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Band 3

Marcel Naas

Allzeit fallbereit

Der dritte Fall für die MounTeens

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Für Leonie

Mit freundlicher Unterstützung von Zürioberland Kultur und der Gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirks Hinwil (GGBH)

Impressum

Copyright © 2020 boox-verlag, Urnäsch

Illustrationen und Covergestaltung: Natalie Behle

ISBN

MounTeens ist eine eingetragene Marke von Feigenwinter Strategy & Creation

www.boox-verlag.ch

Inhalt

DIE MOUNTEENS SIND

GETRÜBTE EINWEIHUNGSFREUDE

EIN FOLGENSCHWERER UNFALL

BEZAHLTE RUTSCHBAHNEN

ABGESÄGT ODER ABGEBROCHEN?

DER RETTENDE HIMBEERPFOSTEN

LAUSCHANGRIFF

DIE METALLSCHLANGE

RODELSPASS

NACHTSCHWÄRMEREI

DER UNSICHTBARE WEIDEZAUN

EINE VERSCHWÖRUNG?

E(RPRE)SSEN

DIE LUFT IST DRAUSSEN

HIEB- UND STICHFEST

DIE BLUMENKISTE HÖRT MIT!

SCHULDIG ODER NICHT?

GEHEIMES »DATE«

VIDEOBEWEIS

SCHLUSS ODER NEUANFANG?

Die MounTeens sind …

Sam

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Samuel Winter, von seinen Freunden Sam genannt, ist für seine dreizehn Jahre gross, kräftig und ein richtig guter Sportler. Er ist stets voller Tatendrang, wagemutig und besitzt einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Vielleicht liegt das ja daran, dass sein Vater, Wachtmeister Jan Winter, als leitender Polizist in Bad Lärchenberg arbeitet.

Seine Mutter Sarah ist Englischlehrerin im örtlichen Sportgymnasium und hofft insgeheim, dass sich Sam in der Schule noch etwas mehr anstrengt, um nicht nur im Eishockey erfolgreich zu sein. Sam hat wilde blonde Locken und blaue Augen. Die vereinzelten Sommersprossen und sein spitzbübisches Lächeln machen ihn unwiderstehlich sympathisch. Sam ist selbstbewusst, spontan und unbekümmert, sodass er sich oft ohne zu überlegen in neue Abenteuer stürzt.

Lena

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Lena Sander ist blitzgescheit und gilt als Denkerin der MounTeens. Gemeinsam mit ihren Freunden besucht sie die siebte Klasse in Bad Lärchenberg, wobei sie den Schulstoff eher als lästige Pflicht sieht. Viel lieber stillt sie ihren grossen Wissensdurst, indem sie in ihrer Freizeit das Internet nach allen möglichen Informationen durchsucht. Mit ihren schulterlangen roten Haaren, der frechen schwarzen Hornbrille und ihrem leicht spöttisch wirkenden Gesichtsausdruck gilt Lena als pfiffiger, kaum zu bändigender Wirbelwind. Was andere über sie denken, kümmert sie wenig. Das zeigt sich auch in ihrem ausgefallenen Kleidungsstil. Sie legt sich – zumindest mit Worten – mit jedem an und ist dabei nicht auf den Mund gefallen. Ihre Mutter, Anna Sander, ist alleinerziehend und als Tourismusdirektorin von Bad Lärchenberg zeitlich stark beansprucht, weshalb Lena viele Freiheiten geniesst.

Matteo

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Matteo Bertone, kurz »Berti«, ist ausgesprochen hartnäckig – und dies nicht nur beim Fussballspielen, wenn er dem Ball nachjagt. Auch bei den MounTeens kann er sich so richtig in einen Fall verbeissen. Besonders auffallend ist Matteos positive Ausstrahlung – sein allzeit spürbarer Optimismus und die ansteckend gute Laune, welche seine Freunde Matteos italienischen Wurzeln zuschreiben. Mit seinem wachen Blick, den dunkelbraunen Augen und seiner temperamentvollen Art versprüht Matteo jedenfalls viel Charme. Als Einziger der MounTeens wohnt Matteo nicht in Bad Lärchenberg, sondern mitten im Ski- und Wandergebiet, da seine Eltern Claudio und Monica Bertone das Hotel Regina auf der Lärchenalp führen. Matteos Bruder Diego ist bereits achtzehn, was ihn aber nicht daran hindert, seinen Bruder und die MounTeens immer wieder mal tatkräftig zu unterstützen.

