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Autor: Vincent A. Smith

Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

 

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ISBN: 978-1-78310-686-8

Vincent A. Smith

 

 

 

Die Kunst Indiens

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

 

Indien und seine Kunst

Das Zeitalter der Maurya

Das frühe Zeitalter

Architektur

Skulpturen

Das Zeitalter der Kushan, der späten Shatavahana und der Ikshvaku

Mathura

Amaravati

Das Zeitalter der Gupta

Das Mittelalter in Nordindien

Architektur: Tempel und Höhlentempel

Bildhauerei: Mittelalterliche und modernere Objekte

Malerei: Die frühen Schulen (Ajanta-Höhlen)

Das Mittelalter in Südindien

Architektur

Bildhauerei und Bronzen

Kunsteinflüsse aus dem Ausland: Die frühe und die mittelalterliche Epoche

Das islamische Zeitalter

Indo-islamische Architekturstile

Indo-islamische Ornamentiken und Kleinkünste

Münzen, Siegel und Edelsteine

Kalligrafie und dekorative Reliefs

Gitterwerk

Intarsien und Mosaike

Fliesen

Indo-islamische Malereistile

Gujarata-Malerei

Mogulische Malerei

Rajput-Malerei

Die indische Malerei des 20. Jahrhunderts

Glossar

Bibliografie

Abbildungsverzeichnis

Maha-Janaka Jataka: Eine Gruppe von Hofdamen. Drei der Damen trauern über die Nachricht, dass der König beabsichtigt, dem weltlichen Leben zu entsagen, spätes 6. Jh. n. Chr., späte Gupta-Ära. Detail eines Freskos. Ajanta-Höhlen (Höhle I), nahe Aurangabad, Maharashtra.

 

 

 

Indien und seine Kunst

 

 

Beim Thema Indienforschung muss man wegen der hier zu behandelnden enormen Materialvielfalt eine deutliche Zurückhaltung üben. Angesichts dieser Komplexität habe ich mich auf eher subjektive Ergebnisse gestützt, die auf meinen persönlichen Erfahrungen und Interpretationen beruhen und daher mehr oder weniger unwissenschaftlich sind.

Spricht man von Indien, einem Land, das mit seiner enormen Größe dem Betrachter mehr Schönheit bietet als viele andere Länder der Welt, so ist ein beschreibender Tonfall durchaus gerechtfertigt. Der Subkontinent Indien ist ein ungemein vielfältiges Land und kann daher weder ethnologisch noch geographisch und erst recht nicht kulturell als Einheit betrachtet werden. Dies führt zu der Vermutung, dass das Indien vieler Schriftsteller eher ihrer Vorstellung als der eigentlichen Realität entspricht. Die durch den Wunsch nach Farbe und Bewegung geweckte Anziehungskraft des Bildhaften ist bei den heutigen, über beschränkte Horizonte und eine von ökonomischer Notwendigkeit begrenzte Lebenserfahrung lächelnden Generationen weit verbreitet.

Dort in Indien lässt sich überall Zauber finden, dort scheinen die Forderungen nach Notwendigkeiten leichter erfüllt zu werden, dort verläuft das Leben im Rhythmus des tropischen Wechsels der Jahreszeiten, dort wird das Brot direkt aus dem reichen Schoß der Erde geerntet. Farben bereichern den Tag und springen ins Auge, etwa das plötzliche Erstrahlen einer Frucht oder einer Blume im Sonnenschein oder auch die kaleidoskopische Menge in engen Straßen. Eine tropische Stadt zu betreten ist so, wie im Traum in das Leben eines toten Jahrhunderts einzutreten.

Diese Bewegung existiert nicht ohne Parallelen, und das Bildhafte und die Interpretation spielen in ihrer Darstellung eine bedeutende Rolle; es lässt sich tatsächlich etwas Präraffaelitisches in ihr finden. Der heutige Materialismus wird von der indischen Spiritualität kontrolliert. Kunst und Handwerk stehen überall in Blüte und im Mittelpunkt der sozialen Ordnung des Dorfes. Indien wird aus der Asche Indiens erstehen. An dieser Stelle kann daher behauptet werden, dass es keinen besseren als den jetzigen Zeitpunkt gibt, um einen Überblick über die Kunst Indiens zu geben, damit sowohl die Wertschätzung als auch der verlorene Austausch zwischen Orient und Okzident besser eingeschätzt werden können.

Die Nationalisierung dieses Themas wurde in der Tat von einigen Autoren ausführlich erläutert. Sie steht jedoch im Gegensatz zum Geist einer wahren Kritik und einer vollen Wertschätzung. Der Gegensatz von östlicher Spiritualität und westlichem Materialismus ist eine rückhaltlose Verallgemeinerung, während die Forderung nach einer metaphysischen Basis für jede Art von Kunst genauso nutzlos und inkonsequent ist wie die Forderung nach der Existenz der ewigen, unveränderlich klassischen Maßstäbe. Kunst kann nicht festgelegt werden, zumindest solange nicht, wie die Geisteswissenschaften, auf denen unsere Kultur beruht, eine Bedeutung haben. Geographische Unterschiede sollten heutzutage für eine Würdigung kein Hindernis sein, sondern vielmehr ein zusätzlicher Anreiz, da doch für die meisten von uns die Entdeckungsreisen innerhalb der Zeiten des örtlichen Fahrplans stattfinden. Es ist dabei bedauerlich, dass in den Köpfen vieler der Osten zwar eine romantische, aber relativ unbestimmte Assoziation hervorruft, die das Außergewöhnliche betont und dazu führt, dass an die Stelle der Wertschätzung nur Neugier tritt.

Moderne Malerei und Bildhauerei sorgen in einem Umfang für eine klare Linie des Fortschritts und logischer Lehren, so dass viele Künstler der jüngeren Schulen als Akademiemitglieder bezeichnet werden könnten. Dieser Prozess kann mit dem der modernen wissenschaftlichen Methoden verglichen werden: Die moderne Kunst ist in der Tat das Ergebnis ästhetischer und methodischer Forschung. Von den Bildern Claude Monets (1840 bis 1926) über Paul Cézanne (1839 bis 1906) bis hin zu den heutigen Künstlern kann die Geschichte lediglich im Rahmen intellektueller Abenteuer und ästhetischer Entdeckungen erzählt werden.

