Walter-Jörg Langbein

 

 

 

Monstermauern, Mumien und Mysterien 4

 

 

 

Reisen zu geheimnisvollen Stätten unseres Planeten

 

 

Impressum

 

© NIBE Verlag © Walter-Jörg Langbein

 

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Birgit, you’ll be back!

 

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Vorwort: Haben wir Mut, stellen wir Fragen!

1. Mit der Eisenbahn in die Vergangenheit

2. Machu Picchu, von der Zeit vergessen?

3. Die Mondpyramide, die Straße der Toten und die Glimmerkammer

4. In der »Glimmerkammer«

5. Pyramidenstufen und eine Schlange aus Licht

6. Eine Schlange aus Licht kommt vom Himmel herab

7. Fliegende Männer kommen vom Himmel herab

8. Mysteriöse Tempel an der Karibik-Küste

9. Der Satan der Südsee

10. Das Geheimnis der Maria von Guadalupe

11. Das Wunder von Guadalupe

12. Beweise für eine »Marienerscheinung«

13. Die Klippenstadt der verschwundenen »Indianer«

14. Die Pyramide von Palenque und eine mysteriöse Kammer

15. Der Astronaut unter der Urwaldpyramide

16. Die runde Pyramide von Cuilcuilco

17. Wie alt ist Cuicuilco wirklich?

18. Das Tor in eine andere Welt?

19. Auf den Spuren von Pater Crespis Sammlung

20. Meine traurige Entdeckung

21. Crespis Schätze

22. Was wird aus Prof. Cabreras Schätzen?

23. Das Ende eines fantastischen Museums?

24. Sipán und seine Schätze

25. Die Pyramiden von Túcume

26. Val Camonica und seine Gravuren

27. Die Astronauten von Zurla

28. Feuerräder rollen ins Tal

29. Der Sachsenschlächter, Feuerräder und Sonnenuhren

30. Maria und die »Weiße Frau« von Lügde

31. Das ewige Licht von Lügde und andere Mirakel

32. Jesu Ritt auf zwei Eseln

33. Judas war kein Verräter

34. Der zweite Jesus

35. Jesus wird verurteilt

36. Die Heilige Geistin und das Bluttuch

37. 4 Evangelien und Widersprüche über Widersprüche

38. Maria Magdalena am Tisch des Herrn?

39. Suche nach Wahrheit

40. Es war keine Himmelfahrt

41. Marias Aufnahme in den Himmel

42. Maria und Jesus am Seil

 

 

Vorwort: Haben wir Mut, stellen wir Fragen!

 

Der große Philosoph Francis Bacon (1) schrieb: »Wir dürfen das Weltall nicht einengen, um es den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens anzupassen, wie der Mensch es bisher zu tun pflegte. Wir müssen vielmehr unser Wissen ausdehnen, so dass es das Bild des Weltalls zu fassen vermag.« Das ist wahr. Tatsächlich wird in der Schulwissenschaft ein eingeengtes Bild von der Wirklichkeit geboten. Fantastische Fakten werden verdrängt und verschwiegen, ganz nach dem Motto »Es kann nicht sein, was nicht sein darf!« Natürlich verdanken wir der Schulwissenschaft immens viel an Erkenntnissen. Spannender als das Bekannte ist aber das Rätselhafte.

Ich lade Sie, liebe Leserinnen und Leser, zu einer Weltreise ein. Besuchen wir gemeinsam den Astronauten unter der Urwaldpyramide, eine mysteriöse Ruinenstadt in einem Hochplateau und einen gruseligen Friedhof aus uralten Zeiten, um nur drei unserer Reiseziele zu nennen. Christian Morgenstern (2) schrieb: »Eine Wissenschaft aber, die vergisst, dass sie eine seltene, wunderbare Blume auf dem Boden des Mysteriums ist, ja, die vergisst, dass sie selbst Mysterium ist, die fällt mit der übelsten Schwarmgeisterei in eins zusammen.«

Auf unserer Reise geht es um Geheimnisse und Mysterien, abseits der ausgetretenen Pfade. Wissenschaft versucht, und das ist ihre Aufgabe, allgemein gültige Regeln und Gesetze aufzustellen, denen sich die Realität freilich nicht immer beugt. Die Blumen des Geheimnisvollen sprengen, um es poetisch zu formulieren, die Fesseln des Erforschten. Suchen wir nach dem Unerforschten und Unerklärbaren.

Vincent van Gogh (3) wusste: »Die Normalität ist eine gepflasterte Straße; man kann gut darauf gehen, doch es wachsen seine Blumen auf ihr.« Wir verlassen auf unserer Reise »gepflasterte Straße«. Es gibt viel zu entdecken! Der Philosoph Manfred Hinrich (4) brachte es auf den sprichwörtlichen Punkt: »Wo Punkt ist, soll Fragezeichen werden!«

Lassen wir uns durch noch so »dicke« Punkte nicht abschrecken! Wir haben keine Angst, Fragezeichen zu setzen! Der Philosoph Klaus Klages (5) bedauerte, »dass es immer mehr Fragen als Antworten gibt.« Ganz im Gegenteil: Unser Wissen wächst, wenn wir Fragen über Fragen stellen. Voreilig verkündete Antworten erschweren den Fortschritt!

 

Haben wir Mut, stellen wir Fragen!

