Autor: Maurice Delafosse

Übersetzung: Romy Fischer

Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

 

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61A-63A Vo Van Tan Street

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

 

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Unser Dank gilt den Fotografen (v.a. Klaus H. Carl)

 

Alle Rechte vorbehalten.

Das vorliegende Werk darf nicht, auch nicht in Auszügen, ohne die Genehmigung des Inhabers der weltweiten Rechte reproduziert werden. Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen, den betreffenden Künstlern selbst oder ihren Rechtsnachfolgern. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen.

Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

 

ISBN: 978-1-78310-688-2

Maurice Delafosse

 

 

 

 

Die Kunst Afrikas

 

 

 

Inhalt

 

 

Vorwort

Ursprünge und Prähistorie

Zielsetzung

Ursprung der Schwarzafrikaner

Die Lemuria-Theorie

Ozeanische Migrationsbewegungen

Autochthone Afrikaner

Bevölkerung Afrikas

Die Schwarzafrikaner zur Zeit Herodots

Die Entwicklung schwarzer Kulturen in der Antike

Die Dürftigkeit historischer Quellen

Die „Akori-Steine”

Karthagischer und phönizischer Einfluss

Die abessinischen Semiten und die „Beni Israel”

Römer und Berber

Schwarzafrika im Mittelalter

Das Reich von Ghana

Die almoravidische Bewegung

Das Königreich von Diara

Das Sosso-Königreich

Die Anfänge des Songhai-Reiches

Das Mandingo-Reich

Die Reiche der Mossi

Westafrika – 15. bis 20. Jahrhundert

Historischer Quellenreichtum

Das Mandingo- und das Songhai-Reich

Der Askia Mohammed

Koli Tenguella

Die letzten Askia

Die Paschas aus Timbuktu

Die Bambara-Reiche

Die Tukulor-Eroberung

Die Samori-Streifzüge

Die Völker der Westküste

Die Völker des Nigerbogens

Die Schwarzen im Zentral- und Ostsudan

Das Land der Hausa

Das Bornu-Reich

Das Sultanat Bagirmi

Das Königreich Wadai

Darfur und Kurdufan

Die Eskapaden von Rabih

Der Mahdismus

Die Nachbarvölker Abessiniens und die Völker der Ostspitze Afrikas

Südafrika

Die Bantu

Der Kongo

Das Königreich Ansika

Das Reich des Mataman

Das Reich der Betschuanen

Das Reich des Monomotapa

Kilwa und die Sultanate von Zandsch

Die Reiche im Landesinneren

Europäische und christliche Einflüsse

Materielle Kulturen

Die Vielfalt materieller Kulturen

Der Einfluss des Umfelds

Behausungen

Ausstattung

Kleidung und Schmuck

Berufe

Soziale Sitten

Die Familie und zwei Verwandtschaftsmodelle

Der Patriarch

Die Ehe

Die Scheidung

Die Kinder

Die Polygamie

Kollektiv- und Privateigentum

Die Sklaverei

Glaube und religiöse Praktiken

Islam, Christentum und Animismus

Geister der belebten und unbelebten Dinge

Der Lebensatem

Kult um physische Gottheiten

Der Glaube an einen höchsten Gott

Aberglaube, Magie und Hexerei

Geistige und künstlerische Zeugnisse

Schwarze Talente

Die Darstellung von Menschen und Göttern

Die Darstellung der Tiere

Das Kunstgewerbe

Architektur

Musik

Heimatliteratur in Arabisch

Muttersprachliche Literatur

„Griots“ oder lebende Enzyklopädien

Mündlich überlieferte Volksliteratur

Ursprung volkstümlicher Themen

Geniale Erzähler

Moralische Erzählungen

Angebliche geistige Unterlegenheit der Schwarzen – Ein niemals erbrachter Beweis und zahlreiche Gegenbeweise

Anhang

Ausgewählte Bibliografie

Ältere Primär- und Sekundärliteratur

Zeitgenössische Primär- und Sekundärliteratur

Abbildungsverzeichnis nach Ethnien

Anmerkungen

Vorwort

 

 

 

Maurice Delafosse (1870-1926) war ein auch in heutigen Expertenkreisen bekannter und angesehener Afrikanist, der den Anforderungen seines Fachs sowie seiner Zeit zugunsten der Darstellung eines authentischen Afrikas mehr als gerecht wurde.

 

Während seiner Amtszeit als Kolonialbeamter von 1894 bis 1918 erlaubte es ihm seine sowohl naturalistische als auch orientalische Ausbildung, vor Ort historische, linguistische sowie ethnografische Untersuchungen anzustellen und sich dabei ähnlich wie Léopold Sédar Senghor auf die kulturellen Werte der schwarzen Welt zurückzuberufen. Letzterer, ein Hauptautor der Négritude, zeigte im Übrigen ein ausgeprägtes Interesse an Delafosses Schriften und ließ seine ersten Aufsätze darauf gründen.

 

Im Folgenden handelt es sich um eine Auswahl aus den beiden Werken Les Noirs de l’Afrique (1922) und Les Nègres (1927), in denen Delafosse zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Forschungen zur afrikanischen Kultur dargelegt hat. Der in einem authentischen Schreibstil gehaltene Text basiert auf einer damals zeitgenössischen Analyse und beinhaltet deswegen ein zur Kolonialzeit übliches Vokabular. Es gilt darauf aufmerksam zu machen, dass ebendieses Vokabular zum einen auf der Ebene der Eigennamen mitunter überholte und zum anderen aus einer heutigen, vor allem sprachlich sensibilisierten Sicht unübliche Begrifflichkeiten einschließt. Nichtsdestotrotz kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Maurice Delafosse bezüglich allem, was den afrikanischen Kontinent betrifft, ein großer Enthusiast war, dessen Werk sich trotz des scharfen sprachlichen Gegensatzes zwischen damals und heute durchaus immer noch einer Übersetzung als würdig erweist.

 

 

Statue (Kaka).

Holz, Höhe: 100 cm.

 

 

Statuen, die Vaterschaft darstellen, sind sehr selten in der afrikanischen Kunst. Der entschlossene Gesichtsausdruck der Figur soll die Schutzfunktion der Statue für das Kind in ihren Armen sowie für den Schöpfer der Statue selbst implizieren.

