Reinhard Lindner

Der
Samurai
Manager

Mit Intuition
zum Erfolg

ISBN 9783990403228

Wien – Graz – Klagenfurt

© 2014 by Molden Verlag

in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Alle Rechte vorbehalten.

Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop

Lektorat: Elisabeth Wagner

Covergestaltung: Bruno Wegscheider

Coverfoto: iStockphoto.com/by_Nicholas

Layout: Maria Schuster

Japanische Schriftzeichen: Ikuko Furuya

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

TEIL 1: Die Bedeutung der Samurai damals und heute sowie deren gelebte Werte als Basis für integre Führungskräfte

1.1 Die Bedeutung der Samurai in Japan

1.2 Lebt der Samurai-Geist heute noch in der japanischen Gesellschaft und in deren Unternehmen?

Interviews mit Managern in Tokio

Der Geist der Samurai lebt weiter

Es gibt bis heute keinen Manager-Kodex

1.3 Die Werte der Samurai in Bezug auf unser Geschäftsleben

Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit

Mut

Zivilcourage

Respekt

Dankbarkeit

Disziplin

Gelassenheit

Richtiges Timing

Perfektion und Souveränität

Intuition

1.4 Hidetaka Nishiyama: „der letzte Samurai“

Interview mit Avi Rokah

Meine persönlichen Erfahrungen mit Nishiyama Sensei

1.5 Die aktuellen Locations des Samurai Manager Programms

Green Well–The Centre of Business Fitness (Österreich)

Dojo Stara Wieś (Polen)

Dojo Neue Welt (Österreich)

1.6 Die Prinzipien der Kampfkunst am Beispiel des Traditionellen Karate

Der Unterschied zwischen Kampfsport und Kampfkunst

1.7 Der Kodex für Samurai Manager

TEIL 2: Japanisches Management

2.1 Die Macht der Familienclans

2.2 Aufstieg, Karriereplan und Dotierung

2.3 Japanisches Management am Beispiel des Kanban-Systems von Toyota

2.4 Die Japaner sind nicht die großen Erfinder, aber geniale Verbesserer

Das Geheimnis des japanischen Erfolges liegt in drei Schriftzeichen

Was macht Samsung besser als die Japaner?

Entscheidungsprozesse in Japan

Sozialverhalten in Japan

2.5 Der Unterschied zwischen japanischen und chinesischen Geschäftspraktiken

TEIL 3: Verhandeln mit den Prinzipien der Samurai

3.1 Erfolg haben ist wichtiger als Recht haben

3.2 Die Bedeutung der Emotion in einer Preisverhandlung

3.3 Die wirkungsvollsten westlichen Verhandlungstechniken, umgelegt auf die Prinzipien der Samurai

TEIL 4: Führen wie ein Samurai

4.1 Kein Meister fällt vom Himmel

4.2 Personaldiagnostik als Schlüssel in der Personalentwicklung

4.3 Aufgaben einer Führungskraft

4.4 Hören Sie auf, Ihre Leute zu motivieren

4.5 Das Delegierungsgespräch als Führungsinstrument

4.6 Das Kritikgespräch als Führungsinstrument

4.7 Die Fähigkeiten integrer Führungskräfte

Epilog: Mein größter Sieg

Dank

Anhang

Anmerkungen

Widmung

Ich möchte dieses Buch meinen beiden Meistern Yasuyuki Fujinaga Sensei und Hidetaka Nishiyama Sensei sowie dessen Trainer Masatoshi Nakayama widmen. War es Fügung, Zufall oder einfach auch nur Glück, solchen Persönlichkeiten zu begegnen?

Fujinaga Sensei lernte ich im Alter von 14 Jahren kennen und ich ließ mich von seinem wunderbaren Wesen schnell begeistern. Er war ein Karatemeister der alten Schule: eher klein, fast zierlich, aber unglaublich schnell und explosiv. Er wurde auch „Sensei noch einmal“ genannt. Unendlich viele Wiederholungen der Übungen prägten seinen Trainingsstil. Es war nie gut genug, was seine Schüler praktizierten. Er vergriff sich aber niemals im Ton, wenn er präzise korrigierte. Er war der Inbegriff von Gelassenheit und Perfektion. Nicht zuletzt faszinierte mich auch seine wertschätzende und bescheidene Art.

Nishiyama Sensei, der in der Fachpresse auch gerne als „der letzte Samurai“ bezeichnet wurde, war ein Meister der Methodik. Bis ins kleinste Detail war er in der Lage, jede Technik zu zerlegen. „Wirkung erzeugen“ war sein Thema. In Japan wurde er auch als „der schneebedeckte Vulkan“ bezeichnet. Es sind seine weißen Haare und seine unvergleichbare, explosionsartige Kraftentwicklung, die ihm diesen Namen gaben.

Nakayama Sensei lernte ich niemals persönlich kennen. Er war der Gründer der JKA (Japan Karate Association) und somit einer der Pioniere. Ich hatte die große Ehre, die Witwe von Nakayama Sensei, Akiko Nakayama, im Alter von 91 Jahren persönlich kennenzulernen. Eine Frau mit unvergleichlicher Ausstrahlung und einem scharfen Geist. Sie gestattete mir ein Training mit einem Schüler von Nakayama Sensei in seinem privaten Dojo: eine Ehre, die nur ganz wenigen Europäern zuteil wurde.

Dieses Buch ist ein Dankeschön an diese faszinierenden Menschen, die mein Leben auf so wunderbare Weise geprägt haben. Ich bin dankbar, auf diesem Weg kommenden Generationen die Werte und das Wissen so großer Meister weitergeben zu können.

Reinhard Lindner

Vorwort

Es gibt keinen besseren Ort, um mit dem Buch Der Samurai Manager® zu beginnen, als in Japan selbst. Während ich an diesem Buch arbeitete, befand ich mich auf einer Geschäftsreise in Tokio. Der Grund dafür war zum einen, die Möglichkeit der Einführung einer Dienstleistung im Bereich der Personaldiagnostik auf dem japanischen Markt zu eruieren, und zum anderen, mein Wissen über das Denken, das Handeln und die Strategien japanischer Manager und deren Unternehmensführung zu vertiefen. Die Reise bot gleichzeitig die Möglichkeit, mir einen lang ersehnten Jugendtraum zu erfüllen: Seit meinem vierzehnten Lebensjahr (als ich begonnen hatte, Traditionelles Karate zu trainieren) wollte ich im Central Dojo in Tokio, dem Herzen und der Wiege des Karate der JKA,1 zusammen mit den Top-Mastern trainieren. Genau das tat ich dann auch.

