waren mit Speisen gefüllt, und zehn mit Getränken; von jenen lieferte mir jeder zwei bis drei gute Bissen; und den Wein aus zehn Gefäßen, es waren irdene Krüge, goss ich in einen Wagen, den ich auf einen Zug austrank; und ebenso machte ich es mit dem Rest. Die Kaiserin und die jungen kaiserlichen Prinzen und Prinzessinnen saßen, begleitet von vielen Damen, in einiger Entfernung in ihren Sänften; doch als der Unfall mit dem Pferd des Kaisers stattfand, stiegen sie aus und näherten sich ihm, dessen Erscheinung ich jetzt schildern will. Er ist um etwa die Breite meines Nagels Größer als irgendein Mitglied seines Hofstaats; und das allein genügt, um den Zuschauern Ehrfurcht einzuflößen. Seine Züge sind kräftig und männlich; er hat eine österreichische Lippe und eine gebogene Nase; seine Haut ist olivfarben, seine Haltung aufrecht, sein Körper und seine Glieder zeigen gute Verhältnisse, all seine Bewegungen sind anmutig und sein Benehmen ist majestätisch. Er war damals über seine erste Blüte hinaus, denn er war achtundzwanzig und dreiviertel Jahre alt, von denen er sieben Jahre lang in großem Glück und fast immer siegreich regiert hatte. Um ihn besser sehen zu können, legte ich mich auf die Seite, so dass mein Gesicht dem seinen parallel zu stehen kam, und er hielt sich in einer Entfernung von drei Ellen. Ich habe ihn jedoch seither viele Male in der Hand gehabt und kann mich also in der Schilderung nicht täuschen. Seine Kleidung war sehr schmucklos und einfach, ihr Stil stand zwischen dem asiatischen und dem europäischen: auf dem Kopf aber trug er einen leichten Helm aus juwelenbesetztem Golde mit einer Feder auf der Spitze. Er hielt sein Schwert gezogen in der Hand, um sich zu verteidigen, wenn ich mich etwa losreißen sollte; es war fast drei Zoll lang, und Heft und Scheide waren aus Gold und mit Diamanten verziert. Seine Stimme war schrill, aber sehr klar und deutlich, und ich konnte sie noch gut verstehen, wenn ich auch aufstand. Die Damen und Höflinge waren alle sehr prunkvoll gekleidet, so dass der Fleck, auf dem sie standen, aussah, als hätte man einen mit goldenen und silbernen Figuren bestickten Frauenrock auf den Boden gebreitet. Seine Kaiserliche Majestät sprach viel mit mir, und ich gab ihm Antwort, aber wir beide konnten keine Silbe verstehen. Es waren mehrere seiner Priester und Rechtsgelehrten anwesend (ich schloss aus ihrer Kleidung auf ihren Stand), die Befehl erhielten, mich anzureden, und ich sprach in allen Sprachen zu ihnen, von denen ich nur die geringste Ahnung hatte: es waren Hoch- und Niederdeutsch, Lateinisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und die Lingua Franca; aber alles war vergeblich. Nach etwa zwei Stunden zog sich der Hof zurück, und man ließ mich mit einer starken Bedeckung allein, denn man wollte durch die Wachen die Unverschämtheit und vielleicht auch die Bosheit des Pöbels in Schranken halten, der sich in großer Ungeduld herandrängte, soweit sie es nur wagten; einige waren auch schamlos genug, ihre Pfeile nach mir zu schießen, als ich neben der Tür meines Hauses auf dem Boden saß, und einer dieser Pfeile wäre mir fast ins linke Auge gedrungen. Aber der Oberst befahl, sechs der Rädelsführer zu ergreifen, und er hielt keine Strafe für so angemessen wie die, sie in meine Hände zu liefern; das also taten seine Soldaten, indem sie sie mit den Schäften ihrer Piken vorwärtstrieben, bis ich sie fassen konnte. Ich nahm sie alle mit der rechten Hand auf, steckte fünf von ihnen in meine Rocktasche und tat, als wollte ich den sechsten lebendig verzehren. Der arme Kerl schrie fürchterlich, und der Oberst und seine Offiziere waren in großer Besorgnis, zumal sie sahen, dass ich mein Taschenmesser zog: ich aber benahm ihnen ihre Angst gar bald; denn mit einem milden Blick zerschnitt ich die Stricke, mit denen er gebunden war, und setzte ihn vorsichtig auf den Boden, wo er davonlief. Den Rest nahm ich Mann für Mann aus der Tasche und behandelte sie ebenso; und ich konnte beobachten, dass sowohl die Soldaten wie auch das Volk über dieses Zeichen meiner Milde, das auch bei Hofe sehr zu meinem Vorteil dargestellt wurde, höchst erfreut waren.