 

 

Ursprünge und Prähistorie

 

 

Zielsetzung

 

Das vorliegende Werk soll einen allgemeinen Einblick in die Kultur und Geschichte der schwarzen Bevölkerung des afrikanischen Kontinents gewähren und dabei sowohl geistige, materielle als auch soziale Aspekte berücksichtigen.

 

Folglich spielen jene weißen Bevölkerungsgruppen keine Rolle, die sowohl während als auch nach der Antike einen starken Einfluss auf die Entwicklung Nordafrikas hatten und deren Verbreitungsgebiete sich vom Roten Meer bis zum Atlantik, von den Mittelmeerküsten bis zum südlichen Ende der Sahara erstreckten: Bewohner des Alten und Neuen Ägypten, Berber, Libyer, Mauren, Punier, Araber oder Phönizier. Oder genauer gesagt, es wird lediglich in dem Maße von ihnen die Rede sein, in dem sie zur Perfektionierung der schwarzen Gesellschaftsgruppen beigetragen haben – ein oftmals beträchtlicher Beitrag, den man eigentlich gar nicht genug betonen kann.

 

Aus denselben Gründen werden jene Völker nur am Rande behandelt, die, sei ihre Hautfarbe durch jahrhundertelangen Verkehr mit Schwarzafrikanern auch noch so dunkel geworden, trotzdem wie ein Großteil der Abessinier entweder zum semitischen Zweig der hellhäutigen Weltbevölkerung, oder, wie zahlreiche madagassische Stämme, zum indonesischen Zweig der gelbhäutigen Population gezählt werden. Die Insel Madagaskar liegt im Übrigen außerhalb der geografischen Grenzen, die ich mir anlässlich meines Vorhabens gesteckt habe.

 

Es gibt wiederum afrikanische Bevölkerungsgruppen, die zumindest teilweise zwar keine schwarzen Vorfahren hatten, die sich aber auf die eine oder andere Art in die Gemeinschaft von Schwarzafrikanern eingebracht haben: auch ihnen wird hier Platz eingeräumt werden. Für den Moment beschränke ich mich darauf, die Fulbe im Sudan, die Hottentotten in Südafrika sowie eine gewisse Anzahl von mehr oder weniger gemischten Stämmen in Ostafrika zu nennen, die man allgemein – und ohne rechten Grund – als hamitisch bezeichnet.

 

 

Ursprung der Schwarzafrikaner

 

Nachdem nun die Aufgabenstellung der vorliegenden Abhandlung formuliert ist, gilt es, sich der Frage nach der ursprünglichen Abstammung der schwarzen Rasse zu widmen. Aber ist es überhaupt möglich, sich diesbezüglich auf einen Ursprung festzulegen? Unser heutiger Wissensstand ist von einer eindeutigen oder gar nur befriedigenden Antwort auf diese Frage noch weit entfernt.

 

Des Weiteren würden wir uns diese Frage wahrscheinlich überhaupt nicht stellen, wenn Afrika der einzige Ort mit Schwarzhäutigen wäre. Doch ist dem nicht so, und von den Ländern einmal abgesehen, in denen Populationen schwarzer Hautfarbe erst in neuerer Zeit und bedingt durch allgemein unfreiwillige Migrationsbewegungen, deren Genese und Umstände – wie in Amerika – bekannt sind, auftreten, weiß man, dass die als autochthon bezeichneten Einwohner in weit von Afrika entfernten Gebieten, welche die unendliche Weite des Indischen Ozeans von diesem Kontinent trennt, mit gleichem Recht der schwarzen Rasse angehören wie die Schwarzafrikaner in Mosambik oder Guinea.

 

 

Die Lemuria-Theorie

 

Wenn man die Ureinwohner Australiens, Papuas und Melanesiens (griech.: schwarze Inseln) zur selben Kategorie wie die Schwarzafrikaner zählt, ergibt sich logischer Weise die Frage, ob deren Vertreter zuerst in Afrika oder Ozeanien vorkamen – oder ob sich beide zu Anbeginn der Menschheit nicht gar einen Lebensraum auf irgendeinem hypothetischen, heute verschwundenen Kontinent teilten, der zwischen Afrika und dem ozeanischen Archipel gelegen hat und einst als Bindeglied und Übergang zwischen den beiden Regionen diente.

 

Statue Edjo (Urhobo).

Nigeria. Holz, Pigmente,

Höhe: 212 cm.

 

 

Die großen Urhobo-Statuen können sowohl die Edjo-Geister der Natur als auch die Stammesvorfahren, die Eshe, darstellen, zu deren Ehre die Urhobo jährlich Feste feiern und Opfer in Heiligtümern darbringen. Jede Gemeinschaft hat ihren eigenen „Beschützer-Edjo“, der in der Wildnis lebt und durch einfache Holz-, Ton- oder Metallstücke materialisiert werden kann. Diese Statue trägt Medizin am Gürtel und an der Brust, aber weist auch kriegerische Symbolik (Degen und Lanze) auf.

 

Statue (Vezo).

Holz, Höhe der größeren

Statue: 57 cm. Privatsammlung.

 

 

Das Volk der Vezo wohnte in einer Region, die von den Sakalava kontrolliert wurde. Diese zwei einzigartig geformten Statuen [Gegenstück auf S. 25] hatten wahrscheinlich eine bestimmte Funktion im Bestattungsritus der Vezo. Heute ist leider unmöglich festzustellen, ob die verrenkte Haltung bewusst vom Künstler gewählt wurde, oder ob sich das Holz über die Jahre verzogen hat.

 

Figurine, 9. Jh. n.Chr.

Nördliche Provinz, Südafrika.

Ton, 20 x 8,2 x 7 cm.

Leihgabe des National Cultural

History Museum, Pretoria.