Der Empfang war nicht gerade herzlich, aber sehr höflich. Als ich das Dojo2 betrat, spürte ich einen guten Geist und Disziplin. Und überhaupt: Die allgegenwärtige Disziplin ist mir gleich zu Beginn meiner Reise aufgefallen. Der Großraum Tokio hat inklusive der Vorstädte mittlerweile fast viermal so viele Einwohner wie ganz Österreich, nämlich rund 30 Millionen. Trotz dieser hohen Bevölkerungsdichte läuft alles wie auf Schienen. Ich werde später noch mehrmals auf das Thema „Disziplin“ zu sprechen kommen. Was mich im Dojo aber noch mehr beeindruckte, war die Bescheidenheit. Viele, die trainierten, waren zuvor in Anzug und Krawatte gekommen. Sie alle nahmen nach der Unterrichtseinheit ein kleines Handtuch und stellten sich in Reih und Glied auf. Dann legten sie die Tücher vor sich hin, begaben sich in eine Art Liegestützposition und schoben die Handtücher vor sich her, um den Boden von Schweiß und Schmutz zu säubern. Ich bin überzeugt, einige von ihnen waren Manager, welche tagsüber mehrere Tausend Mitarbeiter führten und Entscheidungen über Milliarden von Yen trafen.

Was mir in Tokio zuerst auffiel, waren Bescheidenheit und Disziplin.

In dem bisher Erzählten sind schon zwei wichtige Begriffe aufgetaucht: Disziplin und Bescheidenheit. Sie sind neben Entschlossenheit, Konsequenz und Charisma entscheidende Fähigkeiten für einen erfolgreichen Manager, einen Samurai Manager.

Um das Wesen der Samurai zu verstehen und daraus wertvolle Erkenntnisse für das Geschäftsleben zu generieren, ist es notwendig, in die gelebten Werte der Samurai tiefer einzutauchen. Diese Werte haben die Samurai geformt und zu außergewöhnlichen Persönlichkeiten reifen lassen. Aus diesem Grund habe ich diesem Kapitel auch so hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Das Verstehen der Tugenden sowie das Anwenden von Prinzipien der Samurai sind der Schlüssel zur Verbesserung der eigenen Intuition.

Was ist die Kernbotschaft dieses Buches? Was möchte ich Ihnen mit diesem Buch vermitteln? Primär geht es darum, dass Sie mit den Werkzeugen, die Sie der Samurai Manager® lehrt, ein Gespür dafür entwickeln, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Mehr denn je brauchen die Unternehmen echte Manager und keine Schönwetterhelden. Führungskräfte also, die ein Gespür dafür haben, was ein Unternehmen nach vorne bringt, und die entschlossen handeln. Entschlossenheit war das, was die Samurai auszeichnete, für eine Sache einzutreten und wenn sie das Leben dafür opfern mussten. Doch was ist der Grund, warum so viele Manager nicht die richtigen Entscheidungen treffen? Die Antwort ist einfach: weil sie Angst haben. Angst, ihren Job und damit ihre gute Position zu verlieren.

Viele Manager haben Angst.

Unzählige Manager taktieren. Sie ver(sch)wenden ihre wertvolle Energie mit Recherchen darüber, wer ihnen im Unternehmen schadet und wer sie in der Erfolgsleiter schnell nach oben bringen kann. Dabei vergessen sie, den Job zu machen, für den sie eigentlich bezahlt werden. Es ist die Angst, etwas zu verlieren, das sie schon haben. Das lähmt. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass ein Manager, der nicht täglich dazu bereit ist, seinen Job zu verlieren, kein guter Manager ist. Vielleicht ist er ein guter Taktiker oder Netzwerker, aber noch lange kein guter Manager und bestimmt kein Samurai Manager.

Ein guter Manager ist täglich dazu bereit, seinen Job zu verlieren.

Dies soll nicht heißen, dass Taktik und Netzwerken nicht wichtige Bausteine für Erfolg sind, aber letztlich sind sie nicht mehr als ein Mittel zum Zweck. Die wichtigste Aufgabe eines Managers ist es, die Unternehmensziele klar zu definieren und zu deren Erreichung die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dazu gehört aber nicht, die eigene Haut schützen oder gar retten zu wollen.

Natürlich ist diese Sichtweise sehr idealistisch. Vielleicht ist sie sogar ein Stück weit realitätsfremd, jedoch letztlich der einzige Weg, den es sich lohnt zu gehen. Am Ende des Tages zählt doch, was habe ich wie erreicht, wobei das „Wie“ die höhere Priorität einnimmt. Was wollen Sie letztlich Ihren Kindern erzählen? Sie waren ein guter Taktiker, haben die richtigen Leute gekannt und somit ist es Ihnen gelungen, ein angenehmes Leben zu führen? Das dürfte Sie wohl nicht sehr glücklich und schon gar nicht stolz machen. Also bleibt Ihnen gar keine andere Wahl, als das Taktieren über Bord zu werfen. Verwenden Sie Ihre ganze Energie dafür, Ideen und Konzepte zu entwickeln, die Meilensteine für das Unternehmen bedeuten. Die richtigen Leute ins Boot zu holen und nach vorne zu schauen. Da ist kein Platz für die Angst!

Bob Dylan singt in einem seiner Songs: When I go to my grave, my head will be high. Das ist ein wahrer Samurai-Gedanke, der Ihnen dann auch das Glück des Tüchtigen einbringen wird.

Noch zwei Anmerkungen:

Der Samurai Manager® ist ein eingetragenes Markenzeichen. Der besseren Lesbarkeit wegen wurde im Text auf die durchgehende Verwendung des Symbols ® bei der Erwähnung des Markennamens verzichtet – alle Markenrechte bleiben vorbehalten. Ebenfalls der besseren Lesbarkeit geschuldet ist die durchgehende Verwendung des generischen Maskulinums. Es sind natürlich damit auch alle Leserinnen angesprochen.

1.1 Die Bedeutung der Samurai in Japan

Es wäre eine Anmaßung zu behaupten, ich wäre in der Lage, etwas über das wahre Wesen der Samurai preiszugeben. Das folgende Kapitel soll auch keine historische Aufarbeitung der Krieger des alten Japan darstellen, sondern einen pragmatischen Weg aufzeigen, was wir im Management von diesem Stand lernen und im täglichen Leben umsetzen können.