Amélie

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Amélie Richard ist humorvoll und unkompliziert. Ihr Lachen steckt an und macht sie gepaart mit ihrer herzlichen Art zur unverzichtbaren »Seele« der MounTeens. Amélie ist sehr sportlich, was wenig verwundert, da ihr Vater Tim Richard im Winter als Skilehrer und im Sommer als Bademeister in Bad Lärchenberg arbeitet.

Ihrer Mutter Lou Richard hilft sie manchmal im familieneigenen Friseurgeschäft, weshalb sie über Klatsch und Tratsch in der kleinen Bergstadt gut informiert ist. Amélie hat lange blonde Haare, blaue Augen und ist wie alle MounTeens dreizehn Jahre alt. Mit ihrer eher zurückhaltenden und bisweilen ängstlichen Art weckt sie den Beschützerinstinkt der Jungs – insbesondere jenen von Sam. Mit allen MounTeens verbindet sie eine enge Freundschaft, wobei sie sich selbst nicht sicher ist, ob der Begriff »Freundschaft« ihre Gefühle für Sam wirklich treffend beschreibt …

Getrübte Einweihungsfreude

»Heiss heute, was?«, stöhnte Sam, als er vor der Talstation des neuen Sessellifts seinen Freund Matteo traf.

»Das kannst du laut sagen! Ciao Sam!« Matteo wischte sich mit dem Arm den Schweiss von der Stirn und zog an seinem T-Shirt herum, das ihm am Körper klebte. Es war Mitte Juli – der zweite Samstag in den grossen Sommerferien.

»Gut, dass wir einige hundert Höhenmeter hochfahren können. Auf 1400 Metern ist es bestimmt kühler.« Sam schaute zur Bergstation hinauf, wo es rund um das Restaurant Alpenblick von Gästen wimmelte.

»Und das alles wegen der neuen Rodelbahn!« Matteo zeigte auf die Menschentraube, die sich um den Ticketschalter an der Talstation gebildet hatte. Dann wanderte sein Blick zum Ende des Sessellifts, von wo sich eine silbern glänzende Schlange ihren Weg ins Tal gesucht zu haben schien. In vielen Kurven führte die Sommerrodelbahn über saftig grüne Alpweiden, durch ein kurzes Waldstück im Mittelteil und weiter durch flacheres, offenes Gelände hinunter nach Bad Lärchenberg.

Unglaublich schön hier, dachte Matteo, als er über die Dächer des Schweizer Alpenstädtchens schaute, das am Fuss des Gämshorns auf einer Hochebene lag. Der idyllische See komplettierte das Bild des Sommer- und Wintersportortes, der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannnt war und viele Touristen anzog. Von Mai bis Oktober war Bad Lärchenberg ein idealer Ausgangsort für Wanderungen und Mountainbike-Touren in die umliegenden Lärchenwälder. Im Winter suchte es als Ski- und Langlaufparadies seinesgleichen. Die Bergstadt mit ihren etwas mehr als zehntausend Einwohnern war bekannt für ihr Thermalbad und die »Flaniermeile« mit zahlreichen Sportartikel- und Modegeschäften sowie Souvenirläden, die sich in der Fussgängerzone zwischen dem Gemeindehaus und der Kirche aneinanderreihten.