 

 

Diese Figur ist Teil einer größeren Sammlung, die auf dem Schroda Bauernhof entdeckt wurde, und gehört – zusammen mit den Lydenburg-Köpfen –heutzutage zu den bekanntesten Kunstwerken der Eisenzeit. Diese Tonfiguren können in drei Kategorien eingeordnet werden: Realistisch und stilisiert-anthropomorph (Mann und Frau), zoomorphisch (Elefanten, Giraffen, Rinder und Vögel) und mythologisch. Ethnografische Quellen implizieren, dass diese, in den Dörfern gefundenen, Figurensammlungen auf die Stätten antiker Initiationsschulen für junge Mädchen hinweisen. Schroda war eine Hauptstadt der Region, bewohnt von 300 bis 500 Menschen, womit dort wahrscheinlich große Initiationsschulen existierten. Dies würde jedenfalls die Fülle der gefundenen Tonfiguren erklären.

 

 

Dieser als Wiege der schwarzen Rasse geltende Kontinent hat ebenso viele Anhänger wie jener Kontinent, den einige einst für das Gebiet zwischen dem heutigen Europa und Amerika annahmen; man hat ihm nicht nur den Namen Lemuria gegeben, so wie man den anderen Atlantis taufte, sondern so, wie man in den Azoren und Kanaren die Überreste des antiken Atlantis zu erkennen glaubte, versucht man für Lemuria, Madagaskar, die Maskarenen sowie eine Vielzahl von Inseln unterschiedlicher Größe als dessen Überreste zu betrachten.

 

Die Existenz von Lemuria wurde nie bewiesen. Selbst wenn sie sich beweisen ließe, wäre es durchaus möglich, dass dieser Kontinent schon lange vor dem Auftritt der ersten Menschen verschwunden ist. Im Übrigen bedarf es nicht etwa dieser Hypothese, um die Theorie zu stützen, dass die afrikanischen Schwarzen aus Ozeanien stammen. Heute ist bekannt, dass ein nicht unbedeutender Anteil der madagassischen Bevölkerung aus Indonesien stammt, und es könnte sein, dass die Migration zumindest teilweise zu einem Zeitpunkt stattfand, als die Kommunikation zwischen Ozeanien und Madagaskar eher beschränkt war und dass der angedeutete Exodus über das Meer erfolgt ist. Dagegen ließe sich halten, dass die etwa eineinhalb Millionen Madagassen indonesischer Abstammung in keinem Verhältnis zu den 150 Millionen Schwarzafrikanern stehen. Doch ist der letztere Wert nicht binnen eines Tages entstanden, und es ist anzunehmen, dass die Migrationsbewegungen gleich denen, die Tausende Jahre zuvor Malaien und andere Ozeanier nach Madagaskar brachten, ein schwarzes Element nach Afrika einführten, das dadurch, dass es sich im Laufe der Jahrtausende vor Ort vervielfachte und mit autochthonen Elementen mischte, auf lange Sicht dazu ausreichte, ansatzweise jenen oben genannten hohen Wert herbeizuführen.

 

Statuette (Lega).

Elfenbein, Höhe: 15,5 cm.

 

 

Die Ziernarben auf dem Körper dieser Statuette sind bezeichnend für Lega-Figuren, die eine zeremonielle Funktion in der Bwami-Vereinigung hatten, einer prestigeträchtigen Gruppierung, die politischen und sozialen Einfluss auf die Gesellschaftsstruktur der Lega ausübte.

 

 

Ozeanische Migrationsbewegungen

 

Es spricht prinzipiell weder etwas dagegen, dass der Bevölkerungsstrom in umgekehrter Richtung verlaufen sein könnte, noch gegen die Theorie, folglich einen afrikanischen Ursprung in der schwarzen Bevölkerung Melanesiens zu erkennen. Eine ausführliche Untersuchung einheimischer Bräuche begünstigt jedoch die erste der beiden Theorien. So vage und zusammenhanglos diese Bräuche auch sein mögen, und in welchen magischen Schleier sie die Schwarzen in ihrer Fantasie und in ihrem Aberglauben auch gehüllt haben mögen, so sehr beeindrucken sie doch mittels ihrer Übereinstimmung auch die voreingenommensten Geister und machen diese glauben, dass sich – nachdem man sie gedanklich von allem Schnickschnack befreit hat – in ihrem Kern eine Wahrheit verbirgt.

 

Weiter behaupten alle schwarzafrikanischen Stämme, dass ihre Urahnen aus dem Osten stammen. Allerdings sind Migrationsbewegungen in alle Richtungen verlaufen; doch wenn man die jeweils gegebenen Umstände methodisch analysiert, stellt man fest, dass jene nicht in Richtung Westen vonstatten gegangenen Ortswechsel zum einen durch Hunger, Kriege oder Seuchen bedingt waren und zum anderen immer erst nach der Zeit stattfanden, in der die untersuchte Gruppe den Anbeginn der eigenen Geschichte ansiedelte. Auf unser Drängen hin zeigten die befragten Einheimischen ausnahmslos auf die aufgehende Sonne, um die Region anzudeuten, aus der ihr Urvater stammt.

 

Bis zum Beweis des Gegenteils könnte die Theorie, nach der die Schwarzafrikaner nicht autochthon, sondern aus Migrationsbewegungen, deren Ausgangspunkt bis zum Ende des Indischen Ozeans und des Pazifiks reicht, hervorgegangen sind, durchaus fundiert sein. Was jedoch den Zeitrahmen dieser Wanderbewegungen anbelangt, sollte man vorsichtigerweise von einer genauen Datierung absehen. Fest steht nur: Als die antiken Völker des Orients und des Mittelmeerraumes erstmals von der Existenz afrikanischer Neger erfuhren, lebten letztere bereits – und das wahrscheinlich seit geraumer Zeit - etwa in den gleichen Regionen, in denen sie heute anzutreffen sind, und schon damals schien ihre Erinnerung an den ursprünglichen Lebensraum getrübt zu sein.

 

Gemeißelter Stein (San),

um 2000-1000 v.Chr. Südafrika.

Andesit, 53 x 54 x 24 cm.

McGregor Museum, Kimberley.

 

 

Südafrika ist einer der bekanntesten Fundorte für Felszeichnungen, die dort nicht nur reichlich vorhanden, sondern auch stilistisch unheimlich vielfältig sind. Obwohl sie nicht so populär wie Höhlenmalereien sind – wie etwa die der Chauvet-Höhle –, weisen diese Petroglyphen eine nicht minder wichtige technische, geschichtliche und inhaltliche Vielfalt auf. Die Älteste dieser Malereien kann auf 12.000 v.Chr. datiert werden, wobei mündliche Überlieferungen nahelegen, dass einige dieser Malereien auch noch im 19. Jahrhundert angefertigt worden sind.