 

Fußnoten:

 

(1) *1561; †1626

(2) *1871; †1914

(3) *1853; †1890

(4) *1926; †2015

(5) *1938

 

 

1. Mit der Eisenbahn in die Vergangenheit

 

Die Spanier, Vertreter des »zivilisierten Abendlandes«, hatten keinen Sinn für die Goldschmiedearbeiten der Inka. Sie schmolzen herrlichste Kunstwerke ein, gossen sie in Barren. Nicht unerhebliche Schätze konnten aber vor den spanischen Barbaren gerettet werden. Sie wurden, so lautet die Überlieferung, in entfernte und kaum zugängliche Bergregionen geschafft. In den legendären Orten Huilcabamba und Vilacabamba sollen sie versteckt worden sein. Vergeblich suchten die Spanier danach. Sie folterten zahllose Inka grausam zu Tode, erfuhren aber nicht, wo sich die geheimen Schatzverstecke befanden. Auch Hiram Bingham suchte vergeblich. Auch wenn er den bis heute vermissten Inkaschatz nicht fand, soll er dennoch Kostbarkeiten von erheblichem Wert außer Landes geschafft haben.

Von Cusco aus geht es im Morgengrauen mit der Eisenbahn nach Machu Picchu. Wenn man Glück hat, kann man die ganze Strecke im Zug zurücklegen. Manchmal muss man die erste Etappe mit dem Bus fahren. Zunächst passiert man die Elendsviertel von Cusco. Zum Skelett abgemagerte Hunde wanken durch die Slums. Erwachsene, Kinder und Jugendliche schuften. Selbst Kleinkinder schleppen schwere Lasten. Thilo Sarrazin hat Recht: Im Vergleich zu den Armen von Cusco sind die »Armen« in Deutschland steinreich. Doch während manche »Arme« in Deutschland ihr unerträgliches Los bejammern, scheinen die materiell wirklich Armen von Cusco stolz auf ihrer Hände harte Arbeit zu sein.

Der Zug quält sich durch grandiose Landschaft in die Höhe. Was für ein krasser Gegensatz bietet sich dem Reisenden: zwischen dem schlammigen Grau von Cusco und dem üppigen Grün der subtropischen Gefilde. Wir nähern uns den Ausläufern des Amazonasgebietes.

Unterwegs legt der Zug eine kurze Pause ein. Die kleine »Station« markiert den höchsten Punkt der Zugstrecke:

 

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Mit der Bahn nach Machu Picchu

 

4.319 Meter über dem Meer! Weiter geht’s: über den Urubamba. Wir erreichen Ollantaytambo. Hier enden alle Straßen. Von hier an ist der Zug das einzige Verkehrsmittel. Nach etwa vierstündiger Fahrt kommen wir in »Aquas Calientes« an. Der Name des Dorfes weist auf die heißen Quellen hin.

In »Aquas Calientes« kann man höchst preiswerte kleine Hotels finden. Von hier aus sind es nur noch etwa acht Kilometer bis zu den Ruinen von Machu Picchu. Busse schaffen Touristengruppen über eine geradezu lebensgefährlich anmutende Serpentinenstraße zur verlorenen Stadt und wenige Stunden später wieder zurück. Touristenströme drängen sich durch den schmalen Eingang am Kartenhäuschen vorbei und ergießen sich über das Areal von Machu Picchu. Jeder der bis zu 1.500 Besucher ärgert sich über die anderen 1.499 Touristen, die jedes Foto durch ihre bloße Anwesenheit verderben.

Wer den Zauber von Machu Picchu hautnah erleben möchte, hat nur eine Chance: Man bucht ein Zimmer direkt bei den mysteriösen Ruinen. Ich denke sehr gern an Aufenthalte im »Hotel Machu Picchu Ruinas«, das direkt am Eingang der Ruinenstadt liegt. Freilich hat das Hotel wohl den Besitzer gewechselt und heißt jetzt »Belmond Santuary Lodge«. In den 1990ern waren die Zimmerpreise durchaus akzeptabel. Wie mir Reisende versicherten, kostet jetzt die Übernachtung im »Belmond Sanctuary Lodge« rund 1.000 Euro und darüber. Das ist viel Geld, wenn man bedenkt, dass man in »Auqas Calientes« schon für weniger als ein Zehntel ein recht schönes Zimmer bekommt.

Das »Belmond« hat einen großen Vorteil: Man kann schon vor 10 Uhr morgens in die rätselhafte Anlage gehen, bevor der erste Bus ankommt. Nach 15 Uhr, wenn der letzte Bus ins Tal gefahren ist, wird es wieder still und man ist nahezu alleine. (Angaben zum Hotel: ohne Gewähr!)

Im Herbst 1992 war ich mit drei Freunden vor Ort. Insider warnten: Im Sommer waren die Rebellenführer der »Tupac Amaru« und des »Leuchtenden Pfades« Victor Polay Campos (*1951) und Abimael Guzmán (*1934) verhaftet worden. Am 10. August 1995 wurden sie vor einem Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Drohten nun Anschläge auf beliebte Ziele wie Machu Picchu? Damit müsse gerechnet werden, hieß es. Derartige Meldungen schreckten offenbar viele potentielle Reisende ab. So waren meine drei Freunde und ich die einzigen Gäste im »Hotel Machu Picchu Ruinas«. Gegen Abend fuhren die Angestellten des Hotels ins Tal. Angeblich blieb ein Nachtwächter bei uns. Ich muss zugeben: Etwas mulmig war mir damals schon!