»War ja klar, dass es viele Leute haben würde!«, sagte Sam schulterzuckend. »So eine Rodelbahn wird schliesslich nicht jeden Tag eröffnet!« Als Matteo nicht reagierte, fuhr er fort: »Mein Vater meinte, die Investition sei für Bad Lärchenberg von grosser Bedeutung, weil damit im Sommer wesentlich mehr Touristen angezogen würden. Die Einnahmen im Winter scheinen leider nicht zu reichen, um genug Gewinn zu machen. Er erzählte mir, dass sich die Bergbahnen in finanziellen Schwierigkeiten befänden und es enorm wichtig sei, dass die teure Rodelbahn wieder Geld in die Kassen spüle.« Er schaute Matteo an, der seinen Blick vom Tierpark zur Schule, weiter zur Eishalle und bis zum Bahnhof schweifen liess. »Hörst du mir überhaupt zu?« Sam knuffte ihn mit dem Ellbogen in die Rippen. »Diese Aussicht musst du dir bestimmt nicht extra anschauen, schliesslich siehst du von da oben ja täglich auf uns herunter.« Sam spielte darauf an, dass sein Freund auf der Lärchenalp rund achthundert Meter oberhalb von Bad Lärchenberg wohnte, weil seine Eltern dort das Hotel Regina führten.

»Nein, du Nervensäge!« Matteo grinste. »Heute habe ich entschieden, von meinem Himmelsthron zu euch Erdenbürgern hinunterzusteigen, um mir eure Sünden und Laster anzuschauen.«

»Du spinnst ja!« Sam tippte sich an die Stirn. Dann faltete er scheinheilig seine Hände und sank theatralisch zu Matteos Füssen. »Darf ich dich also um deinen Segen für die Rodelbahn bitten? Und am besten auch gleich noch um eine Zehn-Fahrten-Karte?«

Matteo lachte. »Sei gesegnet mein Sohn, doch wisse, dass Geld und eine Zehn-Fahrten-Karte nicht glücklich machen, sondern einzig ein Leben in Demut und Bescheidenheit.«

»Du bist so ein Idiot, Mann!« Sam boxte Matteo freundschaftlich in den Oberarm und verpasste beinahe, dass sich die Schlange am Ticketschalter vor ihm aufgelöst hatte und er nun an der Reihe war.

»Wo sind eigentlich Lena und Amélie?«, fragte Matteo, als sie sich das Spezialticket mit je drei Berg- und Rodelfahrten gekauft hatten, das Einheimische am Eröffnungstag zum Vorzugspreis erhielten.

»Amélie hat mir vorher eine Nachricht gesendet, dass sie bereits oben seien!«, sagte Sam und seufzte leise.

»Stöhnst du, weil der Text keine Emojis mit Herzchen enthielt?«, stichelte Matteo, der genau wusste, wie verliebt Sam war.

Sie setzten sich auf einen Vierersessel und schlossen den Sicherheitsbügel. Zu Matteos Überraschung sah ihn Sam ernst an. »Manchmal denke ich, du kannst meine Gedanken lesen, Berti.«

Dieser wollte erst lachen, merkte dann aber, dass es Sam nicht ums Spassen war. »Echt jetzt? Du bist traurig, weil dir Amélie kein Herz-Emoji gesendet hat?«

»Es ist nicht wegen der einen Nachricht. Schon länger geht sie mir irgendwie aus dem Weg. Im Frühling war es anders …«

»Aber ihr wart ja nie zusammen, oder?«, fragte Matteo, der sich danach am liebsten auf die Zunge gebissen hätte.

Sam nahm ihm die Bemerkung nicht übel. »Du hast recht, doch es fühlte sich wenigstens so ähnlich an, als wir uns im Tierpark an den Händen hielten.« Sam starrte traurig auf den zehn Meter weiter unten vorbeigleitenden Boden.

»Tut mir leid«, sagte Matteo. »Ich denke schon, dass sie auch was für dich empfindet. Das sieht man!«

»Wirklich?«

»Klar, Mann!« Er klopfte seinem Freund aufmunternd auf die Schulter. »Schau, dort gleich neben der Bergstation steht sie ja und winkt dir zu.«

»Uns, nicht mir.« Sam wirkte zerknirscht. »Es geht nicht um mich.«

»Jetzt hör schon auf, Trübsal zu blasen! Heute ist ein Feiertag!« Matteo öffnete den Bügel und der Vierersessel fuhr langsam in die Station ein.