Die Felsbilder zeigen nicht nur Mensch- und Tierfiguren sondern auch geometrische Formen. Während viele dieser Zeichnungen markante Felsen auf verstreuten Hügelkuppen zieren, wurde das abgebildete Beispiel an einem der großen Fundorte für Petroglyphen, Kimberley in Australien, gefunden. Man kann davon ausgehen, dass der Symbolismus der San-Kunst mit spirituellen Erfahrungen während der Trance verbunden ist. Die Einritzungen könnten von während einer Trance erlebten Visionen inspiriert worden und auf den Felsen aufgetragen worden sein, um diese spirituellen Erfahrungen mit anderen zu teilen. Heutzutage strengen sich Experten an, die Kunstwerke in ihrer derzeitigen Form zu erhalten, um die offensichtliche Verbindung zwischen Kunst und landschaftlicher Umgebung nicht zu zerstören, die den San so wichtig war. Diese enge Bindung zur Landschaft findet sich auch in der San-Folklore des 19. Jahrhunderts.

 

 

Autochthone Afrikaner

 

Doch welcher Menschenschlag bevölkerte den afrikanischen Kontinent vor der Ankunft der Schwarzen – was für Stämme begegneten letztere bei ihrer Ankunft? Und was ist aus ihnen geworden?

 

Auch hier muss man sich auf Annahmen beschränken, die sich jedoch auf einige relativ sichere Fakten stützen lassen, die einerseits auf lokale Bräuche, andererseits auf Berichte antiker Autoren, Beobachtungen späterer Reisender und Untersuchungen von Prähistorikern und Anthropologen zurückgehen. Letztere haben wissenschaftlich nachgewiesen, dass die allzeit für bestimmte Gebiete in Afrika nachweisbaren zwergwüchsigen Völker und die Pygmäen einer von den Schwarzhäutigen zu unterscheidenden Rasse angehören. Sie sind im Durchschnitt nicht nur hellhäutiger und von geringerer Körpergröße als ein Großteil der Schwarzafrikaner, sondern unterscheiden sich von diesen durch eine Zahl anderer körperlicher Eigenschaften, so zum Beispiel durch das unproportioniertere Größenverhältnis von Kopf, Rumpf und Gliedmaßen.

 

Die Wissenschaftler bezeichnen sie deshalb nicht als „Zwerge”, da sich der Begriff auf Ausnahmen innerhalb einer gegebenen Rasse und nicht auf die Gesamtheit einer Rasse bezieht. Sie verschmähen auch den Begriff „Pygmäen”, der in unserer Vorstellung als vorherrschendes Merkmal eine extrem kleine Körpergröße hervorruft, wohingegen die Menschen, um die es hier geht – obwohl sie nur selten die 1,55 m überschreiten –, im Allgemeinen niemals unter die Grenze von 1,40 m fallen, man nennt sie deshalb alternativ „Negrillen”.

 

Obwohl sich die Anzahl relativ reinrassiger Negrillen in Afrika in Grenzen hält, trifft man sie dennoch verstreut in den Wäldern von Gabun oder im Kongo, in den Tälern der Zuflüsse des oberen Nil und in anderen Teilen Äquatorialafrikas an. Weiter im Süden bilden sie unter den Begriffen Hottentotten und Bushmen (Buschmänner) kompaktere Gemeinschaften. Anderswo, insbesondere am Golf von Guinea, wollen viele Reisende einst Stämme hellerer Hautfarbe mit stark ausgeprägter Kopfform und übermäßiger Behaarung gesichtet haben, die vielleicht aus einer Vermischung zwischen Negrillen und Schwarzhäutigen hervorgegangen sind – wobei sich der Einfluss der Negrillen mitunter dominant auswirkt. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich hierbei um die Überreste einer einst weitverbreiteten Population handelt, die sich im Laufe der Jahrhunderte verlieren und eines Tages vielleicht sogar ganz verschwinden wird.

 

Gemeißelter Stein (San),

um 2000-1000 v.Chr. Südafrika.

Andesit, 48 x 52 x 12 cm.

McGregor Museum, Kimberley.

 

 

Es herrscht Uneinigkeit über die genaue, das Ende der berühmten Reise markierende Stelle, die der karthagische Admiral Hanno der Seefahrer im fünften vorchristlichen Jahrhundert entlang der afrikanischen Westküste unternahm: Man schwankt zwischen der Umgebung der zwischen Sierra Leone und Monrovia gelegenen Sherbro-Insel (Bonthe-Insel) in toleranten und der Gambia-Mündung in nachdrücklichen Einschätzungen. In jedem Fall endete die Periplus genannte Reise des kühnen Seefahrers in einer Region, in der seinerzeit durchaus noch Negrillen ansässig waren.

 

Es ist beinahe unmöglich, keine Ähnlichkeit zwischen den heutigen Negrillen, deren baumkletterische Fähigkeiten ausnahmslos von denjenigen bemerkt wurden, die sie studiert haben, und jenen kleinen, behaarten, menschenähnlichen, auf Bäumen lebenden Wesen festzustellen, die Hanno gegen Ende seiner Hinreise entdeckte und die von seinem Übersetzer als gorii bezeichnet wurden. Aus diesem Wort – so ist es zumindest aus der Feder jener griechischen und lateinischen Autoren übermittelt worden, die über Hannos Abenteuer berichteten – ist das Wort „Gorilla” hervorgegangen. Man verwendet es für eine afrikanische Spezies von Menschenaffen, die ausschließlich am südlichsten Zipfel vorkam, den der karthagische Admiral erreichen konnte. Und man kann davon ausgehen, dass es sich bei den kleinen behaarten, menschenähnlichen Wesen des Seefahrers um Gorillas handelte, einmal abgesehen davon, dass der Gorilla, selbst von Weitem betrachtet, in keinster Weise einem kleinen Menschen, sondern eher einer Art Riesen ähnelt. Es ist vielleicht gar nicht so abwegig, darauf aufmerksam zu machen, dass gorii oder gôryi aus dem Mund eines Wolof sprechenden Senegalesen absolut unserem Ausdruck „das sind Menschen” entspricht, und dies legt die Theorie nahe, dass Hannos vermutlich an der senegalesischen Küste eingestellter Übersetzer jene dort auch heute noch vorhandene Sprache verwendete.