Immer wieder hat es mich in den vergangenen Jahrzehnten nach Machu Picchu gezogen. Ich erinnere mich noch sehr gut: Vor meinem ersten Besuch habe ich dickleibige Bücher über die verlorene Stadt gelesen und detailreiche Pläne der Anlage studiert. Vor Ort aber verstand ich, dass die meisten der vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnisse reine Fantasiegebilde sind. »Palast der Prinzessin« heißt ein großes Haus, »königlicher Palast« ein anderes. Bezeichnungen wie »Heiliger Platz«, »Sonnenfeld« und »Heiliger Felsen«, »Viertel der Handwerker« und »Palast der Sonnenjungfrauen« täuschen aber nur Wissen vor. In Wirklichkeit liegt über Machu Picchu der Schleier des Rätselhaften. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir so gut wie nichts über Machu Picchu wissen.

 

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Walter-Jörg Langbein vor Machu Picchu;

Foto: Willi Dünnenberger

 

Die präzise formulierten Bezeichnungen werden von eifrigen Guides mit inbrünstiger Überzeugung vorgetragen. In Wirklichkeit weiß aber niemand, ob zum Beispiel im »Gefängnisviertel« jemals ein einziger Häftling eine Strafe abbüßen musste. Niemand vermag zu sagen, ob es je so etwas wie eine Haftanstalt in Machu Picchu gab.

Imposant ist auch der »Tempel der drei Fenster«. Drei aus gewaltigen Steinquadern kunstvoll gestalteten Fenster sind bis in unsere Tage erhalten geblieben. Bei Sonnenaufgang soll einst das Innere des »Tempels« in geheimnisvolles Licht getaucht worden sein. Heute ist fast nur noch eine massive Steinfassade erhalten. Ob allerdings die drei Fenster je zu einem »Tempel« gehörten, das weiß niemand. Leider gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen der Erbauer und der Bewohner der Stadt.

Nichtwissen mag Vertretern der Schulwissenschaften ein Gräuel sein. Dennoch: Vergessen wir die zahlreichen Fantasienamen. Begnügen wir uns mit der Gewissheit, dass wir so gut wie nichts wissen. Eingeweiht in die Mysterien von Machu Picchu war einst die Amauta, ein Gremium aus adeligen Philosophen und Wissenschaftlern der Inka-Zeit. Noch im 16. Jahrhundert lebte deren uraltes Wissen: als eine alte Form der Esoterik. Den Spaniern wurde dieser Schatz niemals offenbart.

Der spanische Soldat Miguel Rufino, so überliefert es die Chronik von Don Antonio Altamirano († 1556), befreite die Inkaprinzessin Accla Gualca aus den Klauen seiner christlichen Landsleute. Er befürchtete, und das ohne Zweifel zu Recht, dass man sie foltern würde, um ihr die Geheimnisse ihres Volkes zu entlocken. Dabei ging es nicht um esoterisches Wissen, sondern ganz konkret um Schatzverstecke. Die Spanier waren in ihren Methoden alles andere als zimperlich.

 

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Terrassen von Machu Picchu

 

Miguel Rufino und Accla Gualca entkamen den spanischen Häschern. Sie schlugen sich auf strapaziösesten Wegen bis nach Machu Picchu durch. Vor der Amauta von Machu Picchu mussten beide schwören, das Geheimnis der heiligen Stadt zu wahren. Miguel Rufino hat die wirkliche Bedeutung von Machu Picchu gekannt. Er war der einzige Spanier, der die Stadt in den Anden besuchen durfte, als dort noch stolze Inka residierten.

Miguel Rufino hielt seinen Schwur. Angewidert von der Grausamkeit seiner goldgierigen Landsleute kämpfte er für die Inkas. Er wurde waffentechnischer Berater des Inka Manco. Beim Versuch, die Spanier wieder aus der Stadt Cusco zu vertreiben, fiel Miguel Rufino im Gefecht.

Martin Fieber schreibt in seinem bemerkenswerten Buch »Machu Picchu« (1): »Das wahre Machu Picchu sind aber nicht die 200 Gebäude, die vielen Tausend Treppenstufen oder die heiligen Megalithen. Das wahre Machu Picchu, die Seele der Stadt in den Wolken, ist für unsere Augen unsichtbar. Aber nicht für unser Herz.«

Machu Picchu ist eine geheimnisvolle Stadt. Und sie ist ein Symbol: Fern der plündernden Spanier überlebte hoch in den Anden eine friedliche kleine Gemeinde von Inkas. Sie hatten sich in eine »unwirtliche« Region zurückgezogen. Sie trieben keinen Raubbau gegen die Natur, sondern mit ihr. In Machu Picchu wurden überwiegend Mumien von Frauen gefunden. Sollte dies auf eine matriarchalische Religion hinweisen? Angeblich wurde Pachamama - »Mutter Erde« - in Machu Picchu verehrt. Uralte matriarchalische Glaubenssystem verehrten Muttergottheiten häufig in unterirdischen Höhlen.

In der Nähe des »Heiligen Felsens« haben argentinische Studenten ein unterirdisches Labyrinth entdeckt. Es wurde von Archäologen erkundet und zugemauert. (2) Bei einem meiner Besuche in Machu Picchu kletterte ich unter einer Absperrung hindurch und quetschte mich in einen Felsspalt. Er verlief schräg nach unten, wurde offenbar breiter. Bevor ich aber weiter erkunden wurde, beorderten mich zwei recht unwirsch aussehende Aufpasser zurück.