Die Samurai waren annähernd vergleichbar mit unserem mittelalterlichen Rittertum. Sie dienten ihrem Fürsten (Daimio) und waren ihm zu Treue und Loyalität verpflichtet. Die vorrangige Waffe des Samurai war das Schwert (Katana). Ein Samurai war ein Meister der Schwertkunst. Sie genossen über fünf Jahrhunderte in Japan höchstes gesellschaftliches Ansehen und dies, obwohl sie keine politische Macht und auch keinen nennenswerten materiellen Besitz hatten. Wenn ein Samurai in ein Dorf kam, verneigten sich die Bewohner und zollten ihm höchsten Respekt. Wie aber war es möglich, ohne Entscheidungsgewalt und Geld einen solchen Status zu bekommen?

Die Samurai verkörperten ihre Werte auf unvergleichbare Art und Weise: vor allem den der Ehre. Für einen Samurai war das gesprochene Wort gleichzusetzen mit der Tat. Wenn ein Samurai ein Versprechen gab, war dies so gut wie eingelöst. Die Konsequenz, das zu tun, was er gesagt hatte, machte ihn glaub- und somit auch vertrauenswürdig.

Für den Samurai war das gesprochene Wort gleichzusetzen mit der Tat.

Das Nichteinlösen eines Versprechens bedeutete für einen Samurai den Verlust seiner Ehre. Und ein Samurai verlor eher sein Leben als seine Ehre. Sollte eine Situation eintreten, in der es ihm nicht möglich war, seine Worte in die Tat umzusetzen, konnte er seine Ehre und die seiner Familie nur wiederherstellen, wenn er sich das Leben nahm. Er tat dies, indem er sich sein Schwert ungefähr sechs Zentimeter unterhalb des Nabels in den Bauch rammte und dann umdrehte. Diese Zeremonie wird in Japan „Seppuku“ genannt. Im Westen ist sie besser bekannt unter dem Begriff „Harakiri“.

Die fatalen Konsequenzen, welche das Nichterfüllen eines Versprechens mit sich brachten, veranlassten einen Samurai, sehr genau darüber nachzudenken, welche Zusagen er machte und welche nicht. Er war stets überlegt, besonnen und sehr bedacht in seinen Aussagen. Er konnte einen Auftrag auch ablehnen. Nur wenn er ihn annahm, musste er ihn auch zu Ende führen.

Halten, was man verspricht!

In einem berühmten Zitat über den Samurai-Kodex heißt es:

Rechtschaffenheit ist die Macht, über ein bestimmtes Verhalten vernunftgemäß und ohne Wanken zu entscheiden – zu sterben, wenn es richtig ist zu sterben, zuzuschlagen, wenn es richtig ist zuzuschlagen.3

Die Samurai waren gefürchtete Krieger. Aber was war der Grund dafür?

Ein Samurai wusste, dass er jederzeit sein Leben aufs Spiel setzen musste. Sein Leben hing also von seiner Fähigkeit zu kämpfen ab. Folglich war ein Samurai bestrebt, sein Geschick in der Kampfkunst mit dem Schwert zu perfektionieren. Allein ein guter Kämpfer zu sein, war zu wenig. Viele Kämpfe zu überleben, bedurfte eines hohen Maßes an zusätzlichen Fähigkeiten, wie Gelassenheit, Flexibilität, Entschlossenheit, Mut und vor allem Intuition. Es handelt sich hierbei um Werte, die auch im heutigen Management eine fundamentale Bedeutung haben. Ich werde im Kapitel „Die Werte der Samurai in Bezug auf unser Geschäftsleben“ (S. 38) genauer auf dieses Thema eingehen.

Um sich diese Fähigkeiten anzueignen, war tägliches Training notwendig. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wie trainiert man Eigenschaften wie Gelassenheit, Mut und Entschlossenheit?

Die Perfektion liegt in der Ganzheit.

Perfektion liegt in der Ganzheit. Deshalb existieren im buddhistisch geprägten asiatischen Kulturkreis immer zwei Seiten: das Yin und das Yang. Sie stehen für einander entgegengesetzte, aber dennoch aufeinander bezogene Kräfte.4

Die eine Seite waren der Kampf, das Töten, das Blutvergießen. Auf der anderen Seite beschäftigten sie sich aber auch mit der Kunst. Viele bedeutende japanische Gedichte stammen aus der Feder von Samurai. Berühmte Bilder und Schnitte hängen heute weltweit in zahlreichen Museen. Deren Schöpfer waren oft Samurai. Dies ist die andere Seite: eine zarte, achtsame und liebevolle. Aus dieser Dualität beider Extreme resultiert die Gelassenheit.

Mut heißt, das zu tun, was getan werden muss.

Mut heißt, das zu tun, was getan werden muss. Dem steht meist die Angst im Wege. Das heißt: Um Mut zu trainieren, muss ich der Lage sein, die Angst zu überwinden. Angst bedeutet psychologisch betrachtet sich in einen Zustand zu versetzen, von dem man selbst nicht möchte, dass er eintritt. Dieser Zustand ist im Moment der Angst aber noch nicht real und somit auch nicht existent. Man fürchtet sich also vor etwas, was es noch gar nicht gibt. Angst resultiert auch aus der Tatsache zu glauben, etwas hergeben zu müssen, was man behalten möchte. Der Samurai ging mit der Vorstellung in den Kampf, er sei bereits tot. Denn jemand, der bereits tot ist, hat nichts zu verlieren. Wenn er nichts zu verlieren hat, muss er auch vor nichts mehr Angst haben. Hinzu kam die traditionelle Ansicht, dass der Verlust des Lebens nicht das Schlimmste war, das einem Menschen zustoßen konnte, sondern der Verlust seiner Ehre. Dieses fest verankerte Wertebild machte die Samurai zu unglaublich entschlossenen und mutigen Kämpfern, die in der Lage waren, in einem Kampf beinahe übermenschliche Kräfte zu entwickeln.

Entschlossenheit war ein Wert, der bei einem Samurai über Leben und Tod entschied. Das Gegenteil von Entschlossensein ist Zögern. Dies war in einem Kampf mit einem Todesurteil gleichzusetzen.