 

Im gleichen Jahrhundert durchquerte der persische Seefahrer Sataspe, den die über ihn verhängte Todesstrafe zu einer Flucht nach Afrika zwang, die Meerenge von Gibraltar und segelte mehrere Monate Richtung Süden. Er konnte seine Reise wegen fehlender Nahrungsmittel nicht beenden und wurde nach seiner Rückkehr an den persischen Hof auf Xerxes’ Befehl hin gekreuzigt. Vorher berichtete Sataspe von „… kleinen, in Palmenblätter gekleideten Menschen, die aus ihren Städten in die Berge flohen, sobald sie ihn kommen sahen”, und die er während seiner Reise an der am weitesten entfernt gelegenen Küste gesichtet hatte. Bei diesen kleinen Menschen handelte es sich sehr wahrscheinlich um Negrillen, doch lässt sich über die genaue Stelle an der afrikanischen Westküste, wo Sataspe ihnen begegnet ist, nur spekulieren. Das, was wir wissen, wurde von Herodot übermittelt (Historien, Buch IV, § XLIII).

 

Zur selben Zeit machte Herodot auf das Vorkommen von Negrillen im nördlichen Teil Afrikas aufmerksam. Im zweiten Buch (§ XXXII) seiner Historien berichtet er, dass junge, an der großen Syrte, damit im Gebiet zwischen Tripolitanien und der Kyrenaika lebende Nasamonen anlässlich einer Wette die Wüste Libyens durchquerten und jenseits einer riesigen Sandfläche zu einer Ebene mit Bäumen gelangten; Sümpfe trennten sie von einer Stadt, durch die ein großer Fluss mit Krokodilen floss. Die Bewohner der Stadt und dieser Ebene hatten einen dunklen Teint, waren überdurchschnittlich klein und verstanden keinerlei Libysch.

 

Lydenburg-Kopf, um 500-700 n.Chr.

Östlich von Transvaal, Südafrika.

Ton, weißes Pigment und Hämatit,

38 x 26 x 25,5 cm. Sammlung der

University of Cape Town,

South African Museum, Kapstadt.

 

 

Die sieben Ton-Köpfe, die nach ihrem Fundort benannt worden sind, wurden behutsam aus den einzelnen, gefundenen Fragmenten rekonstruiert. Die Fragmente wurden dank der Technik der Radiokohlenstoffdatierung auf das 7. Jahrhundert n.Chr. datiert. Im Laufe späterer Ausgrabungen wurde nicht nur diese Datierung bestätigt, sondern auch ein anderes wichtiges Detail zu Tage gefördert: Anscheinend wurden die Köpfe bewusst in einer Grube gelagert, versteckt, wenn sie nicht in Gebrauch waren, was eine rituelle Funktion nahelegt. Zwei von ihnen sind groß genug, um als Helme getragen zu werden, während die anderen fünf zwei Löcher auf jeder Seite des Halses haben. Die Köpfe könnten Teil einer größeren Struktur oder eines Anzugs sein. Gesichtszüge sind mittels aus Ton modellierten Stücken umgesetzt worden.

Die Augen sind in Form von Kaurimuscheln gestaltet worden. Der Mund ist breit; die Reliefs könnten Narben darstellen, während die Tonleisten über den Augen das Haar andeuten. Die zwei größten Köpfe sind mit Tierfiguren gekrönt. Ihre Funktion bleibt ein Geheimnis, obwohl Archäologen argumentiert haben, dass sie in Initiationsritualen Verwendung gefunden haben könnten; vor allem in Riten, die den Übergang in einen neuen sozialen Status oder die Initiation in eine bestimmte Gruppe feiern.

 

Lydenburg-Kopf, um 500-700 n.Chr.

Östlich von Transvaal, Südafrika. Ton,

weißes Pigment und Hämatit, 24 x 12 x 18 cm.

Sammlung der University of Cape Town,

South African Museum, Kapstadt.

 

 

Dieser Kopf – einer der kleineren – ist der einzige, der Tierzüge darstellt. Die ästhetische Ausdruckskraft der Köpfe, die durch die weißen Markierungen und das metallisch glänzende Hämatit betont wird, bekräftigt das Argument, dass die Köpfe bei Ritualen benutzt worden sind, um etwa den Zuschauer zu fesseln oder eine Verbindung zwischen der Realität und der Welt der Geister herzustellen.

 

Kwayep Mutterschaft (Bamileke).

Holz, Pigmente, 61 x 24,9 cm.

Musée du quai Branly, Paris.

 

 

Einige Wissenschaftler wollten in dem von Herodot erwähnten „großen Fluss” den Niger erkennen, andere glaubten, es sei der Tschadsee, und wieder andere, es sei ein westlicher Arm oder Zufluss des Nils. Wie dem auch sei, die Nasamonen sind am südlichsten Ende der Sahara auf die Negrillen getroffen, damit im Norden einer Region, über deren Grenzen diese Rasse dann nicht mehr hinausging.

 

Die Bräuche der Einheimischen bringen ein nicht zu unterschätzendes Licht ins Dunkel und erlauben beinahe, vom Reich der bloßen Vermutungen in das der Wahrscheinlichkeiten überzugehen.

 

Überall, doch hauptsächlich in den Gegenden, aus denen die Negrillen seit langer Zeit verschwunden sind, sagen die als die ältesten Landbesitzer angesehenen Schwarzen, dass ihnen dieses Land nicht wirklich gehöre und dass ihre entfernten Vorfahren es, als diese aus dem Osten kamen und sich dort ansiedelten, im Besitz kleiner Menschen mit rötlicher Gesichtsfarbe und großem Kopf vorfanden, die die eigentlichen Autochthonen waren und den Schwarzen, die als erste ein bestimmtes Stück Land betraten, unter Vereinbarung einiger Regeln die Erlaubnis erteilten, dieses Land zu nutzen und nutzbar zu machen.