 

Gegen Abend kroch ich nicht ohne Schwierigkeiten in mein Haus, wo ich mich auf dem Boden niederlegte. So lebte ich nun etwa vierzehn Tage lang, während welcher Zeit der Kaiser Befehl gab, mir ein Bett zu machen. Sechshundert Betten der gewöhnlichen Größe wurden auf Wagen herbeigefahren und in meinem Hause zusammengesetzt. Einhundertundfünfzig ihrer Betten ergaben zusammengenäht die Länge und Breite, und sie legten vier übereinander; trotzdem aber schützten sie mich nur wenig vor der Härte des Bodens, der aus glattem Stein bestand. Nach der gleichen Berechnung versahen sie mich mit Laken, Decken und Tüchern; und das Ganze war recht erträglich für einen Menschen, der solange an Mühsal und Beschwerden gewöhnt war wie ich.

 

Da sich die Nachricht von meiner Landung durch das ganze Königreich verbreitete, lockte sie fabelhafte Mengen reicher, müßiger und neugieriger Leute herbei, die mich sehen wollten; die Dörfer entvölkerten sich fast, und es hätte eine große Vernachlässigung der Feld- und Ackerwirtschaft eintreten müssen, wenn nicht Seine Kaiserliche Majestät durch mehrere Erlasse und Staatsbefehle Vorkehrungen gegen diesen Missstand getroffen hätte. Er gab Anweisung, dass alle, die mich schon gesehen hätten, nach Hause zurückkehren und sich nicht vermessen sollten, noch einmal ohne ausdrückliche Erlaubnis des Hofes meinem Hause auf fünfzig Ellen zu nahen. Das trug den Staatssekretären beträchtliche Bestechungen ein.

 

