Textprobe:
Kapitel 2.3, Die mittelalterliche Philosophie und das Mitleid:
Betrachtet man den Begriff des Mitleids in der mittelalterlichen Philosophie, so ist die Beachtung auf die christlichen Werte der Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu richten, da dem christlichen Verständnis nach das Mitleid deren Voraussetzung darstellt. So führt Samson weiter aus, dass bereits Lactantius in der Spätantike den Affekt des Mitleids als positiv beschreibt. Diesem zufolge umfasst der Affekt des Mitleids die Vernunft des menschlichen Lebens. Wer diesen aufhebt, macht das menschliche Leben zum animalischen.
Als Weiteres ist es unausweichlich, auf Thomas von Aquin zu sprechen zu kommen. Diesem nach erklärt sich das Mitleid als Liebe zum anderen, welche auf einer Traurigkeit begründet ist, die wiederum auf dem Mitempfinden am Leid des anderen zu basieren scheint. Die von mir bereits zu Beginn des Kapitels angeführte Differenzierung des Mitleidbegriffs findet sich bei Thomas von Aquin wieder. So spricht er in einer Linie von einem sinnlichen Affekt des Mitleids, dem affectus misericordiae, welcher die pathologische Form des Mitleids beschreibt; in einer anderen Linie ist die misercordia als Tugend zu verstehen, da ihr die Vernunft zu Grunde liegt.
2.4, Das Mitleid in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts:
Das 17. und 18. Jahrhundert ist von immenser Bedeutung in der Diskussion um den Begriff des Mitleids. Dieser ist zu einem festen Bestandteil einer sich herausbildenden Gefühlsethik geworden.
Im Zuge dieses Kapitels sind mehrere Autoren anzuführen und teils auch konträr gegenüberzustellen.
Mit René Decartes beginnend, findet sich wiederum ein Bezug zu den Ausführungen Aristoteles. Er bestimmt das Mitleid als die differenzierte Traurigkeit, die erst dann in Erregung versetzt wird, wenn jemandem ein Übel widerfährt, welches dieser nicht verdient. Dieser Beschreibung des Mitleids gegenüber äußert sich Thomas Hobbes konträr zu Decartes Ausführungen. Er beschreibt das Mitleid als einen egoistischen Affekt, dem die gezielte Furcht vor dem eigenen zukünftigen Leben zu Grunde liegt und benennt es als eine perturbation animi. Folglich beeinträchtigt das Mitleid die eigenen Überlegungen.
Als Weiteres ist in diesem Kapitel die Philosophie des moral sense mit ihren Vertretern David Hume und Adam Smith anzuführen. Der moral sense ist als eine Theorie des Mitleids, die durch Hutchesons und Shaftesbury begründet wurde, zu begreifen, welche versucht, die Genese moralischer Begriffe aus dem Inneren her zu erklären und fassbar zu machen.
David Hume nach gibt es zwischen den Menschen eine vorauszusetzende natürlich bedingte Ähnlichkeit, die es ermöglicht, sich die Gefühle anderer begreifbar zu machen und zu verstehen. Hier führt er die Einbildungskraft an. Hume benutzt in seinen Ausführungen den Begriff der sympathy . Mitleid ist eine Sonderform von sympathy und Hume formuliert einige Merkmale. So setzt er das Mitleid in Abhängigkeit zu der Nähe des zu bemitleidenden anderen.
Auch Adam Smith benutzt den Begriff der sympathy in seinen Ausführungen. Dieser bildet den Kernpunkt seiner Moralphilosophie. Inhaltlich geht Smith mit Hume sehr stark d’accord. Allerdings liegt in Smiths Ausführungen ein Schwerpunkt auf der menschlichen Einbildungskraft, der er mehr Bedeutung zumisst als Hume. Er differenziert, dass der Schmerz des Leidenden stets stärker sein wird als der des Mitleidenden. So sind die Gefühle eines anderen nicht direkt erfahrbar; es herrscht stets nur eine Vorstellung dieser vor.