Die Wirkung der persönlichen Vision der Künstler der Moderne ist eine Erweiterung des Verständnisses von ästhetischem Interesse und eine Neubewertung unbekannter oder bisher unberücksichtigter Dinge: archaische griechische Skulpturen, afrikanische Skulpturen, gotische Skulpturen, chinesische Malerei und Bildhauerei, die Harmonie feingearbeiteter Teppiche oder die Ausdruckskraft primitiven Designs und nicht zuletzt die indische Kunst in allen ihren Facetten. In Anbetracht dieser einst abgelehnten und verachteten Reichtümer sind die Lehrsätze der vergangenen Generationen in all ihrer Unkenntnis, Intoleranz und Selbstgefälligkeit geradezu halsstarrig.

Diese Bewegung ist so lebendig und wohl begründet, dass ich mich bei der Arbeit an einem Überblick über die indische Kunst eher für eine ästhetische als eine archäologische Untersuchung entschieden habe. Um dies zu unterstützen, habe ich mich auf das Wort lebender Künstler berufen, deren kreative Sicht und freundschaftliche Würdigung den Grundstein für eine präzisere Kritik legten als die Logik der Archäologie und anderer Wissenschaften, die jede Diskussion lediglich jenseits des Themas Kunst führen.

Paul Gauguin (1848 bis 1903) schrieb 1897: „[...] Ayez toujours devant vous les Persans, les Cambodgiens et un peu d´Egyptiens.“ Man fragt sich, was er wohl gesagt hätte, wenn er die Fresken von Ajanta mit ihren wunderbar klaren Linien und ihrer feinen Plastizität gekannt hätte. Die Ausstellung indischer Skulpturen aus dem späten Mittelalter im Trocadéro Museum in Paris konnte seinerzeit als erster Schritt in Richtung einer westlichen Wertschätzung indischer Kunst betrachtet werden.

Am 28. Februar 1910 erschien in der Times über den Unterschriften dreizehn hervorragender Künstler und Kritiker folgende Erklärung:

Wir, die nachfolgend aufgeführten Künstler, Kritiker und Kunststudenten [...] sehen in der besten Kunst Indiens den erhabenen und angemessenen Ausdruck religiöser Emotion eines Volkes sowie ihre tiefsten Gedanken über das Göttliche. Wir erkennen in der heiligen Darstellung des Buddhas eine der größten künstlerischen Inspirationen der Welt. Wir verstehen, dass die Existenz einer mächtigen, blühenden und eigenständigen Kunsttradition für das indische Volk von unschätzbarem Wert ist und dass sie und alle, die die Leistungen auf diesem Gebiet achten und bewundern, diese mit der größten Ehrfurcht und Liebe bewahren sollten. Im Gegensatz zum Stereotyp bestimmter traditioneller Formen denken wir, dass nur in der organischen Entwicklung einer nationalen Kunst der Vergangenheit der Pfad des wahren Fortschritts zu finden ist. Wir sind sicher, dass wir zum großen Teil im Sinne einer europäischen Sichtweise sprechen und möchten unseren indischen Kollegen in Handwerk und Studium versichern, dass ihre nationale Kunstschule, die immer noch Vitalität und Möglichkeit zur Interpretation indischen Lebens und Denkens aufzeigt, sich immer unserer Bewunderung und Zustimmung sicher sein kann, solange sie sich selbst treu bleibt. Wir verachten nichts, was auch immer aus fremden Quellen aufgenommen wird und vertrauen darauf, dass der einzigartige Charakter bewahrt wird, der eine natürliche Folge der Geschichte und Zustände des Landes ist sowie der antiken und tief religiösen Konzepte, die den Stolz Indiens und der gesamten östlichen Welt darstellen.

Bodhisattva Avalokiteshvara (Bodhisattva des Mitgefühls), spätes 6. Jh. n. Chr., späte Gupta-Ära. Detail eines Freskos. Ajanta-Höhlen (Höhle I), nahe Aurangabad, Maharashtra.

Vessantara-Jataka: Pavillon-Szene im Palast von Prinz Vessantara und seiner Frau, Prinzessin Madri, 5.-6. Jh. n. Chr., späte Gupta-Ära. Detail eines Freskos. Ajanta-Höhlen (Höhle XVII), nahe Aurangabad, Maharashtra.

Shravasti-Wunder: Buddha manifestiert sich in tausend Formen, um die Skeptiker zu beschwichtigen, die seinen Worten nicht glauben, 6. Jh. n. Chr., späte Gupta-Ära. Detail eines Freskos. Ajanta-Höhlen (Höhle II), nahe Aurangabad, Maharashtra.

 

 

Diese Erklärung wurde anlässlich eines Vortrages verfasst, der von Sir George Birdwood (1832 bis 1917), dem Chronisten der indischen industriellen Künste, vor der Royal Society of Arts gehalten wurde. Tatsächlich war das oben Gesagte dreißig Jahre zuvor schon einmal gedruckt worden, aber der Zeitpunkt für einen solchen Aufruf war damals noch nicht reif gewesen. Man kann Birdwood in keiner Weise mangelnde Zustimmung für indische Kultur und für indisches Leben vorwerfen. Eine stilistische Analyse der Kunsthandwerke des modernen Indiens klärt hinsichtlich der eigenen Sichtweise auf, weil es zur Anerkennung des Überwiegens der islamischen und vor allem der persischen Kultur im Mogulreich zwingt. Lediglich beim Schmuck, bei der Perlenstickerei der Dörfer und bei der Emaille von Jaipur (Rajasthan) wurde die indische Tradition gänzlich bewahrt.

In seinem Vortrag vor der Royal Society of Arts behauptete er im Hinblick auf einen ganz bestimmten sitzenden javanischen Buddha, dieser sei ein

[...] sinnloses Ebenbild in einer unmöglich starren Haltung und nicht mehr als ein einfallsloses Bronzeabbild, das geistlos auf seine Knie, Daumen und Zehen schielt. Ein gekochter Pudding wäre eine ebensogute Darstellung des Symbols von passionierter Reinheit und Gelassenheit der Seele.

Dieser Angriff richtet sich jedoch eher gegen die lose Diktion vieler die Inhaltsseite eines Objekts für wichtiger als ihre Form erachtenden Kritiker indischer Kunst als gegen die indische Kunst selbst.