Entschlossenheit zu trainieren, setzt eine gute Intuition voraus und die ist ein Zusammenspiel aus allen Werten.

Angst und Unentschlossenheit sind die größte Geißel vieler Manager. Wie man damit umgeht und diese Problematik auch wirkungsvoll und nachhaltig therapiert, werde ich im Kapitel „Die Werte der Samurai in Bezug auf unser Geschäftsleben“ ausführlich behandeln. Wie bereits erwähnt, war ein Samurai seinem Daimio oder Shogun gegenüber zu Loyalität verpflichtet. Loyalität ist aber nicht zu verwechseln mit Unterwürfigkeit oder bedingungslosem Gehorsam. Im Gegenteil: Der Samurai war verpflichtet, seinen Herren darauf aufmerksam zu machen, wenn er davon überzeugt war, dass dessen Entscheidung falsch war. Das Ignorieren einer Fehlentscheidung galt als illoyal.

Wir sehen also, dass ein Samurai ein breites Spektrum an Werten zur Verfügung hatte. Das Harte konnte sich ohne das Zarte nicht entfalten und die Disziplin nicht ohne eigenständiges Denken. Der Samurai verkörperte Werte, welche viele Manager zu viel besseren Führungskräften machen würden, wovon wiederum die Unternehmen und auch deren Mitarbeiter enorm profitieren könnten.

Werte sind die Basis nachhaltigen Erfolges.

1853 landete der amerikanische US-Commodore Matthew Calbraith Perry5 mit seinen Schiffen an der Küste Japans und brachte eine neue Waffentechnologie mit, welche dem Samurai-Schwert naturgemäß überlegen waren. Er zwang die Japaner 1854 im Vertrag von Kanagawa zur Öffnung des Landes für amerikanische Handelsschiffe und zu einem langfristigen Handelsabkommen mit den USA. Schusswaffen wurden ins Land gebracht und an die Bevölkerung verkauft. Pistolen und Gewehre waren selbst den besten Meistern der Schwertkunst überlegen und somit verloren die Samurai allmählich ihre Bedeutung als Krieger.

1.2 Lebt der Samurai-Geist auch heute noch in der japanischen Gesellschaft und in deren Unternehmen?

Zwischenzeitlich hat China seinen „Alt“-Konkurrenten Japan aufgrund seines gigantischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf Platz drei verdrängt. Doch die Wirtschaftskraft Japans ist auch heute noch enorm. Wenn man nämlich die wirtschaftliche Leistung der Einwohner des jeweiligen Landes vergleicht, sieht das Verhältnis ganz anders aus. Wir sprechen hier von einem Faktor 6. Das heißt, ein Japaner erbringt die gleiche Wirtschaftsleistung wie sechs Chinesen.

Es ist natürlich spannend, der Frage nachzugehen, wie es das zerbombte Japan nach dem Zweiten Weltkrieg in nur 23 Jahren geschafft hat, zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufzusteigen. Auf der vergleichsweise kleinen Insel im Pazifik sind zwei Drittel der Fläche unbewohnbar, und seit den 1960er-Jahren werden so gut wie keine Rohstoffe mehr gefördert. Warum gerade Japan und nicht die Türkei, Mexiko oder Brasilien? Dort gibt es ähnlich viele Einwohner. Spielt der Geist der Samurai vielleicht eine Rolle?

Um diese Frage zu beantworten, habe ich 2010 eine Studie in Japan durchgeführt. Es ist mir gelungen, eine Reihe von Topmanagern zu interviewen, die in internationalen Unternehmen mit Niederlassungen in Japan tätig sind. Meine Gesprächspartner waren sowohl westlicher als auch japanischer Herkunft.

Interviews mit Managern in Tokio6

DR. MARTIN GLATZ

Wirtschaftsdelegierter für Japan

Wie kommt die hohe Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen zustande?

Die Unternehmen bestimmen das Leben der Japaner. Dieses Prinzip ist zwar in den letzten Jahren in manchen Fällen durchbrochen worden, gilt aber in einem hohen Maße immer noch. Die Freizeit ist im Vergleich weniger wichtig, auch wird sie oft noch mit Arbeitskollegen verbracht. Die Familie hat sekundären Stellenwert. Es sind vor allem Schulen und Universitäten, über die sich Japaner ein effizientes Netzwerk aufbauen. Der berufliche Erfolg wird nicht wesentlich von der Familie bestimmt.

Wie werden die Mitarbeiter motiviert?

Dem Mitarbeiter winkt jedenfalls in größeren Unternehmen eine stattliche Abfertigung, meist mit dem sechzigsten Lebensjahr. Oft wird danach eine zweite Karriere begonnen. Die Erwerbsquote liegt in der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen noch bei beachtlichen 60 Prozent. Mehr noch als durch finanzielle Anreize werden Japaner von ihrem Willen motiviert, sich nützlich zu machen und zum Gemeinwohl beizutragen.

Stimmt es, dass es in Japan kein „Neinsagen“ gibt?

Natürlich gibt es ein „Nein“, aber es wird umschrieben, für die der Sprache Mächtigen in der Regel unmissverständlich. Auch das „Ja“ hat Nuancen. Das japanische Wort für „Ja“ ist „Hai“ und bedeutet, „Ich habe gehört, dass du etwas gesagt hast“, und nicht „Ich habe dich verstanden“. Es bringt also keine Zustimmung zum Ausdruck und ist somit weit weg von unserem „Ja“. In diesem Zusammenhang fallen immer wieder zwei Begriffe: „Tate mae“ (Höflichkeit, aber auch im Sinne von Schein oder Fassade). Im Gegensatz dazu steht „Honne“ (Realität), und die sieht oft recht anders aus.

Ein Fallbeispiel aus der Praxis: Ein österreichisches Unternehmen hatte eine Maschine nach Japan verkauft und bei der Inbetriebnahme wurde ein japanischer Mitarbeiter verletzt. Aus dem Bericht war klar zu erkennen, dass der Unfall auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen war. Damit stand für das österreichische Unternehmen fest, wo die Schuld lag, und es entzog sich berechtigterweise der Verantwortung. Das wurde dem japanischen Partner auch so kommuniziert, mit folgenschweren Konsequenzen. Der japanische Kunde erwartet von seinem Lieferanten das gemeinsame Beseitigen von Problemen, unabhängig von der Verantwortung für das Herbeiführen derselben. Das österreichische Unternehmen verlor schnell das Vertrauen seines Kunden und bald der gesamten Branche. Bis heute war es der Firma nicht möglich, neu in den Markt einzutreten.