 

Im Laufe der Zeit sind diese kleinen Menschen verschwunden, doch ihr Andenken ist lebendig geblieben. Für gewöhnlich hat man sie vergöttlicht und mit Göttern oder Baum-, Berg-, Erd-, Stein-, Wald- und Wassergeistern gleichgesetzt; oftmals heißt es auch, sie würden im Reich der seltsamen Tiere wiederauferstehen, beispielsweise als Manati oder als eine dieser kleinen, halb amphibischen Antilopen (Limnotragus Gratus und Hyœmoschus Aquaticus). Manchmal, wie zum Beispiel bei den Mandinka, bezeichnet ein und dasselbe Wort (man oder mâ) gleichzeitig ebendiese Antilopen wie auch den Manati, Buschgeister, die besagten kleinen rotgesichtigen Menschen, aber auch „Vorfahre”, „Herr” und im Besonderen „Landherr”. Auf diese Weise legen es Bräuche der Einheimischen nahe, dass die Negrillen den „Negern” auf afrikanischem Boden nicht nur vorausgingen, sondern dass sie letzteren zusätzlich beträchtliche Eigentumsrechte für diesen Boden einräumten, dessen spätere Nutzer sich lediglich als Fremdbesitzer und Nießbraucher betrachteten.

 

Somit ist selbst in Ermangelung einer hundertprozentigen Gewissheit die Annahme berechtigt, dass der Lebensraum der Schwarzafrikaner ursprünglich von Negrillen bevölkert war. Deren Verbreitungsgebiet ging vermutlich nicht weit über die Grenzen jenes Gebiets hinaus, das heute den Lebensraum der Schwarzafrikaner bildet. Dennoch gilt es, den Blick etwas weiter nördlich zu richten und wenigstens den südlichen Teil der Sahara miteinzuschließen, der wahrscheinlich weniger trocken war, als er es heute ist, und der vielleicht sogar von Flüssen durchzogen war, die im Laufe der Jahrhunderte entweder ausgetrocknet sind oder sich in Grundwasserreservoire verwandelt haben. Nordafrika, das sich schon damals sehr vom Rest des Kontinents unterschied und eher an den europäischen Mittelmeerraum als an Zentral- und Südafrika erinnerte, wurde vermutlich von einer anderen Menschenrasse bewohnt.

 

Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die Negrillen vor der Ankunft der Schwarzen in Afrika in halbnomadischen Verhältnissen lebende Jäger und Fischer, die, wie es Menschen angemessen ist, sich ausschließlich der Jagd und dem Fischfang widmeten. Ihre Sitten und Gebräuche glichen sehr denen der heute noch vorkommenden Negrillen, und wahrscheinlich sprachen sie wie diese halbgedämpfte, halbagglutierende Sprachen, die aus phonetischer Sicht durch das Phänomen der „Klicklaute“[1] und den Gebrauch musikalischer Töne gekennzeichnet sind. Je nach Region dienten ihnen die Bäume des Waldes, Berggrotten, Felsvorsprünge, Hütten aus Ästen oder Rinde und Pfahlbauten als mehr oder weniger temporäre Behausungen. Vielleicht widmeten sie sich auch dem Behauen und Polieren von Stein, sodass sich die Äxte, Pfeilspitzen, Schabeisen und zahlreichen anderen Steinwerkzeuge, die man in Schwarzafrika findet und die von denen, die ihre Herkunft nicht kennen, für vom Himmel gefallene Steine und materielle Spuren eines Blitzeinschlags gehalten werden, ihnen zuschreiben lassen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Negrillen ausschließlich behauenen Stein kannten, wohingegen ihre prähistorischen Nachbarn aus Nordafrika bereits mit der Kunst des Steinpolierens vertraut waren.

 

Statue (Bamileke).

Kamerun. Holz, Edelrost,

Kruste, Höhe: 59 cm.

Sammlung S. und J. Calmeyn.

 

 

In der Dschang-Region, der Heimat der Bamileke und der östlichen Bangwa, findet man diese Ritualstöcke, die der Lefem-Gesellschaft gehörten. Das Endstück des Stabs wird von einer Figur gekrönt, die sich bei genauerer Betrachtung als Königsfigur herausstellt. Der fwa sitzt; das Gesicht ist übergroß, die Augen werden von breiten Lidern bedeckt und der Mund steht halboffen. Diese Ritualstöcke säumten den Pfad, der zum heiligen Wald der Stammesältesten führte – ein verbotener Platz für die einfachen Dorfbewohner. Die geheime Gesellschaft der Lefem besteht aus hochrangigen und ehrenwerten Dorfbewohnern, die für ihre Mitgliedschaft einen hohen Beitrag zahlen mussten. Neben anderen gesellschaftlichen Pflichten, war es ihre Aufgabe die Totenfeiern für die Mitglieder der königlichen Familie, hauptsächlich jedoch für den König und den Prinzen, zu organisieren.

 

Helmschmuck (Ekoi). Holz,

Pflanzenfasern, Haar, Leder und Elfenbein,

Höhe: 25 cm. Privatsammlung.

 

 

Dieser angsteinflößende Helmschmuck weist die typischen stilistischen Merkmale der Ekoi-Kunst auf: ein mit Antilopen-Haut überspannter Holzkern und Dekoration aus Haar, Zähnen und Elfenbein.

 

Statue (Tubwe).

Holz, Höhe: 36 cm.

Leloup-Archiv.

 

 

Die Bedeutung oder Funktion dieser Statue kann leider nicht mehr nachgewiesen werden, da nur der obere Teil erhalten geblieben ist. Ihre Herkunft ist jedoch eindeutig: Die Darstellung der Frisur und die Kugelaugen sind charakteristische Eigenschaften der Tubwe-Kunst. Die reiche, ölige Patina verstärkt die mysteriöse Ausstrahlung der Statue, die wohl einen Stammesvorfahren darstellen könnte.

 

Maske Nyibita (Ngeende).

Holz, Höhe: 63 cm.

Privatsammlung.

 

 

Ngeende-Masken sind sehr selten. Die großen, leeren Augen dieses Exemplars verleihen ihr eine gespenstische Wirkung. Die verkrustete Patina der Maske legt nahe, dass dieser Maske viele Trankopfer gewidmet wurden.