Professor Richard Westmacott (1799 bis 1872) beschrieb die indische Bildhauerei in seinem Handbook of Sculpture - ancient and modern (Handbuch zur antiken und modernen Bildhauerei) als „minderwertig“ und nur in einem Absatz. Sein Urteil gründete er offenbar auf den Stahlstichen und Lithographien, die in den damals zwei oder drei verfügbaren Büchern abgebildet waren.

Gautama Buddha sitzt unter einer Pappelfeige mit der Dharmachakra-Parvartana Mudra, und der gekrönte Maitreya sitzt unter einem Ashoka-Baum, 5.-6. Jh. n. Chr., späte Gupta-Ära. Detail eines Freskos. Ajanta-Höhlen (Höhle XVII), nahe Aurangabad, Maharashtra.

 

 

Nach Meinung Dr. Andersons, Autor des Skulpturenkatalogs des Indischen Museums in Kalkutta (dem heutigen Kolkata), waren indische Bildhauer „[...] nie hinausgekommen ... über eine klägliche Mittelmäßigkeit“, auch wenn er die Tempelskulpturen Orissas als „[...] äußerst schöne Kunstwerke“ betrachtete. Eine etwas zurückhaltendere Position nahm der damalige Director des Art Museums, Sir Caspar Purdon Clarke (1846 bis 1911) ein, der Indien einerseits eine gute Stellung unter den Weltkünsten zuschrieb, diese aber nur für ihre „[...] hervorragende Angemessenheit für Land und Leute“ auf den ersten Plätzen ansiedelte.

Dies waren die landläufigen Meinungen der Wissenschaftler am Ende des 19. Jahrhunderts und betrafen eine von Künstlern geschätzte Kunst, deren Einfluss auf die Werke Auguste Rodins (1840 bis 1917), Edgar Degas‘ (1834 bis 1917) und Aristide Maillol (1861 bis 1944) begrüßt wurde.

Das Bekanntwerden indischer Kunst ist hauptsächlich Dr. Ananda Coomaraswamy (1877 bis 1947) und Ernest Binfield Havell (1861 bis 1934) zu verdanken. Bis zu einem bestimmten Punkt stimmen ihre vorwiegend literarischen und interpretierenden Ausführungen überein. Dr. Coomaraswamy war der Ansicht, dass „[...] alles, was Indien der Welt zu bieten hat, sich aus seiner Philosophie ergibt“. Der Zustand der „[...] mentalen Konzentration“ (Yoga) des Künstlers und die Darstellung gewisser Rituale werden als Quelle der „[...] Spiritualität“ indischer Kunst postuliert. Die Schwäche dieser Stellungnahme liegt in der Verflechtung klar abgegrenzter Kritikbereiche; da die Form rein literarisch betrachtet wird, werden philosophische mit religiösen und anderen Impulsen verwechselt. Es handelt sich hierbei auch um eine historisch schlecht begründete Kritik, denn sowohl die Geisteshaltung als auch die Philosophie, aus denen das Netz gespannt wird, sind Resultate des mittelalterlichen Indiens, wie eine Untersuchung der zitierten Texte zeigt: Viele der zitierten südländischen Persönlichkeiten können nur als modern eingestuft werden.

Die zunehmende hieratische Kunst des mittelalterlichen und des späteren Indiens ist besonders im Süden zweifellos eng mit der literarischen Überlieferung verknüpft. Allerdings ist die literarische Überlieferung nicht die Quelle der Kunst, denn eine Ikonographie setzt Bilder voraus. Die technische Formel der Sastra (oder Shastra, eine Schrift oder Lehre) resultierte in einer Standardisierung der Produktion, trotz der sich das Genie, dem keine Grenzen gesetzt sind, durchgesetzt hat. Die von Lord Ampthill an South Kensington ausgeliehene Bronzestatue Nataraja (König des Tanzes), ist ein hervorragendes Beispiel unter hunderten von Nullachtfünfzehn-Arbeiten. Das Gerüst der literarischen Formel bleibt zu oft lediglich ein Gerüst; hier wird es hingegen mit Leben bespannt, und nur so erreicht man die Schönheit der Form.

Ein Wunder ist andauernd und gilt auf der ganzen Welt; wir staunen über die Hand und das Auge, die dieses Wunder vollbracht haben. Es ist jedoch offensichtlich, dass viele dieser Werke, ästhetisch gesehen, nicht das Metall wert sind, aus dem sie gegossen wurden. Ihre Funktion als Anbetungsobjekte ist dabei eine ganz andere Angelegenheit. Das Beharren auf der Notwendigkeit, den Geist mit Unmengen von symbolischen und psychologischen Attributen zu beladen, bedeutet, die Sicht auf das Werk zu nehmen. Historische und literarische Forschung können der Sichtweise zwar von Nutzen sein, diese aber nicht ersetzen.

Die ästhetische Sicht ist natürlich eine andere als die des täglichen Lebens. Diejenigen, die sich mit ihr befassen, werden damit beschäftigt sein, den Zusammenhang zwischen Farben, Formen und Objekten zu verstehen, das erfordert Intensität sowie die Loslösung vom Oberflächlichen und Zusätzlichen. Diese strenge Objektivität kann jeden Moment durch das Interesse an jeder Art von ‘fast natürlichen Gefühlen‘ und irrelevanten Fragestellungen erschüttert werden: dann handelt es sich jedoch nicht mehr um eine kritische, sondern um eine neugierige Sichtweise. Ein weiterer Aspekt wird in der Diskussion um die indische Kunst ersichtlich: Für viele Menschen sind, ästhetisch gesehen, der indische Subkontinent und seine Völker wenig interessant, aber sowohl hinsichtlich der Vergangenheit als auch der (nicht nur ökonomischen) Zukunft dieses Landes sollte man durchaus neugierig sein.