Wie laufen die Entscheidungsprozesse?

Anders als bei uns. Es werden alle Mitarbeiter in den Entscheidungsprozess mit eingebunden, von unten nach oben. Jeder, der von der Entscheidung betroffen ist, darf seine Meinung abgeben, wie sich die Veränderung auf sein Arbeitsumfeld auswirkt. Das kann sehr langwierig sein, dafür werden Entscheidungen dann von allen getragen und es muss im Nachhinein keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden. Die Mannschaft steht gesammelt dahinter, alles läuft wie ein Uhrwerk.

Wo liegen die Unterschiede beim Verhandeln?

Man verhandelt immer im Kollektiv, nie mit Einzelnen. So gesehen kann man auch gar nicht sagen, wer wirklich entscheidet, denn es wird vieles auf verschiedenen Ebenen entschieden. Alle sind wichtig, und man sollte niemanden übergehen. Ganz oben zu verhandeln zu beginnen, kann oft noch viel länger dauern, weil die Führungsebene nach unten weiterdelegiert, um den Boden für die Entscheidung aufzubereiten. Interventionen von außen, vor allem an höherer Stelle, werden in diesem System als störend empfunden.

Spürt man eine Veränderung am japanischen Markt?

Auch Japan ändert sich. Tabus werden aufgebrochen, zum Beispiel die lebenslange Zugehörigkeit zu ein- und derselben Firma. Märkte öffnen sich – unter dem Druck der Wettbewerbsfähigkeit – zusehends ausländischen Lieferanten. Das gilt zum Beispiel für die Automobil- und die Eisenbahnindustrie ebenso wie für die Pharmaindustrie und schafft gerade für österreichische Nischenanbieter große Chancen. Der demografische Wandel, sprich, die alternde Gesellschaft, beeinflusst nicht nur das Marktverhalten der Konsumenten, sondern auch die politische Schwerpunktsetzung, manchmal zulasten der jüngeren Generation.

Was können wir von den Japanern lernen?

Japaner arbeiten an der ständigen Verbesserung von Abläufen und Produkten, eine Philosophie, die als „kaizen“ bekannt geworden ist. Österreichische Unternehmen, die Geschäfte mit Japan machen, müssen den hohen Ansprüchen ihrer japanischen Kunden gerecht werden und sind so in der Lage, nach ihrem Markteintritt in Japan ein besseres Produkt anzubieten als davor.

Was können die Japaner von uns lernen?

Österreichische Firmen verfügen über ein hohes Maß an Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Pragmatismus. Das sind Werte, die in einem zunehmend internationalen Umfeld stark gefragt sind.

STEVE NAKADA

Director International Development, Japan Solar Energy Council

Steve Nakada hat einen tiefen Einblick in die Budo-Szene und eine reichhaltige Erfahrung im internationalen Geschäftsleben. Er besitzt den 6. Dan in Judo und war viele Jahre als Senior Consultant für die Peter F. Drucker Consulting Company in den USA tätig. Er leitet das Unternehmen Japan Solar Energy Council, in dem rund 240 Ingenieure beschäftigt sind.

Herr Nakada, Sie kennen beiden Welten – Ost und West – wie kaum jemand anderer. Worin unterscheiden sich diese Welten Ihrer Meinung nach am meisten?

Nun, dies beginnt schon bei der Schrift. Die Schrift des Westens besteht aus 26 bis 35 Buchstaben und das war es. Die japanische Schrift setzt sich zusammen aus 2.137 Schriftzeichen, die von der chinesischen Schrift übernommen wurden. Dann aus 56 Hirigana7 und 56 Katakana8 und wiederum aus zwei verschiedenen Arten, diese zu lesen. Daraus resultiert eine Vielzahl von Gegensätzen, die sich in allen Lebensbereichen wiederfinden.

Können Sie diese Gegensätze anhand praktischer Beispiele näher erklären?

Um bei der Schrift zu bleiben: Es ist so, dass die westliche Schrift horizontal gelesen wird. 26 bis 35 Buchstaben zu erlernen, schafft jeder durchschnittlich begabte Mensch in wenigen Wochen. Das heißt, das Erlernen geht sehr schnell. Fortschritte sind rasch erkennbar und aus dieser Geschwindigkeit resultiert auch eine gewisse Oberflächlichkeit. Die japanische Schrift ist vertikal aufgebaut und besteht aus Tausenden von Zeichen, die es mit großer Anstrengung zu erlernen gilt. Aus der vertikalen Struktur des Lesens ergibt sich auch eine Tiefe im Denken.

Bei allem Respekt, aber darf ich das so verstehen, dass alle westlichen Menschen oberflächlich sind?

Ganz und gar nicht. Die hohe Geschwindigkeit im Erlernen und in der Umsetzung hat ja auch eine Menge Vorteile, die sich in der Flexibilität und unter Umständen auch in der Kreativität niederschlagen. Was ich zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass wir Japaner den Dingen sehr auf den Grund gehen. Wir hinterfragen und analysieren, wir vergleichen und versuchen zu optimieren. Wir sind bestrebt, in allem, was wir tun, präzise zu sein, und denken immer an den langfristigen Erfolg.

Liegt darin auch das Geheimnis der enormen Wirtschaftsleistung Japans?

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Japan dem Erdboden gleichgemacht. Alles war zerstört. Ich bin unmittelbar nach Kriegsende geboren, und wir hatten kaum etwas zu essen. In nur 23 Jahren ist unser Land zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen. Einen wesentlichen Grund darin sehen wir in unserer präzisen Vorgangsweise und im Fleiß unseres Volkes.

Nun zählen Sie ja auch zu den Großmeistern, was die Kampfkunst betrifft. Als 6. Dan in Judo haben Sie ja einen tiefen Einblick in die Prinzipien der Samurai. Wie haben diese Ihr Leben und auch Ihren beruflichen Erfolg geprägt?

„Ichi go, ichi e“ ist ein wichtiger Spruch im Budo. Frei übersetzt bedeutet es: „Jeder Moment kommt im Leben nur einmal, also mach das Beste daraus. Gib alles mit deinem ganzen Geist und voller Entschlossenheit.“ Danach habe ich versucht zu leben und ich spüre, dass es gut ist.