Wenig später waren die MounTeens vereint. Amélie hatte Sam und Matteo zu Lena geführt, die sich unter einem Baum ein Stück Schatten gesichert und dieses verteidigt hatte. Nun sassen sie – vor der erbarmungslos stechenden Sonne geschützt – mit Blick aufs Rednerpult im Gras.

»Danke, Lena!«, sagte Matteo. »Der Schatten ist selbst hier oben Gold wert. Möchte ja nicht wissen, wie heiss es im Flachland ist!«

»Und doppelt cool, dass wir von hier aus die offizielle Eröffnung mitbekommen. Wann beginnt das Ganze?« Sam schaute auf die Uhr.

Lena kramte einen Flyer aus dem Rucksack. »Um halb zwölf.«

»Sagt deine Mutter auch etwas?«, fragte Amélie.

»Muss sie ja wohl!« Lena verdrehte die Augen. »Ihr hättet sie die letzten Tage sehen sollen, wie sie vor dem Spiegel übte.«

Anna Sander stand neben dem Rednerpult und sprach mit Manfred Glauser, dem Chef der Bergbahnen. Als Tourismusdirektorin von Bad Lärchenberg fand sie es selbstverständlich, an einem solchen Anlass ebenfalls zum Mikrofon zu greifen. Die alleinerziehende Mutter war wie immer gut gekleidet und zog mit ihrem beigen, dezent längsgestreiften Hosenanzug die Blicke der Männer auf sich. Die schulterlangen braunen Haare hatte sie straff nach hinten gekämmt, was ihr eine Strenge und Unnahbarkeit verlieh, die der Zweiundvierzigjährigen nur recht waren. Schliesslich hatte sie nach ihrer geschiedenen Ehe – unbewusst vielleicht auch ihrer Tochter zuliebe – keine neue Beziehung mehr gesucht.

Heute aber stand ein gepflegt aussehender und zweifellos reicher Mann neben der Tourismusdirektorin. Sam bemerkte, wie Lena die Nase rümpfte, als die beiden ihre Köpfe zusammensteckten und sich etwas zuflüsterten.

»Wer ist das?«, fragte Sam neugierig, während er in Richtung von Anna Sander und dem Fremden deutete.

»Viktor Makarenko«, antwortete Lena mit tonloser Stimme. »Ein russischer Geschäftsmann, der hier seit Jahren seine Ferien verbringt.« Ihr Blick wurde eisig und die nächsten Worte klangen wie hingespien: »Keine Ahnung, was meine Mutter an diesem schleimigen Kerl toll findet!«

»Du meinst jetzt echt, da läuft was zwischen den beiden?«, fragte Sam gewohnt direkt, bevor er merkte, wie ungeschickt das gewesen war.

Lena sah ihn trotzig an. »Nicht solange ich das verhindern kann«, flüsterte sie und bahnte sich den Weg zu ihrer Mutter.

Als Lena ausser Hörweite war, machte Amélie ihrem Ärger Luft: »Du, Trampel!«, fuhr sie Sam an, »siehst du nicht, dass Lena leidet?«

Sam schaute schuldbewusst zu Boden. Er hatte es ja selbst bemerkt. Musste Amélie nun noch auf ihm herumhacken? »Tut mir leid«, murmelte er, »ich habe tatsächlich schneller geredet als gedacht.«

»Das kennen wir von dir!«, sagte Amélie in etwas versöhnlicherem Ton. Dennoch fiel Matteo auf, was sein Freund vorher auf dem Sessellift gemeint hatte: Zwischen Amélie und Sam herrschte irgendwie Eiszeit.

In der Zwischenzeit hatte sich Lena durch die Menschenmenge auf der Terrasse des Restaurants Alpenblick gepflügt und das Rednerpult erreicht. Die anderen MounTeens beobachteten, wie sie kurz mit ihrer Mutter sprach und den russischen Geschäftsmann dabei keines Blickes würdigte. Nachdem Anna Sander ihr offenbar etwas gegeben hatte, machte sich Lena auf den Rückweg.