Mittlerweile hielt der Kaiser oft einen Kronrat ab, um zu überlegen, was mit mir geschehen sollte; und mir versicherte später ein vertrauter Freund, ein Mann von sehr hohem Stande, der für so gut unterrichtet galt wie nur irgend einer, dass ich dem Hof beträchtliche Schwierigkeiten bereitete. Man befürchtete, ich würde mich losreißen oder meine Ernährung würde sehr kostspielig werden und eine Hungersnot zur Folge haben. Einige Male beschlossen sie, mich verhungern zu lassen oder mir wenigstens vergiftete Pfeile ins Gesicht und auf die Hände zu schießen, denn das würde mich gar bald hinüberbefördern. Anderseits aber erwogen sie, dass der Gestank eines solchen Leichnams in der Hauptstadt eine Pest hervorrufen könnte, die sich wahrscheinlich über das ganze Königreich ausbreiten würde. Man stand gerade mitten in diesen Beratungen, als mehrere Heeresoffiziere an der Tür des großen Ratszimmers erschienen; zwei von ihnen wurden vorgelassen und erstatteten Bericht über mein Verhalten den sechs Verbrechern gegenüber; und das rief in der Brust Seiner Majestät und aller seiner Ratgeber einen so günstigen Eindruck hervor, dass eine Kaiserliche Kommission entsandt wurde, die alle Dörfer im Umkreise von neunhundert Ellen rings um die Stadt anweisen sollte, jeden Morgen sechs Rinder, vierzig Schafe und andere Lebensmittel für meinen Unterhalt zu liefern; ferner eine entsprechende Menge von Brot und Wein und anderen Getränken, für deren Bezahlung Seine Majestät Anweisungen auf seinen Schatz ausgab. Denn dieser Fürst lebt hauptsächlich von den Einkünften seiner eigenen Domänen, und selten erhebt er, es sei denn aus ganz besonderem Anlass, Steuern von seinen Untertanen, die verpflichtet sind, ihm in seinen Kriegen auf ihre eigenen Kosten Heeresfolge zu leisten. Auch wurden sechshundert Leute zu meiner Bedienung ernannt, denen man für ihren Unterhalt große Tagegelder auswarf und als Wohnung in bequemer Lage neben der Tür meines Hauses zu beiden Seiten Zelte errichtete. Es wurde ferner Befehl erteilt, dass mir dreihundert Schneider ein Gewand nach der Mode des Landes anfertigen sollten; und sechs der größten Gelehrten Seiner Majestät sollten mich in ihrer Sprache unterrichten; schließlich aber sollten des Kaisers Pferde und die der hohen Adligen oft in meiner Nähe geritten werden, damit sie sich an meinen Anblick gewöhnten. All diese Befehle wurden gebührend ausgeführt, und in etwa drei Wochen machte ich große Fortschritte in ihrer Sprache. Während dieser Zeit beehrte mich der Kaiser oft mit seinen Besuchen, und es machte ihm Vergnügen, meinen Lehrern beim Unterricht zu helfen. Wir begannen bereits, uns ein wenig zu unterhalten; und die ersten Worte, die ich lernte, gaben meinem Wunsch Ausdruck, dass es ihm belieben möge, mir meine Freiheit zurückzugeben; diesen Wunsch wiederholte ich jeden Tag auf meinen Knien. Seine Antwort lautete, soweit ich sie verstehen konnte, das müsse ein Werk der Zeit sein, und ohne Zustimmung seines Rats könne er nicht daran denken; vor allem aber müsse ich zuvor »Lumos kelmin pesso desmar lon Emposo«, das heißt: einen Frieden mit ihm und seinem Königreich beschwören. Ich sollte jedoch mit aller Güte behandelt werden; und er riet mir, mir durch Geduld und kluges Verhalten seine und seiner Untertanen gute Meinung zu erwerben. Er wünschte, ich möge es nicht übelnehmen, wenn er mich durch gewisse dafür geeignete Beamte durchsuchen ließe; denn wahrscheinlich hätte ich doch mehrere Waffen bei mir, die gefährlich sein müssten, wenn sie der Größe eines so fabelhaften Wesens entsprächen. Ich sagte, Seine Majestät solle zufriedengestellt werden, denn ich sei bereit, mich in seiner Gegenwart auszuziehen und meine Taschen umzuwenden. Ich sagte das zum Teil in Worten, zum Teil durch Zeichen. Er erwiderte, dass ich mich nach den Gesetzen des Königreichs von zweien seiner Beamten müsste durchsuchen lassen; er wisse wohl, dass das ohne meine Einwilligung und Hilfe unmöglich sei, aber er habe von meiner Großmut und Gerechtigkeit eine so gute Meinung, dass er die beiden Beamten meinen Händen anvertraue; was sie mir abnähmen, solle mir beim Verlassen des Landes zurückerstattet oder zu dem Preise, den ich ihnen abverlangen würde, bezahlt werden. Ich nahm die beiden Beamten mit den Händen auf, steckte sie zunächst in meine Rocktaschen und dann in alle anderen Taschen, die ich hatte, ausgenommen nur meine beiden Uhrtaschen und eine dritte geheime Tasche, die ich nicht mochte durchsuchen lassen, da sie nichts enthielten als ein paar Bedarfsgegenstände, die für niemanden als für mich von irgendwelcher Bedeutung waren. In der einen Uhrtasche hatte ich eine silberne Taschenuhr, und in der anderen eine Geldbörse mit ein wenig Gold. Da diese Herrn Feder, Tinte und Papier bei sich hatten, setzten sie ein genaues Inventar von allem auf, was sie sahen; und als sie fertig waren, begehrten sie niedergesetzt zu werden, damit sie es dem Kaiser überreichen könnten. Dieses Inventar habe ich später ins Englische übersetzt, und es lautete Wort für Wort wie folgt:

 

Imprimis: In der rechten Rocktasche des großen Menschberges (denn so lege ich die Worte »Quinbus Flestrin« aus) fanden wir trotz genauester Suche nur ein großes Stück groben Tuchs, groß genug, um für Euer Majestät erstes Prunkgemach als Teppich zu dienen. In der linken Tasche sahen wir eine große Silbertruhe mit einem Deckel aus gleichem Metall, den wir, die Sucher, zu heben nicht imstande waren. Wir verlangten, dass sie uns geöffnet werde, und als einer von uns hineinstieg, stand er bis zur Mitte des Beins herauf in einer Art Staub, von dem uns ein Teil ins Gesicht emporwirbelte, worauf wir mehrmals hintereinander niesen mussten. In seiner rechten Westentasche fanden wir ein ungeheures Bündel von dünnen, weißen Stoffen, die ineinander gefaltet sind; sie sind so groß wie etwa drei Menschen mit einem starken Tau verschnürt und mit schwarzen Figuren bedeckt. Wir halten dies in aller Demut für Schriftzeichen, und jeder Buchstabe ist etwa halb so groß wie unsere Handfläche. In der linken befand sich eine Art Maschine, von deren Rücken zwanzig lange Pfähle aufsteigen, ähnlich den Palisaden vor dem Hof Eurer Majestät; damit, so vermuten wir, kämmt der Menschberg sich das Haar, denn wir mochten ihn nicht immer mit Fragen belästigen, da es sich als sehr schwierig herausstellte, uns ihm verständlich zu machen. In der großen Tasche auf der rechten Seite seines mittleren Überzugs (so übersetze ich das Wort »ranfu-lo«, womit sie meine Hose meinten) sahen wir einen hohlen Eisenpfeiler von etwa Manneshöhe, der an einem starken Stück Holz befestigt ist; dieses Holz ist dicker als der Pfeiler; und aus der einen Seite des Rohrs ragen riesige Eisenstücke hervor, die in wunderliche Figuren gebracht sind; was wir davon halten sollen, wissen wir nicht. In der linken Tasche steckte eine zweite Maschine derselben Art. In der kleineren Tasche auf der rechten Seite lagen mehrere runde, flache Stücke weißen und roten Metalls von verschiedener Größe; einige der weißen Stücke, die aus Silber zu sein schienen, waren so groß und schwer, dass mein Gefährte und ich sie kaum heben konnten. In der linken Tasche staken zwei schwarze, unregelmäßig geformte Pfeiler: wir konnten, als wir auf dem Boden seiner Tasche standen, ihre Spitze nur mit Mühe erreichen. Einer von ihnen stak in einer Hülle und schien aus einem Stück zu sein; doch am oberen Ende des anderen zeigte sich eine weiße, runde Substanz von etwa dem doppelten Umfang unserer Köpfe. In beiden befand sich je eine ungeheure Stahlplatte. Wir veranlassten ihn nach unserm Befehl, sie uns zu zeigen, weil wir befürchteten, es möchten gefährliche Maschinen sein. Er nahm sie aus ihren Hüllen und sagte uns, es sei in seiner Heimat Brauch, sich mit dem einen den Bart zu rasieren und mit dem anderen das Fleisch zu schneiden. Zwei Taschen waren vorhanden, in die wir nicht eindringen konnten; er nannte sie seine Uhrtaschen; es sind zwei breite Schlitze, die in den oberen Rand seines mittleren Überzugs geschnitten sind und die der Druck seines Bauchs fest schließt. Aus der rechten Uhrtasche hing eine große silberne Kette herab, an deren unterm Ende sich eine wunderbare Maschine befindet. Wir wiesen ihn an, herauszuziehen, was an der Kette befestigt wäre; und es stellte sich heraus, dass es ein runder Gegenstand war, der halb aus Silber bestand und halb aus einem durchsichtigen Metall; denn auf der durchsichtigen Seite sahen wir in kreisförmiger Anordnung wunderliche Figuren, die wir berühren zu können vermeinten, bis unseren Fingern jene durchsichtige Maße halt gebot. Er hielt uns diese Maschine an die Ohren, und sie machte ein unaufhörliches Geräusch, ähnlich dem einer Wassermühle. Wir vermuteten darin entweder ein unbekanntes Tier oder den Gott, den er anbetet; wir neigen freilich mehr zu der letzteren Ansicht, denn er versicherte uns (wenn wir ihn recht verstanden er drückte sich sehr unvollkommen aus), dass er selten etwas täte, ohne diese Maschine zu Rate zu ziehen. Er nannte sie sein Orakel und sagte, sie gäbe ihm für jede Handlung seines Lebens die Zeit an. Aus der linken Uhrtasche zog er ein Netz, das fast für einen Fischer groß genug ist, aber eingerichtet, um es wie eine Börse zu öffnen und zu schließen; und als solche dient es ihm auch: wir fanden mehrere massive Stücke gelben Metalls darin und wenn sie aus echtem Golde bestehen, müssen sie von ungeheurem Wert sein.