Ihr Unternehmen agiert global. Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Geschäftspartner aus?

Bevor wir uns für einen Partner entscheiden, sehen wir uns ganz genau an, ob er zu uns passt. Und hier spielen Werte wie Respekt und Höflichkeit eine wichtige Rolle, aber auch Geduld und Disziplin. In einem Meeting finden wir heraus, wie gut jemand zuhören und eine Verhandlung eine Stunde aufmerksam verfolgen kann, ohne etwas zu sagen. Kann er ruhig, konzentriert und aufrecht dasitzen? All das sind Aspekte, die man im Budo lernt. Wir bekommen nach und nach ein Gespür, um welche Persönlichkeit es sich bei unserem möglichen Partner handelt, und diese ist für langfristigen Erfolg ganz entscheidend. Im Westen zählt mehr, wie überzeugend jemand auftritt, wie gut er sich verkaufen kann. Nur allzu oft haben sich solche Personen als Blender herausgestellt.

MICHAEL LOEFFLAD

Präsident Würth Japan

Sie sind bereits seit zehn Jahren in Japan beruflich tätig. Was hat Sie dazu bewogen, sich für so einen langen Zeitraum zu verpflichten?

Die hohe Lebensqualität in Form von Sicherheit, die Freundlichkeit der Leute, der gute Service. All das zusammen ergibt einen guten Mix für mich und deshalb fühle ich mich wohl hier.

Wie spüren Sie die Sicherheit im täglichen Leben hier in Japan?

Die Sicherheit drückt sich darin aus, dass ich zum Beispiel in jedem beliebigen Lokal mein Sakko unbeaufsichtigt hängen lassen und ich meinen Geldbeutel auf dem Tisch oder an der Theke liegen lassen kann. Wenn ich zurückkomme, liegt er immer noch da. Wenn ich um zwei Uhr nachts einer Gruppe Jugendlicher begegne, dann kann ich sicher sein, dass mir nichts passiert: Wenn mir dasselbe in manchen Stadtteilen in Deutschland passiert, weiß ich nicht, welchen Gefahren ich mich aussetze.

Was machen Sie bei der Mitarbeiterführung hier für Würth Japan anders als beispielsweise für Würth Deutschland?

Ich muss hier meine Ideen viel stärker an meine Mitarbeiter verkaufen. Ich muss sie ganz stark in die Change-Prozesse einbinden, nur so findet man langfristig die nötige Akzeptanz und den hier so wichtigen Respekt.

Wenn Sie einen Geschäftstermin wahrnehmen: Worauf achten Sie hier besonders?

Das Wichtigste ist Vertrauen schaffen, am besten über eine freundliche Atmosphäre. Es empfiehlt sich beispielsweise, über den Markt zu reden und nicht zu früh über das Geschäft. Eine grobe Präsentation über das Angebotsportfolio, aber keinesfalls beim Erstbesuch ein Angebot konkretisieren, das würde der Japaner völlig missverstehen. Erfahrungsgemäß benötigt man in Japan mindestens drei Jahre, um in den Markt zu kommen.

Wie erklären Sie sich die hohe Loyalität der Mitarbeiter zum Unternehmen?

Ich kann beobachten, dass die Loyalität der Mitarbeiter abnimmt. Sie ist aber verglichen mit Europa noch auf einem viel höheren Niveau. Dennoch denkt der Japaner heute bereits anders. Als Sony als erstes Unternehmen begonnen hat, Mitarbeiter im größeren Stil zu entlassen, und mit dem Platzen der IT-Blase, gefolgt von der Finanzkrise, haben auch die Japaner gemerkt, dass „lifetime employment“9 selbst Toyota, Hitachi oder auch Mitsubishi auf Dauer nicht bieten können.

Worauf achten Sie im Umgang mit Ihren Mitarbeitern?

Ich achte auf stilvolle Manieren. Hier zählt die gute alte Schule noch. Anstand und traditionelle Werte werden hier noch großgeschrieben. Tödlich wäre es, die Beherrschung zu verlieren oder laut zu werden, da disqualifiziert man sich hier nur selber und das ganz schnell.

Wie motivieren Sie Ihre Leute?

Ich zeige jedem einzelnen, dass er/sie hier eine Zukunft in unserem Unternehmen hat. Ich rekrutiere die Manager, wenn irgendwie möglich, aus den eigenen Reihen. Es gibt wenige, aber dafür attraktive Incentives.10 Zum Beispiel läuft im Vertrieb ein Wettbewerb für eine Reise nach Hawaii. Die Wettbewerbe sind so angelegt, dass jeder gewinnen kann und nicht nur die Stars. Dies ist eine globale Vorgehensweise von Würth. Zusätzlich bringe ich etwas europäischen Führungsstil mit ein, indem ich den Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung gebe.

Was ist wichtig, wenn man auf den japanischen Markt will?

Die Devise laute hier „think big“: ein Konzept ausfeilen bis ins Detail und dann groß umsetzen, keine Halbherzigkeiten. Viele Unternehmen machen den Fehler, dass sie hier eine Niederlassung gründen, meist um auf der Landkarte einen Haken dranzusetzen, sie machen dann aber den zweiten Schritt nicht.

IKEA war bereits vor 35 Jahren auf dem japanischen Markt. Damals waren in einigen Department-Stores IKEA-Abteilungen eingerichtet, wo bereits zusammengebaute Schränke und Regale standen. Denn die Japaner sind keine Hobbybastler, war die allgemeine Überzeugung. IKEA schlummerte über zwei Jahrzehnte in der Bedeutungslosigkeit. Bis 2004 der damals drittgrößte IKEA-Store der Welt mit über 40.000 m2 Verkaufsfläche eröffnete und das IKEA-Prinzip konsequent umgesetzt wurde. In der Zwischenzeit gibt es in Japan schon fünf solche Stores und IKEA läuft prächtig im Land der aufgehenden Sonne. Starbucks-Gründer Howard Schultz war der Erste, der in Japan ein Nichtraucherlokal eröffnete. Niemand glaubte an seinen Erfolg. Doch er hatte die Starbucks-Idee konsequent umgesetzt, und heute ist er ein Big Player und Japan ist sein zweitwichtigster Markt geworden.

Was können Sie ausländischen Unternehmen noch empfehlen?