Trotz intensiver Recherchen über Jahre, auch in Cuzco und Lima, konnte ich keine wissenschaftliche Publikation über die unterirdischen Gänge von Machu Picchu ausfindig machen. Wartet das eigentliche Geheimnis von Machu Picchu in der Unterwelt?

 

Fußnoten:

 

(1) Fieber, Martin: »Machu Picchu/ Die Stadt des Friedens«, Bad Salzuflen 2003, Klappentext

(2) Schmidt, Kai Ferreira: »Peru Bolivien«, Markgröningen, 2. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 6/ 2000, S. 271

 

 

2. Machu Picchu, von der Zeit vergessen?

 

Ein Besuch in Machu Picchu ist eine Reise in die Vergangenheit: in die Bergwelt der peruanischen Anden. Erbaut hat die geheimnisvolle Stadt, so heißt es, Pachacútec Yupanqui. Der legendäre Herrscher der Inka gilt als der eigentliche Vater des großen Inkareiches. Er war es, der den Sonnengott Inti ins Zentrum des offiziellen Glaubens rückte. Aber war Pachacútec Yupanqui (Regierungszeit 1438-1471) wirklich der Architekt von Machu Picchu? Ließ er um 1450 die verlorene Stadt der Anden 400 Meter über dem Rio Urubamba erbauen?

Wichtiger ist die Frage, ob Machu Picchu zu Inkazeiten aus dem Nichts entstand… oder auf Fundamenten einer weit älteren Kultstätte errichtet wurde. Nach wie vor gilt Hiram Bingham als »Entdecker« der mysteriösen Stätte. Entdeckt hat er sie aber nicht, sondern ausgeplündert. Bing-ham hat Vilabamba und Machu Picchu heimgesucht und 200 Kisten mit kostbaren Goldobjekten und anderen archäologischen Preziosen auf 60 Mulis über Bolivien außer Landes schaffen lassen.

173 Mumien »entdeckte« Bingham in Machu Picchu. 150 davon waren Frauen. Welche Kostbarkeiten mögen den Toten mit auf die Reise ins Jenseits gegeben worden sein? Wir wissen es nicht. Hiram Bingham ließ sich zwar weltweit als großen Forscher feiern… in den Augen vieler Peruaner war er aber eher ein erfolgreicher Dieb. Bis zum heutigen Tag wartet man in Peru vergeblich auf die Rückgabe der Kostbarkeiten, die Bingham außer Landes schaffen ließ. Sie dürften sich noch heute im Besitz der renommierten Yale Universität befinden. Bingham hinterließ keinerlei Aufzeichnungen seiner Funde. So dürfte der Beweis, was nun alles in der Ruinenstadt gefunden und ins Ausland geschafft wurde, mehr als schwierig sein!

 

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Blick auf Machu Picchu

 

Wie Hiram Bingham Machu Picchu »entdeckte«, das ist inzwischen hinlänglich bekannt! Fakt ist: Als Mr. Bingham am 24. Juli 1911 die majestätischen Stadtmauern bestaunte, da prangte bereits eine eingeritzte Inschrift im moosbewachsenen Stein: »Augustin Lizarraga, Enrique Palma und Gabino Sanches – 1901«. Jene drei Herren hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach archäologischen Schätzen gesucht, die sich versilbern ließen. Sie fanden immerhin eine gut erhaltene Mumie, die sie wegschleppten.

Augustin Lizarraga, der 1901 seinen Namen auf einer der steinernen Wände in Machu Picchu verewigte, führte 1894 Don Luis Bejar in das Gemäuer. Und eben jener Augustin Lizarraga gehörte 1911 zum Team von Mr. Bingham. Und der ließ sich zu Unrecht bombastisch als der »Entdecker« einer »vergessenen« Stadt feiern. »Verlassen« war Machu Picchu anno 1901 übrigens nicht. Inka-Nachkomme Anacleto Alvarez hatte die heute weltberühmten Terrassen gepachtet. Übrigens: Schon drei Jahrhunderte zuvor gehörte die Stadt ganz offiziell einem gewissen Don Martin de Concha.

 

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Uraltes Mauerwerk

 

Machu Picchu liegt auf einem Bergrücken, der von unbekannten Meistern vollkommen umgestaltet worden ist. Gewaltige Stein- und Erdmassen müssen unter Aufbietung unvorstellbarer Kräfte bewegt worden sein. Und doch scheinen sich die Bauten und Terrassen dem mächtigen Berg anzuschmiegen. Am Eingang zur Stadt misst man eine Höhe von 2.370 Metern, an der höchst gelegenen Terrasse immer eine Höhe von 2.530 Metern.

Unbekannte Baumeister waren es wohl, die lange vor den Inkas, das ursprüngliche Heiligtum errichteten. Sie hinterließen den Inkas einen massiv umgeformten Bergrücken und riesenhafte Steinkolosse. Auf diese monolithischen Ungetüme setzten die Inkas Jahrhunderte später ihre Mäuerchen aus kleinen Steinen.