 

Statue Ekpu (Oron).

Nigeria. Holz, Höhe: 117 cm.

Privatsammlung.

 

 

Sobald ein hoher Würdenträger der Oron starb, wurde diesem zur Ehre eine dieser Figurinen angefertigt. Die Statue bekam oft ein wichtiges Objekt aus dem Leben des Würdenträgers in die Hand gelegt. Die Figur wurde anschließend zu anderen Ahnenstatuen in ein Heiligtum gestellt, wo sie zweimal im Jahr verehrt wurde. Sie verkörperte die Identität einer Blutlinie und deren Besitzanspruch.

 

 

Bevölkerung Afrikas

 

Schließlich tauchten die ersten Schwarzen auf, die den afrikanischen Kontinent wahrscheinlich im Südosten erreichten. Sie müssen wohl ebenfalls Nomaden beziehungsweise Halbnomaden und Jäger gewesen sein, vor allem, weil sie sich in einer Phase der Migration und auf der Suche nach geeigneten Siedlungsgebieten befanden und somit gezwungen waren, sich während ihrer ständigen Ortswechsel von Wild zu ernähren. Doch wollten sie sich vermutlich sesshaft und den Boden nutzbar machen, sobald sie ein geeignetes Gebiet gefunden und sich dort niedergelassen hatten.

 

Sie beherrschten zudem die entweder importierte oder später von den Autochthonen im Norden, als sie mit diesen in Kontakt standen, übernommene Technik des Steinpolierens; vielleicht haben sie aber auch die Verfahren der Negrillen perfektioniert. Sie müssen über relativ ausgebildete künstlerische Fähigkeiten sowie über eine starke religiöse Prägung verfügt haben. Vielleicht sind ihnen jene Steindenkmäler zuzuschreiben, die man in verschiedenen Regionen Schwarzafrikas entdeckt hat, die ein starkes Interesse bei den Forschern geweckt haben und deren Ursprung rätselhaft bleibt: zum Beispiel die Konstruktionen in Rhodesien (heutiges Simbabwe) oder die Standsteine und Felsgravuren in Gambia, in denen man die Spuren eines Sonnenkultes zu erkennen geglaubt hat. Sie benutzten vermutlich von Präfixen geprägte Sprachen, in denen die Bezeichnungen bestimmter Kategorien lebender und unbelebter Objekte in grammatikalisch verschiedene Klassen unterteilt waren.

 

Obwohl ihnen der Einstieg durch die Negrillen erleichtert wurde, vermischten sie sich, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht mit ihnen und bemächtigten sich stattdessen aller bis dahin unbewohnten Gebiete. Wenn dies nicht möglich war, weil entweder kein verfügbares Land vorhanden war oder der Widerstand der Negrillen sie hinderte, vertrieben sie letztere, um ihren Platz einzunehmen, und jagten sie in wüstenartige Gebiete wie die Kalahari, wo sie dann zu finden waren, oder auch in die schwer zu kultivierenden Wälder Äquatorialafrikas, wo sie sich weit verstreut gehalten haben, oder in die Sumpfgebiete des Tschad und des oberen Nil, wo sie später Herodots Nasamonen trafen, oder schließlich auch in die Küstenregionen Nordguineas, wo ihnen Hanno und Sataspe begegneten.

 

Bei den ersten Immigrationsbewegungen muss es sich wohl um Schwarze des Bantu-Typs gehandelt haben, deren halbwegs reine Nachfahren sich immer noch in einer geschlossenen, lediglich von einer kleinen Insel Hottentotten unterbrochenen Gruppe zwischen dem Äquator und dem Kap der Guten Hoffnung wiederfinden. Nach dieser ersten Welle schwarzer Immigranten wurde Afrika von einer zweiten heimgesucht, die zwar den gleichen Ursprung und das gleiche Ziel hatte, sich jedoch leicht unterschiedlich zusammensetzte. Dieser Unterschied lässt sich im Übrigen bloß auf die lange Zeitspanne zwischen der ersten und der zweiten Invasion zurückführen, ein nur schwer einschätzbarer Zeitraum, der Tausende von Jahren umfassen kann, in denen im ursprünglichen schwarzen Stamm notwendigerweise eine Evolution stattgefunden hat.

 

Statue (Vezo).

Holz, Höhe der größeren

Statue: 57 cm. Privatsammlung.

 

Das Volk der Vezo wohnte in einer Region, die von den Sakalava kontrolliert wurde. Diese zwei einzigartig geformten Statuen [Gegenstück auf S. 11] hatten wahrscheinlich eine bestimmte Funktion im Bestattungsritus der Vezo. Heute ist leider unmöglich festzustellen, ob die verrenkte Haltung bewusst vom Künstler gewählt wurde, oder ob sich das Holz über die Jahre verzogen hat.

 

Statue (Lulua), 19. Jh.

Demokratische Republik Kongo.

Holz, Höhe: 74 cm.

Ethnologisches Museum, Berlin.

 

Statue Asie Usu (Baule).

Holz, Höhe: 40,5 cm.

Privatsammlung.

 

 

Diese Statue stellt ein Geistwesen dar und ist wahrscheinlich für eine bestimmte Person angefertigt worden. Die Patina, die die Statue völlig bedeckt, lässt den Schluss zu, dass sie das Produkt regelmäßiger Trankopfer aus Hühnerblut und Eiern ist.

 

Statue im klassischen Stil (Nok),

4. Jh. v.Chr.-2. Jh. n.Chr.

Terrakotta, Höhe: 66 cm.

 

 

Diese Terrakotta-Statue weist alle Eigenschaften des klassischen Nok-Stils auf: Einen breiten Kopf, Mandelaugen, und viel Liebe zum Detail. Sie ist ein perfektes Beispiel für die plastische Komplexität, die die Bildhauer der Nok schon vor 2000 Jahren entwickelten.