 

Als wir so, den Befehlen Eurer Majestät gemäß, all seine Taschen durchsucht hatten, bemerkten wir über seinen Hüften einen Gürtel, der aus dem Fell irgendeines fabelhaften Tiers gemacht ist; darin hing auf der linken Seite ein Schwert von der Länge von fünf Menschen und rechts ein Beutel oder eine Tasche, die in zwei Kammern geteilt ist, deren jede drei der Untertanen Eurer Majestät fasst. In einer dieser Kammern lagen viele Bälle oder Kugeln aus einem sehr schweren Metall; sie sind etwa so groß wie unsere Köpfe und verlangen eine starke Hand, um sie zu heben; die andere Kammer enthielt einen Haufen schwarzer Körner von nicht sehr großem Umfang oder Gewicht, denn wir konnten etwa fünfzig davon in der hohlen Hand halten.

 

Dies ist ein genaues Inventar von dem, was wir bei dem Menschberg fanden; er behandelte uns sehr höflich und mit derjenigen Achtung, die der Kommission Eurer Majestät gebührte.

 

Unterzeichnet und gesiegelt am vierten Tage des neunundachtzigsten Mondes der glückseligen Regierung Eurer Majestät.

 

Clefrin Frelock, Marsi Frelock.

 

Als dem Kaiser dieses Inventar vorgelesen wurde, wies er mich, wenn auch in sehr sanften Worten, an, die verschiedenen Gegenstände auszuliefern. Zunächst verlangte er meinen Krummsäbel, den ich mit der Scheide herausnahm. Inzwischen befahl er, dass dreitausend Mann aus seinen ausgewählten Truppen, die ihn begleiteten, in gebührendem Abstand einen Kreis bildeten und ihre Pfeile und Bögen schussbereit hielten; ich freilich bemerkte das nicht, denn ich hielt den Blick fest auf Seine Majestät gerichtet. Dann begehrte er, dass ich den Säbel zöge; und obwohl er durch das Seewasser ein wenig Rost angesetzt hatte, war er größtenteils noch äußerst blank. Ich zog ihn, und im selben Augenblick erhoben all die Truppen zwischen Angst und Staunen ein Geschrei, denn die Sonne schien hell, und der Widerschein blendete ihre Augen, als ich die Waffe in der Hand hin und her schwang. Seine Majestät ist ein höchst beherzter Fürst, und er war weniger entsetzt, als ich erwarten konnte; er befahl mir, den Säbel wieder in die Scheide zu tun und ihn, so sanft ich nur konnte, sechs Fuß vom Ende meiner Kette entfernt zu Boden zu werfen. Das nächste, was er verlangte, war einer der hohlen Eisenpfeiler, mit denen er meine Pistolen meinte. Ich zog eine hervor und setzte ihm auf seinen Wunsch, so gut ich es vermochte, ihren Gebrauch auseinander; und indem ich sie nur mit Pulver lud (denn vermöge der Dichtigkeit des Lederbeutels war es im Wasser der