Verlassen Sie sich nicht zu sehr auf Ihre Partner, wenn Sie nach Japan gehen. Der Partner hält eher die Marke klein. Das ist historisch bedingt. Der Japaner in einem ausländischen Unternehmen ist nicht der Initiator. Er hinterfragt auch nichts. Er ist eher das ausführende Organ. Das ganze japanische Bildungssystem hat sehr viel mit dem Auswendiglernen zu tun. Dies beginnt schon mit der Schrift, die muss man mit hoher Konsequenz und viel Disziplin einfach Auswendiglernen. Deshalb haftet der Japaner sehr stark am Geschriebenen und vertraut dem auch. Wenn zum Beispiel bei einer Gebrauchsanweisung steht: „Verwenden Sie einen Reiniger, so einen wie von Würth“, dann nimmt der Japaner einen von Würth und hinterfragt nicht, welche es noch gibt, weil er dies der Informationsbroschüre so entnommen hat.

Was haben Sie persönlich von den Japanern gelernt?

Gelassenheit, und dass Harmonie vor Macht und Geld steht. Die Japaner sind sehr diszipliniert. Dies sieht man in allen Lebenslagen. Zum Beispiel: Der Shinjuku-Bahnhof in Tokio hat eine Tagesfrequenz von 12 Millionen Menschen. Und es passiert nichts, hier wird Disziplin täglich gelebt. Gegenseitiger Respekt und Achtsamkeit werden hier noch gelebt, wie bei den alten Samurai.

THOMAS NOLTING

Vorstand Correns Corporation

Vorbemerkung: Die Correns Corporation wurde 1948 in Japan gegründet. Das Kerngeschäft ist der Verkauf, inkl. Wartung, von europäischen Maschinen und Anlagen in Japan. Das Unternehmen beschäftigt rund 180 Mitarbeiter, vorwiegend Verkaufs- und Wartungs-Ingenieure. Seit der Gründung des Unternehmens konnten „schwarze Zahlen“ geschrieben werden. Herr Nolting kam 1985 nach Japan und arbeitet seit 1992 bei Correns in Tokio.

Zählt in Japan die Handschlagqualität immer noch stark?

Versteht man den Begriff sinnbildlich (denn Japaner geben sich ja bekannterweise nicht die Hand, sondern verbeugen sich voreinander), kann die Frage mit „Ja“ beantwortet werden. Japaner scheuen lange und komplizierte Verträge und bringen dem Partner Vertrauen entgegen. Vor einigen Jahren konnte Correns ein Projekt für damals ungefähr 30 Millionen DM abschließen – der Auftragsbogen mit allen Konditionen passte auf eine einzige DIN A4-Seite. Allerdings sind Japaner durch schlechte Erfahrungen bei Auslandsgeschäften vorsichtiger geworden.

Was haben Sie von den Japanern gelernt?

Zwei Punkte fallen mir sofort ein:

„Nemawashi“, das heißt, die geschickte Vorbereitung einer Besprechung, in der Entscheidungen gefällt werden sollen. Durch individuelle Vorgespräche mit den Besprechungsteilnehmern versucht man, gegensätzliche Standpunkte zu überbrücken. In der Besprechung selber wird dann die Lösung vorgetragen, die von allen Teilnehmern getragen – und später auch von allen unterstützt wird.

Disziplinierte Gesprächsführung: Japaner lassen das Gegenüber ausreden und fallen sich nicht gegenseitig ins Wort. So können auch eher zurückhaltende Teilnehmer ihre Ideen vorbringen.

Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?

Ich beziehe meine Kollegen in die für sie relevanten Entscheidungsprozesse ein, lasse ihnen genügend Spielraum und ermuntere sie zu Eigenverantwortung. Das beinhaltet natürlich eine weitreichende Delegation von Verantwortlichkeit.

DR. JÖRN WESTHOFF

ehem. Anwaltskanzlei Sonderhoff & Einsel

Vorbemerkung: Die Kanzlei existiert seit 1910 und hat fünf japanische Anwälte, circa zwanzig japanische Patentanwälte und insgesamt mehr als hundert Mitarbeiter. Viele davon sind auch in der Übersetzung tätig. Das Unternehmen ist unter anderem auf Patentrecht spezialisiert und betreut von Tokio aus viele deutsche und österreichische Mandanten. Dr. Westhoff, Anwalt und Ostasienwissenschaftler, war dort bis Ende 2011 beschäftigt. Mittlerweile arbeitet er in Deutschland für die Kanzlei Dr. Wehberg und Partner GbR in Hagen/Westf., wo er weiterhin deutsche und österreichische Unternehmen sowie Mandanten aus ganz Europa bei ihren Geschäften in Japan berät und unterstützt. Er ist außerdem Professor für deutsches und internationales Wirtschaftsrecht an der FOM Hochschule in Essen. Das Interview wurde im Jahr 2010 geführt.

Sie sind seit zehn Jahren in Tokio als Anwalt tätig. Was hält Sie in dieser 30-Millionen-Metropole?

Ein anständiges Gehalt. Es ist tatsächlich so, dass nicht nur die Arbeit hier sehr anspruchsvoll ist, sondern auch wirklich gut bezahlt wird. Was mich noch fasziniert hier ist die unglaubliche Serviceorientierung der Japaner. Jeder versucht einem hier das Leben so leicht wie möglich zu machen. Nach zehn Jahren spüre ich immer noch die Gastfreundschaft und werde in vielen Fällen als Gast behandelt.

Welche Gesellschaftsformen sind in Japan üblich?

Es gibt hier natürlich die OHG und die KG, aber üblich ist die AG. Interessanterweise wurde die GmbH abgeschafft. Sie galt nicht als kreditwürdig, der Begriff für GmbH klingt auch im Japanischen wenig vertrauenswürdig.

Wie hoch ist die Mindesteinlage bei einer AG?

Ein Yen pro Aktie. Also ist das Haftungskapital stark beschränkbar, wenn man das will.

Sehen die Banken darin weniger Risiko?

Anscheinend schon alleine die Bezeichnung als AG vermittelt ein Gefühl der Größe, und manche Unternehmen machen sich dies im Ausland vielleicht auch zunutze. Es ist eben oft sinnvoll, sich Informationen über seine Geschäftspartner zu verschaffen.

