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FRIEDRICH SCHMIDT-BLEEK

GRÜNE

LÜGEN

Nichts für die Umwelt,

alles fürs Geschäft –

wie Politik und Wirtschaft

die Welt zugrunde richten

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Konzept und Realisation: Kerstin Lücker, Berlin
Redaktion: Andrea Kunstmann, München
Copyright © by Ludwig Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik·Design, München
Umschlagillustration: © James Shearman/Photodisc/GettyImages
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN: 978-3-641-13322-1
V002
www.ludwig-verlag.de

 

Für Jacqueline und meine Kinder

 

 

Inhalt

Einleitung

Wirtschaftswachstum

Wir brauchen eine Ressourcenwende

1   Öko-Rollback – zurück in die Vergangenheit

Was ist Nachhaltigkeit?

Die Funktionen und Dienstleistungen der Ökosphäre

Wie steht es um die Ökosphäre?

Wem gehört die Natur?

Grüne Politik?

2   Was heißt hier Umweltschutz?

Der Umweltschutz schützt die Umwelt nicht

Frühe Warnungen und Ökostrom aus dem 19. Jahrhundert

Der stumme Frühling

Der Umweltschutz wird politisch

Das Chemikaliengesetz

Am Wendepunkt

3   Der ökologische Rucksack

Material bewegen, Natur abbauen

Material-Input: Natur in Kilogramm

Jedes Produkt hat einen ökologischen Rucksack!

Der ökologische Rucksack als Ausdruck der Umweltbelastung

Technische Energie

Verschwiegene Umweltkosten

4   MIPS – der materielle Fußabdruck

Von der Wiege bis zur Bahre

Produkte und Dienstleistungen

Warum Dienstleistungen?

Material-Input-Per-Service: der materielle Fußabdruck

Nutzen statt besitzen

Handlungsoptionen: Beispiel Rasenpflege

5   Grüne Lügen

Fehler im System

Die Energiewende: grüne Augenwischerei

Das Ökosiegel: Garant für Umweltfreundlichkeit?

Falsche Glaubenssätze: CO2 und technische Energie

Die CO2-Vermeidungs-Industrie schadet der Umwelt

Landwirtschaft und Energie

Und noch eine grüne Lüge

Lernen wir aus Erfahrung?

6   Die zwei Säulen der Ressourcenwende

Dematerialisierung: Faktor 10

Vorsorge statt Nachsorge

Dematerialisierung in der Praxis: Beispiel Hochhausbau

Nachhaltigkeit durch Vorsorge

7   Natur ist ökonomisch unsichtbar

Das Kapital Natur

Der Preis der Natur

8   Wirtschaftswachstum und Ressourcenwende

Wachsen um jeden Preis

Eine Folge des Wachstumsprinzips: die Massenproduktion

Die Wirtschaft ist strukturell weder sozial noch ökologisch

Das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für Wohlstand

Fortschritt ohne Güterwachstum

9   Die Ressourcenwende in Technik und Forschung

Das Motorradschloss

Die Kaffeebohne – verschiedene Geschäftsmodelle

Neue Produkte? Neuer Nutzen!

Ressourcenproduktivität als Richtschnur für technischen Fortschritt

10   Die neue Dienstleistungsgesellschaft

Das Fairphone

Die Dienstleistungsgesellschaft

Leihen, Nutzen, Warten

Nicht neu produzieren, sondern erhalten

11   Die Steuerreform der Ressourcenwende

Ökologie muss sich finanziell lohnen

Die Ressourcensteuer

Vorteile der Ressourcensteuer

Einwände gegen die Ressourcensteuer

Ein konkreter Vorschlag

12   Der Arbeitsmarkt nach der Ressourcenwende

Gefährdet die Ressourcenwende Arbeitsplätze?

Arbeit am dematerialisierten Auto

Nutzen durch mehr Dienstleistungen

Neue berufliche Qualifikationen

Schöne neue Arbeitswelt

13   Kommunikation der Ressourcenwende

KOPS – Was kostet ein Produkt im Verhältnis zu seinem Nutzen?

Die ökologische Bewertung und Kennzeichnung von Produkten

Ressourcen? Nie gehört!

Aufklärung

Datenbanken

Ausbildung und Weiterbildung

14   Die Ressourcenwende und die Politik

Die aktuelle »Umweltpolitik«

Gute Absichten

Dicke Bretter

Systempolitik

Ein Zusammenschluss von Vorreitern?