Der Prunk indischer Geschichte ist genau so herrlich wie der anderer Länder. Künstlerisch betrachtet fällt er in zwei Epochen, wobei die mit der Eroberung durch die Muslime endende erste Epoche ein episches Werk für sich darstellt. Dieser Zeitraum bringt die Entwicklung einer großartigen Kunst ans Licht. Von der lebhaft bildlichen, sehr volkstümlichen Bildhauerei des frühen, auf Lebenstraditionen beruhenden Zeitalters führen verbesserte Fertigkeiten und eine erweiterte Vorstellungskraft hin zur klassischen Kunst der indischen Herrscherdynastie der Gupta (von etwa 300 bis 550). Von diesem Zeitpunkt an ist eine literarische Überlieferung entstanden, die korrekterweise als mittelalterlich bezeichnet werden kann. Die Kunst der großen Höhlentempel machte Platz für die Kunst der Tempelstädte von Bhuvaneswar, Bundesstaat Orissa, und Khajuraho, Bundesstaat Madhya Pradesh, wo die literarische Überlieferung in den ikonografischen Formen der Sastras konkrete Form annimmt.

Im Süden findet man bis zum Ende des 17. Jahrhunderts eine eindrucksvolle Architektur; die Kunst des Bronzegusses schuf hervorragende Arbeiten, von denen nur wenige auf das 19. Jahrhundert zurückgehen. Es ist notwendig, einen Unterschied zwischen Niedergang und fehlerhaftem Kunsthandwerk zu machen. Die indische Kunst hat aber ihren Platz zwischen den Künsten der Welt eingenommen und gehört nun der Welt. Die Zukunft der Kunst Indiens ist ein anderes Thema, mit der sich hauptsächlich die Didaktiker beschäftigen werden.

Traditionen sind ebenso ausgestorben wie die sie darstellenden Symbole, aber das Bedauern darüber ist vergeblich; sicherlich werden neue Traditionen und Symbole entstehen.

Indische Religionsgeschichte muss auf dem Hintergrund ursprünglicher Konflikte und Aberglauben erläutert werden. Die vier Veden können trotz ihres ehrwürdigen Alters nicht als alleinige Quelle religiösen Glaubens in Indien angesehen werden, sondern nur als kritische und sehr gezielte Repräsentationen dieses unausgesprochenen und notwendigerweise formlosen Hintergrunds. Die aus unbestimmten Ängsten und Wünschen der Massen entstandene Beziehung zwischen dem Hinduismus und dem Primitiven, zwischen der ausformulierten Philosophie der Schulen und der Anbetung und Sühne ist durch die ganze religiöse und politische Geschichte Indiens hindurch präsent.

Lingaraj-Tempel mit 150 kleineren Schreinen, 1000, Keshari-Dynastie/ Somavamshi-Dynastie. Roter Sandstein. Bhubaneswar, Orissa.

 

 

Der Atharvaveda war den frühen buddhistischen Schriftstellern nicht bekannt, aber seine Praktiken und Glaubenssätze können von den poetischeren und altruistischeren Polytheismen der weniger verbreiteten, orthodoxeren (aber nicht älteren) Textsammlungen nicht unterschieden werden. Die Mächte und Offenbarungen der Puranas und der Epen sind, weil sie nicht in den Veden erscheinen, nicht unbedingt modern, sondern älter und ursprünglicher als jene. Vedische Thaumaturgie und Theosophie waren in Indien zu keiner Zeit Glaubensrichtungen. Die unzähligen Muttergottheiten und Dorfbeschützer des Südens stehen der echten indischen Religion näher, die zwar oberflächlich immer mit dem Hinduismus gleichgesetzt wird, aber grundlegend eigenständig und unverändert ist.

Unter den unbedeutenderen, ihren Platz am Rand der Strenggläubigkeit einnehmenden Götter findet man die Erd- und Berggeister; die vier Beschützergötter, allen voran Vessavana Kuvera; die Gandharvas, die himmlischen Musiker; die Nagas als Schlangenwesen, deren Reich zwar jenseits strömender Gewässer liegt, die aber manchmal mit den Baumgeistern gleichgesetzt werden sowie die Garudas als Mischwesen aus Mensch und Vogel und Todfeinde der Nagas.

Diese niederen Gottheiten können als letztes Überbleibsel einer ganzen Heerschar von vergessenen, einst einflussreichen Mächten angesehen werden, die jede für sich besänftigt werden musste. Als seltsame Wesen einer anderen Welt gehören sie weder vollständig zum Buddhismus noch zum Hinduismus. Der Himmelskönig Vessavana Kuvera und die Göttin des Glücks Sirima Devata erscheinen auf einer Säule des Bharhut-Reliefs in Bodh Gaya, die außerdem Anerkennung von den Autoren der Satapatha-Brahmana erhielt, die gezwungen waren, eine ihre Existenz begründende Legende zu erfinden.

In der Taittiriya-Upanishad wird sie weder im Zusammenhang mit dem Mond, der Erde oder der Sonne erwähnt. In Sanchi erkennt man sie noch genauso wie in Jaipur, wo sie auf bemaltem und vergoldetem Marmor dargestellt wird: sie sitzt auf einem Lotus und wird von zwei Elefanten geläutert.

Die Maha-samaya Sutta beschreibt eine Zusammenkunft aller großen Götter, die Buddha im Großen Wald von Kapilavatthu ihre Ehrerbietung erweisen. Dhatarattha, König des Ostens, Virulhaka, König des Südens, Virupakkha, König des Westens und Khuvera, König des Nordens, treffen mit ihrer Yaksha-Heerschar (niedere Götter und Naturgeister) und ihren Vasallen ein. Die Nagas kommen aus Nabhasa, Vesali, Tacchaka und Yamuna, unter ihnen befindet sich Eravana. Ihre Feinde, die Mischwesen Garuda, sind ebenso anwesend wie die Ozeanbewohner, die Asuras. Feuer, Erde, Luft und Wasser befinden sich dort genauso wie die vedischen Götter und die von Buddha besiegten Mächte Maras (Dämon der Versuchung).

Khajuraho, eine Gruppe von Denkmälern (Detail des Vishwanath-Tempels mit erotischen Skulpturen), 1020, Chandella-Dynastie. Sandstein. Khajuraho, Madhya Pradesh.

