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Sinus

Naema Gabriel

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2014 Naema Gabriel

Sokratisch-dialogisches Lektorat: Johannes Wenzel

ISBN 978-3-7375-0050-0

Vorwort zur ersten e-Book-Ausgabe

Die erste gebundene und illustrierte Auflage dieses Buches erschien 2013 in der Edition Pilscheur unter der ISBN 978-3-905868-36-4 (übrigens hier zu bestellen). Wer die ursprüngliche Hardcover-Version von SINUS schon mal in der Hand gehalten hat versteht, dass das Buch mit den Illustrationen und dem individuellen Layout nicht einfach auf ein e-Book zu übertragen ist. Nach vielen unbefriedigenden Versuchen hielt ich es für die ehrlichste Lösung, „eSINUS“ als reinen Text zu veröffentlichen. In den wenigen Monaten seit dem Release habe ich so gute Resonanz auf SINUS bekommen, dass ich finde: die Geschichte ist es wert, weiter verbreitet zu werden, auf allen möglichen Kanälen. Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich noch einmal von Herzen bei meinen Lesern und Zuhörern, die mir nach Lesungen, Diskussionen, Radiosendungen und nach der Lektüre von SINUS ihr positives Feedback und ihren Dank ausgedrückt haben. Ich hoffe, dass SINUS sich nun weiter seinen Weg zu seinen Lesern bahnt.

P.S.: Ich weiss, es ist nicht üblich, einen Lektor in einem Buch vorn mit zu erwähnen. Und „sokratisch-dialogisch“… gibt’s doch gar nicht! Aber: mit diesem unhandlichen Begriff gebe ich meine Suche nach einem treffenderem Begriff für das-was-er-da-für-mich-gemacht-hat vorerst auf. Fest steht: ohne die Gespräche mit dem Theaterregisseur und Dramaturgen Johannes Wenzel gäbe es das Buch SINUS nicht. Ohne seine geistige Geburtshilfe wüsste ich wohl heute noch nicht, dass ich das, was ich als Zeichnerin bisher nur mit Bleistiftzeichnungen gemacht hatte, auch mit Worten versuchen kann. Nur „Lektorat“, wie in der ersten Auflage, trifft die Sache einfach nicht. Also: Danke, Johannes!

Widmung

For you, Andrräa! (I know: for me, it’se Angelo.)

Kommen lassen

„Und jetzt Du.“ „Ich?“ „Mach mal. Wer am Berg anfahren kann, kann wirklich Auto fahren.“ Er zieht die Handbremse an, macht die Musik aus, lässt den Motor laufen, wir steigen aus und tauschen Plätze. Was soll schon passieren. Keine Sau weit und breit, Sonntagmorgen auf dem Land. Hinter uns geht es fünfhundert Meter schnurgerade den Beton-Feldweg bergab. Ich trete die Bremse und löse die Handbremse. „Das Lenkrad brauchst Du jetzt gar nicht.“ Na dann. Ich leg die Hände in den Schoss und atme tief durch. „Jetzt Kupplung treten. Mit dem rechten Fuss die Bremse loslassen und schon mal sachte das Gaspedal berühren.“ Wir rollen nach hinten unten und werden allmählich schneller. „Kupplung kommen lassen...“ Da greift was im Getriebe, wir rollen langsamer und langsamer bis wir stehen: Die Schwerkraft und der Motor machen Armdrücken und sind gleich stark. Ich lass den Motor gewinnen und fahr nach vorne, den Berg hinauf. Ich bin ein absolutes Naturtalent. „Mach’s nochmal.“ Ich fahr noch ein Stückchen weiter den Berg hinauf: mehr Platz zum  rückwärts Fallenlassen. Ich trete das Pedal und lass die Schwerkraft machen. „Kupplung kommen lassen, kommen lassen, kommen lassen, genau, so hältst du ihn fest, ohne die Bremse zu benutzen, und jetzt mehr Gas, weniger Kupplung und...“ ich fahre: rückwärts fallen lassen, kommen lassen, hoch den Berg. Fallen lassen, kommen lassen, hoch den Berg… Er hat aufgehört zu reden und kramt im Handschuhfach nach dem Tabak. Er dreht eine Zigarette für sich und eine für mich, zündet beide an und gibt mir eine. Ich häng meinen Arm aus dem Fenster. Es ist perfekt.

Übern Berg

Wenn es bei mir bis dreissig noch nicht ausgebrochen ist, dann bin ich übern Berg. Statistisch gesehen. Meine Chancen, es bis dreissig zu schaffen, stehen besser, wenn ich keinen künstlerischen Beruf ergreife. Meine grosse Schwester Franka überlegt  sich jetzt, was sie nach dem Abi machen soll, wenn aus ihrem Traumberuf nix wird. Was ist „Schauspielerin minus die Kunst“? Nachrichtensprecherin? – Und ich? Was ist „Künstlerin minus die Kunst“? Bei Mama hat es nicht geholfen, dass sie nur Musiklehrerin geworden ist. Die Tanten haben Berufe, die die Krankheit richtig unterdrücken. Kreativ sind sie am Wochenende. Flöten, Töpfern, Kerzenziehen. Ich kann nicht mal bis zum Abi denken. Ich sehe bis zu den nächsten Ferien, danach kommt Nebel.

Wochenende

Ich habe einen nagelneuen Führerschein... und noch kein eigenes Auto. Aber ich habe null Interesse an Alkohol oder Drogen oder Selbstmedikation mit Psychopharmaka. Das führt an den Wochenenden zu einer Win-Win-Situation in meinem Freundeskreis. Wir fahren zusammen in einem Auto irgendwohin, und egal wie spät, wie feucht, wie fröhlich, wie bekifft oder sediert der Samstagabend wird – ich bring immer alle sicher zurück. Wenn ich unterwegs einen Blick durch den Spiegel auf die Szenen in der Rückbank werfe, frag ich mich, ob ich gerade den besten Teil meiner Jugend verpasse. - Keine Ahnung. Ich weiss nur: wenn die Letzten müde tschüs sagen und schlapp die Türen zuschmeissen, schieb ich mein Mixtape rein und bin irgendwie zuhause. Die Autos kann ich immer bis Sonntagabend behalten. Jedes hat seine liebenswerten Eigenheiten: bei dem musst du vorglühen, bei dem ist der Rückwärtsgang hier, die muss vor dem Losfahren erst mal ihr Hinterteil heben, der hat vorne eine durchgehende Sitzbank, der hat zwischen den Vordersitzen eine eigene kleine Ablagebank für deinen Unterarm – und für den deines Beifahrers. Wenn du’s erlaubst. Der hat ne Gangschaltung, wo andere nen Blinker haben, bei dem ist das hier die Hupe. Bei diesem hier machst du zum Schalten ne Bewegung, als würdest du jemanden mit nem Spazierstock erstechen. Sonntagmorgen. Ich werf den Motor an. Meine Mutter steigt ein. Sie sitzt genauso klein im Beifahrersitz wie die letzten Wochen in ihrem Sessel. Sie schaut Richtung Windschutzscheibe wie sonst zum Fernseher. Wir fahrn über Felder und durch den Wald. In den Kurven hält sie sich am Griff über der Türe fest.

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