Was empfehlen Sie als Jurist und Japanologe ausländischen Investoren, damit sie am japanischen Markt erfolgreich werden? Wichtig ist, dass man hier ernst genommen wird, und dafür braucht man ein innovatives Produkt. Man muss groß sein oder wirken. Oder zumindest eines von beiden, also innovativ oder groß. Innovation wird in Japan ganz groß geschrieben, nicht zuletzt, weil die Japaner ja auch furchtbar neugierig sind.

Was haben Sie von den Japanern hier gelernt?

Gelassenheit. Nein, gelassen war ich immer schon. Vielleicht doch eine Spur mehr Gelassenheit, und ich sehe, die tut mir gut.

Wie viele Stunden arbeiten Sie hier pro Woche?

Im Schnitt auch nicht mehr als vierzig. Allerdings reise ich viel, und da kommt dann schon mehr zusammen.

Der Geist der Samurai lebt weiter

Alleine von den Aussagen dieser Interviewpartner können wir ein Gespür dafür entwickeln, wie stark bis heute Teile des Samurai-Geistes noch in der japanischen Gesellschaft, Kultur und in deren Unternehmen verankert sind.

Was aber wurde aus den Samurai, welche durch die neue Waffentechnologie aus den fernen Vereinigten Staaten von Amerika ihre Bedeutung verloren hatten?

Im Jahr 1868 wurde der Shogun in Kyoto abgesetzt, seine Machtbefugnisse gingen an den Kaiser über. Dieser verlegte seinen Sitz nach Edo (heute Tokio) und hat seit diesem Zeitpunkt vorrangig repräsentative Aufgaben. 1881 waren weniger als fünf Prozent der Bevölkerung Samurai. Sie hatten aber 40 Prozent der Schlüsselpositionen im Staat, insbesondere in der Verwaltung, besetzt. Der Grund dafür war nicht ihre überdurchschnittliche Bildung, sondern vielmehr das Vertrauen, das sie in der Bevölkerung genossen, basierend auf ihren Werten, die sie und ihre Vorfahren über Jahrhunderte gelebt hatten.

Die Samurai genossen großes Vertrauen in der Bevölkerung.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden den Samurai von der Regierung Ländereien zur Verfügung gestellt, um diese gewinnbringend zu bewirtschaften. Bereits 1882 stammten 75 Prozent der Einlage der japanischen Nationalbank aus Erträgen, welche die Samurai erwirtschaftet hatten. Daher überrascht es uns wenig, dass der erste Präsident der JNB (Japan National Bank) ein ehemaliger Samurai war.

Viele vormalige Samurai ließen sich im Handel und im Schiffsbau nieder und vernetzten sich so im ganzen Land. Sie führten ihre Unternehmen nach dem Kodex der Samurai, so wie sie ihn über Generationen hinweg auch gelebt hatten. Historiker sind bis heute davon überzeugt, dass der rasche Wiederaufbau Japans nach dem Zweiten Weltkrieg und der kometenhafte Aufstieg des Landes zu den größten Wirtschaftsmächten der Welt dem Geist der Samurai zu verdanken sind. In vielen japanischen Weltkonzernen finden wir die Wurzeln von Samurai-Familien. Hier einige Beispiele.

Nomura Group

Der Gründer Tokushichi Nomura wurde 1850 als Sohn eines Samurais, welcher auch der Herr der Burg von Osaka war, geboren.11 Der derzeitige CEO der global tätigen Investmentbank und eines der weltweit führenden Brokerhäuser führt den atemberaubenden Erfolg des Unternehmens auf den „Code of Ethics“ zurück. Dieser ist in 20 Punkte gegliedert und deckt sich stark mit den Werten, welche der Unternehmensgründer von seinem Vater in Form des Samurai-Kodex vorgelebt bekommen hat.

Sumitomo Corporation

Das Unternehmen zählt heute zu den Weltmarktführern in der Elektronikindustrie. Seine Geschichte geht zurück bis ins 16. Jahrhundert, als der Gründer Masatomo Sumitomo als Sohn eines Samurais aus Osaka erwähnt wird.12 Über Jahrhunderte hinweg prägte das Unternehmen ethische Grundsätze für den Umgang mit Waren, Dienstleistungen und Menschen. Die Ziele von Stärke und Wohlstand gründeten sich auf Werte wie Integrität, Flexibilität, Vorsicht und Gewinnstreben, ohne gegen nationales und öffentliches Interesse zu verstoßen. Die langfristige Entwicklung steht vor kurzfristigem Gewinn. Sumitomo erzielt auch heute noch, trotz aller Krisen bei japanischen Unternehmen, Milliardengewinne und gibt somit dem Begründer Recht.

Continental Airlines

Als Gordon Bethune CEO von Continental Airlines wurde, stand das Unternehmen kurz vor der Pleite. Jeder, der die Geschichte von Continental Airlines kennt, weiß, dass der Vorstandvorsitzende in den Jahren des Turnarounds die Reinkarnation eines Samurai-Kriegsherrn war. Er konzentrierte sich auf das Wesentliche und agierte extrem pragmatisch: „Wenn du im Pizzageschäft bleiben willst, musst du früher oder später eine gute Pizza abliefern. Wenn man eine Fluggesellschaft betreiben will, muss man erstens die Menschen pünktlich ans gewünschte Ziel bringen, zweitens das Gepäck gleichzeitig mit dem Kunden abliefern, drittens lächelnde Mitarbeiter haben. That’s it!“13

Alles, was er von seinen Mitarbeitern erwartete, war er bereit, auch selbst zu tun. Er handelte streng nach dem Motto „Go first“. Seine Aussagen waren gleichzusetzen mit der Tat, eine der Tugenden, welche den Samurai über fünf Jahrhunderte höchstes Ansehen einbrachten. Gordon Bethune hat mit der Implementierung des Samurai-Kodex in die Fluggesellschaft bewiesen, welche Nachhaltigkeit Werte im Unternehmen erzeugen können, und das Unternehmen wieder zur ertragreichsten Fluglinie der Vereinigten Staaten von Amerika gemacht.

Es gibt bis heute keinen Manager-Kodex

Der Politik von heute fehlt es an Samurai, sie wird von Söldnern betrieben!14

Diese Aussage des Grazer Bürgermeisters Mag. Siegfried Nagl hat mich beflügelt, das Projekt „Der Samurai Manager“ voranzutreiben. Wir sehen, dass das Thema „Werte“ in allen Gesellschaftsschichten präsent ist und eine fundamental wichtige Rolle einnimmt. Wenn wir