 

 

Eine weitere Liste mit derselben Beschreibung aus möglicherweise früherer Zeit findet man in der Atanatiya Sutta. Beide Listen sind offenkundig das Ergebnis eines priesterlichen Versuchs, die in Heerscharen zu Füßen Buddhas versammelten einhundertein Geister und Gottheiten in die Sphären der buddhistischen Lehren zu bringen. Die in die Steinsäulen der Stupa von Bharhut gemeißelte Gruppe der Yakshas, Yakshinis und Devatas erfüllen dieselbe Funktion, aber sie sind deutlich irdischer Natur und besitzen etwas von der zarten Schönheit der Waldwesen. Sie wirken mildtätig; allerdings wurde ihre Erscheinungsform für buddhistische Zwecke gewählt. Wie alle urtümlichen Mächte sind sie fordernd, und wenn sie missachtet oder provoziert werden, ist ihr Zorn grausam und unerbittlich. Mit irdischen Juwelen geschmückt, zeigen sie zwar, welche Schätze sie besitzen, werden aber mit den Bäumen, unter denen sie stehen und den Waldblumen, die sie halten, identifiziert.

Der Kult der Bäume und Baumgeister hat eine lange Geschichte. In der Bildhauerei des frühen Zeitalters (zweites bis frühes erstes vorchristliches Jahrhundert) werden Buddhas nur durch kleine Symbole dargestellt, zu denen auch einzelne Bäume gehören. Gautama erlangte Erleuchtung, während er neben dem Asvattha- oder Pipalbaum saß. Im Atharvaveda wird gesagt, dass die Götter des dritten Himmels unter dem Asvattha sitzen, es könnte aber auch der ‘Baum der gerechten Blätter‘ sein, unter dem nach Rigveda der Yama und die Gesegneten ihre Zeit verbrachten.

In den Upanishaden haben die Baumgeister Gestalt angenommen. Wie alle Dinge, sind sie Gegenstand der Wiedergeburt. Wenn der Geist verschwindet, verwelkt der Baum und stirbt, aber der Geist bleibt unsterblich. In den Jatakas spielen diese drei Götter eine große Rolle und werden mit Blumen, Nahrung und Parfum verehrt. Sie bewohnen jede Art von Baum, aber der Banyanbaum ist der häufigste Baum. Der blühende scharlachrote Wollbaum, der Salbaum und ebenso der Pipalbaum werden auch heute noch als heilig angesehen. Die Göttin des Sal wird von den Oraons aus Chotanagpur als Regenmacherin verehrt, und im südlichen Mirzapur setzen die Korwas den Schrein von Dharti Mata unter seine Äste. In den Jatakas werden mehr als einmal Tier- und Menschenopfer in Verbindung mit Bäumen erwähnt. In extremen Fällen der Sühne wird zusätzlich zu den üblichen Opfergaben von Blumen und Süßigkeiten heutzutage auch ein Hahn oder eine Ziege geschlachtet.

Die Eigenschaften und Funktionen dieser Gottheiten entsprechen stark denen der Muttergottheiten Südindiens. Unter ihnen befinden sich Mariamma, die Göttin der Pocken, Kaliamma, die Göttin der wilden Tiere und Dämonen des Waldes, Huliamma, die Tigergöttin, Ghantalamma, die Glockenträgerin und schließlich noch die neben dem Mangobaum sitzende Mamillamma. Dabei wird jedoch verständlich gemacht, dass dies nur verschiedene Namen für ein und dieselbe Göttin sind. Im Hinduismus erscheint dieses weibliche Pantheon als Ashta Sakti oder ‘die acht weiblichen Kräfte‘. Eine ursprünglichere Gruppe ist die der Sapta Kannigais oder der ‘sieben Jungfrauen‘, die schützenden Gottheiten der Tempelbecken.

In Mysore existiert eine ähnliche Gruppe von sieben Schwestergöttinnen, die mit der Shivait-Mythologie in Verbindung stehen. Alle Muttergöttinnen werden jedoch von den wahren Göttern des Hinduismus insofern unterschieden, als sie vor Ort beeinflusst wurden. Entweder bringen sie Unglück unterschiedlicher Arten oder sie wehren es ab, allerdings sind sie dabei aber streng an ihren Wirkungskreis gebunden. Die Bäume, Baumgruppen und Tempelbecken, die zwar regelmäßig abwechselnd versöhnlich gestimmt und vertrieben werden, aber relativ unbedeutend und kurzlebig sind, besitzen zusätzlich noch geringere Mächte.

Vor diesem komplexen Hintergrund von Glaube und Kultur muss die gesamte indische Kunst und Philosophie betrachtet werden. Die Philosophie liegt in der lieblichen Bearbeitung von Blumen und Früchten der indischen Maler und Bildhauer sowie in ihrer Vorstellung, die ihren Entwürfen eine dynamische Kraft verlieh.

Die indische Philosophie beginnt mit vedischen Spekulationen und Fragestellungen über die Entstehung und Existenz. Die Philosophie der Upanishaden und das pantheistische Vedanta-System haben sich hieraus entwickelt. Als Grundlage dafür existierte von frühester Zeit an das atheistische Sankhya-System, auf dessen Denken hin der Buddhismus und Jainismus entstanden. Die Wurzel von allem ist aber Adrishta (das Unsichtbare), die Annahme der Umkörperung und der Kreis des Seins (Samsara), der nur durch die Tat (Karma) verändert wird. Die Wurzel ist Unwissenheit, Avidya. Aus der Unwissenheit entsteht zur Tat führendes Verlangen, und so dreht sich das Rad innerhalb des Rades. Die auf die Upanishaden zurückgehende Vedanta-Lehre lehrte die absolute Identität der individuellen Seele mit dem Geist des Universums. „Die Ewigkeit, in die der Raum eingewebt ist und mit der er verwoben ist. [...] Es gibt keinen anderen Seher, keinen anderen Hörer, keinen anderen Denker, keinen anderen Wisser.“

Ausgehend von dieser Identifikation des sterblichen, begrenzten Selbst mit der ewigen und universellen Summe aller Dinge entstand die Idee der Illusion (Maya), einer Welt sinnlicher Erfahrung. Nur wenn die Illusion der Erfahrung aufhört, wie im traumlosen Schlaf, kann das unbedeutende Selbst sich mit dem universellen Selbst vereinigen. Diese implizierte Zweiheit ist tatsächlich selbst eine Illusion. Tat und Verlangen wohnen der Illusion inne und die Folge ist Samsara. Aber Wissen zerstreut die Illusion. Wer auch immer weiß: „[...] Ich bin Brahma“, wird das Ganze erlangen. Nicht einmal die Götter können ihn davon abhalten, denn er wird zu ihrem Selbst.