Es kommt mir so vor, als hätten die Erbauer der Inka-Stadt Machu Picchu ungeheuren Respekt vor ihren Vorgängern gehabt. Sie passten ihre »Neubauten« millimetergenau den uralten Fundamenten an. Sahen sie sich als Erben einer uralten Tradition? Wie auch immer: Die Inkas selbst haben nie riesige Steinkolosse zurecht gemeißelt und eingesetzt, sondern stets übernommen und als Fundament verwendet.

Von den Megalithbaumeistern des »Ur-Machu Picchu« aus Vorinkazeiten dürften monströse Steinskulpturen stammen, deren Sinn und Zweck wir nicht kennen. Es werden »Erklärungen« in die Welt gesetzt, die sich – bei Licht betrachtet – als reine Fantasiegebilde erweisen. So heißt es, dass auf einem sauber zugehauenen Stein einst Mumien zum Trocknen auf ihre spätere Bestattung warteten. Diese Spekulation entbehrt jeder Grundlage.

Hiram Bingham taufte eine mysteriöse Steinhöhle mit intensiver Steinbearbeitung »Mausoleum der Könige«. Bingham stützte sich bei dieser Titulierung auf die Tatsache, dass im Inneren zwei Mumien gefunden wurden, die von edler Herkunft gewesen sein müssen. Wertvolle Stoffe umhüllten die sterblichen Überreste, denen man wertvolle Beigaben aus Gold und Silber für die Reise ins Jenseits mitgegeben hatte.

Binghams These ist allerdings mehr als fragwürdig. Es gibt keinen Beweis dafür, dass zu Zeiten der Inkas je »Könige« in Machu Picchu residierten. Mumifiziert wurden überwiegend Frauen. Sollte es sich um »Tempeljungfrauen« etwa eines Sonnenkults gehandelt haben?

Der »Intiwatana« wurde aus einem einzigen Granitblock gemeißelt. Er wird als »Sonnenstein« bezeichnet. Sein Name lässt sich mit »Ort, an dem die Sonne gebunden ist« übersetzen. Nach Aufzeichnungen des Inka-Chronisten Poma de Ayla diente der eigenartige Stein der Beobachtung des Sonnenlaufs. Auch soll er dazu benutzt worden sein, Planetenbahnen zu bestimmen und wichtige Sternbilder zu beobachten. Angeblich standen auf der Plattform einst vier Säulen, deren Schatten den Intiwatana zu einer Art Sonnenuhr machten.

Unklar ist, ob das steinerne Messinstrument von den Inkas gebaut oder bereits vorgefunden wurde. Vielleicht wurde es ja von den Meistern der Steinmetzkunst übernommen, deren unglaubliche Fähigkeiten uns noch heute in Erstaunen versetzen. Über welche Erkenntnisse astronomischer Art mögen sie verfügt haben? Leider liegen keinerlei schriftliche Aufzeichnungen aus jenen Tagen vor.

Die sorgsame astronomische Beobachtung deutet auf sakrale Bedeutung von Sternen und Planeten hin. Der ewige Kreislauf von Sonne, Mond und Sternen war so etwas wie das Sinnbild uralter Religion. Ewiges Leben war fester Bestandteil ältester Religionen: die ewige Wiederkehr von natürlichen Abläufen wie Aussaat und Ernte, von Frühling, Sommer, Herbst und Winter schenkte den Menschen Zuversicht und Trost.

Bei Dreharbeiten für den Werbespot einer Brauerei wurde das Zeugnis uralter Wissenschaften leider beschädigt: trauriger Beleg für die Missachtung uralter Kulturen. Betuchte Kulturbanausen ließen sich übrigens gern mit dem Hubschrauber direkt nach Machu Picchu fliegen. Dafür nahmen sie es in Kauf, dass durch Druckwellen uraltes Mauerwerk zum Einsturz gebracht wurde. Rucksacktouristen sind nicht unbedingt rücksichtsvoller. Durch Lagerfeuerchen in Mayaruinen, die auch heute noch in schwer unzugänglichen Gefilden um Machu Picchu zu finden sind, wird immer noch erheblicher Schaden verursacht.

Die Spanier haben bei ihrem Verwüstungszug durch Südamerika vor Jahrhunderten Machu Picchu nicht entdeckt. Sie hätten die geheimnisvolle Ruinenstadt sicher vollkommen zerstört.

Irgendwann wurde von Meistern der Steinmetzkunst so etwas wie das »Ur-Machu Picchu« gebaut. Die Inkas übernahmen die wuchtigen Ruinen. Sie bauten auf den alten Fundamenten weiter. Irgendwann wurde die Stadt verlassen, vergessen und »verloren«!

 

 

3. Die Mondpyramide, die Straße der Toten und die Glimmerkammer

 

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Aufstieg zur Mondpyramide

 

Endlich habe ich die Gipfelplattform der Mondpyramide erreicht. Stufe für Stufe habe ich mich über die schier endlose Treppe an der Frontseite von Plattform zu Plattform hochgekämpft. Die Luft ist dünn. Jeder Schritt fällt schwer – in 2.200 Meter über Normalnull. Von der Millionenmetropole Mexico City scheint ein beißender Geruch herüber zu wehen. Das wäre kein Wunder angesichts der extremen Luftverschmutzung, die die Riesenstadt erzeugt.