ANHANG

Friedrich Schmidt-Bleek: Materialintensität – ein ökologisches Maß für den Vergleich von Maßnahmen, Produkten und Dienstleistungen

Ausgewählte historische Verlautbarungen des Internationalen Factor-10-Clubs

Friedrich Schmidt-Bleek: Entwurf eines Rahmengesetzes zum Schutze der natürlichen Ressourcen

Friedrich Schmidt-Bleek: Das MIPS-Auto: Faktor 10 im automobilen Stadtverkehr

Leitlinien für Ökodesign

Prof. Dr. Christa Liedtke, Wuppertal Institut Materialintensität ausgewählter Materialien, Produkte, Dienstleistungen und Aktivitäten

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Dank

 

Einleitung

Was, glauben Sie, ist eine der begehrtesten Schmugglerwaren der Welt? Welchen Rohstoff müssen Länder wie die Schweiz importieren, weil sie ihn nicht mehr haben? Und welcher Rohstoff hat exportierenden Ländern wie Australien in den letzten zwanzig Jahren beträchtliche Gewinne beschert? Öl? Uran? Gas?

Nein, es ist Sand. 1 Und nein, es geht nicht bloß um Sandkästen für Kindergärten und Spielplätze. Gebäude, Straßen, Computer, Kreditkarten, Geldautomaten, Verkehrsmittel, aber auch Glas, Lebensmittel, Kosmetika und Solarzellen: Unsere Zivilisation ist auf Sand gebaut. Sand ist der wichtigste Bestandteil von Beton und Stahlbeton. In Sand sind auch jene wichtigen Mineralien enthalten, ohne die unsere Kommunikationstechnologie undenkbar wäre – ohne Sand könnte man keine wertvollen Chips und Mikroprozessoren herstellen. Doch trotz riesiger Wüsten geht uns dieser Rohstoff aus. Für Beton ist Wüstensand nicht geeignet, weil seine vom Wind rund geschliffenen Körner nicht aneinander haften. Der als Baustoff begehrte Sand stammt von Meeresböden, Stränden und den Ablagerungen in Flüssen. Etwa 15 Milliarden Tonnen werden jährlich verbraucht, statistisch gesehen sind das weltweit mehr als 20 Tonnen pro Kopf.

Sand ist ein natürliches Material und steht, wie viele unserer Ressourcen, nicht unbegrenzt zur Verfügung. Je mehr Sand verbraucht wird, desto schwieriger wird es, neuen zu beschaffen. Es mag wie eine harmlose Kuriosität erscheinen, dass Länder wie Dubai, die von Wüste umgeben sind, Sand aus Australien importieren müssen. Die weniger harmlose Kehrseite ist, dass mit dem Abbau von Sand am Meeresboden Tiere und Organismen getötet werden, wodurch die Nahrungskette unterbrochen wird und die Fischbestände schrumpfen. Strände und sogar ganze Inseln verschwinden durch den Abbau von Sand. Es mag uns in Europa egal sein, dass marokkanische Strände verschandelt und vernichtet werden. Es mag uns egal sein, dass in Kalifornien Millionen Dollar investiert werden, um Strände mit Sand aufzuschütten und so für die Touristen zu erhalten, und dass dieser mühsam zurückgewonnene Strand innerhalb eines Jahres wieder verschwindet. All das scheint – noch – weit weg. Doch je knapper der Rohstoff Sand weltweit wird, desto teurer wird er, und das trifft irgendwann auch den deutschen Häuslebauer.

Nach Luft und Wasser ist Sand das meistverbrauchte Wirtschaftsgut der Welt. Da verwundert es nicht, dass um den Handel mit Sand bereits mafiöse Strukturen entstanden sind, wie wir sie aus anderen lukrativen Geschäftsbereichen kennen.

Was für Sand gilt, gilt im Grunde genommen für jedes natürliche Material. Wasser und Luft, Wälder, Pflanzen, aber auch Öl, Gas oder seltene Erden: All dies wird von uns in rasender Geschwindigkeit verbraucht. Viele natürliche Materialien wachsen nicht oder nur langsam nach und lassen sich kaum ersetzen. Und so sind die meisten Rohstoffe heute Gegenstand von schärfer werdenden wirtschaftlichen Auseinandersetzungen. Doch die wirtschaftlichen Folgen der Rohstoffknappheit stellen noch das geringere Problem dar. Die eigentliche Gefahr besteht in den ökologischen Folgen, die jede Verwendung natürlichen Materials zeitigt. So wie der Abbau von Sand das Meer aus dem Gleichgewicht bringt, so beeinträchtigt auch die Dezimierung der großen Wälder, die Tag für Tag fortschreitet, wichtige Funktionen des Ökosystems. Die akute Bedrohung unserer Wasservorräte ist hinreichend bekannt – die Folgen mag sich bisher niemand so recht ausmalen. Erst kürzlich, auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 2. Februar 2014, die sich ausschließlich mit politischen und militärischen Konflikten befasst, wurde eine Studie präsentiert, der zufolge in China und Indien, aber auch im Nahen Osten und in Afrika das Wasser auszugehen droht. Mehr als die Hälfte des chinesischen Grundwassers ist durch Rückstände aus Industrie und Viehzüchtung verschmutzt und durch Schwermetalle belastet; in Indien müssen einige Regionen bereits mit Trinkwasser aus Tanklastwagen versorgt werden. Die mit der Wasserknappheit drohenden globalen Konflikte bereiten nun auch Politik und Militärs zunehmend Sorge. 2

