Bodo Schulenburg

RÜGEN

Ein Reisebuch für Kinder

mit einem Koffer voller Strandgut

Illustrationen von Elinor Weise

Books on Demand

Inhaltsverzeichnis

  1. DAS ERSTE GROSSE TREIBGUT
  2. DAS ZWEITE GROSSE TREIBGUT
  3. DAS DRITTE GROSSE TREIBGUT
  4. DAS VIERTE GROSSE TREIBGUT
  5. DAS FÜNFTE GROSSE TREIBGUT
  6. DAS SECHSTE TREIBGUT
  7. DAS LETZTE TREIBGUT

Am Anfang der Geschichte ist es Abend. Und es wird gefeiert. Weil Feierabend ist. Und der beginnt, wenn Vati die Flasche Bier aus dem Kühlschrank holt, Mutti anfängt die Teller abzuwaschen, und ich mir sage: Matheaufgaben schieb ich auf morgen. Weil der nächste Morgen ja auch noch einen Abend hat. Kurz: Alle die etwas getan haben, den Tag über, machen Feierabend. Auch der liebe Herrgott.

Es ist Feierabend und nun bleibt es so, wie es ist!

Als unser Herrgott die Welt schuf und beinahe damit fertig war, stand er auf der Insel Bornholm und schaute zum Festland hinüber. Die pommersche Küste erschien ihm noch zu kahl. Er nahm von der letzten Erde aus seiner Molle und klackte sie mit der Kelle hinüber. So ungefähr eine halbe Meile vor der Küste fiel der Klacks ins Wasser. Der Herrgott strich die Kanten schön glatt, und die Insel Rügen war fertig. Inzwischen war die Sonne fast untergegangen, deshalb kratzte er die Erdreste zusammen und warf sie hinterdrein. So entstanden die Halbinsel Wittow und Jasmund. Das sah zwar ein bisschen uneben aus, aber der Herrgott dachte: Es ist Feierabend, nun bleibt es so, wie es ist!

Natürlich dachte der Herrgott den Schluss der Geschichten auch auf Plattdeutsch:

T` is Fierabend, un nu lat` man so wesen, as `t is.

DAS ERSTE GROSSE TREIBGUT

Am Anfang, als der Herrgott noch nicht geworfen oder geklackt hatte, trieb da noch kein Stück Insel umher. Nur das gewaltige Meer trieb. Vor 70 Millionen Jahren. Ein riesiges Urmeer. Und das lebte. War nicht tot und leer. Da schwammen Kleinstlebewesen, Muscheln, auch Seeigel umher. Und ihre kalkhaltigen Schalen sammelten und verfestigten sich. Nicht von Heute auf Morgen oder Übermorgen, sondern im Laufe von Millionen Jahren. Verwandelten sich, wurden dicke Kreideschicht. Dazwischen drängelten sich andere Lebewesen. Algen, Kieselalgen. Daraus entstand Feuerstein. Dann war Pause. Denn es wurde saukalt. War das Eis. Alles ringsum hieß deshalb Eiszeit. Das war vor zwei Millionen Jahren, so ungefähr. Gewaltige Gletscher trieben. Nämlich vorwärts. Langsam, sozusagen getrödelt, aber Meter auf Meter. Und diese wandernden Eisriesen hobelten die Erde glatt, schoben gewaltige Geröllmassen vor sich her.

Trieb oder rutschte da im Geröll schon ein Inselchen? Noch nicht.

Die Gletscher schliefen ein. Waren müde vom Wandern. Oder einfach nur faul. Und tauten auf, schmolzen weg. Ließen nur ein paar Findlinge zurück. Riesige Klamotten! Und die Erde atmete auf. Musste jetzt weniger tragen. Nämlich diese Riesen aus Eis. Und ganz langsam, nein noch langsamer, begann allmählich aus den Wellen ein Stück Erde herauszuragen.

Sah wild und öd aus.

Aber T` is Fierabend, un nu lat` man so wesen, as `t is.

Strandgut fischen

Den längsten Feierabend gibt es, wenn auch am Tag gefeiert wird. Und das mehrere Tage und Abende hintereinander! Diese Zeit heißt Ferien. Dann entstaube ich meinen zerbeulten Pappkoffer. Bis er nach Ostsee Salz riecht und nach trockenen Tang. Vati beäugt ihn misstrauisch. Mutti beäugt ihn misstrauisch. Und beide sagen: Oh jemine, noch ein Koffer voller Strandgut!?

In diesem Augenblick verwandle ich mich in einen Strandläufer!

Ein Strandläufer läuft am Strand lang. Klar. Aber er latscht nicht durch die kleinen Flachwellen. Hüpft nicht wie ein Schnepfenvogel. (Der auch Strandläufer heißt). Sondern er sieht und riecht, sucht und findet. Ist ein Strandgutfischer, welcher drei Dinge weiß!