 

 

Wenn man davon ausgeht, dass die Neuankömmlinge den afrikanischen Kontinent auf demselben Weg erreichten wie ihre Vorgänger – nämlich an der Ostküste und ungefähr auf Höhe der Komoren – muss man weiter annehmen, dass sie die besten Landstriche des subäquatorialen Afrikas bereits von den ersten Einwanderern eingenommen vorfanden. Die Neuen sahen sich somit gezwungen, weiter nach Norden und Westen vorzudringen, um sich dort bei den Negrillen niederzulassen, die immer noch das Bodenrecht innehatten und denen sie eine Gastfreundschaft abverlangten, die diese ihnen auch nicht verweigerten. Daher rührte auch die weiter oben berichtete Tradition der Schwarzen im Sudan und in Guinea, die den Negrillen als den eigentlich rechtmäßigen Besitzer des Landes ansahen.

 

Die Schwarzen der zweiten Einwanderungswelle wählten zu ihrem Domizil mit Vorliebe erschlossene Gebiete, die ausreichend feucht und somit leicht kultivierbar waren und zwischen dem Äquator und der Sahara lagen. Sie übernahmen entweder dort bereits etablierte Bantu-Elemente oder verdrängten diese nach Nordosten (die ehemalige sudanesische Provinz Kurdufan) oder in Richtung Nordwesten (Kamerun, Bucht von Benin, Elfenbeinküste, Pfefferküste, Rivières du Sud, Gambia und Casamance). Dort findet man noch heute hier und da Sprachen oder bestimmte Mundarten in Kurdufan oder das noch sehr nahe an den Bantu-Typ angelehnte Diola (auch Jola) in Gambia oder der Casamance-Region.

 

Sie standen wohl in einem viel größeren Austausch mit den Negrillen als die ersten schwarzen Einwanderer und glichen sich allmählich an. Gleichzeitig perfektionierten sie die Techniken sowohl der Autochthonen als auch der Bantu, indem sie die Landwirtschaft entwickelten, Grundzüge der Vieh- und Geflügelzucht einführten, Perlhühner domestizierten, die Technik der Feuererzeugung importierten beziehungsweise verbreiteten, sich diese für die Zubereitung von Nahrungsmitteln zu Nutze machten und die Eisen- und Tonverarbeitung entdeckten.

 

Ihre Sprachen wiesen wohl das gleiche System von Namensklassen auf wie die der Bantu, funktionierten jedoch anstelle der Verwendung von Präfixen mittels Suffixen. Aus linguistischer sowie anthropologischer Sicht wirkten sich der Negrillenanteil und der schwarze Anteil, wo immer sie zusammen auftraten, sehr deutlich aufeinander aus, wobei sich die Proportionen je nach Dominanz des einen oder anderen sehr stark unterschieden. Aus dieser ungleichen Vereinigung gingen vermutlich tiefgreifende Unterschiede hervor, die sich noch heute sowohl zwischen den verschiedenen Populationen Guineas und eines Teils im Sudan als auch zwischen deren Idiomen erkennen lassen.

 

Des Weiteren ist es mehr als wahrscheinlich, dass die am weitesten nach Norden vorgedrungenen schwarzen Invasoren dort mit den mediterran weißen Ur-Autochthonen Kontakt hatten, die in dem von der Zentralsahara bis zu den später Ägypten und Libyen genannten Ländern reichenden Gebiet die Zeitgenossen der Negrillen der Südsahara und des restlichen Afrikas waren. Ein solcher Kontakt konnte weder entstehen noch andauern, ohne dass sich daraus eine Vermischung und Vereinigung der weißen prähistorischen Völker Nordafrikas mit den die Stelle der Negrillen einnehmenden schwarzen Einwanderern ergab, die teilweise bereits mit ihnen verschmolzen waren.

 

Statue (Sokoto), um 400 v.Chr.

Terrakotta, Höhe: 74 cm.

Sammlung Kathrin und

Andreas Lindner.

 

 

Die schweren Augenlider machen diese Terrakotta-Statue zum Archetypen eines Stils von Tonarbeiten, der hauptsächlich in der Region der Sokoto im nördlichen Nigeria gefunden wurde. Die konische Form deutet an, dass die Statue als Verschlussstück für eine Urne verwendet wurde.

 

 

In dieser äußerst frühen Vermischung, dieser weit zurückliegenden Vereinigung, liegt höchstwahrscheinlich der Ursprung jener Völker oder Volksgruppen, die mitunter als Negride bezeichnet werden. Sie kommen fast ununterbrochen entlang der südlichen Grenze der Wüstenzone, manchmal auch weiter nördlich zwischen Atlantik und dem Roten Meer vor. Gelegentlich erinnern sie mal an Weiße schwarzen Blutes (Bischarin, Somali, Oromo, Afar, Sidama etc.), mal an Schwarze weißen Blutes (Massai, Nuba, Tubu, Kanuri, Hausa, Songhai, Soninke, Tukulor, Wolof), wobei der Mischungsgrad entweder in körperlichen, in geistigen oder in sprachlichen Eigenschaften oder sogar in allen dreien gleichzeitig zum Ausdruck kommt.

 

Es ist aber auch möglich, dass die sich zweifellos in einigen Fulbe-Familien bemerkbar machenden Eigenschaften der weißen Rasse zu einem Großteil diesem Umstand zu verdanken sind. Man kann aber auch die äußerst alten Spuren schwarzen Blutes, die sich ebenso häufig bei den Ägyptern der Pharaonenzeit wie bei den Abessiniern, bei zahlreichen Berber- oder arabo-berberischen Stämmen erkennbar sind – allesamt voneinander unabhängige Mischformen, die nachträglich durch den Kontakt mit schwarzen Sklaven zustande kamen –, als Ergebnis derselben Ursache betrachten.

 

Um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen, soll hier nur eine kurze Zusammenfassung dessen folgen, wie man sich die Bevölkerung Subsahara-Afrikas zumindest in ihren groben Zügen vorstellen kann. Südlich des Äquators haben sich die Schwarzen der ersten Invasionswelle fast überall niedergelassen. Dabei bewahrten sie in ihrer Mitte Inseln von Negrillen mehr oder weniger reinen Blutes und vermieden beinahe jegliche Vermischung – sei es mit den Negrillen, den Schwarzen der zweiten Einwanderungswelle oder den weißen Autochthonen des Nordens. Hier haben wir es mit den Schwarzen des Bantu genannten Typs zu tun.