Und zu den bereits durch Atomkatastrophen kontaminierten Gebieten werden sich bald durch Atommüll kontaminierte hinzugesellen – denn es ist zweifelhaft, ob es überhaupt irgendwann gelingt, diesen Abfall einigermaßen »sicher« zu entsorgen.

Die Knappheit von Wasser, Sand und sauberer Luft, die Überfischung der Meere, ihre Übersäuerung und Vergiftung durch gigantische Mengen von Plastikabfällen, die Verwüstung ganzer Landstriche: Die meisten dieser Gefahren klassifizieren wir als Umweltprobleme. Sie bedrohen uns existenziell, und zwar jeden Einzelnen von uns, weltweit. Doch was macht die Umweltpolitik?

Sie scheint nur ein Thema zu kennen: den Klimawandel. Und sie scheint dafür nur eine einzige Ursache auszumachen: die industriell verursachten CO 2 -Emissionen. Wo immer heute die Rede von Umweltproblemen ist, sucht man beinahe vergeblich nach anderen Themen. Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013 zeigte dies mehr als deutlich, und auch der von CDU/CSU und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag bestätigt es. Selbst die Grünen, einst als Partei für ökologische Fragen angetreten, halten es nicht mehr für erwähnenswert, dass es andere, ernst zu nehmende Umweltprobleme gibt. Es scheint, als würde uns die Vielzahl der Bedrohungen schlicht überfordern. »Wo sich alles in Gefährdungen verwandelt, ist irgendwie auch nichts mehr gefährlich«, schrieb der Soziologe Ulrich Beck schon vor mehr als 25 Jahren (Beck spricht neben den ökologischen auch von sozialen Gefahren). 3

Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Klimawandel stellt eine ernste Bedrohung dar, und wir bekommen bereits heute die ersten Folgen zu spüren. Es ist völlig richtig, dass wir etwas dagegen unternehmen. Nur nützen uns hehre Absichten nichts, wenn sie in die Irre führen und der eingeschlagene Weg, anstatt wirklich Ab hilfe zu schaffen, die Probleme noch verschärft. Genau dies aber pas siert derzeit in der deutschen wie in der weltweiten Umweltpolitik.

Die Tatsache, dass wir die meisten Gefahren, wie Ulrich Beck es in der Risikogesellschaft analysiert hat, gar nicht wahrnehmen, sowie die Tatsache, dass unser Gefahren- und Krisenempfinden von unserem Wissen abhängig ist, haben unsere Umweltpolitik und unser Umweltbewusstsein in eine fatale Schieflage gebracht. Wir halten es für einen Segen, dass wenigstens der Klimawandel als Umweltproblem gesellschaftliche Anerkennung gefunden hat. Immerhin, sagen wir uns, werden inzwischen wenigstens hier weltweite Anstrengungen zu seiner Bekämpfung unternommen. Und wir glauben voll stolzer Überzeugung, gerade Deutschland stehe besonders gut da, mit seinem ständig wachsenden Anteil an erneuerbaren Energien und Vorzeigetechniken wie dem Elektromobil.

Mit diesem Glauben befinden wir uns im Irrtum. Die Energiewende trägt nicht zur Entschärfung von Umweltproblemen bei, weil sie anstelle von Ursachen nur Symptome bekämpft. Sie trägt nicht einmal maßgeblich zur Verlangsamung des Klimawandels bei! Und zwar deshalb, weil sie sich nahezu ausschließlich auf technische Energie konzentriert, und hier auf den Ausstoß von CO2. Die Ursachen für den Klimawandel liegen jedoch nicht allein in der Verwendung technischer Energie und der damit verbundenen Emission von CO2, sondern auch und in allererster Linie im Verbrauch natürlichen Materials – die Entnahme von Sand trägt dazu ebenso bei wie der Verbrauch von Wasser, das Abholzen von Wäldern und vieles mehr. Der ungebremste und verschwenderische Gebrauch von Ressourcen führt zu einer rasanten Zerstörung unserer Umwelt weltweit. Der Klimawandel ist lediglich eine von mehreren gefährlichen Folgen dieser Entwicklung.