Numero eins:

Er weiß, dass das Meer sich viel geholt hat. Eingesaugt, verschluckt mit mächtigen Atemzügen: Karavellen mit gebrochenem Mast, eisernen Schatzkisten im Bauch. Dampfer, einschließlich verschiedener Sorten Matrosen. Ganze Städte, mit Bürgermeister, Pfarrer, sogar Briefträger zu Pferd. Echte Inseln, ersoffen. Nur noch der Leuchtturm guckte wie ein steinerner Polizist aus dem Wasser; das aber selten! Auch weil es noch keine Polizisten gab. Klar ist: All das wird niemals mehr auftauchen.

Numero zwei:

Ein Strandläufer weiß, dass das Meer nicht nur verschlingt, es gibt auch oft etwas zurück. Angespült und ausgespuckt: Eine Planke, gespensterbleich, Rettungsring, mit Algenbart, säckeweise Muscheln (besonders die klappernden Miesmuscheln), eine salzverkrustete Boje, ein geheimnisvolles Stück Tau, ein trauriger Schuh, Positionslampe eines zerschmetterten Schiffes, grünes glatt poliertes Glas (sehr selten), ein brauner Flecken Segel, weiß gewaschenes Holz, von den Wellen zu sonderbaren Figuren geschliffen. Einmal fand ich etwas, das flüsterte: Hallo, ich bin eine Seejungfrau! Glaubst du, dass es mich gibt? Ich antwortete. Ich glaube nicht an den Weihnachtsmann, aber an hübsche Seejungfrauen glaube ich immer!

Die Wellen werfen all dies aufs Land. Verstecken es im Sand oder im schwarzen Tang.

Numero drei:

Langweilige Dumpfbacken sagen: Komisches Zeug. Langweiliger Trödel. Sie stoßen Muschel, Tau, Seejungfrau mit ihrem Fuß zurück ins Wasser. Wertlos. Zu nichts nütze. Sie ahnen nicht, dass jedes Stück Treibgut Geschichten erzählt. Von einer Sturmfahrt, oder von Schmugglern und wilden Fluchten. Von höchst gefährlichen Reisen durch raschelnde Tangwälder. Riesenfischen, auf denen ein Wald wächst. Tanzenden feurigen Seeteufeln. Ein Wettreiten der Seepferdchen. Heute Morgen fand ich ein rostiges Sturmlicht.

Geschichte für Strandläufer

Mein Freund, ein Strandvogt auf Rügen, blickte jedes Mal scheel nach Sylt hinüber, wenn dort ein Schiff gestrandet war, ohne das er etwas Strandbeute bekommen hätte. Er fluchte dann: Teufel auch, so ein Mist! Dann betete er: Wenn doch Schiffe stranden sollen und müssen, so lass, lieber Herrgott, auch dann und wann eins an unsren Strand geraten.

Gott schenk` mir Güterlasten

und reiche Kaufmannsfrachten!

Das Beten war dem Strandvogt nicht genug. Um dem Herrgott beim Schenken zu helfen, bestieg er in Sturmnächten sein Pferd. Zündete das Sturmlicht in meinem Bauch an und band dann mich, die brennende Laterne, an den Schweif des Pferdes.

Ich rief: He! Was soll das?

Er antwortete nicht. Ritt durch die Dünen und durch die Täler an der Strandseite. Erst später begriff ich, dass er dadurch hoffte, die Schiffer irrezuführen. Auf eine Sandbank zu locken oder ein Steinriff.

Das blitzt wie Leuchtturmfeuer.

Gelb wird der Strand erhellt.

So lock ich manches Steuer,

manch Schoner ist zerschellt. (*)

Dann sammelte er Beute. Und vergaß mich. Brauchte mich nicht mehr. Ich stürzte in die Wellen und mein Licht ertrank.

1. StrandgutImage Unbedingt das Multimedia Zentrum des Nationalparks Jasmund besuchen! Keine verstaubten Gucke-Vitrinen, kein gähnender Museumswächter! Dafür echt Multimedia: Urmeer, Eiszeit, Kreide. Und alles zum Anfassen und Hören, sozusagen die Eiszeit mitmachen! Ohne Pullover! Wenn du Lust hast, (Kraft ist nichtnotwendig) kannst du einen vier Tonnen schweren Findling bewegen. In einem anderen Raum liegt ein Eiszeitgletscher Naja, ein Miniaturgletscher. Aber dafür taut er auch nicht! Außerdem kannst du dir das Abenteuer aussuchen, das du hier erleben willst. Weil es kein Langweiler Museum ist!