Endlich stehe ich auf der »plataforma adosaba«, auf der abschließenden Plattform, 65 Meter über der staubigen »Straße der Toten«. Ich bin außer Atem, setze mich erschöpft und schwitzend auf den harten Stein. Ich weiß:

1906 hat Leopoldo Batres das gewaltige Bauwerk freigelegt. Er hat es förmlich ausgegraben, lag es doch unter einem wenig ansehnlichen Hügel.

Als der spanische Eroberer Hernando Cortez am 8. November 1519 im Hochtal von Mexico City auftauchte, lag die einst so stolze Mondpyramide unter einem über viele Jahrhunderte hinweg von der Natur angehäuften Berg. Cortez zog achtlos am verborgenen Monument vorbei. Ihn und seine räuberische Bande von Plünderern zog es in die Metropole Tenochtitlan, auf mehreren Inseln im westlichen Teil des Texcoco-Sees gelegen. Selbst Hernando Cortez zollte der Riesenstadt, die zu ihren Glanzzeiten Hunderttausenden von Menschen eine Heimat bot, seine Bewunderung. Er berichtete Kaiser Karl V.: »Alle Straßen sind der Länge nach von Kanälen durchzogen, so dass zwischen ihnen eine Wasserverbindung besteht Über diese Kanäle, von denen einige sehr breit sind, führen Brücken.«

Bernal Diaz del Castillo: »Wir staunten und sagten, das gliche den Wundern, von denen im Amadis, dem berühmten Ritterroman, berichtet wird, denn diese riesigen Türme und Pyramiden und Gebäude im Wasser waren alle aus Stein gebaut. Einige unserer Soldaten fragten sich daher, ob das, was sie sahen, nicht ein Traumbild sei.

Hier hausten also die »barbarischen Azteken«, denen sich die »zivilisierten Europäer« so überlegen fühlten. Allerdings lebten sie weitaus kultivierter als die Christenheit im fernen Europa. Während der europäische Hofadel von Körperhygiene wenig hielt und üble Gerüche mit Parfüms übertünchte, vertrauten selbst die einfachen Bewohner von Tenochtitlan auf die reinigende Wirkung von Dampfbädern.

Als anno 1600 Giordano Bruno in Rom grausam gefoltert und als »Ketzer« verbrannt wurde, blühte auf einem riesigen Areal (rund 1.000 Hektar groß) eine echte geradezu moderne Metropole. Selbst die kleinen, einstöckigen Häuser hatten alle einen geräumigen Innenhof, wo Gemüse und Blumen angebaut wurden. Elendsviertel wie in Europa waren unbekannt. Vier Hauptbezirke gab es: den »Ort der Blumenblüte«, den Tempelbezirk mit seinen fantastischen Monumenten, die »Region der Mücken« und die »Wohnstätte der Reiher«.

Die hochstehende Kultur, die erstaunliche Zivilisation der Azteken interessierte die goldgierigen Spanier überhaupt nicht. In einem blutigen Kampf eroberten sie dank ihrer überlegenen Waffen die einstige Metropole. Sie ermordeten die Bewohner in einem unbeschreiblichen Blutbad und plünderten die Stadt. Sie verwüsteten Tenochtitlan gründlich. Sie zerstörten eine Kultur So erlosch eine Stadt, die jener der europäischen Hauptstädte überlegen war.

Ausgrabungen archäologischer Art sind heute so gut wie unmöglich. Die Millionenstadt Mexico-City beansprucht wie ein gieriger, ständig wachsender Krake die einst so bedeutsame Region. Gewaltige Slums überziehen wie ein Geschwür das Land, dessen Geschichte von echter Zivilisation zeugte. Das kann man von den marodierenden Eroberern nicht gerade behaupten.

Von der Sonnenpyramide aus blicke ich nach höllisch anstrengendem Aufstieg auf die »Straße der Toten«. Sie war einst die zentrale Achse, die durch die Stadt Teotihuacán führte. Vermutlich bestand erst der vier Kilometer lange und 45 Meter breite Sakralweg. Die Stadt Teotihuacán wurde später rechts und links davon errichtet. Die Azteken waren nicht die Bauherren der monumentalen Gebäude. Sie fanden sie bereits vor, schrieben sie mythischen Göttern aus uralten Zeiten zu. Einst sollen sich hier – während der mythischen »Nachtzeit« – Gottheiten versammelt und über die Menschen beraten haben.

 

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Die Straße der Toten

 

In Teotihuacán dürften eins Hunderttausende gelebt haben: in einer am Reißbrett entwickelten Riesenmetropole, die sich einst über 20 (oder mehr!) Quadratkilometer erstreckte. Der Rio San Juan floss durch die Stadt, aber nicht in seinem natürlichen Bett. Er wurde kunstvoll kanalisiert und den Wünschen der Stadtarchitekten angepasst.

Von der einst so stolzen Stadt ist so gut wie nichts übriggeblieben: nur die »Straße der Toten«, flankiert von steinernen Plattformen und massiven Gebäuden. Fakt ist: Der Name »Straße der Toten« wurde von den Nachkommen der Azteken ersonnen, als Teotihuacán längst verschwunden war. Damals waren die Pyramiden und Gebäude rechts und links der Straße nur noch als »natürliche« Hügel zu erkennen. Auch die Namen »Sonnen-« und »Mondpyramide« stammen nicht von den Erbauern dieser rätselhaften Denkmäler. Wie sie einst hießen, das ist unbekannt.