Wenn aber der Verbrauch von Ressourcen ebenso zum Klimawandel beiträgt wie die CO2-Emissionen, wenn er zudem andere, schwerwiegende Umweltprobleme erzeugt, so bedeutet dies, dass die Energiewende diese Probleme nicht löst, sondern sogar noch verschärft. Denn viele als grün gepriesene Technologien erfordern einen extrem hohen Materialeinsatz. Durch ihre Ressourcenintensität sind sie Gift für die Umwelt und in Wahrheit alles andere als grün. Gerade die CO2-mindernde Technik ist in der Regel besonders ressourcenintensiv und verschärft damit unsere Umweltprobleme. All dies werde ich im vorliegenden Buch ausführlich erläutern.

Vor allem aber grenzt die Fokussierung auf den Klimawandel andere schwerwiegende Umweltprobleme zunehmend aus. Umweltwissenschaftler beobachten derzeit mindestens fünf, sechs gefährliche Entwicklungen derselben Größenordnung – etwa die regionale Verknappung von Trinkwasser durch Übernutzungen, den Artenverlust, die Ausbreitung von Wüsten, die Erosion von Mutterböden, die Zerstörung der Regenwälder und von Landflächen, die versiegelt, verweht, vergiftet oder ausgelaugt und damit unfruchtbar gemacht werden. Glauben Sie, dass diese Probleme gelöst werden, indem man sie ignoriert? Es ist mir schleierhaft, wie man in der Energiewende ein vielversprechendes Erfolgsmodell sehen kann, angesichts des Umstands, dass sie nicht einmal den Klimawandel aufzuhalten vermag.

Hans-Jürgen Papier, ehemals Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sagte unlängst im Rahmen einer Diskussion im Fernsehsender Phoeni x , 4 angesichts der Rentenpläne der Koalition von CDU, CSU und SPD sei es denkbar, eine Klage im Sinne von Artikel 20a des Grundgesetzes beim Verfassungsgericht anzustrengen, weil diese Pläne zukünftige Generationen finanziell so stark belasten, dass damit die »soziale Nachhaltigkeit« missachtet werde. Artikel 20a des Grundgesetzes lautet:

»Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.«

Auch wenn Papier die Rentenpläne und die soziale Nachhaltigkeit im Sinn hatte: Wie schon die vergangenen, vernachlässigt auch die aktuelle Regierung den vorgeschriebenen Schutz der »natürlichen Lebensgrundlagen«, zu dem sie insbesondere in Verantwortung für künftige Generationen verpflichtet ist. Eine Klage schiene mir hier durchaus berechtigt.

Wirtschaftswachstum

Wir sind Gefangene einer Zivilisation, die uns zwingt, die Umwelt zu zerstören, um Erfolg zu haben. Ein grundlegender Webfehler unseres Wohlstandes besteht darin, dass wirtschaftlicher Erfolg sich an einer wachsenden Zahl produzierter Güter bemisst und damit zwangsläufig an einen wachsenden Materialverbrauch gekoppelt ist. Solange sich Fortschrittswille und Risikobereitschaft an der Zuwachsrate des Bruttoinlandprodukts (BIP) messen, schwindet die Chance auf eine zukunftsfähige Gesellschaft, und auch das soziale Gefälle wird weiter wachsen. Aus diesem Dilemma können wir uns nur durch eine grundsätzliche Umkehr befreien. Es bedarf eines Richtungswechsels, durch den wirtschaftliches Wachstum von materiellem Wachstum abgekoppelt wird (zum Beispiel durch die Stärkung von Dienstleistungen). Eine solche Umkehr verlangt mehr als ein paar umweltpolitische Maßnahmen, die aus einem oder zwei Ministerien heraus lanciert werden. Sie verlangt gesamtgesellschaftliche Anstrengungen, die von höchster Stelle aus koordiniert werden. Das Überleben von Banken auf Zypern sollte weniger wichtig sein als die Zukunft der Umwelt unserer Kindeskinder. Warum spiegelt sich diese Trivialität nicht in der Regierungspolitik und ihren Investitionen wider? Wo bleibt die viel gerühmte Verhältnismäßigkeit?