Durchnässung entgangen: einer Schädigung, gegen die alle vorsichtigen Seefahrer besondere Vorkehrungen treffen), warnte ich den Kaiser, nicht zu erschrecken und entlud sie in der Luft. Das Entsetzen war jetzt weit Größer als beim Anblick meines Säbels. Hunderte fielen wie tot zu Boden; und selbst der Kaiser konnte sich, obwohl er auf den Füßen blieb, eine Weile hindurch nicht wieder erholen. Ich lieferte meine beiden Pistolen in der gleichen Weise aus, wie ich es mit meinem Säbel getan hatte und dann auch den Beutel mit dem Pulver und den Kugeln; ich bat, dass man jenes vor Feuer bewahrte, da es sich durch den kleinsten Funken entzünden und den kaiserlichen Palast in die Luft sprengen würde. Ich lieferte auch meine Taschenuhr aus, die zu sehen der Kaiser sehr begierig war; er befahl zweien seiner größten Leibgardisten, sie mit Hilfe eines Pfahls auf die Schultern zu nehmen wie die Rollkutscher in England ein Fass Bier zu tragen pflegen. Er hörte das beständige Geräusch, das sie machte, mit großem Staunen und beobachtete auch die Bewegung des Minutenzeigers, die er leicht erkennen konnte, da sie weit schärfer sehen als wir. Er fragte die Gelehrten, die ihn umgaben, was sie davon hielten, und ihre Ansichten waren, wie der Leser es sich denken kann, ohne dass ich sie ihm wiederhole, schwankend und trafen weit vom Ziel; freilich konnte ich sie auch nicht sehr genau verstehen. Dann lieferte ich mein Silber- und Kupfergeld, meine Börse mit neun großen und einigen kleinen Goldstücken, mein Taschen- und mein Rasiermesser, meinen Kamm, meine silberne Schnupftabakdose, mein Sacktuch und mein Tagebuch aus. Mein Säbel, meine Pistolen und der Beutel wurden auf Wagen in Seiner Majestät Vorratshäuser überführt; der Rest meiner Sachen aber wurde mir zurückgegeben.

 

Ich hatte, wie ich zuvor schon bemerkte, eine Geheimtasche, die ihnen bei ihrer Suche entging; in ihr befanden sich eine Brille (die ich bisweilen nötig habe, weil meine Augen schwach werden), ein Taschenfernrohr und mehrere andere kleine Gegenstände; da sie für den Kaiser von keiner Bedeutung sein konnten, so hielt ich mich nicht für in Ehren verpflichtet, sie preiszugeben, und ich fürchtete, sie könnten verloren gehen oder verdorben werden, wenn ich mich von ihnen trennte.

 

Kapitel III

 

Der Verfasser unterhält den Kaiser und den Adel beiderlei Geschlechts auf eine sehr ungewöhnliche Weise. Die Vergnügungen am Hofe zu Lilliput werden geschildert. Dem Verfasser wird unter bestimmten Bedingungen die Freiheit gewährt.