Was für ein Unterschied, dachte Matteo. Während ihre Mutter modebewusst war und viel Wert auf ihr Äusseres legte, scherte sich Lena keinen Deut darum, ob die Kleider zusammenpassten. Heute trug sie ein violettes T-Shirt mit einem silbern glitzernden Herz-Aufdruck, kurze Jeanshosen und rot-weiss gestreifte, kniehohe Socken. Dazu zierten olivgrüne Sneakers mit deutlichen Löchern beim grossen Zeh ihre Füsse. Matteo schmunzelte. Tat sie das mit Absicht? Bestimmt! Es war, als ob sie ihre Unabhängigkeit und Freiheit auf diese Weise zur Schau stellen wollte.

»Was hast du denn deiner Mutter so dringend sagen müssen?«, fragte Amélie, als sich Lena wieder zu ihnen gesetzt hatte.

»Eigentlich gar nichts. Es ging mir nur darum, sie im Gespräch mit diesem Geldsack zu stören.« Lena verzog angewidert das Gesicht. »Ausserdem soll er wissen, dass die attraktive Tourismusdirektorin eine kratzbürstige Tochter hat.« Sie grinste teuflisch und fügte an: »Da ist meine Mutter gleich wieder uninteressanter in seinen Augen. Kurz: Ich brauchte gar nichts von meiner Mutter, habe aber als Vorwand um etwas Geld gebeten.«

»Was du offenbar erhalten hast!«, stellte Matteo fest.

»Genau, lasst uns im Selbstbedienungsrestaurant ein paar Portionen Pommes holen!«, lachte Lena. »Ich spendiere sie.«

Ein folgenschwerer Unfall

Die Reden waren vorbei. Manfred Glauser schnitt feierlich das rote Band vor dem Drehkreuz zur Rodelbahn durch. Jetzt war es so weit. Für die vielen Besucherinnen und Besucher gab es kein Halten mehr. Alle wollten die neue Attraktion als Erste ausprobieren und mit dem Zweierrodel auf den Führungsschienen zu Tal brausen. Auch die MounTeens hatten sich in die Schlange gestellt.

»Hallo, Ryan!«, rief Amélie fröhlich und winkte einem sechzehnjährigen Schulkollegen aus der neunten Klasse zu.

»Ausgerechnet der«, knurrte Sam so leise, dass ihn niemand hören konnte. »Der hat mir gerade noch gefehlt.«

»Hey, Amélie, du strahlst ja heller als die Sonne!« Ryan lachte und gesellte sich zu ihnen.

Schleimer, dachte Sam und ballte seine Hände in den Hosentaschen. Wusste der denn nicht, dass Amélie zu ihm gehörte? Wobei … tat sie das wirklich? Er musterte den schlaksigen, selbstbewussten Jungen. Ryan war gesellig, ein Spassvogel und überaus gesprächig. Manchmal nahm er aber den Mund auch etwas zu voll. Sam hatte schon mehrfach beobachtet, wie Ryan Amélie anzubaggern versuchte, nur hatte sie bisher nicht darauf reagiert. Bis heute.

Amélie fasste sich an den Hals. Ein Zeichen für Verlegenheit, wie Sam wusste.

»Und welcher Planet bist du?«, fragte Sam bissig.

»Ich verstehe dich nicht, Mann!« Ryan schaute ihn verwirrt an. Lena hatte Sams Anspielung verstanden: »Du kannst ja nicht auch noch hell sein, wenn Amélie schon die Sonne ist!« Sie zwinkerte Sam zu, der sie dankbar anlächelte. »Aber du kreist wie ein Planet um sie herum, wenn ich mich nicht irre.«

Einen Moment lang wusste Ryan nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte. Schliesslich entschied er sich für Ersteres. »Ich bin kein Planet, sondern mein eigener Mond und kreise um mich selbst. Aber sagt mir einfach, wenn ich euch störe.«

Amélie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, lass die labern und stell dich doch hier mit uns an.«

»Wir sehen uns unten«, rief Ryan, der sich alleine auf einen Schlitten der Rodelbahn gesetzt hatte und nun vor dem Start noch kurz ein Selfie schoss. Winkend hob er die rechte Hand, dann drückte er die wie Handbremsen an beiden Seiten des Rodels montierten Hebel ganz nach vorne, um Fahrt aufzunehmen.