Das Sankhya-System ist atheistisch und dualistisch; es erkennt Materie an und sieht die individuelle Seele zwar als ewig, aber wesentlich unterschiedlich an. In der Absolutheit dieser Teilung liegt Befreiung. Die Seele, die von jeder Materie befreit wird, hört auf, bewusst zu sein und die Knechtschaft des Schmerzes (Vergnügen eingeschlossen) ist beendet.

Buddhismus und Janinismus setzen beide die Existenz der Sankhya-Philosophie voraus. Es ist nachgewiesen, dass das 6. vorchristliche Jahrhundert, als Gautama und Vardhamana lebten und lehrten, eine Zeit der eingehenden mentalen Aktivität von besonders intellektueller Art war. Das Brahmajala-Sutta spricht von Eternalisten, Nicht-Eternalisten, Halb-Eternalisten, regellosen Originisten, Überlebenskünstlern und bestimmten Einsiedlern und Brahmanen, die als Dialektiker, als sogenannte ‘Gedanken-Verdreher‘, bezeichnet werden. Der Buddhismus sträubt sich genauso gegen diese mentale Komplexität wie gegen die rituale Komplexität des brahmanischen Priestertums. Im Hinblick auf Allgemeingültigkeiten ist diese Einstellung agnostisch. Die drei Merkmale ‘Unbeständigkeit’, ‘Leidhaftigkeit’ und ‘Nicht-Selbst’ müssen daher als Zusammenfassung der Lebenseigenschaften angesehen werden.

Darauf beruht die Lehre von den ‘Vier Edlen Wahrheiten‘, der Grundlage des Buddhismus: Leidhaftigkeit existiert, ihre Ursachen sind Unwissenheit und Verlangen. Erlösung ist möglich, zur Erlösung führt der ‘Edle Achte Pfad‘: rechtes Handeln, rechte Rede, rechtes Streben, rechte Achtsamkeit, rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Konzentration und rechter Lebenserwerb. Während des Unterrichts unterscheidet man zwischen falscher Erkenntniss (ditthi) und echter Weisheit (panna). Die Bildung und Steuerung des Willens werden auf ganz neue Weise betont.

Gegen die grundlosen, sich verändernden Illusionen eines ungeregelten persönlichen Lebens in einer Welt, die nur im Sinne von Veränderungen beschrieben werden kann, behauptet sich die zeitlich oder eher von der menschlichen Erfahrung her gesehene wohlbegründete buddhistische Lehre (dharma). Sie ist ein altbewährter Pfad, eine Forderung, die den Weg für die Schöpfung nicht eines, sondern vieler Buddhas ebnet. In Barhut und Sanchi findet man die durch ihren jeweiligen Baum symbolisierten sieben Buddhas des Kanons.

Von Gautama, dem Prinzen des Sakya-Clans, der auf der Suche nach Wahrheit auf sein weltliches Erbe verzichtete, wurde die Lehre des weisen Verzichts gepredigt. Die feindselige Kritik, der der Buddhismus ausgesetzt ist, beruht auf dem Missverständnis des Nirvanas, des Zieles der indischen Theorie. Der Buddhismus hat eine komplexe Geschichte. Aufgeteilt in zwei Religionsgemeinschaften, dem Theravada-Buddhismus und dem Mahayana-Buddhismus und bis zur Unkenntlichkeit verändert, existiert er in seinem Ursprungsland nicht mehr.

Der jainistische, von Vardhamana, einem Rivalen und Zeitgenossen Gautamas, gepredigte Glaube besteht in Indien weiterhin. Vardhamana gehörte ebenfalls der Kshattriya-Kaste an und erlangte, nachdem er auf sein Geburtsrecht verzichtet hatte, schließlich Weisheit und wurde zum Führer der Nirgrantha-Asketen. Nach der jainistischen Tradition war Vardhamana, oder Mahavira, wie er später genannt wurde, der Vierundzwanzigste einer Reihe von Jinas oder Bezwingern der Welt.

Wie der Buddhismus lehnt der Jainismus durch Anspruch auf Universalität die Exklusivität des Hinduismus ab, und genau wie der Buddhismus gründet er auf der Lehre und dem Erreichen des rechten Glaubens, der rechten Erkenntnis und des rechten Handelns. Anders als der Buddhismus wird jedoch der Asketismus hervorgehoben, der sogar durch Nahrungsverweigerung bis zum Freitod derjenigen führen kann, die Allwissenheit, Kevala Jñâna, erlangen.

Skulptur eines Jain-Gottes (Kandariya-Mahadev-Tempel), um 1050, Chandella-Dynastie. Sandstein. Khajuraho, Madhya Pradesh.

Stupa von Bharhut: Eingangstor und Geländer, 3.-2. Jh. v. Chr., Maurya-Dynastie (Ashoka)/Sunga-Dynastie. Roter Sandstein, Geländer: 274,32 cm, Säule: 216,40 cm. Indisches Museum, Kalkutta.

 

 

Im Jainismus existierten von frühester Zeit an zwei Religionsgruppen, die Digambaras, die für ihren Glauben Nacktheit als unerlässlich ansehen, und die Shvetambaras oder weiß Gekleideten, die gemäßigter handeln und leben. Neben diesen beiden Gruppen von Asketen gibt es eine große Anzahl geistlicher Laien, denen in der Geschichte Indiens vor allem im Zeitalter der Kushan (um 100 bis 250) viele Skulpturen gewidmet wurden und die durch die großartigen mittelalterlichen Tempel in der Kleinstadt Mount Abu, in den Hügeln von Girnar und dem Berg Shatrunjaya repräsentiert werden. Wie die Buddhisten gründeten auch die Jainisten viele Klöster. Die Anbetung der Stupas gehörte ebenfalls zu ihren Riten.

Der Kult der Upanishaden und ihrer waldbewohnenden Anhänger wird im Agganna-Sutta beschrieben:

Sie bauen Blätterhütten in Waldgebieten und meditieren dort. Erloschen ist die glühende Kohle und verschwunden der Rauch, Pistill und Mörser wurden fallengelassen; man trifft sich am Abend zum Essen, sie gehen ins Dorf, in die Stadt und in die königliche Stadt, um nach Essen zu suchen. Wenn sie es gefunden haben, kehren sie zurück und meditieren in ihren Blätterhütten.