Wir brauchen eine Ressourcenwende

Die knapper werdende Ressource Sand stellt eines von zahlreichen Umweltproblemen dar, die in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert sind. An ihrem Beispiel wird noch etwas deutlich: Wo ein Rohstoff abgebaut wird, kommen fast immer weitere Rohstoffe zum Einsatz. Zum Beispiel muss der Sand, ehe er zu Beton verarbeitet werden kann, mit großen Mengen Wasser gereinigt werden. Und man benötigt technische Energie für Bagger, Kräne und Schiffe, die Sand aus Fluss- und Meeresböden schöpfen. Um Sand verwenden zu können, brauchen wir also auch Rohstoffe wie Öl (für Benzin) oder Braunkohle (für Strom) oder vergleichbare Energieträger. Und was, glauben Sie, braucht man für den Bau von Braunkohle- oder Atomkraftwerken? Sand!

Wenden wir diese fatalen Wechselwirkungen ins Positive: Wenn nahezu jeder Einsatz einer Ressource mit der Aufwendung weiterer Ressourcen einhergeht und dieser Ressourcenverbrauch die verschiedensten Umweltprobleme erzeugt, dann muss umgekehrt auch jede Einsparung von Ressourcen zu einer Kettenreaktion von weiteren Einsparungen führen: Dort, wo ich statt zehn Tonnen nur eine Tonne Sand abbaue, brauche ich ungefähr zehnmal weniger elektrischen Strom und Treibstoff für Schiffe, Bagger oder Kräne. Doch nicht nur das: Ich brauche auch zehnmal weniger Schiffe, Bagger, Kräne und Lastwagen und damit wiederum weniger Ressourcen und technische Energie für deren Herstellung. Am Ende wirkt sich deshalb jede Ressourcensparmaßnahme auf eine ganze Kette weiterer Ressourcen aus, und mit der Einsparung von Energie wird nahezu zwangsläufig auch der CO2-Ausstoß vermindert.

Es war diese Idee, die mich Ende der 1980er-Jahre dazu veranlasste, den Umweltschutz völlig neu zu denken. Ausgehend von dieser Überlegung, entwickelte ich in der Folgezeit das Konzept der Ressourcenwende. Es beruht im Kern auf der Forderung, unsere Wirtschaft materiell ungefähr um den Faktor 10 zu verschlanken. Das bedeutet, in möglichst naher Zukunft dafür zu sorgen, dass wir – weltweit – mit einem zehnfach verringerten Ressourceneinsatz denselben oder noch mehr Wohlstand erzeugen.

Seitdem ich die Forderung nach einer Dematerialisierung um den Faktor 10 zum ersten Mal formuliert habe, sind zahlreiche Gremien und Institutionen entstanden – allen voran das von mir mit aufgebaute Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie –, die dieses Konzept aufgenommen und weiterentwickelt haben. Der Lösungsansatz liegt also auf dem Tisch – seit nunmehr über 20 Jahren. Zahlreiche Forschungen sowie unzählige Versuche in der Praxis haben längst erwiesen, dass eine materielle Verschlankung, wie ich sie im Rahmen der Ressourcenwende fordere, praktikabel ist.

Die Bedeutung der Ressourcenproblematik wird heute kaum ernsthaft bestritten. Das wird allein aus der Zahl politischer Absichtsbekundungen deutlich: Wer sucht, findet Papiere und Gremien auf Bundes- und EU-Ebene, die eine Umkehr des materiellen Wachstums und einen sparsamen, verantwortlicheren Umgang mit Ressourcen einfordern (vgl. Kapitel 14, Abschnitt Gute Absichten ). Doch leider bleibt es bisher bei diesen Absichtsbekundungen. Anstatt dem verschwenderischen und zu einem großen Teil völlig unnötigen Verbrauch von Ressourcen Einhalt zu gebieten, setzt unsere Regierung weiterhin auf die Energiewende und verkauft sie uns als zukunftsweisendes Projekt. Damit belügt sie uns, und damit belügen wir uns als Gesellschaft selbst, solange wir keinen Widerstand leisten.

»Zukunft« wird es nur dann geben, wenn es uns gelingt, die Schraube des steigenden Ressourcenverbrauchs zurückzudrehen. Solange das nicht geschieht, sind all unsere als »grün« und »ökologisch wertvoll« etikettierten Produkte Schwindel – und das gilt in vielerlei Hinsicht auch für die Energiewende. Es ist dringend an der Zeit, nicht über Energie, sondern über Ressourcen zu sprechen. Wir alle, jeder einzelne Verbraucher und in besonderem Maße die Verantwortlichen in Unternehmen und Politik, müssen für eine Umkehr im Umgang mit Ressourcen sorgen. Und zwar jetzt!