Amélie und Lena waren an der Reihe. Sie setzten sich in die Schalensitze des gelben Schlittens, schnallten sich an und warteten, bis die Ampel auf Grün sprang und die Bahn freigab.

Sam wirkte zerknirscht – die Enttäuschung, dass Amélie und er sich nicht einmal den Schlitten teilten, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er seufzte. Heute lief aber auch wirklich alles gegen ihn! Missmutig blickte er Lena und Amélie nach, bevor er sich hinter Matteo setzte und seine Hände auf die Hebel legte.

»Anschnallen, Jungs!«, wies sie der Bahnarbeiter an. »Los gehts!«

Sie legten schnell an Tempo zu. Sam spürte den Fahrtwind in seinen blonden Locken. Auf seinen Lippen bildete sich ein Lächeln und spätestens in der ersten Kurve war sein Liebeskummer wie weggeblasen. Stattdessen liessen ihn die Geschwindigkeit und die wirkende Schwerkraft jauchzen.

Die Rodelbahn bog in ein Waldstück ein. Sam und Matteo nahmen Kurve acht ohne abzubremsen.

Plötzlich sahen sie Lenas und Amélies Schlitten vor sich auf der Bahn stehen.

»Anhalten!«, schrie Matteo.

Sam reagierte blitzschnell und zog an beiden Hebeln. Die Bremswirkung folgte unmittelbar, die Gurte spannten sich ruckartig und verhinderten, dass Sam und Matteo kopfvoran auf die Bahn geschleudert wurden.

»Mann, war das knapp!« Sam atmete tief durch, als sie stillstanden und den Aufprall um wenige Zentimeter hatten verhindern können.

»Was ist denn los? Weshalb haben Lena und Amélie gestoppt?« Matteo schlüpfte aus dem Gurt und stand auf, um über den im Weg stehenden Schlitten zu sehen. »Da vorne liegt jemand!«

Sams Herz setzte einen Moment lang aus. Amélie!

»Es ist Ryan. Die Mädels knien neben ihm.«

Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete Sam. Erst dann folgte auch Sorge um Ryan. Er musste sich das ansehen!

»Geh nur, Sam. Ich schaue, dass keiner in uns reindonnert!« Matteo behielt wie so oft einen kühleren Kopf als Sam und sprintete der Rodelbahn entlang hinauf zur letzten Kurve, wo er die nächsten zwei Rodler gerade noch rechtzeitig stoppen konnte.

Sam war zu Lena und Amélie geeilt. Ryan lag stöhnend am Boden und hielt sich seinen Kopf.

»Was ist passiert?«, fragte Sam besorgt.

»Keine Ahnung«, antwortete Lena. »Als wir oben um die Kurve kamen, sahen wir Ryans Schlitten auf der Bahn und er lag hier neben dem Fangnetz. Er muss in der Kurve hier herausgeschleudert worden sein.«

»Genau«, stiess Ryan mühsam hervor. »Der Gurt muss sich gelöst haben.«

»Bist du okay?«, fragte Sam.

»Geht so.« Noch immer hielt Ryan seinen Kopf zwischen den Händen, setzte sich nun aber immerhin auf.

»Wir müssen hier weg. Es ist gefährlich, mitten auf der Bahn zu stoppen! Komm!« Sam fasste Ryan unter den Armen und zog ihn auf den Schlitten, wo er ihn auf dem vorderen Sitz angurtete. Anschliessend gab er Matteo ein Zeichen, dass sie weiterfahren würden, setzte sich hinter Ryan und schnallte sich selbst an.

»Da liegt noch dein Handy!« Lena bückte sich und hob es auf. »Hier, Ryan!«