Viele wurden vom Leben im Wald und der Meditation zu Bettelmönchen und Nachahmern des geistlichen Lebens am Rand der Städte. So lebten die Hindus zu Buddhas Zeiten.

Der fortschrittliche Hinduismus gliedert sich in zwei Kulte: dem Vaishnavismus und dem Shaivismus. Vom Standpunkt der indischen Kunst betrachtet, ist dieser frühe Zeitraum fast gänzlich buddhistisch, während die Gupta-Periode und das Mittelalter hinduistisch geprägt sind. Die Bildhauerei des Mittelalters gründet fundamental auf hinduistischer Ikonographie.

Rudra, der Sturmgott der Veden, wird durch viele Beinamen bekannt gemacht. Er wird Girisa genannt, „[...] der auf einem Berg liegende“, oder Kapardin „[...] Träger der strubbeligen Locken“ oder auch Pasupatih, „[...] Herr des Viehs“. Als Beschwichtiger ist er auch unter den Namen Sambhu oder Samkara, „[...] der Wohlwollende“, und als Shiva „[...] der Verheißungsvolle“ bekannt, aber er bleibt immer der Herr der Mächte des Universums und wird genauso geliebt wie gefürchtet. Das Element der Bhakti, der personalen Liebe zu einem Gott und der Selbstaufgabe für ihn, fehlt nicht, wie in den späteren Upanishaden zu lesen ist, in der Anbetung des großen Gottes.

Shiva ist der „[...] Gott der Geister“ (Bhutas), und zu seinen Riten gehört die Schlangenanbetung. Das zentrale Objekt seiner Anbetung ist der Phallus. Das Shiva-Lingam scheint weder dem indischen Gelehrten Patanjali bekannt gewesen zu sein noch erscheint es auf den Münzen von Wima Kadphises (um 105 bis 130), auf deren Rückseite der Gott mit dem Dreizack und dem Bullen Nandi im Hintergrund abgebildet ist. Im Mahabharata wird Shiva dargestellt, wie er mit seinen Heerscharen den Himalaya bewohnt. Sein Fuhrwerk ist der Bulle, und seine Gattin ist entweder als Durga, Kali, Uma oder als Parvati bekannt. Nachdem er die Erschaffung vollbracht hatte, wurde er Yogi und der Phallus zu seinem Symbol.

Die frühesten Lingams gab es nicht vor der Zeit der Kushan. Sie sind als Mukhalingams bekannt, die an der Spitze des Glieds ein oder zwei Gesichter besitzen. Eine der ersten ikonografischen Repräsentationen Gottes ist der Dakshinamurti (Guru-Shiva) als Relief auf einer Seite des aus der zweiten Hälfte des 5. nachchristlichen Jahrhunderts stammenden Vishnu-Tempels bei Deogarh.

Die frühesten historischen Aufzeichnungen des Vaishnavismus sind die Heliodoros-Inschriften in Besnagar und die Ghosundi-Inschriften, die beide aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert stammen. Erstere bezeugen die Errichtung eines Garuda-Pfeilers für Vasudeva, den Gott der Götter. Heliodoros, Sohn von Diya und in Taxila gebürtig, war Gesandter von Yavana Antialkidas an Bhagabhdara. Er nennt sich selbst Baghavata. Die Ghosundi-Inschrift bezeugt die Errichtung einer Anbetungshalle für Samkarshana und Vasudeva.

Vishnu ist eine vedische Gottheit, und obwohl er nur in wenigen Lobliedern erwähnt wird, gibt es sehr lebhafte Darstellungen seiner Persönlichkeit. Er durchmisst alles mit seinen „[...] drei Schritten“, wobei er mit dem letzten die menschliche Wahrnehmung durchschreitet und den hohen Platz der Götter erreicht. Dieses Konzept des dritten Schrittes Vishnus geht offensichtlich auf seine Erhebung zum Gott zurück. Im Mahabharata wird dieser Gott auch als Narayana, Vasudeva und als Vishnu bezeichnet.

Der spätere Vishnu wurde durch seine zehn Inkarnationen (Avataras) zu einem persönlicheren Anbetungsobjekt. Die frühesten ikonografischen Darstellungen des Gottes sind zwei stehende, vierarmige Figuren, die sich auf jeder Seite der Torwächter der Chandragupta-Höhle bei Udayagiri (401 n. Chr.) befinden.

Die Hindugruppen sind, anders als im Buddhismus und Jainismus, nicht in eindeutig abgegrenzte Gemeinden aufgeteilt. Ob es sich nun um den großartigen Tempel von Bhubaneswar oder Khajuraho oder einen rot gefärbter Stein am Straßenrand handelt, die Anbetung ist immer persönlicher Natur. Für bestimmte Feierlichkeiten wird die Hilfe eines Priesters aufgesucht, und jeder größere Tempel hat seine Anhängerschaft. Aber Anbetung findet nie als Gemeinschaft statt. Architektonisch betrachtet, ist der Hinduschrein der Wohnort Gottes, auch wenn sich davor die der Vorbereitung der Opfergaben oder dem Tanz und der Musik dienenden verschiedenen Pavillons und Vorhallen befinden.

Die frühesten Hinduschreine sind die flachdachigen Gupta-Tempel mit einem quadratischen Grundriss, einer von vier Pfählen getragenen Veranda und einem kunstvoll geschnitzten Eingang. In Ajanta ist die Zelle im Zentrum des hinteren Teils der rechteckigen und mit Säulen versehenen Höhlen nach genau demselben Muster geschnitten, und auch die Eingänge stimmen sehr genau überein. Der Bau von Lingam-Schreinen in Badami und Ellora veränderte den Grundriss drastisch, indem der Schrein, wie auf Elephanta, in die Mitte der Halle gesetzt wurde. Die großen mittelalterlichen Tempel bestehen aus hoch emporragenden Schreinen, von denen jeder seinen eigenen Eingangspavillon besitzt.