 

Erst im Verlauf der letzten 100 Jahre wurden die Überreste der »Straße der Toten« ausgegraben und vermessen. Hugh Harleston kam zu einem verblüffenden, kühn anmutenden Ergebnis.

Seiner Überzeugung nach handelte es sich bei der Straße mit ihren Gebäuden und Pyramiden um ein erstaunlich exaktes Modell unseres Sonnensystems! Im »Teotihuacán-Modell« beträgt die Entfernung Sonne-Erde 96 Einheiten, Merkur hat einen Abstand von 36, Venus einen von 72 und Mars einen Abstand von 144 Einheiten! Doch damit nicht genug: Auch der Asteroidengürtel ist im Modell zu finden: als künstlich angelegter Kanal.

Planet Saturn soll einst auch im Modell durch ein Gebäude gekennzeichnet worden sein. Es wurde dem Zufahrtsweg für Touristen geopfert und abgetragen. Mehr als erstaunlich ist, dass auch die Planeten Uranus, Neptun und Pluto den Erbauern von Teotihuacán bekannt gewesen sein müssen. Dabei wurden diese drei Sonnentrabanten erst in den Jahren 1781, 1846 und 1930 entdeckt!

Sollte also die »Straße der Toten« als »Straße der Sonne und ihrer Planeten« angelegt worden sein? War sie einst ein sakraler Weg, eine Art Pilgerweg einer vergessenen Religion der Astronomie? Martin Lehman schrieb in der Fachzeitschrift »Discover« (1): »Unsereins steht fassungslos vor den mathematischen Tatsachen, welche die Erbauer von Teotihuacán angewandt haben. Doch führt uns dieses Beispiel wieder vor Augen, wie wenig wir von unserer Vergangenheit wirklich wissen.«

Angeblich war die »Sonnenpyramide« einer Muttergöttin geweiht. Sollte also die »Straße der Toten« ursprünglich von den Vertretern eines matriarchalischen Kults errichtet worden sein, zu Ehren einer, vielleicht gar der Muttergöttin? Wesentliches Kennzeichen von sakraler Verehrung der Urgöttin war die ewige Wiederkehr, war der ewige Kreislauf des Lebens. Im Mittelpunkt stand nicht der Gläubige als Individuum, der auf sein persönliches Weiterleben nach dem Tod hoffte. »Ewiges Leben« wurde nicht egozentrisch gesehen. Nicht der einzelne Mensch hatte ein ewiges Leben als Individuum. Unsterblich und ewig war das Leben selbst, wie die Natur.

Frühling, Sommer, Herbst und Winter kehrten im ewigen Kreislauf des Lebens wieder. Auf den Frühling mit seinem Wachstum der Pflanzen folgten der Sommer (der die Ernte reifen lässt), der Herbst (also Vorbote des Todes) und der alles zum Erstarren bringende Winter. Der Winter aber war nicht das Ende. Nach der Wintersonnwende (im Christentum zum Geburtstag Jesu entfremdet) folgte wieder der Frühling, die Wiedergeburt der Pflanzen, des Lebens! (2)

 

Fußnoten:

 

(1): Lehmann, Martin: »Teotihuacán, Zahlen und Fakten eines Rätsels«, »Discover«, 1994/2

(2): Langbein, Walter-Jörg: »Eine kurze Geschichte von Gott/ Von der Vorzeit bis heute«, Berlin November 2007

 

 

4. In der »Glimmerkammer«

 

Dieses Kapitel enthält Fotos, die im Inneren der geheimnisvollen »Glimmerkammer« aufgenommen wurden. Diese Fotos sind eine echte Sensation. Die »Straße der Toten« ist mit ihren Pyramiden eine der bekanntesten archäologischen Stätten unseres Planeten. Die »Glimmerkammer« ist in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Fotos von der »Glimmerkammer« werden erstmals hier gezeigt. Mein Buch »Monstermauern, Mumien und Mysterien« bietet somit eine echte Weltpremiere!

 

Hektisches Treiben herrscht auf der »Straße der Toten«. Busse spucken Touristen aus, die im Sauseschritt bis zur Mondpyramide eilen. Emsige Guides spulen das auswendig gelernte Wissen ab. Hastig steigen die abgehetzten Besucher wieder in ihre Busse, weiteren Attraktionen entgegen. Ob sie noch die Maria von Guadalupe besuchen? Oder geht’s zum Flughafen, um zur nächsten Station im nächsten Land zu entschwinden?

Viele Touristen nehmen sich etwas mehr Zeit. Sie besteigen sogar die beiden Pyramiden. In luftiger Höhe erfahren sie in Kurzform von ihren Führern, was in den Lehrbüchern über die »Straße der Toten« zu finden ist. Dass aber die gelehrten Wissenschaftler oftmals nur spekulieren und nur so tun, als seien alle Unklarheiten beseitigt, ahnen sie nicht.

Zahlreiche Grüppchen von Schülern beleben die »Straße der Toten«. Sie strahlen eine glückliche Heiterkeit aus. Mit Kassettenrekorder, Blöcken und Stiften bewaffnet befragen sie die Touristen. In jeder Gruppe der emsigen Schüler gibt es mindestens einen, der gut Englisch spricht.