Wie im Brahmajala-Sutta geschildert wird, ließ der ursprüngliche Buddhismus keinen Platz für einen Ästhetizismus; Lied, Tanz und Musik wurden mit Zauberei und Ikonographie in Verbindung gebracht und galten für die Weisen als nutzlos. Manu und Chanaka übernahmen diese abschätzige Einstellung gegenüber den Künsten. Dies ist jedoch von geringerer Bedeutung, und Bharhut und Sanchi sind nicht weniger schön, nur weil sie in den strittigen Analysen der Gelehrten nicht unterstützt werden. Die Kunst des Frühen Zeitalters ist von spontaner Entwicklung und verfügt über natürliche Kräfte. Sie ist im Wesentlichen erzählend, aber dabei besonders scharfsinnig. Die Geschichte der indischen Kunst muss im Rahmen einer literarischen und metaphysischen Denkweise dieser naiven, erzählenden Kunst geschrieben werden, die in der Bildung einer riesigen und komplizierten Ikonographie resultierte. Um diese Ikonographie herum ist eine noch abstrusere Sekundärliteratur entstanden, in der die geringste Detailabweichung benutzt wird, um die Unterteilung und endlose Vermehrung der Bildertypen gutzuheißen.

Avalokiteshvara zwischen zwei Tara- und zwei Donatorfiguren, spätes 10. oder frühes 11. Jh. Bronzegemisch mit Silber und Kupfer, Höhe: 34,5 cm. Privatsammlung, Kaschmir.

 

 

Die Bilder werden grob in zwei Typen unterteilt, die beweglichen und die unbeweglichen Bilder (Chala und Achala), sie werden aber auch als stehende (Sthanaka), sitzende (Ayana) und liegende (Sayana) Bilder bezeichnet. Darüber hinaus könnten sie auch im Sinne ihrer Erscheinungsform beschrieben werden: als schrecklich (Ugra), damit so, wie sich Vishnu in seiner Löwen-Mensch-Inkarnation zeigt, oder als friedfertig (Santa). Die Bilder Vishnus werden außerdem gemäß ihrer Eigenschaften als Bhoga, Yoga und Vira bezeichnet und je nach den Begehren des Anbeters verehrt.

Die Klassifikation der Götter und ihrer Anhänger gemäß ihrer angeborenen Wesensart bezieht sich direkt auf diejenige der Wesensarten in der Sankhya-Philosophie, in der zwischen den drei Eigenschaften (Gunas) des Lichts (Sattva), der Mutation (Rajas) und der Dunkelheit (Tamas) unterschieden wird. Es ist selbstverständlich, dass die Bedürfnisse des Anbetenden den Typ des anzubetenden Bildes bestimmen. Komplexe Erscheinungen, deren zahlreiche Attribute durch viele Hände dargestellt werden, haben für den Anbetenden mit geringerem Verstand einen
tamsischen Charakter. Für die Weisen sind Bilder jeder Art gleichsam überflüssig.

Indischer Ästhetizismus hat sich erst spät entwickelt und ist eine Ergänzung zu dem der ikonographischen Literatur des Mittelalters. Viele Teile des Agamas sind von großem ikonografischem Interesse, aber diese späten literarischen Kanons strahlen kein ästhetisches Licht aus, auch wenn sie etwas von dieser religiösen, hieratischen Atmosphäre vermitteln, die das künstlerische Schaffen in der letzten Phase mittelalterlichen Untergangs unterdrückte.

Der indische Ästhetizismus beruht auf dem Konzept ästhetischer Werte im Sinne einer persönlichen Erwiderung oder Nachbildung. Dieser Wert ist als Rasa bekannt, und wenn er existiert, besitzt das Objekt Rasa und die Person ist Rasika oder anerkennend. Rasa weckt im Rasika verschiedene Stimmungen, die vom anfänglichen Stimulus abhängen; aus diesen Stimmungen entstehen Emotionen. Der Mechanismus dieses Systems wird im Detail in Dhanamjayas Dasarupa und dem Visvanatha Sahitya Darpana erläutert. Das ganze System beruht auf der Literatur und kann nicht direkt auf die Malerei und Bildhauerei bezogen werden.

Königin Maya von Sakya gebärt als Yakshini den Buddha, 9.-10. Jh. n. Chr., Pala-Dynastie, Bihar. Biotitschiefer-Stele, 58,4 x 35,6 x 13,3 cm. Newark Museum, New Jersey.

Löwen-Kapitell einer königlichen Ashoka-Säule (indisches Nationalemblem), um 250 v. Chr., Maurya-Dynastie (Ashoka). Geschliffener Chunar-Sandstein, Höhe: 215 cm. Archäologisches Museum, Sarnath, Uttar Pradesh.

 

 

 

Das Zeitalter der Maurya

 

 

Kurze Zeit nach dem Tod Alexanders des Großen (356 bis 323 v. Chr.) bestieg Chandragupta Maurya (um 340 bis 298 v. Chr.), bei griechischen Autoren auch als Sandrokottos bekannt, den Thron von Bihar oder Magadha, dem damaligen Königreich Nordindiens. Im Laufe einer erfolgreichen Regentschaft von vierundzwanzig Jahren schaffte es dieser geschickte Prinz, seinen Einfluss über ganz Indien auszuüben, zumindest aber bis zum Fluss Narmada im Süden. Er erlangte von Seleukos Nikator (um 358 bis 281 v. Chr.), der zunächst sein Feind, später aber sein Verbündeter war, die wertvollen Provinzen zwischen dem Indus und dem Hindukusch, der heute zu großen Teilen zu Afghanistan gehört.

Auf Chandragupta folgte sein Sohn Bindusara (um 320 bis 272 v Chr.), der ungefähr im Jahre 273 v. Chr. das kaiserliche Zepter an seinen Sohn Ashoka (um 290 bis 232 v. Chr.) weitergab, dem dritten und berühmtesten Herrscher der Maurya-Dynastie. Ashoka regierte sein riesiges Reich einundvierzig Jahre lang mit Macht und Stärke und pflegte gute Beziehungen zu seinen Nachbarn, den tamilischen Regionen des äußersten Südens, zum Inselkönigreich Sri Lanka und den abgelegenen griechischen Monarchien Epirus und Kyrene, zu Ägypten, Westasien und Mazedonien.

Bereits früh bekannte sich der Herrscher zur Religion, und mit den Jahren wurde Ashoka zum Glaubenseiferer. Schließlich widmete er seine Energien und Reichtümer wohlwollend der Verehrung und Verbreitung der Lehren des Gautama Buddhismus‘- des Buddhas. Abgesehen von einer Ausnahme hielt er sich von Eroberungskriegen fern und konnte sich so völlig auf die Aufgabe konzentrieren, der er sein Leben gewidmet hatte.

Rummindai