Immer wieder wird die Frage gestellt: »Was wissen Sie von den Pyramiden?« Millionen von Menschen marschieren die »Straße der Toten« entlang. Am eigentlichen Geheimnis gehen sie achtlos vorbei. Auf der rechten Seite, etwa einen Kilometer vor der »Sonnenpyramide«, ist ein kleines Blechschild angebracht. »Mica« steht darauf, zu Deutsch »Glimmer«. Im Verlauf verschiedener Reisen nach Mexiko habe ich immer wieder die »Straße der Toten« besucht. Immer wieder habe ich jeden greifbaren Führer oder Wächter nach der »Glimmerkammer« gefragt. Immer wieder bekam ich ein Achselzucken als »Antwort«. Ich kenne inzwischen den Weg, bin ihn schon manches Mal gegangen. Jedes Mal wurde ich von einem Zerberus männlichen oder weiblichen Geschlechts gestellt. Mir wurde mit deutlichen Gesten klar gemacht: »Du hast hier nichts zu suchen!«

Der Eingang zur »Glimmerkammer« ist weiträumig mit Stacheldraht gesichert. Ein dickes Bakschisch lässt auch dieses Hindernis bedeutungslos werden. Und ein noch üppigeres Bakschisch ermöglicht sogar einen kurzen Besuch in der »Glimmerkammer« selbst. Leider wirkt der mysteriöse Raum wenig anziehend, und das dank moderner Restaurierungsmaßnahmen, die mehr zerstört als erhalten haben. Da wurde eine Betondecke eingezogen, die von Betonpfeilern gestützt wird. Die »Reparaturmaßnahmen« geschahen gewiss in bester Absicht. Offenbar drohten Decke und Wände einzustürzen. Sie mussten gesichert werden, keine Frage. Aber wäre das nicht auch etwas behutsamer möglich gewesen?

 

Eingang_zur_Glimmerkammer

Eingang zur Glimmerkammer

 

Es ist gefährlich, sich in diesem seltsamen Raum aufzuhalten, der eher einem Korridor gleicht, ohne erkennbaren Zweck. Oder verbergen Betonwände, was ungebetene Gäste nicht sehen sollen? Nichts weist heute mehr darauf hin, was einst in diesem Raum geschah. Was aber ist dann so bedeutsam an der »Glimmerkammer«?

Zwei wuchtige Eisenplatten, mit mittelalterlich wirkenden Schlössern gesichert, verbergen das Geheimnis der »Glimmerkammer«. Ein Bakschisch lässt den richtigen Wächter den richtigen Schlüssel finden, und schon werden die beiden Metallklappen zurückgewuchtet. Wenig Licht fällt in die Tiefe. Nach einiger Zeit erkennt man etwa einen halben Meter unter der Klappe Glimmer. Ich beuge mich nach unten und hole vorsichtig einen Klumpen Glimmer ans Tageslicht. Der Wächter blickt diskret zur Seite. Ich beuge mich in die Öffnung und leuchte mit meiner Taschenlampe umher. Überall glimmert es. Der Schein der Lampe wird reflektiert. Glimmer, soweit das Auge reicht. Welchen Zweck erfüllt der Glimmer? Woher stammt er?

 

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Autor Langbein vor Ort;

Foto: Ingeborg Diekmann

 

Man kann Glimmer als Verzierung einsetzen, keine Frage. Aber warum hat man großflächig einen unterirdischen Raum von oben mit Glimmer abgedeckt? Etwa zehn Zentimeter dick ist die Glimmerschicht, stelle ich fest. Das Mauerwerk darunter, die Decke der »Glimmerkammer«, soll einen halben Meter stark sein. Glimmer, eingebettet zwischen zwei dicke Steinbecken, kann nicht als Schmuck gedient haben. Man konnte die Glimmerschicht ja nicht sehen. Welchem Zweck diente sie dann?

Dreißig Meter lang ist die mit Glimmer abgedeckte Fläche. Ein kundiger Guide erklärt mir: »Die sorgsam ausgelegte Glimmerfläche liegt unter einer wuchtigen Steinmauer von mindestens einem halben Meter Dicke. Wie groß das Areal ist, das so isoliert wurde, das wissen wir nicht. Weitere Grabungen sind erforderlich.« Grabungen sind aber alles andere als einfach. Man muss sich erst durch harten Stein arbeiten.

Glimmer hat wirklich erstaunliche Eigenschaften. Glimmer ist extrem hitzefest (bis zu 800 Grad!), extreme Temperaturschwankungen erträgt Glimmer mit Gelassenheit... genauso wie die meisten Säuren! Glimmer ist hervorragend geeignet als elektrisches Isolationsmaterial.

 

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Die Glimmerkammer von oben

 

Zu Beginn des dritten nachchristlichen Jahrtausends sehen wir die technischen Aspekte von Glimmer, zum Beispiel als Isolator. Welchen Schutz sollte die Glimmerschicht vor zwei (oder mehr) Jahrtausenden bieten? Wurde Glimmer vor zwei oder drei Jahrtausenden vielleicht als Schutz im technischen Sinne verstanden?

Natürlich müssen auch und gerade im Bereich der »Straße der Toten« Grabungen, so versicherte man mir immer wieder, erst noch genehmigt werden. Das aber geschieht im konkreten Fall offenbar nicht. Seltsam: Die schlauchartige »Glimmerkammer« ist sehr viel kleiner als die bisher bekannte Glimmerfläche. Oder anders ausgedrückt: Die Decke ist sehr viel größer als der Raum darunter!

 

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In der unterirdischen Glimmerkammer